| Titel: | Die Retortenöfen der Photogen- und Paraffinfabrik Wilhelmshütte bei Oscherschleben; beschrieben von dem Director der Fabrik H. Perutz. | 
| Autor: | H. Perutz | 
| Fundstelle: | Band 155, Jahrgang 1860, Nr. XV., S. 56 | 
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                        XV.
                        Die Retortenöfen der Photogen- und
                           Paraffinfabrik Wilhelmshütte bei Oscherschleben; beschrieben von dem Director der Fabrik
                           H. Perutz.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              I.
                        Ueber die Retortenöfen der Photogen- und Paraffinfabrik
                           Wilhelmshütte bei Oscherschleben.
                        
                     
                        
                           Diese zur trockenen Destillation der Braunkohlen von mir benutzte neue Einrichtung
                              ist seit October 1858 in Anwendung gekommen und hat sich, abgesehen von einigen
                              Verbesserungen, welche wie überall erst bei dem Betriebe im Großen sich
                              herausstellen, als vollkommen bewährt.
                           Jeder Ofen enthält drei Retorten, welche in folgender Weise construirt sind.
                           
                           Im Längendurchschnitt nach A, B, C, D, Fig. 12, zeigt n, n, n, n die von Charmottesteinen gemauerte Retorte;
                              a', a' in Fig. 13 eine 3/8 Zoll
                              starke Eisenhülse, womit die gemauerte Retorte ausgefüttert ist. I, I Zug unter dem Boden der Retorte. L Rost. k Verbindung
                              zwischen dem Feuerherd und dem Zug I, I.
                           o, o, Fig. 13, Trichter zum
                              Einfüllen der Kohlen, p zwei Stangen zum Bewegen des
                              Rührwerks. q eine durch ein Scharnier bewegliche Klappe.
                              r, r innerer Raum der Retorte. s, s das mit Zinken versehene Rührwerk. d, d' zwei Räder, auf welchen das Rührwerk läuft. t, t' zwei eiserne Schieber. u,
                                 u' Schienen, auf welchen die Räder des Rührwerks laufen. v Kohkskasten. w Aschenfall.
                              x hinteres Ende der Retorte. y Abzugsrohr. m, m, m, m Mauerwerk von
                              Ziegelsteinen.
                           h' (Fig. 13) Ventilstange mit
                              der dieselbe bewegenden Kurbel z. c' Ventil.
                           Die ganze Retortenanlage enthält 13 Oefen, welche neben einander mit 51 Retorten in
                              zwei Etagen angebracht sind.
                           Der Betrieb geschieht auf folgende Weise:
                           Durch einen Arbeiter wird der Trichter o, o (Fig. 13) mit
                              Kohlen gefüllt; jeder Trichter faßt eine Tonne zu 4 Berliner Scheffel. Derselbe
                              Arbeiter öffnet nun durch die Kurbel z das Ventil c' und läßt die Kohle auf zwei- bis dreimal in
                              die Retorte fallen, indem er, wenn 1/3 der Kohle aus dem Trichter entfernt ist, das
                              Ventil so lange wieder zuschraubt, bis die in die Retorte gefallene Kohle durch den
                              das Rührwerk bewegenden Arbeiter in der Retorte ausgebreitet ist. Ist die ganze
                              Ladung aus dem Trichter entfernt, so wird das Ventil fest zugeschraubt, und der
                              Trichter sofort wieder gefüllt.
                           Ist die Destillation beendigt, was in 10–12 Stunden der Fall ist, so werden
                              die Kohks folgendermaßen aus der Retorte geschafft.
                           Die Klappe q (Fig. 12), welche während
                              der Füllung und der Destillation horizontal gerichtet ist (etwa wie q, e anzeigt), wird durch die Stange p niedergezogen, so daß sie mit derselben einen rechten
                              Winkel bildet. Das Rührwerk wirkt nun als Krücke. Der Arbeiter öffnet dann den
                              oberen Schieber t' und zieht vermittelst des Rührwerks
                              die Kohks in zwei bis drei Zügen in den Kohkskasten v.
                              Der obere Schieber t' wird nun wieder geschlossen, der
                              untere t geöffnet, worauf die Kohks in den
                              unterstehenden eisernen Karren fallen und fortgeschafft werden. Täglich werden 50
                              Tonnen Kohlen destillirt, wobei die unteren Retorten mit 7/8, die oberen Retorten
                              mit 1/3 Tonne Kohle gefüllt werden.
                           Was die Qualität der Kohle anbelangt, so steht dieselbe zwischen dem Lignit und der
                              erdigen Braunkohle: sie gibt 6 2/3 Proc. Theer.
                           
                           Einen großen Vortheil bietet mir diese Einrichtung dadurch, daß ihre Dauer größer ist
                              als die der gußeisernen Retorten, der Charmotteretorten und der Schachtöfen.
                           Während die vor meinem Antritte der Fabrikdirection hier befindliche zweimal
                              erneuerte Einrichtung von gußeisernen Retorten kein volles Jahr im Betriebe war, ist
                              die jetzige Einrichtung nun schon 1 1/4 Jahr im Betriebe, ohne daß, abgesehen von
                              ganz geringen Reparaturen, ein Neubau nothwendig gewesen wäre. Freilich war die
                              frühere Einrichtung noch sehr unvollkommen, da damals nur kastenförmige Retorten
                              benutzt wurden; aber selbst da, wo man durch Anwendung der elliptischen Form der
                              Retorten, durch guten Guß derselben und gutes Rohmaterial (schwefel- und
                              phosphorfreies Gußeisen), so wie durch zweckmäßigere Feueranlage, eine längere Dauer
                              der Retorten erzielt hat, ist die Haltbarkeit derselben doch geringer als die der
                              gemauerten Charmotteretorten; die geringste Dauer der letzteren dürfte nach meinen
                              bisherigen Erfahrungen auf fünf Jahre anzunehmen seyn. Nach diesem Zeitraum wird
                              aber immer noch kein vollständiger Neubau der Retortenöfen nothwendig seyn, sondern
                              eine durchweg im größeren Maaßstabe stattfindende Reparatur.
                           Die Anlagekosten dieser Oefen sind, um 50 Tonnen Kohle = 200 Berliner Scheffel zu
                              destilliren, auf 8000 Rthlr. anzunehmen.
                           Die Kosten der ganzen Fabrik betragen für:
                           
                              
                                 Gebäude
                                 10000 Rthlr.
                                 
                              
                                 Retortenöfen
                                   8000    „
                                 
                              
                                 alle anderen Apparate
                                 14000    „
                                 
                              
                                 unvorhergesehene Ausgaben
                                   3000    „
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––
                                 
                              
                                 Summa
                                 35000 Rthlr.
                                 
                              
                           Hierzu sind noch 5000 Rthlr. Betriebscapital zu rechnen, also in runder Summe 40000.
                              Rthlr. Die bisher angelegten Fabriken haben freilich das Doppelte und Dreifache
                              dieser Summe gekostet, doch ist hierauf weiter keine Rücksicht zu nehmen, denn
                              Lehrgeld wird bei jedem neuen Industriezweige gezahlt. Aus diesem Grunde sind auch
                              die Resultate verschieden, welche derartige Fabriken bei gleichem
                              Fabricationsmaterial und unter fast gleichen Umständen erzielen werden, da die jetzt
                              zu errichtenden Fabriken die Erfahrungen der schon bestehenden benutzen können, und
                              nur 1/3 des Capitals nothwendig haben, wie die schon länger bestehenden; die
                              Dividende wird daher auch um so viel größer ausfallen. Das hier angenommene
                              Anlagecapital von 35000 Rthlr. kann sich durch günstige Verhältnisse, wie billige
                              Baumaterialien und Transportmittel, so wie geringe Arbeitslöhne, um mehrere Tausend
                              Rthlr. geringer stellen.
                           
                           Ich beabsichtige später meine Fabricationsmethoden so wie einige Versuche über die
                              elementare Zusammensetzung der in hiesiger Provinz vorkommenden aus Braunkohlen
                              gewonnenen Oele mitzutheilen.
                           Wilhelmshütte, den 6. December 1859.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
