| Titel: | Ueber die Erfindung neuer maaßanalytischer Methoden; von Medicinalrath Dr. Mohr. | 
| Autor: | Dr. Karl Friedrich Mohr [GND] | 
| Fundstelle: | Band 155, Jahrgang 1860, Nr. XI., S. 28 | 
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                        XI.
                        Ueber die Erfindung neuer maaßanalytischer
                           Methoden; von Medicinalrath Dr.
                              Mohr.
                        Mohr, über die Erfindung neuer maaßanalytischer
                           Methoden.
                        
                     
                        
                           Wenn man für einen noch nicht unter die Bürette gebrachten Körper eine neue
                              Bestimmungsmethode sucht, so muß man dabei nach einem gewissen Systeme verfahren,
                              wenn man sich nicht vergebliche Arbeit machen will. Bei Bearbeitung des Lehrbuches
                              der Titrirmethode habe ich häufig Gelegenheit gehabt, die dabei zu befolgenden
                              Grundsätze kennen zu lernen, nachdem ich öfter durch planloses Verfahren auf weiten
                              Umwegen zu keinem Resultate gekommen bin.
                           1) Zuerst betrachtet man den Körper, ob er sich unter eine der großen Gruppen der
                              analytischen Methoden, die Alkalimetrie, Oxydationsanalyse oder Fällungsanalyse
                              unterbringen lasse. Für Alkalimetrie wird nicht viel mehr übrig seyn, nachdem die
                              meisten Stoffe auf diesen Gesichtspunkt bereits ins Auge genommen sind.
                           Sodann betrachtet man sein Verhalten zu Sauerstoff und Chlor, und es stellt sich dann
                              die Frage dar, ob er zwei Oxydationsstufen und Chloride habe, die leicht in
                              einander, übergehen. Die nächste Frage ist, ob seine niedrigste Oxydationsstufe
                              Jodstärke entfärbt oder nicht, und man prüft dieselbe mit Jodlösung und Stärke.
                              Spricht diese Probe nicht an, so prüft man sie in saurer Lösung mit Chamäleon,
                              welches noch viele Körper oxydirt, auf welche Jod nicht mehr wirkt (Kleesäure,
                              Eisenoxydul).
                           2) Das reichste Feld bieten noch die Fällungsanalysen. Man hat dabei ins Auge zu
                              fassen, ob der Körper eine unlösliche Verbindung habe, und zu diesem Zwecke schlägt
                              man Rose's analytische Chemie, erster Theil, nach, worin
                              die Reactionen aller Stoffe mit der größten Zuverlässigkeit angegeben sind. Ferner
                              consultirt man Gmelin's Chemie unter dem betreffenden
                              Stoffe und Fresenius' analytische Chemie, worin man alle
                              bekannten Verhältnisse und gute Gewichtsanalysen findet. Man betrachtet dabei jede
                              Methode, ob sie sich nicht zu einer volumetrischen umwandeln lasse.
                           3) Hat man eine anscheinend passende Verbindung ins Auge gefaßt, so prüft man zuerst,
                              ob die Enderscheinung deutlich ist. Dazu kann man sich untitrirter Flüssigkeiten
                              bedienen. Bei einer wirklichen Fällung ist zu beachten, ob sich der Niederschlag
                              leicht absetzt, ob man das Aufhören der Fällung deutlich sehen kann, oder ob ein
                              Ueberschuß des Fällungsmittels sich durch eine deutliche Erscheinung erkennen lasse und
                              ob der Niederschlag in einem Ueberschusse des Fällungsmittels merkbar löslich ist
                              (phosphorsaures Eisenoxyd in essigsaurem Eisenoxyd). Am günstigsten ist es, wenn man
                              den Indicator in die Flüssigkeit selbst bringen kann. Die an der Einfallstelle
                              auftretende Reaction mit dem Indicator muß durch Umschütteln wieder verschwinden
                              (chromsaures Silberoxyd in Chlormetallen, Jodstärke in unterschwefligsaurem Natron
                              etc.).
                           Ist dieß nicht zulässig, so muß man prüfen, ob sich der Ueberschuß des
                              Fällungsmittels in sehr kleinen Mengen durch eine Reaction, Tüpfeloperation,
                              entdecken lasse.
                           Ferner hat man zu prüfen, ob Erwärmung oder Schütteln zur Abscheidung günstig
                              wirken.
                           4) Wenn diese Bedingungen günstig ausfallen, so hat man zuerst zu prüfen, ob die
                              Resultate constant sind. Man faßt mit einer Pipette 10 Kub. Cent. des gelösten zu
                              bestimmenden Körpers ab, und bestimmt die Menge des zu verbrauchenden Körpers, indem
                              man diesen in eine Bürette bringt und die Enderscheinung hervorruft. Man wiederholt
                              diesen Versuch mit denselben Flüssigkeiten und Röhren einigemal, um zu sehen ob man
                              immer dieselbe Zahl erhalte. Die Differenzen mehrerer Versuche dürfen höchstens um 1
                              bis 2 Procent schwanken. Sind die Zahlen sehr verschieden, so ist die Methode
                              unbrauchbar.
                           5) Man hat nun ferner zu prüfen, ob die Resultate proportional sind. Man mißt 10, 20,
                              30, 40 Kub. Cent. der Flüssigkeit ab und bestimmt die Substanz aus derselben
                              Bürette. Stehen die verbrauchten Kub. Cent. in demselben Verhältniß wie die
                              angewandten Stoffe, so ist auch dieser Punkt günstig erledigt.
                           6) Man hat dann zu prüfen, ob die Resultate bei Verdünnungen constant bleiben. Die
                              Ausführung ergibt sich von selbst. (Chamäleon gibt mit Eisen bei jeder Verdünnung
                              gleiche Zahlen; Jodlösung gegen Zinnchlorür, Jodwasserstoff gegen Eisenoxydsalze,
                              nicht.)
                           7) Man hat zu prüfen, ob die Resultate systematisch richtig sind, d.h. ob die
                              angewandten Mengen der sich fällenden Körper im Atomverhältniß stehen. (Silber gegen
                              Chlor, arsenige Säure gegen Jod sind systematisch richtig, Bleioxydsalze gegen
                              chromsaure Salze nicht.) Im ersten Falle eignet sich die Methode zu einer
                              systematischen, worin die titrirten Flüssigkeiten nach dem Atomgewicht hergestellt
                              werden können.
                           Sind die Fällungen nicht systematisch richtig, so ist noch die Möglichkeit vorhanden,
                              eine empirische titrirte Flüssigkeit darzustellen. Um dieß zu ermitteln, stellt man
                              sich 1/2 Liter titrirter Zehentflüssigkeit dar, indem man 1/20 Atom des zu bestimmenden Körpers zu 500
                              Kub. Cent. löst. Nun wägt man den zu bestimmenden Körper chemisch rein, ebenfalls im
                              Atomgewicht ab, z.B. 1/100 Atom, löst ihn und bestimmt mit der titrirten
                              Flüssigkeit. 1/100 Atom des Körpers würde 100 Kub. Cent. der titrirten Flüssigkeit
                              verbrauchen. Hat man mehr verbraucht, so berechnet man die Menge des Fällungsmittels
                              aus der Zusammensetzung, und erfährt dadurch das Verhältniß beider Körper zu
                              einander. In diesem Falle hat es keinen Zweck das System beizubehalten, und man
                              berechnet nun die Menge des fällenden Körpers, welche für 1 Grm. des zu bestimmenden
                              genügt. Löst man die zehnfache Menge des fällenden Körpers zu 1 Liter, so wird der
                              zu bestimmende zu 1 Grm. abgewogen, und die Kub. Cent. sind nun Procente.
                           8) Es ist immer vorzuziehen, wenn der zu bestimmende Körper selbst gefällt wird.
                              Bietet dieses aber keine deutliche Enderscheinung dar, so ist es oft möglich, den
                              Körper mit einem zweiten zu fällen, der sich bestimmen läßt. So wird Kalk durch die
                              mitgefällte Kleesäure mittelst Chamäleon, Phosphorsäure durch das mitgefällte
                              Eisenoxyd bestimmt. Dabei ist vor allem zu beachten, ob der Niederschlag eine
                              constante Zusammensetzung hat, ob er sich im Fällungsmittel nicht löst, ob
                              Verdünnung oder Erwärmung auf die Zusammensetzung keinen Einfluß haben.
                           9) Zuweilen liegt die Handhabe zur Bestimmung noch weiter. Der gefällte Körper kann
                              mit einem dritten Körper behandelt eine Erscheinung geben, die zur Bestimmung
                              geeignet ist. So fällt Zinkoxyd mit Kaliumeisencyanid einen Niederschlag von
                              Zinkeisencyanid, der mit Jodkalium eine äquivalente Menge Jod frei macht, die selbst
                              nun wieder mit unterschwefligsaurem Natron leicht bestimmt wird.
                           Die Sammlung und Mittheilung dieser Grundsätze bei Aufsuchung neuer maaßanalytischer
                              Methoden schien dadurch gerechtfertigt, weil sehr häufig Methoden auf einen oder
                              zwei Versuche gestützt publicirt werden, die bei unserer Prüfung nicht stichhaltig
                              sind, indem die Erfinder alle die Verhältnisse, welche durch Verdünnung, Erwärmung
                              bedingt werden, gar nicht zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht haben.