| Titel: | Ueber den Weizen und das Weizenbrod; von Hrn. Mège-Mouriès. | 
| Fundstelle: | Band 156, Jahrgang 1860, Nr. LXIV., S. 231 | 
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                        LXIV.
                        Ueber den Weizen und das Weizenbrod; von Hrn.
                           Mège-Mouriès.
                        Aus den Comptes rendus, März 1860, Nr.
                              10.
                        Mit einer Abbildung auf Tab. III.
                        Mège-Mouriès, über den Weizen und das
                           Weizenbrod.
                        
                     
                        
                           Ich überreiche hiemit der (französischen) Akademie der Wissenschaften den Abschluß
                              meiner Untersuchungen über den Weizen, dessen Mehl und die Brodbereitung mit
                              demselben.Man s. polytechn Journal Bd CXLIV S.
                                       209 und 373, Bd. CXLVIII S. 2. 0, und Bd. CLV S. 310.
                              
                           Nach meinen im Jahre 1853 begonnenen und 1857 beendeten Studien schien es möglich
                              Verfahrungsarten, welche durch wissenschaftliche Anwendung der Hefe angenehmeres,
                              wohlfeileres und nahrhafteres Brod, als wie das gewöhnliche liefern, allgemein
                              gebräuchlich zu machen. Die einsichtslose Praxis war unglücklicher Weise blind
                              genug, solches Brod, trotz seiner größern Güte und Wohlfeilheit zurückzuweisen. Ich
                              mußte daher zum Sauerteig zurückkehren und von Neuem Untersuchungen beginnen, welche
                              die Genauigkeit meiner vorhergehenden Arbeiten bestätigten und neue wichtige
                              Thatsachen hinzufügen.
                           Ich theile im Folgenden die Hauptresultate mit, der Deutlichkeit halber mit einer
                              Abbildung, Fig.
                                 38, welche in sehr vergrößertem Maaßstabe den Durchschnitt eines
                              Weizenkorns zeigt.
                           Nummer 1 und 2 der Figur stellt die Epidermis vor; Nr. 3 das Epicarpium; Nr. 4 das
                              Endocarpium. Diese drei trägen, zarten Umhüllungen machen drei Procent des Weizens
                              aus, und lassen sich leicht abschälen.
                           Nr. 5 ist die Testa des Kornes, je nach der Weizenvarietät mehr oder weniger
                              orangegelb gefärbt.
                           Nr. 6 ist die Embryo-Membrane, über die ihr angränzenden Theile ausgebreitet,
                              um das Dazwischenliegende besser hervortreten zu lassen; die Nummern 2, 3, 4, 5 und
                              6 bilden, mehr oder weniger mit Mehl gemengt, die Kleie und den Abfall.
                           Die Nummern 7, 8 und 9 bezeichnen die mehlige Masse; am
                              Ende derselben befindet sich der Embryo, Nr. 10 in der Figur. Das Innere dieser
                              Masse ist zart; sie gibt 50 Procent Blumenmehl, welches zwar das Weißeste aber am
                              wenigsten nahrhafte ist; 100 Theile von diesem Mehle liefern 128 Theile Brod. Der Theil Nr. 8,
                              welcher den Theil Nr. 9 umschließt, ist härter; er gibt die weiße Grütze, welche
                              wiedergemahlen und mit dem erstem vereinigt, das Mehl für das gewöhnliche weiße Brod
                              liefert; 100 Th. Mehl von dieser Grütze allein geben 136 Brod. Der Theil Nr. 7,
                              welcher Nr. 8 umgibt, liefert 8 Proc. Grütze, welche noch härter und nahrhafter ist;
                              da diese aber auf der Mühle mit einer geringen Menge Kleie vermengt wird, so stellt
                              man aus dieser Grütze nur ein schwarzes (graues) Mehl und Schwarzbrod her: 100
                              Theile dieses Mehls, von der Kleie befreit, geben 140 Theile Brod. Der auswendige
                              Theil, welcher nach Nr. 7 kommt, behält eine größere Menge Kleie und wird daher mit
                              den Abfällen beseitigt.
                           Man ersieht hieraus, daß gerade der beste Theil des Kornes nicht zur Nahrung des
                              Menschen verwendet wird, und daß man zu Schwarzbrod Mehl sehr guter Qualität
                              verwendet, während man das Brod erster Qualität aus dem am wenigsten nahrhaften
                              Theil bereitet.
                           Die Membrane Nr. 6 spielt eine der wichtigsten Rollen beim Keimen und in der
                              Ernährung; sie erzeugt durch die Zersetzung eines Theiles des Mehles während der
                              Brodbereitung das Schwarzbrod, und ist die Ursache daß 100 Th. Weizen nur 70 Th.
                              Mehl für Weißbrod geben.
                           Diese MembraneEinige Zellen dieser Membrane wurden im Jahre 1837 von Payen und im Jahre 1857 vou Trècul beschrieben. Seitdem ist es mir gelungen, durch
                                    chemische und mikroskopische Untersuchungen, bei welchen ich durch die
                                    Mithülfe des Hrn. Berscht unterstützt wurde, die
                                    wahre Natur und Wirkung dieser Membrane zu bestimmen. geht von jeder Seite des Embryo aus, als eine Verlängerung welche die
                              mehlige Masse umschließt; sie gehört zu jener Classe von Stoffen mit organischer
                              Structur, welche, mit einer Art Leben begabt, die Bewegung und Umwandlung der Körper
                              veranlassen, welche zur Entwickelung der Pflanze bestimmt sind.
                           Eine Eigenschaft derselben, welche Anwendungen gestattet, ist folgende: Taucht man
                              ein Weizenkorn in Wasser, so durchdringt letzteres dasselbe in einigen Stunden
                              vollständig; sind aber im Wasser verschiedene Salze, z.B. Kochsalz gelöst, so werden
                              die Hüllen 2, 3, 4 und 5 unmittelbar vom Wasser durchdrungen, während die Membrane
                              Nr. 6 das weitere Vordringen desselben verhindert. Mehrere Tage kann man so die
                              Körner, auch wenn sie ganz von Wasser umgeben sind, im Innern trocken und spröde
                              erhalten. Nur diese Membrane bewirkt diese Erscheinung; denn wenn nach einigen Tagen
                              das Wasser weiter vorgedrungen ist, so geschah dieß durch den Theil des Embryo Nr.
                              10, welcher frei von diesem Gewebe ist. Nimmt man nämlich die Hüllen Nr. 2, 3, 4 und
                              5 fort, so ist der Widerstand gegen das Wasser derselbe; und entfernt man endlich diese Membrane, so
                              durchdringt die Flüssigkeit augenblicklich das ganze Korn.
                           Das Zellgewebe dieser Membrane enthält das Cerealin etc., es ist weiß und enthält
                              weder Kleber noch Stärkmehl; durch vollständiges Abwaschen isolirt, zerlegt es das
                              Stärkmehl und macht den Kleber flüssig; dieß ist der Grund, warum der Teig seine
                              Elasticität verliert, sobald man ihn mit Mehl, welches diese Zellensubstanz enthält,
                              mischt. Zink-, Blei-, Quecksilber- und Kupfersalze heben deren
                              Wirkung schnell auf, der Alaun und die Alkalien schwächen dieselbe. Dieß erklärt uns
                              die verwerfliche Anwendung der Alkalien, Kupfersalze und des Alauns, um die
                              Brodbereitung mit schwarzem Mehle zu erleichtern.
                           Bei einer niedrigen Temperatur ist ihre Wirkung langsam; bei 0 Grad verschwindet sie
                              ganz; aber bei 35 bis 40º C. ist sie sehr lebhaft: bekanntlich verliert der
                              Teig schnell seine Consistenz, wenn man zu warmes Wasser zusetzt. Bei 100º C.
                              bleibt diese Zellsubstanz noch, wie die Hefe, kräftig genug um die Umwandlung des
                              Stärkmehls zu bewirken; hierin unterscheidet sie sich von der Diastase, welche ihre
                              Wirkung bei 90º, und vom Cerealin, welches sie schon bei 70º C.
                              verliert. Diese Thatsache erklärt uns, warum die im Teige begonnenen Zersetzungen
                              während des Backens fortdauern, so zwar daß derselbe Teig Brode von ganz
                              verschiedener Färbung gibt, je nachdem diese Brode mehr oder weniger groß und
                              schneller oder langsamer gebacken sind.
                           Dieses Verhalten in der Wärme erklärt uns auch eine Thatsache, welche ich im Jahre
                              1853 der Akademie mitgetheilt habe, nämlich das Aufschwellen des Weißbrodes, und das
                              Flüssigwerden des mit Kleie gemengten Brodes, im Wasser von 40º C. und im
                              Magen der Thiere. Dr. Lallemant hat mit andern Gelehrten
                              festgestellt, daß das gewöhnliche Weißbrod sich im menschlichen Magen stark aufbläht
                              und nur langsam von demselben: verdaut wird. In der That bildet bei den meisten
                              Säugethieren dieses Brod zähe Massen, welche nur schwierig den Pförtner passiren,
                              während aus dem Brod, welches die Membrane Nr. 6 enthält, ein halbflüssiger Brei
                              entsteht. Diese Thatsache ist wichtig, denn im ersten Falle sterben die Thiere aus
                              Mangel an Nahrung, im zweiten bleiben sie am Leben.
                           Ein so außerordentliches Resultat läßt sich nicht durch die chemischen Kräfte
                              erklären; dieses mit Leben begabte Gewebe bringt Wirkungen hervor, welche die
                              Gränzen unserer Erkenntniß überschreiten. Man wird in der That wahrscheinlich
                              niemals ergründen, warum unter dieser Membrane die mehlige Masse durch die Keimung
                              zu einem ziemlich hellen Saft wird, welcher durch die feinsten Organe
                              hindurchgehend, die junge Pflanze ernährt; man wird auch niemals den Mechanismus begreifen, welcher ihr
                              gestattet die dem Wachsthum nützlichen Salze aufzunehmen oder die demselben
                              schädlichen zurückzulassen, und eben so wenig wird man ihre Wirkungen bei der
                              Verdauung erklären können. Erwiesen aber ist, daß sie auf das Gehirn einen schnell
                              sich verbreitenden Reiz hervorbringt, daß sie eine eigentümliche Frische auf dem
                              Verdauungscanal erzeugt und eine reichlichere Speichelabsonderung bewirkt etc. Man
                              kann ferner erweisen, daß ohne sie das Mehl die Körnerfresser tödtet und daß mit ihr
                              die Thiere vollkommen leben; man kann endlich nachweisen, daß Säugethiere, welche
                              gänzlich auf Ernährung durch Brod angewiesen sind, nach Verlauf von 50 Tagen
                              sterben, wenn das Brod nicht diese Membrane enthält, befindet sich aber letztere in
                              demselben, so leben sie weit über diese Zeit hinaus. Nach diesen Thatsachen muß man
                              wohl mit den meisten Aerzten dem gewöhnlichen Weißbrode einen nachtheiligen Einfluß
                              auf die Gesundheit zuschreiben, weil es schwierig assimilirbar ist und daher eine
                              langsame und unregelmäßige Verdauung veranlaßt; ferner daß das Schwarzbrod zu
                              verwerfen ist, weil in ihm ein Theil der Nährstoffe schon zersetzt ist. Wir müssen
                              daher dasjenige Brod als normales anerkennen, welches, ohne darum Schwarzbrod zu
                              werden, alle assimilirbaren und assimilirenden Substanzen des Kornes enthält, d.h.
                              das ganze Korn, nach Abzug von beiläufig 8 Procent träger Hüllen. Der Mahlproceß
                              gestattet uns freilich noch nicht diese Vollkommenheit zu erreichen, aber wir können
                              den gewöhnlichen Abgang von 30 Procent des Weizens auf 16 und darunter vermindern.
                              Die Mittel, deren ich mich hiezu bediene, habe ich früher beschrieben; ich bemerke
                              nur noch, daß ich zur Bereitung des Weißbrods, um die Praxis zu erleichtern, das in
                              Frankreich allgemein gebräuchliche Mehl erster Sorte verwende, von welchem 100
                              Theile Weizen 70 Th. liefern. Diesen 70 Th. Mehl setzt man für das neue Brod 8 Th.
                              weißer Grütze und 5 Th. schwarzer Grütze zu, was mit 1 Th. Verlust 16 Th.
                              ausgeschiedene Kleie ergibt. Ich wende nun zweierlei Verfahrungsarten an: in den
                              Ländern wo das Vorurtheil ein sehr weißes Brod verlangt, sondert man durch das nasse
                              Sieben die in der schwarzen Grütze enthaltenen Kleietheilchen ab; an den Orten
                              hingegen, wo man die weiße Farbe des Brodes weniger zu berücksichtigen pflegt, läßt
                              man diese Kleietheilchen in der schwarzen Grütze und erhält dann ein Brod, welches
                              zwar etwas gelber als ersteres ist, aber einen angenehmeren Geschmack hat. Dieses
                              letztere Brod, welches durch seine Eigenschaften der natürlichen Constitution des
                              Korns am nächsten kommt, dürfte in Zukunft in den Städten in Gebrauch kommen, weil
                              es nahrhafter und wohlfeiler als das bisherige Weißbrod ist.
                           
                           Von dem nahrhafteren Brode, welches die neuen Verfahrungsarten liefern, erhält man
                              eine um 3 bis 4 Procent größere Ausbeute, weil man die Zersetzung eines Theiles des
                              Mehls in Milchsäure, ammoniakalische Producte etc. vermeidet. Indem man bei dem
                              neuen Verfahren sämmtliches Schwarzmehl und die ersten Kleien als Mehl erster Sorte
                              verwerthet, erhöht sich überdieß die Menge des zur Bereitung von Weißbrod
                              verwendbaren Mehles um 8 bis 9 Procent.
                           Diese Resultate erschienen mir so wichtig, daß ich keine Opfer scheute, um die
                              praktische Anwendbarkeit der neuen Verfahrungsarten nachzuweisen. Dazu benutzte ich
                              eine Mühle und eine Bäckerei, welche täglich über 2000 Kilogr. Weizen zu Brod
                              verarbeiten, und jetzt wird das neue Brod nicht nur von den gewöhnlichen
                              Consumenten, sondern auch von Anstalten wie die polytechnische Schule, die
                              Normalschule etc. als Brod erster Sorte gekauft. Ich gebe daher die Hoffnung nicht
                              auf, daß dereinst das Schwarzbrod verschwinden und dem Publicum ein Weißbrod
                              geliefert werden wird, welches nahrhafter und überdieß wohlfeiler als das bisherige
                              ist.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
