| Titel: | Ueber den Zustand der Spitzenfabrication in Schlesien. | 
| Fundstelle: | Band 147, Jahrgang 1858, Nr. LXXV., S. 264 | 
| Download: | XML | 
                     
                        LXXV.
                        Ueber den Zustand der Spitzenfabrication in
                           Schlesien.
                        Ueber den Zustand der Spitzenfabrication in Schlesien.
                        
                     
                        
                           In der Versammlung der Mitglieder des Vereines zur Beförderung des Gewerbfleißes in
                              Preußen, im October v. J., hielt Herr Regierungsrath Moser einen Vortrag über den Zustand der Spitzenfabrication in Schlesien
                              und leitete denselben durch einige Worte über den Betrieb dieses Industriezweiges in
                              Belgien ein. Man kennt in Belgien vornehmlich zwei Arten von Spitzen, 1) die
                              Brüsseler Spitzen (application guipures), 2) die
                              Valencienner Spitzen. Die Fabrication der ersten Gattung ist in Brüssel und der Umgegend
                              seßhaft. Sie werden entweder ganz mit der Nadel gefertigt, so daß also auch der
                              Grund (Tüll) genäht wird (guipures), oder es wird das
                              Muster, die Blume, das Bouquet u.s.w., sey es nun, daß dasselbe mit der Nadel
                              dargestellt (points à l'aiguille) oder geklöppelt
                              ist (points plats), auf gewebten Tüll aufgeheftet (application). Bei den Valencienner Spitzen, die in
                              Courtray, Gent, Ypern, Brügge und der Umgegend gearbeitet werden, wird dagegen
                              Muster und Grund geklöppelt. Das Material für beide Arten, die Brüsseler, wie die
                              Valencienner Spitzen, ist in der Regel feines baumwollenes Maschinengarn, welches
                              meist aus England bezogen wird. Dem Preise nach sind beide Gattungen sehr
                              verschieden; die Brüsseler Spitzen sind bei weitem theurer als die Valencienner, und
                              unter den ersteren sind wieder die ganz genähten theurer als die applicirten.
                           In Schlesien wird zur Zeit nur die Fabrication der Brüsseler Spitzen betrieben. Die
                              Regierung hat 1855, um der Weber- und Spinnerbevölkerung des schlesischen
                              Gebirges eine neue Erwerbsquelle zu eröffnen, mit einem aus Schlesien gebürtigen
                              Fabrikanten, der diese Industrie in Gossengrün, in Böhmen, in Schwung gebracht
                              hatte, einen Vertrag geschlossen, in welchem sich dieser gegen Gewährung einer
                              Unterstützung aus Staatsfonds verpflichtete, eine bestimmte Anzahl von Personen
                              jener Bevölkerung dauernd mit der Fertigung genähter Spitzen zu beschäftigen, und
                              nach Ablauf der Lehrzeit einen Arbeitslohn von 4 Sgr. für den Tag zu gewähren. Die
                              ersten Spitzenschulen wurden, unter Leitung von böhmischen Lehrerinnen, im
                              Hirschberger Thale im Juni 1855 eröffnet. Es zeigte sich bald, daß die Bevölkerung
                              Lust und Befähigung für diese Arbeit hatte, und schon nach wenigen Monaten konnte
                              der Unternehmer mit in Schlesien gefertigten Spitzen an den Markt treten. Seitdem
                              hat der Betrieb einen solchen Umfang gewonnen, daß jetzt 1256 Mädchen in 12 Schulen,
                              theils im Hirschberger, theils im Löwenberger Kreise, mit dem Nähen von Spitzen
                              beschäftigt sind. Die böhmischen Lehrerinnen sind meist durch tüchtigere belgische
                              Vorarbeiterinnen ersetzt worden. Der Unternehmer hat so viele Aufträge, daß er auf
                              Monate lang neue Bestellungen nicht annehmen kann. Der Verdienst der Arbeiterinnen
                              schwankt, je nach ihrer Geschicklichkeit, zwischen 20 Sgr. und 2 Thlr. für die
                              Woche; die meisten erwerben sich schon nach vierwöchentlicher Lehrzeit 1 Thlr. 10
                              Sgr. bis 1 Thlr. 15 Sgr., immerhin ein erheblicher Betrag gegenüber demjenigen,
                              welchen die Handspinnerei abwirft und der sich bei größtem Fleiße nicht über 1 Sgr.
                              für den Tag beläuft.
                           Die Technik der Fabrication ist eine sehr einfache. Das Muster wird auf grünem Papier
                              oder Pergament mit Nadeln durchgestochen. Es werden dann unter gleichzeitiger Befestigung von Leinwand
                              unter dem Papiere etc. die Contouren mit einfachen Stichen übernäht, diese dann
                              beschürzt und demnächst die Füllung gearbeitet. Ist das Muster fertig, so wird es
                              von dem Papiere dadurch gelöst, daß die ersten von der Benähung der Contouren
                              herrührenden Heftfäden abgerissen werden. Die einzelnen Muster-Coupons werden
                              dann sorgfältig mit Nadeln auf einem Kissen befestigt und zusammengenäht, oder auf
                              Tüll, nachdem derselbe gleichfalls auf dem Kissen festgestochen worden, befestigt.
                              Die unter dem Muster liegenden Tüllstücke werden sauber mit der Schere
                              ausgeschnitten.
                           In Schlesien werden zu den feineren Arbeiten französische baumwollene Garne
                              verwendet. Schon jetzt finden die Fabrikate in und außerhalb Preußens – sogar
                              in Paris – willige Abnehmer; schreitet das Unternehmen in gleichem Maaße, wie
                              bisher, vor, so wird es bald den besseren belgischen Fabriken Concurrenz machen.
                           Der Vortragende legte angefangene und vollendete Arbeiten, Muster und Zeichnungen
                              vor, welche die vorzüglichen Leistungen der Anstalten bekundeten. In Berlin befindet
                              sich bereits eine Niederlage der Fabricate. (Aus den Verhandlungen des Vereins zur
                                    Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, 1857 S. 200.)