| Titel: | Ueber den Stärkmehlgehalt der bei der Abscheidung der Stärke aus Kartoffeln zurückbleibenden Faser; von F. E. Anthon, technischem Chemiker in Prag. | 
| Fundstelle: | Band 154, Jahrgang 1859, Nr. XVII., S. 70 | 
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                        XVII.
                        Ueber den Stärkmehlgehalt der bei der Abscheidung
                           der Stärke aus Kartoffeln zurückbleibenden Faser; von F. E. Anthon, technischem Chemiker in
                           Prag.
                        Anthon, über den Stärkmehlgehalt der Kartoffelfaser.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich erhält man bei der Bereitung der Kartoffelstärke bei weitem nicht den
                              ganzen Gehalt der Kartoffeln an Stärkmehl, indem ein großer Theil davon so fest von
                              der Faser zurückgehalten wird, daß er für die Fabrication verloren geht. Dieser
                              Verlust ist so bedeutend, daß es nicht befremden kann, wenn man sich schon
                              vielseitig bemüht hat, ihn zu umgehen. So vervollkommnete man die Reibmaschine, so
                              ermittelte Völker das sogenannte Zerrottungsverfahren,
                              nach welchem die bereits durch Auswaschen in der gewöhnlichen Weise vom bloßgelegten
                              Stärkmehle befreite Faser einem Zerrottungsprocesse unterworfen wird, wodurch die
                              Faser, als leichter verwesbar, zersetzt, und das von ihr noch eingeschlossene
                              Stärkmehl mehr oder weniger bloßgelegt wird und theilweise durch nochmaliges
                              Auswaschen erhalten werden kann. Aber weder durch die Vervollkommnung der
                              Reibmaschinen hat man bis jetzt das Ziel erreicht, noch durch den erwähnten
                              Zerrottungsproceß. Es bleibt somit die nutzbringende Ausscheidung des Stärkmehls aus
                              der stärkmehlhaltigen Faser, sey es nun als Stärkmehl oder als irgend ein
                              Umwandlungsproduct desselben, eine noch zu lösende Frage.
                           Diese Umstände veranlaßten den Verf. zur Durchführung einiger Versuche, bei denen er
                              davon absah, die Stärke als solche zu erhalten, sondern durch die er sich überzeugen
                              wollte, in wie fern sie nutzbar als Gummisurrogat, Zucker oder Spiritus verwerthet
                              werden könne. Die zu diesen Versuchen verwendete stärkmehlhaltige Faser war bei der
                              Verarbeitung von Kartoffeln erhalten, welche bei größerem Durchschnitt ein spec.
                              Gewicht von 1,102 besaßen (während dasselbe bei einzelnen Exemplaren zwischen 1,097
                              und 1,108 schwankte), und welche durch das gewöhnliche Reibverfahren 13,08 Proc.
                              wasserfreies Stärkmehl geliefert hatten. Die stärkmehlhaltige Faser betrug,
                              wasserfrei angenommen, genau 8 Proc. vom Gewichte der rohen Kartoffeln. Die angewendeten ganzen
                              Kartoffeln hinterließen beim vollständigen Austrocknen 24,3 Proc. wasserfreien
                              Rückstand, es enthielten sonach dieselben in 100 Gewichtstheilen:
                           
                              
                                 
                                 Proc.
                                 
                              
                                 Wasserfreeis Stärkmehl
                                 13,08
                                 
                              
                                 Stärkmehlhaltige Faser (gleichfalls wasserfrei)
                                 8,00
                                 
                              
                                 In Wasser lösliche Stoffe (sogen. Saftbestandtheile)
                                 3,22
                                 
                              
                                 
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 24,30
                                 
                              
                           Die hauptsächlichsten mit der aus diesen Kartoffeln erhaltenen Faser angestellten
                              Versuche waren nun folgende:
                           I. Verhalten der frischen noch nassen Faser gegenverdünnte
                                 Schwefelsäure. Zu 90 Gewichtstheilen Wasser wurde 1 1/4 Gewichtstheil
                              Schwefelsäure gesetzt, über freiem Feuer in einem kupfernen Kessel zum Sieden
                              erhitzt und nun die nasse Faser in einem solchen Zustande in das kochende
                              Sauerwasser eingetragen, in welchem sie 75 Proc. Wasser und 25 Proc. wasserfreie
                              stärkmehlhaltige Faser enthielt. Als 20 Gewichtsth. nasser Faser (= 5 Gewichtsth.
                              wasserfreie) unter stetem Umrühren eingetragen waren, erschien die Mischung bereits
                              so dick, daß noch Wasser zugesetzt werden mußte. Nachdem dieses (und zwar mit 50
                              Gewichtsth.) geschehen, konnten noch 15 Gewichtsth. nasse Faser eingetragen werden,
                              und es waren sonach davon im Ganzen 45 Gewichtsth. nasse (= 11,25 wasserfreie) Faser
                              zugesetzt worden. Die Mischung wurde jetzt unter stetem Umrühren und unter Ersatz
                              des verdampfenden Wassers im Kochen erhalten. Nach 1 1/2 Stunden reagirte Jod noch
                              auf Stärkmehl, wogegen nach 2 1/2 Stunden Jod keine Reaction mehr zu erkennen gab.
                              Alkohol zeigte jedoch noch die Gegenwart von Gummi an.
                           Die Schwefelsäure wurde nun mittelst kohlensauren Kalks gesättigt, die dickflüssige
                              Mischung auf ein großes Filter gebracht und die stark aufgequollene Faser durch
                              Auswaschen vollständig extrahirt. Die sämmtlichen zuckerhaltigen Flüssigkeiten
                              wurden jetzt durch theilweises Abdampfen concentrirt, durch Absetzenlassen vom Gyps
                              getrennt und so 37,5 Gewichtstheile gummihaltiger Zuckerlösung von 1,1059 spec. Gew.
                              bei 14° R. erhalten, was bei dem entsprechenden Gehalte von 25 Proc.
                              wasserfreiem Zucker (und Gummi) 9,375 Gewichtstheilen gleich kommt. Die Lösung
                              weiter abgedampft, lieferte nahezu 12 Gewichtstheile eines gelbbraunen, ziemlich
                              reinschmeckenden Syrups, der aber noch keine Neigung zum Krystallisiren zu erkennen
                              gab. Die Ausbeute an wasserfreiem Extract (Zucker und Gummi) von 100 Gewichtstheilen
                              der wasserfrei angenommenen Faser betrug sonach 83,29 Gewichtstheile (oder Proc.)
                              oder 20,82 Proc. von der nassen Faser mit dem oben angegebenen Wassergehalte.
                           
                           II. Verhalten der getrockneten und in Mehl verwandelten Faser
                                 gegen Schwefelsäure. Es wurden 60 Gewichtstheile Wasser mit 0,3
                              Gewichtstheilen Schwefelsäure versetzt, die Mischung zum Sieden erhitzt und unter
                              stetem Umrühren allmählich 9,5 Gewichtstheile trockne (wasserfreie) fein
                              pulverisirte Faser eingetragen und fortgekocht. Die Mischung wurde schnell so dick,
                              daß noch Wasser (19 Gewichtstheile) zugegossen werden mußte. Später wurde bloß das
                              verdampfende Wasser durch frisches ersetzt. Nach vierstündigem Kochen verursachte
                              Jod keine blaue Färbung mehr, sondern eine violettrothe. Das Kochen wurde jetzt
                              eingestellt, die Schwefelsäure wie oben (bei I) gesättigt und in gleicher Weise
                              weiter verfahren. Die erhaltene Lösung war dießmal sehr schleimig und das Ausziehen
                              der Faser auch eine lästige Arbeit.
                           Die Ausbeute an Extractlösung (Gummi und Zucker) betrug dießmal 37,6 Gewichtstheile
                              Lösung von 1,0893 spec. Gew. bei 14° R. = 21,6 Proc. oder 8,12
                              Gewichtstheilen wasserfreien Extracts von 9,5 Gewichtsth. wasserfreien Fasermehls.
                              Die auf dem Filter zurückgebliebene und vollständig ausgewaschene Faser betrug
                              wasserfrei 1,57 Gewichtstheile oder 16,6 Procent.
                           Da bei diesem Versuche aus 9,5 Gewichtstheilen wasserfreier stärkmehlhaltiger
                              Faser
                           
                              
                                 an wasserfreiem Extract
                                 
                                 8,12
                                 
                              
                                 an eigentlicher reiner Faser
                                 
                                 1,57
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 zusammen
                                 9,69
                                 
                              
                           erhalten worden sind, so ergibt sich hier eine Gewichtszunahme
                              von 0,10 Gewichtstheilen, welche darin ihren Grund hat, daß die erhaltene
                              Extractlösung neben Zucker und Gummi auch Gyps enthält, der in der
                              Saccharometeranzeige mit als Extract erscheint.
                           III. Verhalten der trocknen in Mehl verwandelten
                                 stärkmehlhaltigen Faser gegen Malz. Es wurden 9,5 Gewichtstheile des
                              wasserfreien Kartoffelfasermehls mit dem Grünmalz (von 10 Gewichtsprocenten trockner
                              Gerste) im gut zerquetschten Zustande und 50 Gewichtstheilen lauem Wasser innig
                              gemischt und dann im Wasserbade allmählich erhitzt. Als die Temperatur auf
                              45° R. gestiegen war, fing die Mischung an sich zu verdicken, was jedoch mehr
                              dem Anschwellen der Faser, als einer eigentlichen Kleisterbildung zuzuschreiben war.
                              Die Verdickung nahm allmählich zu, stieg jedoch nicht so weit, daß das Rühren
                              dadurch sehr erschwert worden wäre. Die Mischung wurde fortwährend in einer
                              Temperatur von 52–56° R. erhalten. Nach 3 Stunden reagirte Jod noch
                              blau; nach 4 Stunden gleichfalls noch. Nach 5 Stunden aber nicht mehr, dagegen
                              bewirkte es noch violette Färbung. Die Mischung wurde nun auf das Filter gebracht
                              und mit Wasser die Faser ausgezogen. Beim Abdampfen dieser Lösungen entwickelte sich
                              fortwährend ein sehr starker Kartoffelgeruch.
                           Die erhaltene Ausbeute an Extractlösung betrug 29,16 Gewichtstheile von 1,1037 spec.
                              Gewicht bei 14° R., entsprechend 24,52 Proc. wasserfreiem Extract, was, für
                              die 9,5 Gewichtstheile verwendeter Faser berechnet, 7,15 Gewichtstheile ausmacht.
                              Das Malz hatte sonach, nach Abzug des Extractes, welches von diesem geliefert wurde,
                              69,2 Proc. wasserfreie Stärke löslich gemacht.
                           Die bei diesen Versuchen erhaltenen Resultate lassen hiernach sich in Folgendem
                              zusammenfassen:
                           1) Die stärkmehlhaltige Faser besteht im wasserfreien Zustande in 100 Gewichtstheilen
                              aus:
                           
                              
                                 
                                  Proc.
                                 
                              
                                 Stärkmehl
                                 83–84
                                 
                              
                                 reiner Pflanzenfaser
                                 17–16
                                 
                              
                           2) Bei der Bereitung der Kartoffelstärke mit den gewöhnlichen Mitteln geht der dritte
                              Theil (und auch mehr) des in den Kartoffeln enthaltenen Stärkmehls in der
                              stärkmehlhaltigen Faser verloren.
                           3) Das von der stärkmehlhaltigen Faser zurückgehaltene Stärkmehl läßt sich sowohl aus
                              der frischen nassen, als auch aus der getrockneten und in Mehl verwandelten Faser
                              durch Kochen mit verdünnter Schwefelsäure ausziehen und in Gummi und Zucker
                              umwandeln; doch bietet dieses bei der Durchführung mancherlei, wenn auch nicht
                              unüberwindliche Schwierigkeiten dar. Besonders ist es die große Menge Wasser, welche
                              dabei nothwendig ist, und das schwierige Ausziehen des mit der verdünnten Säure
                              gekochten Faserstoffs, was die Ausübung eines derartigen Verfahrens schwierig
                              macht.
                           4) Auch das Malz vermag das Stärkmehl aus der selbst ganz trocknen (und dann
                              gemahlenen) Kartoffelfaser auszuziehen und zu verzuckern.
                           5) Sowohl das mittelst verdünnter Schwefelsäure, als das mittelst Malz extrahirte und
                              umgewandelte Stärkmehl ist gährungsfähig und somit zur Spirituserzeugung
                              anwendbar.
                           6) Bei Anwendung von 10–11 Proc. Schwefelsäure ist der Umwandlungsproceß schon
                              binnen 2 1/2 Stunden beendigt, bei Anwendung von 3–4 Proc. Schwefelsäure (vom
                              Gewichte der wasserfreien Faser) aber ist ein vier- bis fünfstündiges, auch
                              noch längeres Kochen nothwendig.
                           
                           7) Bei Anwendung von Malz und trockner gemahlener Faser ist der Proceß nach
                              5–6 Stunden so ziemlich beendigt, wenn man eine Grünmalzmenge anwendet,
                              welche 10 Proc. Gerste vom Gewichte der wasserfreien Faser gleich kommt.
                           8) Die wasserfreie stärkmehlhaltige Faser (oder die entsprechende Menge frischer,
                              nasser Faser) vermag durch Behandlung mit Schwefelsäure oder Malz ihr gleiches
                              Gewicht Syrup zu liefern.
                           9) Aus 100 Gewichtstheilen wasserfreier stärkmehlhaltiger Faser kann man noch so viel
                              Spiritus erhalten, als aus 350–400 Gewichtstheilen frischer Kartoffeln.
                              Hierdurch findet eine in verschiedenen Werken (so z.B. in Berchtold's Monographie der Kartoffeln, S. 211 und 277, in Putsche's Encyklopädie der Land- und
                              Hauswirthschaft, Bd. V. S. 640) verbreitete sehr irrige, wohl nur auf einem
                              Druckfehler beruhende Angabe ihre Berichtigung, wonach 32 Pfd. trocken berechnete
                              stärkmehlhaltige Faser, wie sie bei der Kartoffelstärkebereitung abfällt, noch eben
                              so viel Branntwein liefern sollen, als 400 Pfd. frische Kartoffeln zu liefern im
                              Stande sind. (Aus dem Centralblatt für die gesammte Landescultur, durch das landwirthschaftliche
                                    Centralblatt.)