| Titel: | Einige Bemerkungen in Betreff der Theorie der Färberei; von Prof. O. L. Erdmann. | 
| Fundstelle: | Band 155, Jahrgang 1860, Nr. LXIII., S. 200 | 
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                        LXIII.
                        Einige Bemerkungen in Betreff der Theorie der
                           Färberei; von Prof. O. L.
                              Erdmann.
                        Aus dem Journal für praktische Chemie, Bd. LXXVIII S. 287,
                              vom Verfasser mitgetheilt.
                        Erdmann, über die Theorie der Färberei.
                        
                     
                        
                           Unter dem Titel: „Kritische und experimentelle Beiträge zur Theorie der
                                 Färberei, Zürich 1859“ (im polytechn. Journal Bd. CLIII S. 362 und 431), hat Hr. Prof. Bolley eine Abhandlung veröffentlicht, in welcher er die verschiedenen
                              Ansichten über die Vorgänge beim Färben einer ausführlichen Kritik unterwirft und
                              die Resultate eigener Versuche über den Gegenstand mittheilt.
                           Dieser verdienstlichen Arbeit folgt (a. a. O. S. 448) eine „Nachschrift,“ deren Inhalt, so sehr ich
                              die im Schlusse derselben sich aussprechende freundliche Gesinnung des Hrn. Verf.
                              erkenne und so sehr ich mich freue einige Hauptresultate meiner Arbeit durch die
                              Angaben des Hrn. Verf. bestätigt zu sehen, mich doch zu einigen Gegenbemerkungen
                              nöthigt, da mehrere Stellen dieser Nachschrift auf Mißverständnissen beruhen und zu
                              irrigen Ansichten Veranlassung geben können.
                           Ad 1 habe ich zu bemerken, daß mir die Geschichte des
                              Theiles der Wissenschaft, um welche es sich handelt, nicht ganz unbekannt war, als
                              ich den Satz niederschrieb, daß „die Vorgänge beim Färben der Zeuge kaum
                                 jemals Gegenstand einer genaueren wissenschaftlichen Untersuchung
                                 gewesen.“ Aber auch die historische Zusammenstellung des Hrn. Verf.
                              hat mich durchaus nicht überzeugen können, daß mit diesem Urtheile die Thätigkeit
                              der Vorgänger stark unterschätzt sey. Ja gerade dieser Theil der Abhandlung des Hrn.
                              Verf. scheint mir den Beweis dafür zu geben, daß zwar eine große Menge von Versuchen
                              über den Gegenstand angestellt worden sind, aber – was gewiß ein großer
                              Unterschied ist – keine die Sache an der Wurzel angreifende Untersuchung, mit
                              entscheidenden Resultaten, darüber geführt worden ist.
                           
                           Ad 2 muß ich erklären, daß es keineswegs ein Versehen
                              war, wenn ich die Notiz „Ueber das Färben der amorphen
                                 Baumwolle“ (Annalen der Chemie und Pharmacie Bd. CVI S. 235,
                              polytechn. Journal Bd. CXLIX S. 142), welche
                              ich während meiner und Mittenzwey's Versuchen kennen
                              lernte, in meiner Abhandlung nicht erwähnt habe. Ich unterließ die Erwähnung, weil
                              die Notiz in der Hauptsache etwas ganz Anderes enthält,
                              als das, um was es sich bei uns handelte. Der Hr. Verf. sagt nämlich in jener Notiz
                              wörtlich Folgendes: „Die gelöste und aus klarer Lösung in Gallertform
                                 gefällte Baumwolle nahm sowohl Alaun- als Zinnbeize
                                    auf, der Ueberschuß der gelösten Beize wurde durch langes Auswaschen
                                 und Decantiren entfernt und die gebeizte Baumwolle mit klaren Farbstofflösungen
                                 zusammengebracht.“ – „„Alle Farben fielen
                                 hinsichtlich der Intensität und Gleichmäßigkeit vollkommen nach Wunsch aus. Ich
                                 möchte in vorliegender Mittheilung in Kürze nur das erwähnen, daß sich aus
                                 diesem Verhalten die Folgerung ableiten läßt, „„daß die Structur der Baumwollenfaser mit deren
                                          Farbanziehungsvermögen nichts zu thun
                                          hat.““ Der letzte Satz scheint bei
                                 oberflächlicher Betrachtung freilich dasselbe auszusagen, als was ich mit Mittenzwey bewiesen habe. Die Uebereinstimmung ist
                                 aber durchaus nur scheinbar, denn Hr. Bolley hat ja,
                                 wie wir oben sahen, gefunden, daß seine amorphe Baumwolle Beizen binde; er erzählt weiter, daß verschieden gefärbte
                                 Baumwolle von dem Schweizer'schen Lösungsmittel
                                 „mit Zurücklassung des Farbstoffs und der Beizen“ (!)
                                 gelöst werde. Hätte der Verf. unter Alaunbeize eine
                                 Allaunlösung verstanden, so würden seine Versuche ein Resultat gegeben haben,
                                 welches das directe Gegentheil von dem unsrigen wäre, dieß ist aber nicht der
                                 Fall, der Verf. versteht unter Alaunbeize, wie sich
                                 aus mehreren Umständen schließen läßt, ein Thonerdesalz, welches sich beim
                                 Erwärmen zersetzt und basisches Salz ausscheidet.„Alaunbeize etc. heißt im weitesten
                                          Sinne jede in der Färberei oder dem Zeugdruck zur Farbenfixirung
                                          gebräuchliche Auflösung eines Thonerdesalzes, welcher die
                                          Eigenschaft zukommt, die Basis leicht abzugeben, im engern Sinne
                                          aber vorzugsweise nur die Essigsäure und Thonerde haltenden
                                          Lösungen, welche aber wegen ihrer Leichtzersetzbarkeit am meisten in
                                          Anwendung sind. Die Wirksamkeit einer Alaunbeize muß darin gesucht
                                          werden, daß sie in gewöhnlicher Temperatur oder nach dem Erwärmen
                                          auf die Spinnfaser Thonerde oder dock ein unlösliches basisches Salz
                                          absetzt welches mit dem organischen Farbstoff, den es aus der
                                          Farbflotte oder einem Extract anzieht, einen in und auf der Faser
                                          festhaltenden Lack bildet.“ Dieß ist die Erklärung,
                                       welche Hr. Prof. Bolley selbst im
                                       Handwörterbuche der reinen und angewandten Chemie, 3. Auflage Bd. I S.
                                       399, gibt.
                                 
                              
                           Daß nun eine solche Beize auf jeden hineingebrachten Körper etwas von dem darin sich
                              bildenden Niederschlag absetzen müsse, also auch auf amorphe Cellulose und
                              Baumwollenfaser ist unschwer zu begreifen, und es kann die Entdeckung kaum
                              überraschen, daß mit dem Farbanziehungsvermögen einer in solcher Beize behandelten, d.h. mit basischem Salz überlagerten
                              Baumwollfaser die Structur derselben nichts zu thun hat, da man weiß, daß dieses
                              basische Salz die Fähigkeit besitzt, Farbstoffe anzuziehen. Hierin liegt zugleich
                              mein Urtheil über die Versuche des Verf., schwefelsauren Baryt u.s.w. zu färben, von
                              welchen angegeben wird, daß er dieselben früher – aber freilich auf ganz
                              andere Weise als von mir und M. geschehen – ausgeführt hat.
                           Die Resultate unserer Versuche über das Verhalten der Cellulose gegen Alaunlösung,
                              die sich nicht in der Wärme zersetzt, sprach ich in den zwei Sätzen aus:
                           
                              „Hiernach verbindet sich die structurlose Cellulose
                                    nicht mit Alaun und eben so wenig vermag sie denselben zu zersetzen und ein
                                    basisches Salz oder gar reine Thonerde daraus aufzunehmen.“
                              
                           Und:
                           
                              „Den vorstehenden Versuchen zufolge besitzt also
                                    auch die organisirte Baumwolle weder die Eigenschaft, sich mit Alaun zu
                                    verbinden, noch auch ein basisches Salz oder Thonerde aus demselben
                                    abzuscheiden.“
                              
                           Daß diese Sätze etwas durchaus Anderes aussagen, als das, was der Hr. Verf. in seiner
                              Notiz über das Färben der amorphen Baumwolle angibt, scheint mir so klar, daß ich
                              nicht einzusehen vermag, warum ich diese Notiz in meiner Abhandlung hätte citiren
                              sollen.
                           Nach Mittheilung der Resultate, welche beweisen, daß die Cellulose nicht, wie oft
                              angegeben worden, den Alaun zu zersetzen vermag, habe ich auch in der Kürze der
                              Versuche gedacht, welche wir über das Verhalten in der Hitze zersetzbarer Beizen,
                              z.B. der essigsauren Thonerde- und Eisenbeize, gegen Baumwolle angestellt.
                              Mehr darüber zu sagen war überflüssig, denn es handelte sich um eine Sache, die an
                              sich keines weiteren Beweises bedurfte, und die nichts zur Aufklärung der Hauptfrage
                              beitragen konnte.
                           Ad 4. So wenig ich nach den Angaben des Hrn. Verf. einen
                              Zweifel daran hegen kann, daß meine Versuche nur Bestätigungen von dem Verf. seit
                              Jahren gemachter, zwar nicht veröffentlichter aber in seinen Vorlesungen häufig
                              mitgetheilter Beobachtungen sind, so wird es doch wohl kaum der Versicherung
                              bedürfen, daß mir, so wie dem gewiß größten Theile des chemischen Publicums diese
                              Beobachtungen unbekannt geblieben sind. In Prioritätsfragen dieser Art entscheidet
                              das Datum der Publication durch den Druck; Beziehungen auf Mittheilungen von Entdeckungen in mündlichen
                              Vorträgen u.s.w., um sich Prioritätsansprüche zu sichern, müssen, wo sie nicht
                              geradezu Plagiate behaupten und nachweisen, zurückgewiesen werden, da sie leicht den
                              Anschein von Verdächtigungen Anderer gewinnen.
                           Ad 5 und 6. Hr. Prof. Bolley
                              meint, der eine Grund, daß bei meinen und Mittenzwey's
                              Versuchen Alaunlösung gewählt worden sey (weil sie nämlich in der Wärme nicht
                              zersetzt wird) lasse sich sehr leicht verstehen. Ich meine dieß auch und bedaure
                              nur, daß dieses Verständniß in der Kritik des Hrn. Verf. nicht klarer hervortritt.
                              Wenn ich aber ferner mit gesperrter Schrift dahin belehrt
                              werde, daß Alaunlösung keineswegs in der Baumwollenfärberei eines der gewöhnlichsten
                              Beizmittel sey, daß vielmehr fast ausnahmslos sogenannter abgestumpfter, d.h. mit
                              Soda theilweise zersetzter Alaun oder essigsaure Alaunerde etc. diene, so kann ich
                              dem Hrn. Verf. die Versicherung geben, daß auch mir die Thatsachen, welche er hier
                              erwähnt, nicht unbekannt geblieben sind. Es ist wahr, daß in den Färbereien statt
                              des Alauns fast durchgängig andere Thonerdesalze als Beize angewendet werden;
                              dennoch glaube ich immer noch, den Alaun eines der
                              „gewöhnlichsten“ Beizmittel nennen zu dürfen, wenn dieses
                              Prädicat einer Beize wohl gegeben werden kann, die früher ausschließlich in den
                              Färbereien diente und jetzt noch sehr häufig in den Hauswirthschaften, besonders auf
                              dem Lande, zum Färben von Zeugen, außerdem zum Färben von Holz u.s.w. verwendet
                              wird. Der Hr. Verf. fährt fort: „Wenn aber der Fall, daß man in der Praxis
                                 Baumwolle mit Alaun beizt, so zu sagen nicht vorkommt, so ist mit der Darlegung
                                 des Verhaltens der Pigmentlösung gegen Alaun, wenigstens für die Theorie der Baumwollenfärberei nichts genützt.“ Es ist
                              gerade diese Stelle, in welcher der Hr. Verf. über meine ganze Arbeit den Stab
                              bricht, welche mich zu dem oben ausgesprochenen Bedauern veranlassen mußte. Ich
                              freue mich zu wissen, daß das abfällige Urtheil des Hrn. Verf. über die Beweiskraft
                              meiner Versuche nicht das allgemeine ist. Wenn endlich der Hr. Verf. meint, daß eine
                              allgemeine Theorie der Färberei auf breiterer Grundlage
                              aufgebaut werden müsse als die Untersuchung der „Wirkungsweise der
                                 Beizmittel, namentlich des Alauns, beim Färben der Baumwolle,“ so
                              habe ich dagegen zu bemerken, daß das Streben in die Breite bei Fällen wie der
                              vorliegende weniger zu fördern pflegt, als das Auffinden des rechten
                              Angriffspunktes. Daß ich diesen verfehlt, hat der Hr. Verf. nicht nachgewiesen. Alle
                              in seiner Abhandlung vorkommenden Thatsachen scheinen mir mit der aus meiner
                              Untersuchung sich ergebenden Grundlage für die Theorie des Färbeprocesses vollkommen
                              vereinbar. Daß dasjenige, was in dem von mir und M. untersuchten Falle der Färberei sich ergab,
                              wahrscheinlich „unter gewissen Modificationen“ sich als gültig
                              bei allen Färbeprocessen herausstellen werde, habe ich selbst im Eingange meiner
                              Abhandlung ausgesprochen.
                           So sehr ich mich gefreut haben würde, meine Arbeit einer eingehenden Kritik von so
                              competenter Seite unterzogen zu sehen, so sehr war ich es mir schuldig, auf eine so
                              flüchtige und wenig begründete Abfertigung derselben ein Wort zu erwiedern.