| Titel: | Die Fabrication von Kunstwollen. | 
| Fundstelle: | Band 155, Jahrgang 1860, Nr. C., S. 331 | 
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                        C.
                        Die Fabrication von Kunstwollen.
                        Aus der deutschen Gewerbezeitung, 1859 S.
                              261.
                        Ueber die Fabrication von Kunstwollen.
                        
                     
                        
                           So mannichfach als überhaupt die Wollengewebe sind, sind auch deren Lumpen, ist
                              demnach der Rohstoff, aus welchem die sogenannte Kunstwolle gemacht wird. Die
                              Hauptaufgabe der Kunstwollenfabrikanten ist das richtige Sortiren, d.h. das
                              Zusammenbringen der gleichartigen Lumpen. Dieses Sortiren zerfällt in das Verlesen,
                              das Schneiden und das eigentliche Sortiren. Beim Verlesen werden die nichtwollenen
                              Bestandtheile abgetrennt und dann durch eine einfache Putzmaschine von Staub und
                              Schmutz gereinigt. Eine solche Putzmaschine besteht aus einer Trommel, auf welche
                              mehrere Latten der Richtung der Trommelachse nach befestigt sind, durch deren
                              Wirkung die Lumpen über ein Sieb hinübergerissen werden, welches innerhalb der die
                              Trommel umgebenden knappen Ummantelung an deren unterem Theile angebracht ist. Ein
                              Ventilator zieht den Staub aus dieser Trommel heraus und bläst ihn in einen Raum, wo
                              er nicht belästigt, sondern sich absetzt.
                           Nachdem in Folge dieser Behandlung die Lumpen vom Schmutz befreit sind, wird die
                              Trommel geöffnet, die Lumpen werden herausgenommen, in kleine Stücke zerschnitten
                              und gleich nach den Hauptfarben zusammengeworfen. Bei diesem Zerschneiden werden die
                              sich vorfindenden Nähte noch ganz besonders herausgetrennt und dafür gesorgt, daß
                              keine baumwollenen, leinenen oder seidenen Stoffe daran bleiben.
                           Nächstdem werden die jetzt rein wollenen Lumpen nochmals in die Putztrommel genommen
                              und nachdem dieß geschehen, einem noch genaueren Sortiren unterworfen. Je
                              sorgfältiger beim Sortiren die Farben und Wollfeinheiten auseinander gehalten
                              werden, um desto besser wird die daraus gemachte Kunstwolle. Das Ergebniß beim
                              Sortiren ist außerordentlich verschieden je nach der Gegend und der Tracht des
                              Landes, wo die Lumpen gesammelt wurden. In großen Städten gesammelte Lumpen fallen
                              z.B. besser aus als solche aus kleinen Orten oder aus Gegenden, wo die
                              Kleidungsstücke mehr abgetragen oder weniger geschont werden. So liefern auch die
                              Lumpen, welche von Abfällen aus Schneiderwerkstätten herstammen, eine bessere Waare
                              als solche von abgetragenen Kleidern, bei denen durch Schmutz die Farbe zum Theil
                              zerstört und der Stoff oft ganz mürbe wurde. Die Papierfabriken liefern die für sie
                              unbrauchbaren
                              wollenen Lumpen an die Kunstwollfabriken und erhalten von diesen dagegen die
                              leinenen und baumwollenen Abfälle zurück.Was die Leinenabfälle betrifft so ist man jetzt in England damit beschäftigt,
                                    diese auch wieder zu einem spinnbaren Stoff, gleichsam in ein Kunstleinen zu
                                    verwandeln. Es werden nämlich mit Hülfe geeigneter Maschinen und besonderer
                                    Behandlung die starken Leinenhadern, alte Seile u.s.w. derart aufgelöst, daß
                                    die ursprüngliche Flachsfaser, welche getragen, gewaschen und zerzupft eine
                                    Länge und Feinheit wie das Baumwollenhaar besitzt, sich auf Maschinen kämmen
                                    läßt und so einen Faserstoff liefert, aus dem sich das feinste Leinengarn
                                    spinnen läßt. Auch die Seidenlumpen wurden aufgelöst, in den Handel gebracht
                                    und von Pariser Handelshäusern sehr viel gekauft. Man spinnt eine Art
                                    Seidengarn daraus.
                              
                           Für die Wollenlumpen gibt es bereits bedeutende Sortirungsanstalten, z.B. in Köln,
                              Berlin, Leipzig, Naumburg u.s.w., welche den Kunstwollfabriken große sortirte Massen
                              liefern. Die Sortirung der Tuchlumpen ist heiklicher als die der gestrickten Lumpen
                              (Strumpfzeug). Aus ersteren wird ein sehr kurzhaariger Stoff, die sogenannte Mungo,
                              aus letzteren aber eine Faser von längerem Stapel, Shoddy, gewonnen. Es geben
                              erfahrungsmäßig 100 Pfd. Tuchlumpen, wie sie eben von Sammlern, nicht von
                              Sortiranstalten, in den Handel kommen, etwa 30 Pfund Abfälle an Leder, Knochen
                              u.s.w., und diese werden in der Regel vertragsmäßig den Sammlern zu anderweitiger
                              Verwendung zurückgegeben. Die so übrig bleibenden rohen Tuchlumpen liefern
                              schließlich 50 Proc. fertige Mungowollen, nachdem sie, nach Maaßgabe ihrer Art und
                              Feinheit, 4 bis 10 Proc. Olivenöl vor ihrer Zerfaserung auf den Maschinen zugesetzt
                              erhalten haben.
                           Unter den Wolllumpen spielen die aus nicht gewalkten
                              Stoffen als die besten die Hauptrolle. Es sind die aus gestrickten Strümpfen,
                              Camisolen, leichten Flanellen u.s.w., welche den sehr geschätzten Rohstoff, die
                              sogenannte Shoddywolle, liefern. Diese Lumpen werden meistens, nachdem sie aus der
                              Putztrommel herauskommen, vor dem Schneiden und Sortiren gewaschen, was vermittelst
                              Waschhämmer oder Spülmaschinen geschieht, wie solche in neuerer Zeit mit großem
                              Vortheil zum Waschen von Naturwollen angewendet und von vielen deutschen
                              Maschinenfabriken in ganz vorzüglicher Beschaffenheit geliefert werden. Aus diesen
                              Waschmaschinen kommen die Strumpflumpen zunächst in die Schleuder- oder
                              Ausschwingmaschine (Centrifugaltrockenmaschine) und werden dann entweder langsam
                              getrocknet, wozu man mehrere sehr zweckmäßige Vorrichtungen und Veranstaltungen
                              besitzt, oder auch sofort auf den Reißwolf genommen. 100 Pfund gewöhnliche käufliche
                              Strumpflumpen ergeben im Durchschnitt 40 bis 50 Pfund fertig sortirte, sogenannte
                              maschinenfertige
                              Lumpen, und der Abgang
                              besteht aus beiläufig 27 bis 30 Pfd. fremdartiger Körper und Nähten, worunter 15 bis
                              18 Pfd. schlechter Abgang, der sich auf der Putzmaschine ergibt, doch noch einen
                              werthvollen Dünger liefert. 5 bis 7 Pfund kann man als Staub annehmen, der sich
                              nicht wieder gewinnen läßt.Der kurzhaarige Abfall, der durch das Wolfen auf dem Reißer entsteht, ist
                                    gleich den Scherhaaren aus Tuchfabriken, namentlich für Tapetenfabriken,
                                    noch anzuwenden. Versuche hierin hat der Färbermeister Wünsche, jetzt bei Gebrüder Hartmann in
                                    Eßlingen (Württ.) gemacht. Solche sind ganz vorzüglich ausgefallen. Die
                                    Farben jener Abfälle sind so schön und feurig, daß sie denen der Pariser
                                    Tapetenwollen gleichstehen.
                              
                           Die Herstellung der Kunstwolle aus den maschinenfertigen Lumpen geschieht mit Hülfe
                              einer einfachen Maschine, einer Art Reißwolf, welcher in seinen Hauptbestandtheilen
                              dem gewöhnlichen Reißwolf, wie er zur Vorbereitung der Naturschafwolle augewendet
                              wird, ähnlich ist. Die Trommel von 19 Zoll ganzer Breite ist auf 15 Zoll Breite mit
                              Stahlzähnen von 1 Zoll Länge dicht besetzt, und diese müssen so gestellt seyn, daß
                              sie zwar jeden Theil der durch ein Paar Cylinder zugeführten Lumpen treffen, dabei
                              aber die Wollfasern so wenig wie möglich zerreißen, sondern nur öffnen, freimachen,
                              freilegen. In der richtigen Stellung der Nadelzähne liegt die Hauptbedingung zur
                              Erzeugung einer guten und langen Kunstwolle. Die Stellung und dichte Besetzung
                              dieser Nadeln der Trommel ist verschieden je nach dem Stoff, welcher verarbeitet
                              wird, indem begreiflicherweise z.B. ein lockerer Strumpf sich schneller öffnet, als
                              ein Stück festgewalktes Tuch.
                           Außer der richtigen Stellung oder Setzung der Nadeln ist die angemessene
                              Geschwindigkeit, mit welcher sich die Trommel dreht, und die Zuführung der Lumpen
                              gegen die Trommel eine Hauptsache. Diese Zuführung geschieht in der Regel durch
                              einen geriffelten Cylinder, auf dem ein anderer Cylinder liegt, welcher mit solchen
                              Lumpen umwickelt ist, wie verarbeitet werden. Die aufzulösenden Lumpen müssen sich
                              an diesen Obercylinder dicht anlegen, so daß die Zähne der Trommel bei ihrem
                              Eingriff keinen harten, sondern einen möglichst weichen Angriff finden. Diese
                              Oberwalze muß gleichsam ein weiches Polster bilden.
                           Ein solcher Reißwolf verarbeitet in 12 Stunden, bei einer Geschwindigkeit von 550 bis
                              600 Umdrehungen der Trommel in der Minute, 6 Centner Shoddy, und bei 650 bis 750
                              Drehungen 3 Centner Mungokunstwolle.
                           Die Mungokunstwolle wird von dem Reißwolf weg in Ballen verpackt und versendet,
                              wogegen die Shoddykunstwolle noch einer weiteren Behandlung auf einer
                              gewöhnlichen Reißkrempel unterliegt. Spinnereien thun jedoch besser, die
                              Shoddywollen gleich vom Reißwolf weg ohne vorgängige Krempelung zu kaufen, mit
                              Naturschafwolle zu mischen und dann wie gewöhnlich zu krempeln und zu
                              verspinnen.
                           Das Krempeln der kurzen Mungowolle zumal, nachdem sie vom Reißwolf kommt, und ehe und bevor sie mit
                              Naturwolle gemischt worden ist, muß als sehr nachtheilig und mit großem Verlust
                              verbunden erklärt werden. Des besseren Aussehens wegen und weil das spätere Krempeln
                              erleichtert wird, ziehen aber viele Käufer es doch vor, die Shoddywollen gekrempelt
                              zu beziehen. Besser thäte man aber, wie schon oben bemerkt, dieß nicht zu thun, weil
                              sie vom Reißwolf weg bezogen eine kräftigere Beschaffenheit haben und der Käufer
                              auch an Masse spart. Vor dem Verarbeiten auf dem Reißwolf müssen die Lumpen, je nach
                              Befinden, 4 bis 10 Procent Olivenöl erhalten. Beim Wolfen ist noch darauf zu sehen,
                              daß man die Wolle frei von Stücken erhält. Andererseits gilt sie einen geringeren
                              Preis. Es gibt Einrichtungen an den Maschinen, durch deren Wirkung jene Stücke
                              entfernt werden und solche stückfreie Kunstwollen sind sehr gesucht.
                           Während in England die Kunstwollenfabrication seit längerer Zeit, namentlich in der
                              Umgegend von Leeds und Huddersfield, in großem Maaßstabe betrieben wird, hat
                              dieselbe in Deutschland bis jetzt noch eine große Ausdehnung nicht erlangt. Nach
                              unserer Quelle bestehen in Deutschland 16 Firmen, die etwa 40,000 Centner jährlich
                              fertig machen. In Frankreich dagegen hat die Kunstwollenfabrication auch bereits
                              eine große Ausdehnung erlangt und man hat daselbst ganz besonderen Fleiß auf die
                              Vervollkommnung des Productes verwendet. Auch Dänemark liefert Kunstwollen und dieß
                              in einer Beschaffenheit, wie sie anderswo nicht vorhanden ist. Der Rohstoff für
                              dieselben stammt nämlich größtentheils aus Tuchen her, welche die Bauern aus
                              selbstgesponnenen Garnen selbst weben. In Oesterreich erweitert sich die
                              Kunstwollenfabrication seit circa drei Jahren, wo die
                              Ausfuhr der wollenen Lumpen verboten ward. Oesterreich liefert andere Lumpensorten
                              als Deutschland, und sie geben, zu Kunstwollen verwendet, in der Regel 50 Proc. mehr
                              Nutzen wie diese. Nach England werden aus Frankreich, Dänemark wie Deutschland viel
                              Kunstwollen eingeführt, und dort bestehen Märkte und große Lagerplätze für
                              Kunstwollen, wie hier zu Lande für Schafwollen.
                           Nimmt man an, daß 5/4 Pfund der Kunstwolle 4/4 Naturwolle ersetzt, so entspringt aus
                              40,000 Centnern eine Ersparniß von 30,000 Cntr. Schafwolle, gleich einem Werthe von
                              etwa 1 1/2 Million Thalern, die Deutschland sich zugutmacht. Jedenfalls aber wird
                              die Fabrication, nicht minder die Verwendung von Kunstwollen in deutschen Fabriken noch zunehmen.
                              Allerdings hat der deutsche Tuchfabrikant und mit ihm der deutsche Verbraucher auch
                              ein großes Vorurtheil gegen die Kunstwolle, und nur im Schwarzwald und Thüringen
                              findet dieselbe ziemlich starke Verwendung. Man fertigt daraus wohlfeile Strümpfe
                              und Jacken. Auch in Sachsen, wie in den preußischen Tuchfabriken, ist die Verwendung
                              derselben bis jetzt nur langsam erfolgt. Dagegen verarbeitet Reichenberg in Böhmen
                              schon große Mengen, namentlich zu Teppichen, wozu starke
                                 Gespinnste genommen werden. Für starke Gespinnste und folgerecht auch für
                              starke Zeuge ist überhaupt die Shoddykunstwolle besonders gut zu verwenden. Im
                              Taunusgebirge, wo ganz vorzügliche Flanelle gefertigt werden, verwendet man auch
                              sehr viel Kunstwolle zu diesen. Das Haus Wittekind u. Comp. in Frankfurt a. M., welches mit gestrickten
                              Wollenwaaren ein bedeutendes Ausfuhrgeschäft betreibt, verwendet viel Kunstwolle,
                              und die Spinnerei dieses Hauses (Alexander Scheidler,
                              Eigenthümer) steht auf einer hohen Stufe der Vollkommenheit, versteht auch die
                              Kunstwolle mit Naturwolle, Kämmlingen, wie auch mit aufgelösten Fäden (Abgang aus
                              der Spinnerei) vortheilhaft zu vermischen.
                           Die Preise der Kunstwollen sind sehr verschieden, je nach Beschaffenheit und Farbe,
                              die weißen werden am höchsten bezahlt. Augenblicklich mögen jedoch die Preise sehr
                              gedrückt seyn. Im verflossenen Jahr jedoch wurde Mungo in verschiedenen Farben mit
                              12 bis 24 Thaler pro Cntr., weiß mit 30 Thaler,
                              Shoddywolle, bunt mit 10 Thaler aufwärts bis 28 Thaler und selbst mit 32 Thaler
                              bezahlt; letzterer Preis nämlich für schöne blaue und lila Farben, wie man sie in
                              Thüringen (Apolda) zu feinen Strumpfwaaren verwendet. Die Rohstoffe dazu werden
                              besonders ausgewählt, nämlich solche genommen, wo die Wolle für das Gespinnst früher
                              gekrempelt war. Die Abstammung des Gespinnstes, ob es nämlich Streich-,
                              Kamm- oder Cardegarn war, woraus der Stoff gewebt wurde, bildet deßhalb bei
                              der Sortirung des Rohstoffs eine ganz besondere Berücksichtigung, und es gehört
                              daher viele Kenntniß und wenig Ekel zu diesem Geschäft. Bei weißen gestrickten
                              Lumpen wendet man, um diese schön hellweiß zu erhalten, oft auch ein Bleichverfahren
                              mit schwefliger Säure an.
                           Außer Mungo und Shoddy gibt es noch mehrere Sorten Kunstwollen, z.B. aus Flanelle,
                              Merinos, Serge u.s.w. Die Franzosen trennen die Hauptsorten in Gros, Tricots und Couvertures, in drap fin, Merino. Eine
                              Zwischensorte nennen sie Stoffs.
                           Was die Verwendung der Kunstwollen überhaupt betrifft, so wird eine große Ersparniß
                              für den Fabrikanten dadurch ermöglicht, daß er dieselbe, wenn auch nur in wenigen
                              Procenten, unter die Naturwolle mischt. Der englische Tuchfabrikant z.B. mischt für
                              schwere Militärtuche, selbst für ächt Küpenblau, nicht unter 40 Proc. Kunstwolle der
                              Naturwolle bei.