| Titel: | Ueber den Wirkungs-Unterschied der Inductionsströme beim Oeffnen und Schließen der Kette; von M. Hipp, Vorsteher der eidgenössischen Telegraphen-Werkstatt in Bern. | 
| Fundstelle: | Band 154, Jahrgang 1859, Nr. LX., S. 270 | 
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                        LX.
                        Ueber den Wirkungs-Unterschied der
                           Inductionsströme beim Oeffnen und Schließen der Kette; von M. Hipp, Vorsteher der eidgenössischen
                           Telegraphen-Werkstatt in Bern.
                        Vorgetragen in der Versammlung der
                              Schweizer Gesellschaft der Naturwissenschaften zu Bern am 4. August 1858.
                           – Aus der Zeitschrift
                                 des deutsch-österreichischen Telegraphen-Vereins, Jahrgang
                              1859 S. 155.
                        Hipp, über den Wirkungs-Unterschied der Inductionsströme
                           beim Oeffnen und Schließen der Kette.
                        
                     
                        
                           Die Elektricität bietet in ihren verschiedenen Aeußerungen so außerordentliche
                              Erscheinungen dar, und ihr Studium nimmt in solchem Maaße die allgemeine
                              Aufmerksamkeit in Anspruch, daß ich glaube, der geehrten Versammlung einige Resultate
                              directer Beobachtungen vorlegen zu dürfen, welche mir praktischen Werth für die
                              Telegraphie zu haben scheinen.
                           Es ist bekannt, daß in einem Leiter ein Inductionsstrom, oder Strom zweiter Ordnung
                              von sehr kurzer Dauer erregt wird, wenn man in seiner Nähe den Kreis eines ähnlichen
                              Leiters, in welchen eine galvanische Batterie eingeschaltet ist, öffnet oder
                              schließt. Ebenso ist es bekannt, daß die Ströme zweiter Ordnung Ströme dritter
                              Ordnung induciren können, die der dritten Ordnung solche vierter Ordnung u.s.f.
                           Ich habe mir die Aufgabe gestellt, zu untersuchen welchen Nutzen die Telegraphie von
                              den Strömen zweiter Ordnung ziehen kann, und welcher Unterschied namentlich in Bezug
                              auf die Anwendung zwischen den durch Schließung und den durch Oeffnung der primären
                              Kette erzeugten Inductionsströmen besteht. Ich habe mir daher nacheinander die
                              folgenden vier Fragen gestellt:
                           1) Welches ist die Entwickelungsdauer des Inductionsstromes bei der Schließung?
                           2) Welches ist die Entwickelungsdauer des Inductionsstromes bei der Oeffnung?
                           3) Welche für die Telegraphie verwendbare Kraft kann man durch den Schließungsstrom
                              erzielen?
                           4) Welche entsprechende Kraft liefert der Oeffnungsstrom?
                           Ich bemerke im Voraus, daß es nicht meine Absicht gewesen ist, den Einfluß zu
                              studiren, welchen die verschiedenen Constructionen der Apparate auf das Resultat
                              haben können, dieß würde mich viel zu weit geführt haben. Ich beschränke mich
                              darauf, Ihnen die Ergebnisse mitzutheilen, welche ich mit den hier vorgezeigten
                              Apparaten erhalten habe.
                           Zur Beantwortung der ersten Frage habe ich mich eines mit gleichförmiger
                              Geschwindigkeit (von 10 Umgängen in der Minute) rotirenden Metallcylinders bedient,
                              der in der Richtung seiner Länge eine keilförmige Erhabenheit besaß. Eine Feder,
                              welche im Sinne der Achse des Cylinders verschoben werden konnte, drückte gegen
                              diesen vorspringenden Theil. Mittelst dieser Vorrichtung konnte ich die Kette einer
                              Batterie während einer mehr oder weniger langen Zeitdauer schließen. Durch
                              allmähliches Verschieben der Feder ließ sich nun der Punkt ermitteln, wo der
                              Inductionsstrom bei der Schließung genau dieselbe Wirkung hervorbrachte, wie bei
                              unbegränzter Dauer der Schließung. Die Dauer des Contactes der Feder mit dem
                              erhabenen Theile fand sich alsdann = 0,0113 Secunden. Ich nehme hier an, daß der
                              Schließungsstrom vollkommen gleichzeitig mit dem primären Strome beginnt, und
                              letzteren ließ ich aufhören, nachdem die Induction das
                              Maximum seiner Stärke erreicht hatte. Die angegebene Zeit betrachte ich demnach als
                              die Gesammtdauer oder wenigstens als die nutzbare Dauer
                              des bei der Schließung entstandenen Inductionsstromes.
                           Durch ein ähnliches empirisches Verfahren suchte ich die zweite Frage zu lösen. Der
                              Vorsprung des rotirenden Cylinders wurde durch einen Ausschnitt mit divergirenden
                              Seiten ersetzt, und die Stellung der beweglichen Feder ermittelt, bei welcher der
                              Inductionsstrom bei der Oeffnung eine eben so große Intensität zeigte, wie wenn der
                              Strom dauernd offen blieb. Die so bestimmte Zeit betrug 0,0035 Secunden.
                           Zur Beantwortung der beiden letzten Fragen habe ich folgende Versuche angestellt. Ich
                              führte die Inductionsströme durch die Windungen eines Galvanometers und constatirte,
                              daß der Schließungs- wie der Oeffnungs-Inductionsstrom sehr nahe
                              gleiche Ablenkungen der Nadel hervorbrachten. Sehr genaue Messungen zeigten, daß die
                              Ablenkungen beim Oeffnungsstrom ein klein wenig größer waren. Dieß Resultat läßt
                              sich mit den oben angeführten Ermittelungen der Zeitdauer der Ströme nur durch die
                              Annahme vereinigen, daß der Schließungsstrom mit geringerer Stärkewährend eines
                              größeren Zeitraumes, der Oeffnungsstrom dagegen bei kürzerer Dauer mit größerer
                              Stärke wirksam sey. Das Product aus Stromstärke und Zeit ist in beiden Fällen
                              gleich. Die Stärke des Schließungsstromes würde sich also zu der des
                              Oeffnungsstromes wie 35 : 113 verhalten. Das Vermögen des Oeffnungsstromes
                              Widerstände zu überwinden, steht augenscheinlich im Verhältnisse der Stromstärke,
                              denn unter vollkommen ähnlichen Umständen konnte ich mit dem Schließungsstrome nur
                              auf 20, mit dem Oeffnungsstrome aber auf 120 Lieues Entfernung telegraphiren.
                           Gestatten Sie mir noch von einer anderen Eigenschaft des
                              Oeffnungs-Inductionsstromes zu sprechen, von seiner Fortpflanzungsgeschwindigkeit.
                           Man nimmt fast allgemein an, daß die Elektricität in Leitungsdrähten sich mit einer
                              bestimmten Geschwindigkeit fortpflanzt. Wheatstone hat
                              diese Geschwindigkeit auf 115,000 Lieues in der Secunde geschätzt; andere Gelehrte
                              haben weit geringere Zahlen dafür erhalten.
                           Ich glaube daß diese Angaben auf einer Illusion beruhen und zwar aus folgenden
                              Gründen. Vor einigen Jahren wollte ich die Messung der Geschwindigkeit der
                              Elektricität nach zwei verschiedenen, bisher noch nicht angewendeten Methoden
                              wiederholen. Ich fand, daß der Strom mehr Zeit braucht um
                                 einen kurzen und dünnen Draht zu durchlaufen als um sich durch einen dicken und
                                 langen Draht von entsprechendem Widerstande fortzupflanzen. Die Versuche
                              wurden in folgender Weise angestellt: Es wurde ein Eisendraht von 0,16 Millimeter
                              Durchmesser gewählt und davon eine solche Länge genommen, daß sein Widerstand genau gleich dem
                              Widerstande von 200 Lieues unserer Telegraphenlinien war. Dieses Drahtende, welches
                              etwa 1 Lieue lang war, wurde mit Seide besponnen und auf eine Rolle gewickelt. Das
                              Chronoskop zeigte, daß die Fortpflanzung der Elektrität durch den dünnen Draht mehr
                              Zeit erfordert, als durch den 200mal so langen dicken Draht. Andere, mit Wheatstone's elektrischer Brücke
                              (Differential-Widerstandsmesser) angestellte Versuche, bei welchen einerseits
                              die 200 Lieues lange Telegraphenleitung (ohne Benutzung der Erde), anderseits die
                              Rolle mit dem feinen Drahte die einander gegenüber gestellten Widerstände bildeten,
                              führten zu demselben Resultat, d.h. die Nadel des eingeschalteten Galvanometers,
                              welche bei permanentem Strome vollkommen in Ruhe war, wurde bei Beginn des Stromes
                              in entgegengesetztem Sinne abgelenkt, als ich nach der Länge der Drähte erwartet
                              hätte, und bekräftigte somit die Angaben des Chronoskops. Ich erkläre mir diese
                              Erscheinung durch die Verzögerung welche der Extrastrom in dem aufgewickelten und
                              nicht, wie der andere, gerade gespannten Drahte hervorbringen muß. Das nämliche
                              Resultat ergab der Inductionsstrom; auch dieser wurde in dem langen Drahte schneller
                              fortgepflanzt als in dem kurzen.
                           Bei allen bisher ausgeführten Messungen der Geschwindigkeit der Elektricität hat man,
                              soviel ich weiß, auf Rollen gewickelte oder in geringen Abständen von einander
                              gespannte Drähte angewendet. Auch können die gefundenen Geschwindigkeiten nicht als
                              Ausdruck der Zeit gelten, welche der Strom braucht um den Draht zu durchlaufen.
                           Ich habe mittelst des Chronographen die Wirkungsdauer des bei Oeffnung der Kette
                              entstehenden Inductionsstromes gemessen, sowohl während derselbe eine 100 Lieues
                              lange Leitung durchlief, als auch wenn er sie nicht durchlief, um aus dem
                              Unterschiede der Zeiten die Geschwindigkeit zu schließen. Ich fand in dieser Weise
                              diese Geschwindigkeit gleich 700,000 Lieues in der Secunde; aber dieselbe muß in Wirklichkeit
                              noch größer seyn, weil die gefundene Zahl noch mit der durch den Widerstand der 100
                              Lieues Leitung bewirkten Verzögerung behaftet ist.
                           Die Eigenschaften des bei Oeffnung der Kette erregten Inductionsstromes rücksichtlich
                              seiner Anwendung für die Telegraphie sind somit, kurz zusammengefaßt, folgende:
                           
                              1) Seine Fortpflanzungsgeschwindigkeit ist viel größer als die
                                 aller anderen bisher benutzten Ströme.
                              2) Er kann vermöge seiner größeren Intensität größere Widerstände
                                 überwinden.
                              3) Er bedarf weniger Zeit zu seiner Entwickelung.
                              4) Da die Anziehung und der Rückgang des Ankers unter vollkommen
                                 gleichen Umständen erfolgen, braucht man nie den Apparat nach der Stärke des
                                 Stromes zu reguliren.
                              5) Die telegraphischen Zeichen können nicht mehr durch Mangel an
                                 Aufmerksamkeit Seitens der Beamten der empfangenden Station verstümmelt werden,
                                 wie bei den bisherigen Apparaten.
                              
                           Beim gegenwärtigen Apparatensystem kann man durchschnittlich 450
                              Zeichen-Elemente (Punkte) in der Minute geben, d.h. ein solches Zeichen oder
                              eine einmalige Hebelbewegung des Schlüssels fordert eine Zeit von 0,1333 Secunden.
                              Der Oeffnungs-Inductionsstrom gestattet die Dauer einer solchen
                              Schlüsselbewegung auf 0,0035 Secunden zu beschränken. Er könnte demnach 17,142 oder
                              38mal soviel einfache Zeichen in der Minute geben.
                           Der Mechanismus, so sorgfältig er auch ausgeführt werden mag, wird den hierzu
                              nöthigen Grad von Vollendung sicherlich nie erreichen, und doch sind die angegebenen
                              Zahlen nicht aus theoretischen Betrachtungen hergeleitet, sondern stützen sich auf
                              directe praktische Ermittelungen. Wenn man auch nur ein Viertel der angegebenen
                              Geschwindigkeit erreichte, würde man die gegenwärtige Schnelligkeit des
                              Telegraphirens verzehnfachen, und dieß wäre sicherlich schon ein sehr großer Gewinn
                              für die Telegraphie. Es ist ganz ohne Zweifel daß dieß durch geeignete Construction
                              der Apparate praktisch erreichbar ist. Ich behalte mir vor, ein Mittel zur
                              Erreichung dieses Zweckes später mitzutheilen.
                           
                        
                           Anhang.
                           (Vorgetragen in der Berner Gesellschaft für Naturwissenschaften
                              am 5. Febr. 1859.)
                           Seit der Zeit, wo ich den vorstehenden Aufsatz vor der Schweizerischen Gesellschaft
                              las, habe ich Gelegenheit gehabt, Versuche auf den Telegraphenlinien Frankreichs und
                              Englands anzustellen; sie bestätigen in praktischer Hinsicht durchaus die von mir
                              ausgesprochenen Ansichten.
                           In einem einzigen Punkte nur haben sich meine Voraussichten irrig erwiesen. Ich hatte
                              angenommen, daß die Dauer der Inductionsströme sich umgekehrt verhalte wie ihre
                              Intensitäten, und daß folglich die Stromstärke des Oeffnungsstromes 113 sey, während
                              die des Schließungsstromes 35 beträgt. Dieß ist ungenau, wie die folgenden Versuche
                              zeigen.
                           Der Anker eines Relais, dem man eine möglichst geringe Masse gegeben, wurde in
                              gewöhnlicher Weise durch eine Feder in passender Entfernung vom Elektromagneten
                              gehalten. Ein Waagebalken erlaubte die Feder nach Belieben mit Gewichten zu spannen.
                              Um die Stärke der Inductionsströme zu messen, wurde nun bestimmt, wie viel Gewicht man anwenden
                              müsse, damit eben noch eine Bewegung des Ankers wahrnehmbar sey. Diese
                              Beobachtungsweise ergibt sehr genaue Resultate; ich gewann mittelst derselben die
                              folgenden Zahlen. Die erste Spalte enthält die Zeiten, ausgedrückt in
                              Zehntausendsteln einer Secunde, die zweite gibt die Stärke des Inductionsstromes in
                              Grammen an.
                           
                              
                                 Zeit.
                                 Gramme.
                                 Zeit.
                                 Gramme.
                                 
                              
                                   5
                                 35
                                 30
                                 103
                                 
                              
                                 10
                                 55
                                 35
                                 108
                                 
                              
                                 15
                                 72
                                 40
                                 111
                                 
                              
                                 20
                                 82
                                 45
                                 113
                                 
                              
                                 25
                                 96
                                 50
                                 113.
                                 
                              
                           Wie man sieht, ist es nicht ganz richtig, daß der Oeffnungs-Inductionsstrom
                              nach 0,0035 Secunden das Maximum seiner Stärke erreicht; dieß tritt kaum erst nach
                              0,0045 Secunden ein. Gleichwohl ist der Unterschied der diesen beiden Zeiten
                              entsprechenden Stromstärken in praktischer Hinsicht als durchaus unerheblich zu
                              betrachten.
                           Unter gleichen Umständen zeigte der bei Schließung der Kette entstehende
                              Inductionsstrom eine ebenso unerwartete wie bemerkenswerthe Erscheinung.
                           Das Maximum der Stärke erhob sich nie über 18 Gramme, welches auch die Anordnung des
                              Apparates seyn mochte. Das Verhältniß zwischen der Stärke des
                                 Oeffnungs- und der des Schließungsstromes fand sich stets wie 6 :
                                 1.
                           ––––––––––
                           Ueber den mehrerwähnten Chronograph, dessen Beschreibung
                              noch nicht veröffentlicht ist, gibt Hr. E. Wartmann in den Archives des sciences
                                 physiques et naturelles folgende Notiz:
                           Der Chronograph, den Hr. Hipp
                              vor einigen Jahren construirt hat, unterscheidet sich von dem Chronoskop darin, daß
                              er die Zeiten nach Tausendsteln der Secunde, welche man bei letzterem aus der
                              Bewegung eines Zeigers über einem Zifferblatt erkennt, mit Punkten auf einem sich
                              bewegenden Papierbande markirt. Das Papierband schreitet in der Secunde 300
                              Millimeter vor, und ein an dem Apparate angebrachter Meßapparat (Diviseur) gibt
                              Zehntelmillimeter an, so daß man 1/3000 Secunden direct ablesen kann. Die
                              Gleichförmigkeit der Bewegung des Papierbandes wird durch das schon beim Chronoskop
                              angewendete Echappement mit vibrirender Lamelle gesichert. Um eine Idee von der
                              Einrichtung des
                              Apparates zu gewinnen, stelle man sich zwei Elektromagnete vor, deren jeder im
                              Stande ist, ein kleines Loch in das Papierband zu bohren, sobald der Strom
                              geschlossen oder unterbrochen wird. Wenn der den ersten Elektromagneten umkreisende
                              Strom etwas später unterbrochen wird als der, welcher durch die Windungen des
                              zweiten Elektromagnets geht, so sind beide Löcher durch einen kleinen Zwischenraum
                              getrennt, welcher die zwischen beiden Unterbrechungen verflossene Zeit mißt.
                           Er fügt hinzu, daß Hr. Hipp die
                              Güte gehabt habe, ihm die Apparate, Relais, Schlüssel etc. zu zeigen, die er zur
                              Anwendung von Inductionsströmen in der Telegraphie construirt hat. Mit 12 Elementen
                              von gewöhnlichen Dimensionen hatten dieselben bei einem Leitungswiderstande von 2000
                              Lieues vollkommen befriedigende Zeichen gegeben.