| Titel: | Ueber die Jod-Reaction der Heilquellen zu Krankenheil, und über die im Handel vorkommende jodhaltige Salpetersäure. | 
| Fundstelle: | Band 147, Jahrgang 1858, Nr. XV., S. 46 | 
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                        XV.
                        Ueber die Jod-Reaction der Heilquellen zu
                           Krankenheil, und über die im Handel vorkommende jodhaltige Salpetersäure.
                        Aus dem ärztlichen Intelligenzblatt für Bayern,
                              1857, Nr. 48.
                        Ueber die Jod-Reaction der Heilquellen zu Krankenheil und
                           über jodhaltige Salpetersäure.
                        
                     
                        
                           Die Krankenheiler Quellen bei Tölz in Oberbayern haben im Auslande, namentlich in
                              Norddeutschland, bereits eine beträchtliche Anwendung gefunden, während in
                              Süddeutschland und zumeist in München, von diesem Mineralwasser nur sehr wenig
                              Gebrauch gemacht wird. Hieran war nicht bloß schuld daß die Quellen wesentlich als
                              Jodquellen angekündigt wurden, ihr Jodgehalt aber nach den Analysen von Barth, Fresenius und Wittstein
                              nur sehr gering ist, namentlich im Vergleiche mit der benachbarten Adelheidsquelle
                              zu Heilbrunn, deren Jodgehalt fast um das Zwanzigfache höher steht; es trug hiezu
                              noch wesentlich der Umstand bei, daß von verschiedenen theils Sachverständigen,
                              theils Laien die Jodreaction des Krankenheiler Wassers sehr verschieden angegeben
                              wurde und, so widersprechend die Angaben waren, sich alle auf thatsächliche
                              Erfahrung berufen konnten. Die Einen sagten nämlich, das Krankenheiler Wasser
                              reagire mittelst Stärkmehl und rauchender Salpetersäure nicht im geringsten auf Jod;
                              erst beim Eindampfen, bei einem gewissen Grade der Concentration zeige sich der
                              Jodgehalt, während das Adelheids-Wasser auf bloßen Zusatz von Stärkekleister
                              und rauchender Salpetersäure sehr stark blau gefärbt werde. Andere behaupteten, sie
                              hätten Reactionen an der Quelle gesehen und selbst gemacht, bei welchen die
                              intensivste Bläuung durch gebildete Jodstärke eingetreten sey, so daß die
                              Jodreaction mindestens eben so stark wie bei der Heilbrunner Adelheids-Quelle
                              erscheine. Wieder Andere sagten, daß die Krankenheiler Quellen das Eigenthümliche
                              hätten, daß sie frisch aus dem Felsen laufend stark auf Jod reagiren, hingegen diese
                              Reaction nicht mehr zeigen wenn das Wasser längere Zeit in Flaschen liege, und
                              hatten sich selbst auf das genaueste überzeugt, daß sowohl das frische als das
                              abgelagerte Wasser einer und derselben Füllung entstammte, und daß ebenso die
                              Reagentien das eine wie das andere Mal genau dieselben waren, Stärkmehl aus einer
                              und derselben Schachtel und Salpetersäure aus einem und demselben Glase, das erste
                              wie das zweite Mal. Andere Versuche endlich zeigten, daß gewöhnliches Quellwasser
                              und frisches Krankenheiler Wasser unmittelbar neben einander mit den gleichen
                              Reagentien und auf ganz
                              gleiche Weise geprüft das Ergebniß lieferten, daß ersteres nicht die Spur einer
                              Färbung zeigte, letzteres hingegen tief blau wurde. Was aber weniger bekannt, war
                              die Erfahrung, daß verschiedene Salpetersäuren
                              verschieden stark auf das Krankenheiler Mineralwasser reagirten, manche sogar gar
                              nicht – ein Umstand, den übrigens einige Sachverständige aus einem mehr oder
                              minder der Reaction günstigen Gehalte der Salpetersäure an Untersalpetersäure
                              erklären zu müssen glaubten.
                           So wie die Sache lag und von den glaubwürdigsten Männern bestätigt wurde, schien sie
                              ein sehr verwickeltes Räthsel zu seyn, welches zu vielem Gerede, ja selbst zu
                              Argwohn führen mußte. Der derzeitige Besitzer der Quellen, Hr. Carl Herder, sowie der königl. Gerichtsarzt zu Tölz, Hr. Dr.
                              Höfler, wendeten sich deßhalb an das
                              Staats-Ministerium des Innern mit der Bitte, die Sachlage durch einen
                              Sachverständigen genau untersuchen zu lassen. Mit Vornahme dieser Untersuchung an
                              Ort und Stelle wurde auch sofort von dem hohen Staats-Ministerium ein
                              Mitglied des Obermedicinal-Ausschusses, Prof. Dr.
                              Pettenkofer, beauftragt, und seinem hierüber
                              abgegebenen amtlichen Berichte, d. d. 8. October 1857,
                              entnehmen wir die nachfolgenden interessanten Mittheilungen über den in Rede
                              stehenden Gegenstand.
                           Prof. Pettenkofer fand in der That im Quellenhause zu
                              Krankenheil die sich widersprechenden Thatsachen sämmtlich, wie sie angegeben
                              wurden, bestätiget. Die Salpetersäure, welche er unter seinen eigenen Reagentien
                              mitgebracht hatte, erzeugte im Krankenheiler Mineralwasser keine Reaction auf Jod,
                              während eine Säure, welche er zu Krankenheil vorräthig angetroffen hatte und welche
                              vom Kaufmann Kießling zu Augsburg bezogen worden war, die
                              stärkste Jodreaction ergab. Er hätte keinen Anstand genommen, die bisher an der
                              Quelle zu den Reactionen benützte Säure für jodhaltig zu erklären, wenn einer
                              solchen Annahme nicht anscheinend die Thatsache entgegengestanden wäre daß –
                              wie er sich selbst überzeugte – ein gewöhnliches Brunnenwasser mit derselben
                              Säure nicht eine Spur von Jodreaction ergab. So viel stand übrigens bei dem Umstande
                              fest, daß verschiedene Salpetersäuren so verschieden reagirten daß in einer
                              genaueren Untersuchung der Kießling'schen Salpetersäure
                              einerseits und in den Bestandtheilen des frisch aus der Quelle laufenden Wassers
                              andererseits der Schlüssel zur Lösung der anscheinend allen
                              wissenschaftlich-begründeten Erfahrungen über jodhaltige Mineralquellen
                              widersprechenden Erscheinungen liegen müsse.
                           „Ein sehr großer Theil der gegenwärtig im Handel vorkommenden
                                 Salpetersäure“ – wir folgen nun fortan dem Wortlaute des
                              Berichtes – „wird aus Chili- oder Natron-Salpeter
                                 dargestellt. Schon im Jahr 1842 hat der französische Chemiker Lembert (vgl. Buchner's
                                 Repertorium für Pharmacie und Chemie, Bd. LXXVII S. 281) nachgewiesen, daß diese
                                 Salpetersäure nicht selten jodhaltig sey. Nach weiteren Untersuchungen desselben
                                 Chemikers (Journal de Pharmacie et de Chimie, 1843,
                                 S. 201) ergab sich, daß das Jod im Chili-Salpeter theils als jodsaures
                                 Natron, theils als Jod-Natrium enthalten sey und bei der Destillation der
                                 Salpetersäure als freies Jod übergehe, welches sich theils zu Jodsäure oxydire,
                                 theils als freies Jod in der Säure verbleibe, was durch Reactionen leicht
                                 nachzuweisen war. Man scheint sich nun allgemein gewöhnt zu haben anzunehmen,
                                 daß der Jodgehalt einer Salpetersäure immer daran zu erkennen sey, daß sie in
                                 Folge ihres Gehaltes an freiem Jod auf Stärke reagire, blaues Jodamylum bildend.
                                 Man hat aber hiebei außer Acht gelassen, daß diese Reaction den Jodgehalt nicht
                                 mehr anzugeben im Stande wäre, sobald alles Jod als Jodsäure vorhanden seyn
                                 würde. Da ein solcher Fall aber durchaus nicht unmöglich war, so prüfte ich die
                                 Kießling'sche Salpetersäure zunächst in dieser
                                 Richtung, setzte derselben etwas schweflige Säure zu und fand sofort, daß sie
                                 nun Stärke bläute, was sie zuvor nicht im mindesten gethan. Das gleiche Ergebniß
                                 zeigte sich, wenn man etwas Kleister in einer Unze destillirten Wassers
                                 vertheilte, 2–3 Tropfen Schwefelwasserstoff-Wasser und zuletzt die
                                 Kießling'sche Salpetersäure zusetzte. Das
                                 destillirte Wasser reagirte in diesem Falle im gleichen Maaße auf Jod wie das
                                 Krankenheiler Mineralwasser an seiner Quelle.
                              
                           
                              „Mit dieser Thatsache sind nun alle Räthsel erklärt. Die Krankenheiler
                                 Quellen enthalten eine durch den Geruch wie durch die gewöhnlichen Reagentien
                                 wahrnehmbare Menge Schwefelwasserstoff. Sie reduciren somit Jod aus der
                                 jodsäurehaltigen Salpetersäure und das freigewordene Jod bläuet Stärkmehl.
                                 Sobald aber durch ein längeres Lagern oder durch die Versendung des Wassers der
                                 Gehalt an Schwefelwasserstoff verschwunden ist, was keine sehr lange Zeit
                                 erfordert, reagirt die nämliche jodsäurehaltige Salpetersäure, welche mit dem
                                 frischen Wasser eine so bedeutende Bläuung zeigt, nicht mehr, was man bisher
                                 dahin auszulegen geneigt schien, daß das Jod aus dem Wasser verschwinde, während
                                 es eigentlich nur die Fähigkeit verloren hat, Jod aus der Jodsäure des Reagens
                                 zu reduciren. Sobald man aber einem mit der Kießling'schen Säure nicht mehr reagirenden Krankenheiler Mineralwasser
                                 wieder einige Tropfen Schwefelwasserstoff-Wasser zusetzt, so zeigt es
                                 wieder die nämliche intensive Jodreaction wie am Ursprünge der Quelle. Aus
                                 gleichem Grunde reagirt gewöhnliches, von Schwefelwasserstoff freies Brunnenwasser nicht mit der
                                 Kießling'schen Säure, thut es aber sofort auf vorausgegangenen Zusatz einiger
                                 Tropfen Schwefelwasserstoff-Wasser.
                              
                           
                              „Warum die Salpetersäure des Unterzeichneten, welche im Wasser der
                                 Adelheids-Quelle, das mit dem zehnfachen Gewichte destillirten Wassers
                                 verdünnt worden war, noch sehr deutlich den Jodgehalt anzeigte, weder auf das
                                 frische noch auf das in Flaschen vorhandene Krankenheiler Mineralwasser auch nur
                                 entfernt in ähnlichem Maaße reagirte, erklärt sich aus dem mangelnden Gehalte an
                                 Jodsäure im Reagens. Ebenso erklärt sich hieraus die so verschiedene Reaction
                                 verschiedener Säuren auf das Krankenheiler Mineralwasser. Je nach einem größeren
                                 oder geringeren Jodsäure-Gehalte werden diese Säuren mehr oder weniger
                                 Jodamylum mit dem schwefelwasserstoffhaltigen Wasser liefern. In dem Wasser der
                                 Adelheids-Quelle, wie es sich im Handel vorfindet, gab die Kießling'sche
                                 Salpetersäure den Jodgehalt ebenso an wie die jodfreie Säure des Unterzeichneten
                                 und wie jede Salpetersäure ihn angibt welche Untersalpetersäure enthält.
                              
                           
                              „Dem Unterzeichneten lag nun zunächst ob zu untersuchen, ob die in den Materialhandlungen und Apotheken vorräthigen
                                    Salpetersäuren nicht häufiger jodhaltig seyen als man bisher
                                    vermuthete, und zwar, ob sie nicht lediglich Jodsäure
                                    und kein freies Jod enthielten? Man verschaffte sich an einem
                                 Vormittage aus zehn Apotheken Münchens ebenso viele Proben von dort vorräthiger
                                 concentrirter Salpetersäure. Unter diesen zehn Salpetersäuren waren nur drei
                                 frei von Jodsäure; von den sieben jodhaltigen enthielt keine freies Jod oder
                                 Jodwasserstoff, sondern alle nur Jodsäure. Eine Probe gab sogar eine noch
                                 stärkere Jodreaction als die Kießling'sche Salpetersäure. Die Prüfung wurde wie
                                 oben angegeben ausgeführt. Man mischte mit einer Unze Wassers etwas
                                 Stärke-Kleister, setzte 2–3 Tropfen
                                 Schwefelwasserstoff-Wasser und schließlich die zu untersuchende Säure zu.
                                 Man muß ziemlich viel Säure zusetzen, bis die blaue Farbe des Jodamylum –
                                 welcher stets eine röthliche Färbung vorausgeht – hervortritt, was auch
                                 bei der Reaction mit Kießling'scher Salpetersäure auf frisches Krankenheiler
                                 Mineralwasser beobachtet wurde. Bei einem merklichen Gehalte eines Wassers an
                                 Jodnatrium (wie z.B. beim Wasser der Adelheids-Quelle) bringen bereits
                                 die ersten Tropfen rauchender Salpetersäure eine Bläuung hervor, welche so lange
                                 zunimmt, bis man einen Ueberschuß hinzugebracht hat welcher das gebildete
                                 Jodamylum wieder entfärbt. Bei Gegenwart von Schwefelwasserstoff sind größere
                                 Säuremengen erforderlich, um die Reaction eintreten zu lassen.
                              
                           
                           
                              „Aehnlich reducirend wie die schweflige Säure und der Schwefelwasserstoff
                                 wirken auch die unterschwefligsauren Salze auf die Jodsäure. Die Empfindlichkeit
                                 dieser Reaction ist so bedeutend, daß eine Unze destillirten Wassers, welche nur
                                 1/1000 Gran unterschwefligsauren Natrons (eine Verdünnung von zwei
                                 Milliontheilen) enthält, mit Stärke und jodsäurehaltiger Salpetersäure noch eine
                                 deutliche blaue Färbung von Jodamylum gibt. Dieses zu beachten ist nothwendig,
                                 wenn man auf schwefelwasserstoffhaltige Mineralwasser reagirt, welche zugleich
                                 kohlensaures Natron enthalten. Es setzt sich nämlich in diesem Falle ein Theil
                                 des Schwefelwasserstoffes, welcher sich nicht verflüchtiget, zu
                                 unterschwefligsaurem Natron um und reagirt in diesem Zustande weder mehr auf das
                                 Geruchsorgan noch auf Bleisalze u.s.f., vermag aber in sauren Flüssigkeiten noch
                                 immer Jodsäure zu reduciren. Hieraus erklärt sich, daß das Krankenheiler
                                 Mineralwasser mit Stärke versetzt noch auf jodsäurehaltige Salpetersäure
                                 reagirt, wenn es auch nicht mehr nach Schwefelwasserstoff riecht. Nach und nach
                                 geht das unterschwefligsaure Salz in schwefelsaures über, womit dann alle
                                 Reaction erlischt.“
                              
                           Vorstehendem Auszuge fügen wir schließlich noch einige auf den beregten Gegenstand
                              bezügliche Anmerkungen bei, welche uns nachträglich vom Hrn. Prof. Dr.
                              Pettenkofer mitgetheilt worden sind. Das Verhalten von
                              Jod und Jodsäure zu Salpetersäure und Untersalpetersäure anlangend ist bestimmt, daß
                              die letzteren beiden die Fähigkeit besitzen, Jod zu Jodsäure zu oxydiren und Jod aus
                              Jodsäure zu reduciren. Von der Untersalpetersäure hatte man solches bereits gewußt,
                              von der Salpetersäure hat es P. erst nachgewiesen, indem reines jobsaures Kali mit concentrirter und von Untersalpetersäure freier
                              Salpetersäure gekocht, reichlich Untersalpetersäure und freies Jod entwickelt.
                              – Wenn man einer jodsäurehaltigen Salpetersäure, welche auf
                              schwefelwasserstoffhaltiges Wasser, dem man etwas Stärkekleister zugesetzt hat, sehr
                              gut reagirt, ein gleiches Volumen jodfreier, stark rauchender Salpetersäure zusetzt,
                              so tritt die Reaction nicht mehr ein. Die Abscheidung alles Jodes aus der
                              Salpetersäure gelingt am besten, wenn man in derselben etwas Silber auflöst; in dem
                              Rückstande findet sich dann alles Jod als Jodsilber. – 3780 Gramme
                              Krankenheiler Mineralwasser lieferten 3 Milligramme Jodpalladium, etwas weniger also
                              als die Analysen von Fresenius und Wittstein angeben. Von der Kießling'schen
                              jodsäurehaltenden Salpetersäure enthielten 45,53 Gramme 2 Milligramme Jod.
                           
                              Dr. A. M.