| Titel: | Zur Theorie der Bierbrauerei; von G. E. Habich, Techniker und Brauereibesitzer in Roxbury bei Boston. | 
| Autor: | G. E. Habich | 
| Fundstelle: | Band 147, Jahrgang 1858, Nr. LXI., S. 218 | 
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                        LXI.
                        Zur Theorie der Bierbrauerei; von G. E. Habich, Techniker und Brauereibesitzer in Roxbury bei
                           Boston.
                        Habich, zur Theorie der Bierbrauerei.
                        
                     
                        
                           Sieht man sich in der technischen Literatur um nach den chemischen Grundlagen der
                           
                        
                           Malzbereitung,
                           so stößt man aller Orten auf Widersprüche. Man kann nicht
                              umhin, eine Reihe von Fragen aufzuwerfen, deren Beantwortung für die chemischen
                              Vorgänge der Bierwürze-Bereitung nothwendig ist. Es ist nicht möglich, aus
                              den schätzbaren Werken von Balling Otto, Ure u.a. das
                              Material so vollständig und unbestritten zu schöpfen, wie es die bündige Beantwortung dieser Fragen
                              erheischt.
                           
                           Das hat mich denn angetrieben, durch eigene Versuche die Lücken zu ergänzen. Ist das
                              Resultat meiner Arbeiten auch noch nicht allen Anforderungen genügend, so wird man
                              es wenigstens als einen Beitrag zur Fortentwickelung der Theorie der Bierbrauerei
                              gelten lassen müssen. Daß ich mich lediglich an qualitative Feststellungen hielt, möge man mit der Mangelhaftigkeit des
                              mir zu Gebote stehenden Apparates, der hier – in dem
                              „Athen“ der nordamerikanischen Freistaaten – nicht
                              besser zu bekommen war, entschuldigen. Andere und bessere Kräfte werden, wie ich
                              wohl hoffen darf, den Faden da aufnehmen, wo ich ihn abreißen mußte.
                           Bekanntlich fehlt es uns namentlich an vergleichenden quantitativen Analysen von
                              rohem und gemalztem Getreide, um aus deren Ergebniß die durch das Malzen
                              hervorgerufene Umwandlung zu entziffern. Alles, was uns darin zu Gebote steht,
                              beschränkt sich auf die Arbeit Saussure's, der den Weizen
                              vor und nach dem Malzen untersuchte. Er fand, daß durch das Malzen der Gehalt an
                              Zucker und Gummi gesteigert, dagegen die Stärkmehl- und Kleber-Mengen
                              vermindert waren. Daß man das Auftreten des Diastas mit der Abnahme des
                              Klebergehalts in Verbindung gebracht hat, war natürlich. Aber welcher Bestandtheil des Klebers war es denn, der hierzu geopfert wurde?
                              So mußte ich mich fragen, da doch der alte Begriff „Kleber“ gar
                              zu elastisch war, um hier noch benutzt werden zu können. War also der Pflanzenleim oder das Pflanzenfibrin verloren gegangen?
                           Um darüber ins Klare zu kommen, habe ich mich kurzer Hand an die ungehopften Würzen gehalten. Bierwürzen enthalten
                              bekanntlich freie Phosphorsäure, und in dieser Säure ist sowohl das Fibrin als der
                              Leim auflöslich. Waren also beide Kleberbestandtheile noch vorhanden, so konnte man
                              mit Sicherheit annehmen, beide auch in der Würze wieder zu finden. Eine solche Würze
                              nun verhält sich folgendermaßen.
                           Die glanzhelle Würze trübt sich beim Erkalten. Tröpfelt man ein wenig Aetzammoniak hinzu, so ist die Trübung sofort bedeutend und es setzt
                              sich nach einigen Minuten ein schwerer lilafarbiger Niederschlag zu Boden, über
                              welchem die Flüssigkeit krystallklar, aber mit etwas erhöhter Farbe erscheint. An
                              den Wandungen des Glases setzt sich der krystallinische Niederschlag an den Stellen
                              ab, welche ihm durch Reiben mit einem Glasstab angewiesen werden – eine
                              Eigenthümlichkeit des phosphorsauren
                                 Talkerde-Ammoniaks. Ward das Ammoniak im Ueberschuß angewendet, so löst sich der färbende Bestandtheil auf und es
                              lagert sich das obenerwähnte Doppelsalz als weißes krystallinisches Pulver am Boden
                              ab.
                           
                           Nimmt man statt des Aetzammoniaks eine Lösung von zweifachkohlensaurem Natron, so
                              entsteht ebenfalls eine Trübung; die Ausscheidung des lilafarbnen Niederschlags
                              erfolgt aber langsamer, derselbe bleibt stockig und besteht aus phosphorsaurer
                              Talkerde und dem unbekannten färbenden Bestandtheil.
                           Wird der mit Ammoniak erhaltene Niederschlag ausgewaschen und mit Weingeist in der Kälte behandelt, so löst sich ein großer
                              Theil desselben (Pflanzenleim) und es bleibt
                              phosphorsaures Talkerde-Ammoniak, gemengt mit wenig Pflanzenfibrin, im Rückstande. Die weitaus überwiegende Quantität von Pflanzenleim weist zur Genüge darauf hin, daß es das Pflanzenfibrin war, welches beim Keimproceß den
                                 Stoff zur Bildung des Diastas lieferte. Die Zusammensetzung des
                              Pflanzenfibrins, welches Phosphor als wesentlichen
                              Bestandtheil enthält, erklärt dann auch das Auftreten freier
                                 Phosphorsäure im gekeimten Korn und in Folge
                              dessen in den Malzwürzen.
                           Die in dem Malze enthaltene freie Phosphorsäure reicht aber nicht aus zur Lösung des
                              vorhandenen Pflanzenleims. Ein großer Theil desselben
                              löst sich in dem heißen Wasser, – und zwar um so mehr, je höher die Temperatur beim Abläutern ist.
                                 Diese Mengen scheiden sich beim Erkalten aus und
                              veranlassen die bedeutende Trübung selbst der glanzhellen Würzen. Ich komme auf
                              dieses Capitel weiter unten zurück.
                           Welches nun der chemische Proceß ist, durch den sich die Bestandtheile des
                              Pflanzenfibrins zu Diastas gruppiren, das würde der würdige Gegenstand einer mit
                              mancherlei Schwierigkeiten verknüpften Arbeit seyn, zu der ich gern anregen möchte.
                              Es würde dadurch eine sehr fühlbare Lücke der Gährungschemie ausgefüllt werden.
                              Heutzutage begegnen wir in den dahin gehörigen wissenschaftlichen Werken sogar über
                              die qualitative Zusammensetzung des Diastas noch
                              Widersprüchen, – im „technischen Wörterbuche von Karmarsch und Heeren“ wird dasselbe ausdrücklich eine stickstofffreie Substanz genannt (Bd. I S. 542), während es doch im
                              Allgemeinen als stickstoffhaltig gilt!
                           Die augenfällige Veränderung, welche das Korn durch das Keimen erleidet, findet in
                              dem Verschwinden des Pflanzenfibrins ihre Begründung. Der feste Zusammenhang des
                              ungemalzten Gerstenkorns, gegenüber dem kreideartigen Malzkorn, beruht in dem Gehalt
                              an Pflanzenfibrin.
                           Ich will bei der Gelegenheit auf eine höchst interessante Thatsache hinweisen, die
                              mir durch einen Artikel (des Dr. James Stark in Edinburgh) in der Encyclopaedia
                                 britannica bekannt wurde. Man malzt in Schottland bekanntlich bei sehr
                              niedriger Temperatur und läßt den Blattkeim bis nahe zum andern Ende des Korns
                              fortschreiten, ehe das Wachsen unterbrochen wird. Die Temperatur der Malzhaufen wird
                              auf 55º Fahr. (10 1/4º R.) gehalten, und so dauert der Keimproceß 16
                              bis 20 Tage! Hat der Blattkeim die erwähnte Länge erreicht, so ist das Korn so
                              aufgelockert, daß es beim Druck zwischen den Fingern zu Mehl zerbröckelt, –
                              man hat diese Probe in Schottland „the
                                    free“ genannt. Bemerkenswerth ist es nun, daß derselbe Zustand
                              des Korns auch schon am 9ten oder 10ten Tage, nachdem es die Weiche verlassen hat,
                              vorkommt, – man nennt das „the first
                                    free.“ Unterbricht man das Wachsen in diesem Stadium, so
                              liefert das erhaltene Malz ebenwohl ein gutes Bier. Läßt man aber den Keimproceß fortschreiten, so wird das Korn alsbald wieder hart, und das in diesem Zustande getrocknete Malz würde
                              zur Brauerei weniger gut seyn. Erst bei weiter
                              fortgesetztem Keimen stellt sich abermals „the
                                    free“ ein (the second free) und
                              bezeichnet den Schluß der Operation. – So viel mir bekannt, hat man in
                              Deutschland ähnliche Beobachtungen noch nicht gemacht. Jedenfalls verdient der
                              chemische Proceß in den verschiedenen Stadien eine genauere Untersuchung, zu welcher
                              mir die Zeit noch nicht vergönnt war.
                           Wenden wir uns ferner zur
                           
                        
                           Würzebereitung,
                           so begegnen wir einigen sehr wichtigen Irrthümern. Da hat man
                              z.B. den Unterschied zwischen den sogenannten trockenen
                              und den vollmundigen (substantiösen) Bieren durch einen
                              geringern oder größern Gehalt an Dextringummi begründen
                              wollen. Man hat namentlich die Ansicht aufgestellt, als führe das Dickmaischkochen
                              deßhalb zu vollmundigeren Bieren, weil ein großer Theil des Diastas zerstört werde und die Verzuckerung also nur eine unvollständige seyn könne. Oder man hat gesagt, es sey
                              ein Rückstand von zwar gährungsfähigem, aber noch unvergohrenem Malzextract, was manchen Bieren diesen
                              „substantiösen“ Charakter aufpräge.
                           Meine Erfahrungen haben mich zu einer andern Ansicht über den Grund dieses
                              wesentlichen Unterschiedes der Biere gedrängt. Jedermann wird sich leicht
                              überzeugen, daß der Gehalt an Pflanzenleim in den Bieren,
                              je nach der befolgten Methode der Würzebereitung,
                              außerordentlich verschieden ist. Es ist mir noch kein
                              Bier vorgekommen, welches – auch im vorgerücktesten
                                 Vergährungsgrade – frei von Pflanzenleim
                              gewesen wäre, – eine Gerbsäure-Auflösung ist dabei der sicherste
                              Wegweiser, nachdem man sich durch Jodtinctur von der Abwesenheit des (durch
                              Gerbsäure ebenwohl fällbaren) Dextrins überzeugt hat. Man wird bei solchen
                              Untersuchungen alsbald die Ueberzeugung gewinnen, daß die
                                 zunehmende Vollmundigkeit der Biere gleichen Schritt hält mit dem zunehmenden
                                 Gehalt an Pflanzenleim. Man wird sich ferner überzeugen, daß der Gehalt an
                              Dextrin und Dextringummi bei einer regelrecht bereiteten Würze fast stets = 0 ist,
                              und daß die Biere trotz alledem so substantiös seyn können, wie irgend eines. Man
                              wird endlich auch sich der praktischen Consequenz nicht
                              erwehren können, daß man durch sorgsames Reguliren des
                              Pflanzenleim-Gehaltes im Stande seyn wird, allen Anforderungen der souveränen
                              Biertrinker, welche in letzter Instanz doch allein
                              maaßgebend sind für den Bierbrauer, Genüge zu leisten.
                           Wodurch nun soll dieses Reguliren bewerkstelligt werden?
                              – Da kommen wir denn zu den verschiedenen Ansichten
                           
                        
                           über die Wirkung des Hopfens.
                           Wollen wir uns hierüber in diversen technischen Werken Raths erholen, so erhalten wir
                              folgendes Resumé.
                           Balling führt uns als wesentliche Bestandtheile des Hopfens auf: Hopfenöl, Hopfenbitter und
                              Hopfenharz, – erst bei einer andern Gelegenheit (Bd. II S. 144 s.
                              Gährungschemie) erwähnt er auch des Gerbsäure-Gehalts, welcher aber (S. 149 und 150) möglicherweise schädlich werden könne.
                           Erwägt man nun, daß beim gewöhnlichen Kesselbrauen sämmtliches Hopfenöl verjagt werden muß, und daß das Hopfenöl dem Biere nach der
                              Hauptgährung zugesetzt, nur die Nachgährung verzögert (nach meinen Erfahrungen
                              Wochenlang!), – erwägt man ferner, daß das Hopfenöl eine ungemein zersetzbare
                              Substanz ist, welche nach der Destillation im Großen (als Hopfenwasser) nicht 24
                              Stunden lang das ursprüngliche Aroma des Hopfens bewahrt und dem Biere einen ganz
                              fremdartigen Charakter aufstempelt: so dürfen wir getrost das Hopfenöl den in technischer Beziehung minder
                              wichtigen Bestandtheilen zurechnen.
                           Ziehen wir das Hopfenbitter in Betracht, so ist das
                              natürlich reine Geschmackssache der Consumenten, welche in der Regel ein zu bitteres
                              Bier nicht lieben. Zudem steht es dahin, ob man nicht angenehmere Bitterstoffe
                              wählen könnte.
                           Das Hopfenharz anlangend, so habe ich gefunden, daß es von
                              den Würzen auch ohne die Vermittelung des Hopfenöls
                              aufgenommen wird,
                              – während Balling dem Hopfenöl einige Nützlichkeit
                              als Harzlösungsmittel vindiciren will. In meinem neu construirten Dampfbrauapparat
                              lasse ich den Hopfen so lange von Wasserdämpfen durchströmen, bis das Wasser geruchlos abfließt. Ich benutze das erhaltene aromatische
                              Hopfenwasser nicht, aber ich befolge diese Praxis, weil die Würzedämpfe zum
                              Einmaischen direct benutzt werden und eine entwaige Beimengung von Hopfenöl die
                              Verzuckerung beim Einmaischen zu verzögern scheint
                              – Gewißheit habe ich darüber noch nicht. Der so durch Dämpfe aufgeschlossene,
                              ölfreie Hopfen wird nun von einer siedendheißen Würze durchströmt und wie Thee
                              extrahirt. Die in den Kessel abziehende Würze enthält stets eine große Menge
                              Hopfenharz gelöst, welches sich bei der Kräusengährung ausscheidet. Daß nicht
                              rückständige Hopfenölmengen die Lösung des Harzes herbeigeführt haben konnten, geht
                              wohl aus einem Versuche hervor, wobei die gehopste Würze bei einem Ueberdruck von
                              1/5 Atmosphäre vier Stunden lang im Sieden erhalten, dann auf ein Kühlschiff
                              gebracht und bei 8º R. ganz hell in die Gährbütte abgelassen wurde, –
                              dennoch fehlte den Kräusen die dunkle Harzkrone nicht. So mag denn dem Hopfenharze
                              eine Einwirkung auf den Gährungsproceß nicht abgesprochen werden, – ist es ja
                              doch für diese Operation nicht gleichgültig, ob sie bei Gegenwart von Weinsäure,
                              Aepfelsäure, Milchsäure oder Essigsäure in Scene gesetzt wird. Warum soll nicht auch
                              das Harz influiren können?
                           Den Gerbsäure-Gehalt des Hopfens hat Balling offenbar unterschätzt.
                              Zumal ist an ein Umschlagen derselben in Gallussäure beim fertigen Biere gar nicht
                              zu denken (a. a. O. S. 150). Auch stark gehopste Würzen
                              enthalten keine freie Gerbsäure, was eine einfache
                              Reaction mit Eisensalzen nachweist. Alle Gerbsäure wird
                              im Gegentheil zum Ausscheiden von Pflanzenleim verwendet. Aber – –
                              dieser Gerbsäure-Gehalt ist bei weitem nicht
                                 ausreichend zur vollständigern Ausscheidung des Pflanzenleims bei
                              beabsichtigter Darstellung eines feinen trocknen Bieres!
                              Wir kommen darauf zurück.
                           Otto und Siemens in ihrem
                              „Lehrbuch der rationellen Praxis etc.“ sind hiebei
                              wesentlich den Ansichten Balling's gefolgt. Den Gerbstoff
                              aber respectiren sie (Seite 24) anscheinend mehr, weil er das Dextrin und das Mucin
                              ausscheidet. Bedenkt man aber, daß eine gut bereitete Würze nie Dextrin enthält (ich
                              suche täglich vergebens darnach), und daß das Mucin als ein ausgezeichneter
                              Gährungsbeförderer (?) betrachtet wird, so sind wir auch hier um keinen Schritt
                              weiter gekommen.
                           Von andern noch weniger bestimmt formulirten Ansichten
                              können wir ganz abstrahiren. Es ist viel Wirrwarr darin und klingt doch z.B. wahrlich wunderbar, wenn
                              der Londoner Professor der Braukunde Tizard, der
                              bekanntlich die stickstoffhaltigen Bestandtheile der Würze möglichst erhalten will (für die Hefenbildung), den Hopfen bloß
                              theeartig extrahirt, um die (so leicht lösliche!) Gerbsäure ja nicht in den Kreis
                              der Bewegung zu ziehen!
                           Blicken wir noch einmal zurück auf die mitgetheilten Erfahrungen, so stellen sich
                              folgende Consequenzen heraus. Für die trockenen Biere ist die Gerbsäure des Hopfens
                              unzureichend, wenn nicht zugleich der bittere
                              Geschmack derselben zu intensiv werden soll. Man wird also in diesem Falle die Gerbsäure aus anderm Material
                                 herbei holen müssen!
                              
                           Erfahrung hat mich gelehrt, daß die weniger Pflanzenleim enthaltenden Würzen eine
                              äußerst feste weiße Unterhefe geben und die Jungbiere
                              sich rascher klären.
                           Daß die flüssige Ausscheidung der Verbindung von Gerbsäure und Leim im Braukessel
                              zugleich Klärmittel ist für andere trübende Substanzen in
                              der Würze, setze ich als bekannt voraus. Enthält der Hopfen nun keine Gerbsäure
                              mehr, ist dieselbe – wie beim alten Hopfen
                              – in Gallussäure übergegangen, so bekommt man eine trübere und gallussaure
                              Würze. Und so bringt alter Hopfen nicht nur keinen
                              Nutzen, sondern unter allen Umständen Schaden.
                           Nach diesen Erläuterungen wird man fragen, ob denn eine vollständige Ausscheidung des Pflanzenleims erforderlich sey, um gutes Bier zu produciren. Die Praxis liefert darauf
                              folgende Antwort.
                           Wenn ein Bier seine Vergährungsstadien ganz durchlaufen hat und in jener unliebsamen
                              Periode des Matronenalters angelangt ist, so beginnt auch sofort eine Zersetzung des
                              bis dahin unveränderten Pflanzenleims.
                           Wollte man nun aber diesen Leim gänzlich beseitigen, so
                              würde das durch Gerbsäure nicht zu ermöglichen seyn, weil der in Phosphorsäure
                              gelöste Leim durch Gerbsäure nur zum Theil zersetzt wird. Die mit einem Uebermaaß
                              von Gerbsäure versetzte Auflösung von Pflanzenleim in Phosphorsäure filtrirt und mit
                              ein wenig Alkali versetzt, läßt wieder jenen lilafarbigen Niederschlag fallen.
                           Mit der so weit fortschreitenden Beseitigung des Pflanzenleims aber verliert das
                              Endproduct immer mehr den Bier charakter, und es ist der
                              Getränkefabrication damit ein ungeheures Feld geöffnet zum versuchsweisen
                              Recognosciren. Die Resultate, welche ich bereits erhalten habe, sind außerordentlich
                              befriedigend, und meine Praxis ist dermalen die, daß keine Würze mit dem Quantum
                              Pflanzenleim, welches von den Braumaterialien geliefert wurde, in die Gährbottiche kommt, – alle
                              werden zuvor stark entleimt.
                           Wenden wir uns nun zu der
                           
                        
                           Gährung,
                           so documentirt sich der größere oder geringere Gehalt an
                              Pflanzenleim in den Würzen hauptsächlich durch die langsamere oder schnellere
                              Klärung der Biere auf den Lagerfässern. Der Pflanzenleim kann in dem Bier in zwei
                              Formen enthalten seyn, einmal als phosphorsaurer Leim gelöst, und dann als im Wasser aufgequollene Substanz suspendirt. Die letztere Form ist es nun, welche die
                              Klärung der Biere so häufig erschwert, indem die gelinde Gasentwickelung bei der
                              fortwährenden Gährung auf den Lagerfässern diese Leimpartikelchen schwebend erhält
                              oder beim Anzapfen eines gespundeten Fasses wieder empor treibt. Diesem gefährlichen
                              Umhertreiben des Pflanzenleims kann nur auf zwei Wegen vorgebeugt werden: –
                              entweder man läßt die Würzen sehr gut auf dem Kühlschiffe ablagern und vermeidet
                              beim Ablassen jedes Aufrühren des Kühlgelägers (welches neben geronnenem Eiweißstoff
                              und gerbsaurem Pflanzenleim auch unsern aufgequollenen Leim enthält), oder aber man
                              schreitet zu einer Filtration. Letzteres ist bei
                              Anwendung von Refrigeratoren (für den Betrieb im Sommer) ganz unvermeidlich und kann
                              mit einer Eiskühlung verbunden werden, wenn es die Temperatur des Gährkellers
                              erheischt.
                           Was den phosphorsauren Pflanzenleim anlangt, so darf ich nach meinen Erfahrungen
                              nicht annehmen, daß er zur Hefenbildung irgend etwas beitrage, – wenigstens
                              erforderten die klare Bierwürze und das filtrirte Bier nach der Hauptgährung nahezu dieselben Volumina einer Gerbsäurelösung zur
                              vollständigen Ausfällung.
                           Da nun von den übrigen stickstoffhaltigen Malzbestandtheilen auch der Eiweißstoff
                              vollständig ausgeschieden ist (zumal in meinem Apparat, wo die Würzen unter Druck,
                              also bei höherer Temperatur, sieden), so kann nur das durch das Sieden veränderte
                              Diastas den Stoff zur Bildung
                                 neuer Hefe liefern. Dadurch erklärt sich denn auch die bekannte Thatsache,
                              daß ein Zusatz von Malzmehl oder ein kalter Malzauszug die Vergährungsfähigkeit
                              einer Würze bedeutend steigern, was eine äquivalente Vermehrung der Hefe im Gefolge
                              hat. Weder Leim noch Eiweißzusatz bewirken ein Gleiches.
                           Ob, bei Mitanwendung rohen Getreides, das in demselben enthaltene Mucin zur Hefenbildung etwas beitragen könne, will ich
                              derzeit dahin gestellt
                              seyn lassen. Die Resultate der vorhandenen Versuche sind noch nicht bündig genug, um
                              die Sache zu entscheiden. Zieht man aber in Erwägung, daß Biere aus Gerstenmalz und
                              Gerste (also derselben Getreideart) stets einen geringern Vergährungsgrad zeigen, als reine
                              Gerstenmalzbiere, so erscheint die Mitwirkung des Mucins sehr zweifelhaft.
                           Schließlich muß ich auch noch über die herrschende Ansicht, nach welcher die
                              gegohrenen Getränte Alkohol im freien Zustande enthalten sollen, Einiges erwähnen. Gegen diese Ansicht
                              sprechen folgende Thatsachen.
                           Nehmen wir ein Bier von 3 Proc. Alkoholgehalt und bringen dasselbe durch Zusatz vom
                              reinsten Alkohol auf 4 Proc. Nehmen wir ferner eine Bierwürze von etwa 14 Proc.
                              Extractgehalt und lassen sie vergähren und lagern, bis die Attenuation ebenfalls
                              einem Alkoholgehalt von 4 Proc. entspricht. Zwischen beiden Producten ist und bleibt
                              ein so himmelweiter Unterschied (der sich wesentlich durch den Geruch und Geschmack
                              des freien Alkohols herausstellt), daß man sich doch wohl
                              genöthigt sehen wird, die erwähnte Ansicht zu quittiren.
                           Ferner erscheint es wohl als ein ziemlich entscheidender Umstand, daß ein Bier und
                              eine Alkohol haltende Flüssigkeit von gleichem spirituosem Gehalt sich sehr
                              verschieden zeigen in ihrem Verhalten zum Dextringummi. Bier (Wein etc.) lösen es in
                              großer Menge, – verdünnter Branntwein dagegen nimmt nur geringe Quantitäten
                              auf.
                           Die Ansicht, daß der Alkohol in den gegohrenen Getränken mit einer stickstoffhaltigen
                              Substanz verbunden sey, ist bekanntlich schon vor etwa 30 Jahren von Meißner aufgestellt und durch gute Gründe gestützt
                              worden. Es fehlte nur der Nachweis eines constanten
                              Verhältnisses zwischen dem Stickstoffgehalt und dem Alkoholgehalt eines
                              Gährungsproductes, welches frei ist von Pflanzenleim, Eiweißstoff etc. Zu dieser für
                              die gesammte Gährungschemie höchst wichtigen Arbeit habe ich meinen Freund Dr. Dornbach, Assistent am
                              chemischen Laboratorium in Cambridge, veranlaßt, nachdem es gelungen war, ein zu
                              solchen Feststellungen geeignetes Gährungsproduct herzustellen.
                           Döbereiner hat längst die Ammoniakentwickelung beim
                              Kochen von gegohrenen Flüssigkeiten mit Aetzkali beobachtet. Daß solches als Ammoniak darin enthalten gewesen sey (wie Döbereiner glaubt), geht daraus natürlich nicht hervor.
                              Es erscheint diese Annahme sogar durchaus unzulässig, wenn man die freie
                              Phosphorsäure der Biere in Erwägung zieht. Konnte sich
                              irgendwie ein Ammoniaksalz bilden, so war es phosphorsaures Ammoniak, entstand
                              dieses aber wirklich, so schied es sich ohne Zweifel mit der phosphorsauren Talkerde aus und
                              die Flüssigkeit mußte wieder frei von Ammoniak seyn. Dr. Dornbach's Arbeit wird alle diese offenen
                              Fragen ins Klare bringen und seiner Zeit im „polytechnischen
                                 Journal“ publicirt werden.