| Titel: | Beiträge zur Gährungschemie; von E. Friedr. Anthon, technischer Chemiker in Prag. | 
| Autor: | Ernst Friedrich Anthon [GND] | 
| Fundstelle: | Band 157, Jahrgang 1860, Nr. LXXIV., S. 298 | 
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                        LXXIV.
                        Beiträge zur Gährungschemie; von E. Friedr. Anthon, technischer
                           Chemiker in Prag.
                        (Schluß von S.
                              218 des vorhergehenden Heftes.)
                        Anthon, Beiträge zur Gährungschemie.
                        
                     
                        
                           III. Ueber die Gerüche des
                                 Weins.
                           Die Ansichten über die Gerüche der Weine sind immer noch so divergirend daß es höchst
                              wünschenswerth erscheint, endlich zu einer richtigen Ansicht in dieser Sache zu
                              gelangen, da auf den technischen Fortschritt in den auf chemischen Principien
                              beruhenden Gewerben nichts vortheilhafter einzuwirken im Stande ist, als eine
                              richtige Vorstellung von den Vorgängen auf denen ihre Ausübung beruht. Ich sehe mich
                              daher denn auch veranlaßt, meine Ansichten über den Gegenstand hier mitzutheilen,
                              hoffend daß dieselben einiges zum Aufklären desselben beitragen werden, da sie nicht
                              Folge müßiger Speculationen, sondern das Resultat von weit über tausend, mit allen
                              Obstarten vorgenommenen Gährungsversuchen sind.
                           Die Gerüche des Weines sind vor Allem zu trennen, in allgemeine und besondere. Die
                              allgemeinen Gerüche sind, wie schon der Name andeutet, jene, welche einer geistigen
                              Flüssigkeit die wesentlichsten derjenigen Eigenschaften ertheilen, die ein Getränk
                              als Wein erscheinen lassen. Auf diese werden sich jedoch meine dießmaligen
                              Mittheilungen nicht erstrecken, sondern bloß auf die besonderen Gerüche des
                              Weins.
                           Diese zerfallen ihrerseits nun wieder in zwei Hauptgruppen, nämlich:
                           a) in jene Gerüche welche ihren Grund in Stoffen haben,
                              welche bereits gebildet (als Riechstoffe) in den Trauben und anderen Obstarten
                              enthalten sind, z.B. in den verschiedenen Sorten der Muskattrauben, und in noch
                              höherem Grade in der Isabellatraube, der Himbeere u.s.w.;
                           und b) in solche Gerüche welche erst in Folge dessen
                              auftreten, daß sich während der Gährung riechende Stoffe überhaupt, oder Stoffe
                              bilden, welche einen andern Geruch haben, als ihn das angewendete Obst besaß.
                           Die Gerüche der ersteren Art bedingen das Wesen der aromatischen Weine, – die
                              der letzteren Art aber jenes der Bouquetweine.
                           Beide Arten von Gerüchen sind aber keine wesentlichen Eigenschaften des Weins,
                              sondern nur den Weinen mancher Obstgattungen oder einzelner Species derselben, oder
                              diesen gar nur unter ganz besonderen örtlichen und klimatischen Verhältnissen eigen,
                              während die allgemeinen Gerüche eine wesentliche Eigenschaft sind, und Getränke
                              denen solche abgehen nicht als Wein angesprochen werden können. Die Säfte aller
                              Obstsorten entwickeln bei der geistigen Gährung allgemeinen Weingeruch.
                           Diejenigen Stoffe, welche zur Bildung der Aroma-Weine Veranlassung geben,
                              entwickeln sich immer mehr, je reifer die Traube (oder anderes Obst) wird, und steht
                              die Zunahme der Menge derselben in demselben Verhältniß zum Reifeproceß, wie der
                              Zucker. In den meisten Fällen sind sie ihrer chemischen Natur nach ätherische Oele,
                              während jene Stoffe welche man als die bouquetentwickelnden anzusprechen hat, in dem
                              unreifen Obste häufig in größerem Verhältnisse enthalten sind als in den reifen
                              Trauben, und in den so mannichfaltigen organischen Säuren bestehen, die theils schon
                              in den Obstsäften enthalten sind, theils erst bei der geistigen Gährung gebildet
                              werden, und zur mannichfaltigsten Bildung der verschiedensten Aetherarten
                              Veranlassung gaben.
                           In ihrer Wirkung sind dieselben außerordentlich verschieden; manche kommen erst dann
                              in Thätigkeit, nachdem sich bereits eine verhältnißmäßig große Menge Alkohol
                              gebildet hat, – andere vermögen bereits bei Gegenwart geringerer Mengen von
                              Alkohol Aether zu bilden, – aus welchem Grunde es denn auch kommt, daß man aus dem Moste
                              solcher Trauben, welche in der Regel Bouquetweine geben, in dem Fall einen
                              bouquetarmen oder gar bouquetlosen Wein erhält, wenn man den Most vor der Gährung
                              etwas verdünnt, während umgekehrt, man aus solchen Trauben (oder überhaupt
                              Obst-) Säften, deren Most für sich keinen Bouquetwein liefert, in den meisten
                              Fällen ebenfalls einen solchen dadurch zu erzielen vermag, daß man deren Most eine
                              bestimmte Menge Zucker zusetzt, in welchem Falle alsdann die bouquetentwickelnden
                              organischen Säuren zur Thätigkeit zu gelangen vermögen, weil mehr Alkohol gebildet
                              wird.
                           Nicht immer ist jedoch eine scharfe Grenze zwischen Aroma und Bouquetweinen zu
                              ziehen, da beide in mannichfaltiger Weise in einander übergehen, und vielen Weinen
                              die Eigenschaften beider zukommen. Als Beispiele für das Gesagte mögen hier einige
                              meiner Erfahrungen Platz greifen.
                           1) Die Weine aus der Muskat- und Isabellatraube, aus den Himbeeren u.s.w. sind
                              in der Regel Aroma-Weine, denen sich nur zuweilen in hervortretender Weise
                              Bouquet beigesellt. Besonders ist es aber der Himbeerenwein der als Repräsentant
                              dieser Classe anzusehen ist, denn derselbe behält den Geruch der frischen Beere bei.
                              Ich habe 15jährigen Himbeerenwein getrunken, der beim Oeffnen der Flasche den
                              durchdringendsten Geruch nach frischen Himbeeren verbreitete.
                           2) Ein interessantes Beispiel entgegengesetzter Art gibt in manchen Fällen der
                              Erdbeerenwein ab, denn obgleich das Aroma der Erdbeeren nicht minder stark, und
                              weniger durchdringend und charakterisirt ist, als das der Himbeeren, so liefert
                              dennoch die Erdbeere (wenigstens mehrere Arten derselben) keinen Aroma-
                              sondern Bouquetwein, denn das Aroma dieser Beere ist solcher Art daß es während der
                              Gährung ganz verändert wird, so daß man oft schon vor deren gänzlichen Beendigung
                              nichts mehr vom Erdbeerengeruch wahrzunehmen vermag, sondern denselben durch einen
                              andern Geruch ersetzt findet. Das Aroma der Beere ist hier verschwunden und Bouquet
                              hat sich dafür eingestellt.
                           3) Stachelbeeren liefern bouquetlose Weine, wenn der Zuckergehalt des Mostes weniger
                              als 20 Proc. beträgt; hatte man aber den Gehalt desselben auf beiläufig 25 Proc.
                              gebracht, so ist in den meisten Fällen bereits Bouquetentwickelung während der
                              Nachgährung wahrzunehmen, während dieses entschieden hervortretend zur Entwickelung
                              gelangt, wenn man den Most noch mehr verstärkt hat. Man würde sehr irren, wenn man
                              den in diesem Falle sich entwickelnden lieblichen Geruch bloß von dem in größerer
                              Menge gebildeten Alkohol als solchem ableiten wollte. Ein noch weit interessanteres
                              und viel deutlicher hervortretendes Beispiel bietet endlich
                           4) der Wein aus Amarellen dar, denn diese im unverletzten frischen Zustand ganz
                              geruchlose Frucht liefert auch selbst dann, wenn sie nicht ganz reif ist, einen im
                              höchsten Grade bouquetreichen und stark riechenden Wein.
                           
                        
                           IV. Die Schimmelsporen in der
                                 Atmosphäre, als Einleiter der Selbstgährung.
                           In Folge des bekannten alten Versuchs von Gay-Lussac verbreitete sich bald die Ansicht, daß beim Eintritt der
                              sogenannten Selbstgährung solcher Flüssigkeiten welche neben Zucker auch
                              hefenbildende Stoffe enthalten, diese Gährung nur durch die Wirkung des zutretenden
                              Sauerstoffs eingeleitet werde, – und diese Ansicht ist auch noch jetzt
                              ziemlich verbreitet. Gründliche Beobachter konnten jedoch von derselben nicht lange
                              befriedigt bleiben und man sah bald ein, daß hier noch eine andere Ursache mit ins
                              Spiel kommen müsse. Man erkannte diese denn auch in organischen Stoffen, welche in
                              der Atmosphäre schweben und die man, in Folge ihrer Wirkung die Gährung einzuleiten,
                              sich ganz allgemein als Fermentkeime vorstellte. In die Erforschung der eigentlichen
                              Natur dieser Keime ließ man sich jedoch meines Wissens bis jetzt noch nicht ein,
                              – wenn man nicht jene Ansicht als einen Beitrag hierzu ansehen will, nach
                              welcher diese Keime wirkliche Hefenzellen seyn sollen, welche von der aus gährenden
                              Flüssigkeiten sich entwickelnden Kohlensäure mechanisch mit fortgerissen, sich in
                              der Atmosphäre verbreiten; zu welcher Ansicht man dadurch gelangte, daß in solchen
                              Räumen, in welchen sich gährende Flüssigkeiten befinden, die Selbstgährung auch
                              leichter eintritt. Daß aber diese Erklärung nicht befriedigen kann, ja entschieden
                              unrichtig seyn muß, ist sehr leicht darzuthun. Vor allem ist zu bedenken, daß die
                              geistige Gährung kein so allgemein verbreiteter Proceß ist, daß er der Atmosphäre so
                              viel wirkliche Hefenzellen zuzuführen vermag, um dieser die Eigenschaft,
                              „die Selbstgährung einzuleiten,“ in dem Grade zu ertheilen,
                              wie sie dieselbe wirklich besitzt. Ferner erscheint es ganz undenkbar, daß aus
                              gährenden Flüssigkeiten, Hefenzellen weiter als auf die nächste Umgebung des
                              Gährgefäßes geführt werden können, weil nur in Folge der auf der Oberfläche der
                              gährenden Flüssigkeit platzenden Schaumblasen, kleine Tropfen der Flüssigkeit
                              (natürlich nebst den darin schwebenden Hefenzellen) über den Rand der Gährgefäße
                              geschleudert werden können, deren weitere Wirkung auf etwa vorhandene, noch nicht in
                              Gährung begriffene zuckerhaltige Flüssigkeiten, natürlich nicht mehr als
                              Selbstgährung anzusehen ist. Endlich können wirkliche Hefenzellen nicht als solche in der Atmosphäre
                              schwebend gedacht werden, weil in diesem Falle sich dieselben nicht nur sogleich
                              oxydiren würden, sondern außerdem auch in Folge des Austrocknens ihre Eigenschaft
                              die geistige Gährung einzuleiten sehr schnell verlieren müßten.
                           Es ist hiernach auch wohl genügend dargethan, daß es ganz unzulässig erscheint in der
                              Atmosphäre die Gegenwart wirklicher Hefensporen (Hefenzellen kleinster Art)
                              anzunehmen.
                           Gehen wir der Sache aber weiter auf den Grund, so werden wir zu der Ueberzeugung
                              geführt, daß die fraglichen Keime, welche unzweifelhaft in der Atmosphäre schweben,
                              und von denen die eigentlichen Selbstgährungen eingeleitet werden, nichts anderes
                              sind, als die Sporen (der Same) von verschiedenen Schimmelgattungen.
                           Von diesen Sporen ist bekannt, daß sie nicht nur unter den mannichfaltigsten
                              Umständen, sondern auch in ungeheurer Menge (ihrer Zahl nach) gebildet werden, daß
                              sie wegen ihrer Leichtigkeit, ihrer so außerordentlichen Kleinheit und staubartigen
                              Beschaffenheit, sich besonders leicht in der Atmosphäre überall hin verbreiten und
                              in ihr lange schwebend zu erhalten vermögen. Weiter ist von diesen Sporen bekannt,
                              daß sie eben so wie die Samen der höher organisirten Pflanzen, ihre Keimkraft durch
                              das Trocknen nicht nur nicht verlieren, sondern dieselbe dadurch nur um so länger
                              erhalten bleibt. In dieser Richtung bedarf diese Ansicht denn auch wohl keiner
                              weiteren Begründung. Dagegen erscheint es aber nothwendig nachzuweisen, daß die
                              Schimmelsporen wirklich die in Rede stehende Eigenschaft besitzen.
                           Viele von denen, welche sich mit der Bereitung der Weine (besonders der Beerenweine)
                              beschäftigt, werden aus eigener Erfahrung wissen, daß der Obstmaisch (das
                              zerquetschte Obst) zwei sehr verschiedenartige Veränderungen zu erleiden im Stande
                              ist. Läßt man denselben bei mäßigem Luftzutritt ruhig stehen, so wird man häufig
                              schon nach 48 Stunden auf der Oberfläche desselben eine Schimmelbildung wahrnehmen,
                              die immer mehr um sich greift, ohne daß sich geistige Gährung einstellt; –
                              der Obstmaisch verdirbt. – Wenn man aber den Maisch nicht ruhig stehen läßt,
                              sondern denselben zuweilen (etwa zweimal täglich) gut umrührt, so tritt keine
                              Schimmelbildung, dagegen aber geistige Gährung ein, je nach der im Sommer
                              obwaltenden Temperatur, in der Regel nach 36–48 Stunden. Ja noch mehr. Läßt
                              man die Schimmelbildung auf der Oberfläche des Maisches erst Platz greifen, und
                              beginnt erst dann mit dem Umrühren, so hört in den meisten Fällen jede weitere
                              Schimmelbildung auf, und es tritt dafür nicht nur geistige Gährung ein, sondern es
                              verschwindet bei dieser sogar der dumpfe widerliche Geruch, der sich mit der Schimmelbildung eingestellt
                              hatte – ein Geruch, der in anderen Fällen doch im höchsten Grade anderen
                              Stoffen anhaftet, wie z.B. dem dumpfigen Weine.
                           Die mitgetheilte Thatsache beweist also unwiderleglich, daß die Schimmel sporen,
                              welche von der Atmosphäre auf die Oberfläche des Obstmaisches ausgesäet werden, ganz
                              verschiedene Erscheinungen hervorzubringen im Stande sind, je nachdem man sie zwingt
                              in dieser oder jener Richtung hin ihre Lebensthätigkeit zu entfalten. Diese
                              Thätigkeit kann nun eine zweifache seyn, je nachdem man den Schimmelsporen
                              Gelegenheit gibt sich ganz ungestört zu entfalten, – oder je nachdem man
                              einen Theil der Bedingungen ausschließt, welche zur vollständigen Entwicklung ihrer Lebensthätigkeit nothwendig sind.
                           Findet nämlich die Schimmelspore einen passenden Boden (nebst den außerdem nöthigen
                              Bedingungen) vor, auf welchem sie ungestört und unter Zutritt
                                 der Luft zum Keimen und zur weiteren Entwickelung gelangt, so bildet sie
                              Wesen gleicher Art. Sie veranlaßt die Bildung ganzer Schimmelgenerationen. –
                              Stört man dagegen dieselben bei ihrer Entwickelung, und zwar mechanisch (z.B. durch
                              Umrühren) und schließt den unmittelbaren Zutritt der atmosphärischen Luft von ihr
                              aus, indem man sie in das Innere des Maisches oder jeder andern der Selbstgährung
                              fähigen Flüssigkeit bringt, so wird deren Lebensthätigkeit zwar nicht ganz
                              unterbrochen, aber sie vermag in diesem Zustand nicht mehr auf die Bildung neuer
                              Schimmelgeneration hinzuwirken, sondern ist nur im Stande, entweder selbst zur
                              Hefenzelle zu werden, oder die erste Bildung derselben, und auf diese Art denn auch
                              die Selbstgährung einzuleiten.
                           Die zur Lebensthätigkeit gelangte Schimmelspore gibt also zur Bildung neuer
                              Schimmelpflanzen Veranlassung wenn sie mit der Luft in Berührung ist, dagegen nur
                              zur Bildung von Hefenzellen bei Ausschluß der Luft, innerhalb zucker- und
                              stickstoffhaltiger Flüssigkeiten.
                           Umgekehrt scheint aber auch die Hefenzelle als Schimmelspore wirken zu können, wenn
                              sie durch die gährende Flüssigkeit oder durch eine Schicht Kohlensäure nicht mehr
                              von der atmosphärischen Luft getrennt ist, sondern in Folge günstiger Verhältnisse
                              bei Zutritt dieser ihre Lebensthätigkeit fortsetzt. Wenigstens spricht hiefür in
                              hohem Grade der Umstand, daß die Hefe so außerordentlich leicht Schimmelbildung
                              hervorzurufen vermag, wie dieses nur zu oft bei Ausübung der Gährungs-Gewerbe
                              wahrgenommen wird.
                           
                        
                           
                           V. Ueber die Wichtigkeit des reinen
                                 Traubenzuckers zur Weinbereitung.
                           Meine früher in diesem Journale gemachten Mittheilungen über die Beschaffenheit des
                              gewöhnlichen Traubenzuckers (des sogenannten Krümelzuckers) haben, – wie zu
                              erwarten war, – Widerspruch hervorgerufen. – Da nun Widerspruch das
                              beste Mittel ist, um die Wahrheit zu Tage zu fördern, so habe ich Folgendes zu
                              entgegnen.
                           Zuerst sprach ein rheinischer, sehr bedeutender und sehr geachteter
                              Traubenzuckerfabrikant sich brieflich über meine Mittheilungen aus, die er nicht für
                              ganz begründet hielt. Im Interesse der Wahrheit und der Industrie forderte ich
                              denselben sogleich in Folge dessen auf, mir Proben seines Fabricates einzusenden,
                              mit der Bemerkung dasselbe untersuchen und das Resultat öffentlich mittheilen zu
                              wollen, wenn dasselbe nicht mit meinen Angaben übereinstimme und zu Gunsten seines
                              Fabricates ausfalle. Es wurde aber meiner Aufforderung nicht entsprochen, –
                              gewiß nur deßwegen, – weil der fragliche Fabrikant sich von der Richtigkeit
                              meiner Angaben inzwischen überzeugt hat.
                           Ferner nennt Gall in seiner nun bereits vor einem Jahre
                              erschienenen Schrift ( „Neueste Vereinfachungen in der
                                 Weinvermehrung“ , Trier) die von mir gemachten bezüglichen
                              Mittheilungen eine Uebereilung und versprach dieselben bald zu widerlegen. Wer auch
                              das ist bis jetzt unterblieben, und kann ich daher Hrn. Dr. Gall auch nur dringend auffordern, doch ja
                              recht bald seinem Versprechen nachzukommen, und dadurch nachzuweisen, daß auch als
                              Krümelzucker ein reines, vollständig oder auch nur nahezu vollständig vergährbares
                              Product hergestellt werden kann, – welchen Nachweis ich sehr willkommen
                              heißen werde. So lange Hr. Dr. Gall den versprochenen Nachweis jedoch nicht liefert, muß
                              es dem Leser überlassen bleiben darüber zu entscheiden, wer den Vorwurf
                              „einer unverantwortlichen Uebereilung“ verdient, –
                              nämlich ob derjenige, der ohne Beweise oder gar nur ohne wissenschaftliche
                              Begründung über die Angaben eines Andern abspricht, – oder jener, der das
                              Resultat einer Untersuchung gründlich und unter genauer Angabe der Mittel und Wege,
                              durch und auf welchen er zu diesem Resultat gelangt ist, mitgetheilt hat.
                           Inzwischen will ich hier, der Wichtigkeit des Gegenstandes willen, der zwei
                              Industrieen zugleich berührt, neue Beobachtungen mittheilen, die ganz dazu geeignet
                              sind, meinen früheren Mittheilungen zur Bestätigung zu dienen, muß aber auch hier,
                              um jeder Mißdeutung vorzubeugen, hervorheben, daß ich bei diesen Mittheilungen
                              keineswegs den nach meinem System dargestellten „hart
                                 krystallisirten“ Traubenzucker, sondern nur reinen Traubenzucker überhaupt vor Augen habe, und bloß die Nothwendigkeit
                              im Allgemeinen nachzuweisen beabsichtige, einen reinen, völlig vergährbaren
                              Traubenzucker statt des gewöhnlichen Krümelzuckers in größeren Quantitäten in den
                              Handel zu bringen, als wie es bis jetzt geschehen, wobei es ganz einerlei ist, ob
                              man sich zur Darstellung des reinen Zuckers meines Verfahrens oder eines einfacheren
                              (namentlich des bloßen Deckens oder Centrifugirens) bedient, da bei der Anwendung
                              des Traubenzuckers zur Weinbereitung das äußere Ansehen des Zuckers aus dem Spiele
                              bleibt und wesentlich nur auf dessen Vergährbarkeit und reinen Geschmack Rücksicht
                              zu nehmen ist.
                           Zu den schon berührten neuen Beobachtungen zurückkehrend, habe ich zu bemerken, daß
                              dieselben bei einer im Herbste 1858 durchgeführten vergleichenden Versuchsreihe
                              gemacht worden sind. Diese Versuche waren folgende.
                           Eine größere Quantität mäßig stark ausgepreßter Trestern von Burgundertrauben, welche
                              den achttägigen Verlauf der Gährung in Naturmost mit durchgemacht hatten, wurde dem
                              Gewichte nach genau in zwei Hälften getheilt, und auf die eine derselben eine 25
                              procentige Lösung von reinem Traubenzucker, auf die andere aber in gleicher Menge
                              eine gleichstarke Lösung von sogenanntem Krümelzucker von weißer Farbe gegossen und
                              umgerührt, wodurch in beiden Fällen die Dichte der Zuckerlösung auf 22 Proc.
                              Saccharom. sank, in Folge einer Verdünnung durch den von den Trestern
                              zurückgehaltenen Jungwein. Beide Mischungen wurden nun unter sonst ganz gleichen
                              Umständen der Gährung unterworfen. Der Verlauf derselben ergibt sich aus folgender
                              Uebersicht:
                           
                              
                                 
                                 
                                    Dichte der gährenden
                                       Flüssigkeit
                                    
                                 
                              
                                 Datum.
                                 beim Krümelzucker
                                 beim reinen Traubenzucker.
                                 
                              
                                   2. November
                                    21 Proc. Sacchar.
                                         20,5 Proc.
                                    Sacchar.
                                 
                              
                                   3.      
                                    „
                                   
                                    20    „        
                                    „
                                         18      „        „
                                 
                              
                                   4.      
                                    „
                                   
                                    17    „        
                                    „
                                         15      „        „
                                 
                              
                                   5.      
                                    „
                                   
                                    15    „        
                                    „
                                         11      „        „
                                 
                              
                                   6.      
                                    „
                                   
                                    14    „        
                                    „
                                           8      „        „
                                 
                              
                                   7.      
                                    „
                                    12,5
                                    „        
                                    „
                                           4      „        „
                                 
                              
                                 10.      
                                    „
                                      9,5
                                    „        
                                    „
                                           1,5
                                    unter 0
                                 
                              
                                 12.      
                                    „
                                      9,5
                                    „        
                                    „
                                           1,5    „    „
                                 
                              
                                 16.      
                                    „
                                      9,5
                                    „        
                                    „
                                           1,5    „    „
                                 
                              
                           Das Resultat dieser beiden Versuche ist also so übereinstimmend mit meinen früheren
                              Beobachtungen und Mittheilungen, und so in die Augen springend, daß es überflüssig
                              erscheint, dasselbe weiter hervorzuheben.
                           
                           Was die Qualität der erzielten beiden Weine anbelangt, so wollte Niemand von dem
                              mittelst Krümelzucker dargestellten Weine etwas wissen, indem der Geschmack
                              desselben ein sehr unangenehmer war, während das Product vom reinen Zucker ein
                              ausgezeichnetes war.
                           Aus den Resultaten dieser Versuche ergibt sich hiernach auf das Deutlichste, daß
                              Traubenzucker zum Petiotisiren nur dann angewendet werden darf, wenn derselbe von
                              wirklich reiner Beschaffenheit und daher auch vollständig vergährbar ist, und daß es
                              selbst schon bedenklich erscheint, die Weißeste Sorte des gewöhnlichen Krümelzuckers
                              zum Gallisiren stark saurer Weine anzuwenden; – Resultate, welche uns auch
                              Antwort auf die Frage geben, warum denn die Franzosen immer noch so große Mengen
                              Rüben- und Rohrzucker bei der Weinbereitung statt des viel billigeren
                              Traubenzuckers anwenden?