| Titel: | Beitrag zu den Erfahrungen bei der Anlage und der Unterhaltung der Wasserleitungen mittelst Röhren; vom Ober-Ingenieur Kullmann in Marburg. | 
| Autor: | Kullmann | 
| Fundstelle: | Band 157, Jahrgang 1860, Nr. XCVIII., S. 403 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        XCVIII.
                        Beitrag zu den Erfahrungen bei der Anlage und der
                           Unterhaltung der Wasserleitungen mittelst Röhren; vom Ober-Ingenieur Kullmann in
                           Marburg.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              VI.
                        Kullmann, über die Anlage und Unterhaltung der Wasserleitungen
                           mittelst Röhren.
                        
                     
                        
                           In England und Frankreich ist die Versorgung größerer Städte mit fließendem Wasser
                              gerade nicht älter als bei uns, aber Wasserleitungen und Canalisirungen werden viel
                              mehr wie bei uns, besonders in England, im Interesse der Gesundheit gepflegt, und
                              obgleich die dortigen Aerzte im Allgemeinen den deutschen Aerzten an
                              wissenschaftlicher Bildung nachstehen, und chemische Bildung bei den Apothekern
                              selten zu finden ist, so ist doch dort schon längst die Wichtigkeit ausreichender
                              Wasserleitungen und vollständiger Canalisirungen in den Städten zur Verhinderung
                              oder wenigstens Milderung typhöser Krankheiten anerkannt, und der praktische Sinn
                              des englischen Volks hat diese Bestrebungen thätig unterstützt, so daß diese
                              Einrichtungen dort weit mehr als bei uns vorgeschritten sind.
                           In Deutschland sind viele Röhrenleitungen sehr alt und stammen theilweise noch von
                              den Römern her. Gewiß aber ist, daß unsere Vorfahren weit mehr als wir auf ein
                              fließendes Trinkwasser gehalten haben, und daher kommt es, daß wir nicht selten
                              thönerne Röhren als Reste von Röhrenleitungen in Feldern etc. finden, welche Quellen
                              nach Ortschaften hingeführt haben, die schon im 30jährigen Kriege zerstört worden
                              sind. Nach dem 30jährigen Kriege hat man namentlich größere Röhrenleitungen nach
                              befestigten Plätzen geführt und hierzu meist hölzerne und gußeiserne Röhren
                              verwandt; weil das Holz überall billig zu haben und die Meinung sehr verbreitet war,
                              daß Gußeisen das beste Material sey, welches man zu solchen Anlagen anwenden
                              könne.
                           Im Jahre 1846 war ich von der damaligen kurfürstlich hessischen
                              Ober-Baudirection durch den Baurath Rudolph
                              beauftragt, die Röhrenleitungen nach der Residenzstadt Cassel, welche öfters nicht
                              das nöthige Wasser lieferten, sowohl von Westen als von Osten her zu untersuchen,
                              neue Nivellements aufzunehmen, ein Stück der östlichen Leitung vom Teichhause her
                              aufzunehmen und zu restauriren, wobei ich fand, daß viele gußeiserne Röhren mehr von
                              Innen als von Außen durch das Oxydiren gelitten hatten, obgleich das durchfließende
                              Wasser nur sehr wenig Kalk enthielt.
                           
                           Bei der mehrjährigen Unterhaltung der sehr langen Röhrenleitung nach dem
                              kurfürstlichen Schlosse bei Schmalkalden, habe ich der vorgenannten Beobachtung
                              weitere sorgfältige Aufmerksamkeit geschenkt und öfter gefunden, daß gußeiserne
                              Röhren im Innern stellenweise mit Oxydhydrat-Knollen sich so verengt hatten,
                              daß sie kaum noch Wasser durchlassen konnten und durch diesen Umstand der Länge nach
                              gesprungen waren, während ganz in der Nähe thönerne Röhren lagen und die Festigkeit
                              hatten, den erforderlichen Druck auszuhalten.
                           Im Jahre 1856 habe ich bei dem Baue der herzoglich braunschweigischen Südbahn eine
                              Röhrenleitung bei Salzgitter – und zwar auf specielle Bestimmung der
                              herzoglich braunschweigischen Eisenbahn- und Post-Direction –
                              mit gußeisernen Röhren angelegt, und schon nach 1 1/2 Jahren, nach welcher Zeit ich
                              einige Röhren, unmittelbar am Quellbrunnen aufnahm, gefunden, daß wo kleine
                              Unebenheiten und poröse Stellen im Innern der Röhren vorhanden waren, sich kleine
                              Oxydknöllchen angesetzt hatten.
                           Trinkwasser, durch solche Röhren geflossen, ist zwar nicht besonders nachtheilig für
                              die Gesundheit, aber doch auch nicht angenehm, weßhalb man, wo es möglich ist, immer
                              guten thönernen Röhren den Vorzug geben sollte, indem auch hölzerne Röhren dem
                              Wasser einen schlechten Beigeschmack geben, eine kurze Dauer haben und deßhalb nicht
                              billig kommen.
                           Für gewöhnliche Wasserleitungen in nicht sehr gebirgigem Terrain reichen gut geformte
                              und gut gebrannte thönerne Röhren vollkommen aus, indem solche aus den Fabriken
                           
                              1) zu Elgersburg 9,5 und
                              2) zu Großallmerode 9,25
                              
                           Atmosphären Ueberdruck aushalten, was einer Wassersäule
                              von
                           
                              1) 314 und
                              2) 305 Fuß
                              
                           gleichkommt. Da man aber solche Röhren wegen den Stößen des
                              Wassers nicht unter fünffacher Sicherheit legen sollte, so können dieselben füglich
                              nur da benutzt werden, wo man nicht über 70' Wasserdruck hat.
                           Bei den Wasserleitungen für größere Städte verbindet man mit diesen Anlagen zugleich
                              die Einrichtung zum Löschen bei dem Ausbruche eines Brandes, und nimmt man an, daß
                              der Löschstrahl die Höhe von
                           100
                           200 und
                           300 Fuß haben muß, so ist dazu ein Wasserdruck von
                           1) 100 Fuß + 20 . 20 Zoll = 133 1/3,
                           2) 200 Fuß + 40 . 40 Zoll = 333 1/3 und
                           3) 300 Fuß + 60 . 60 Zoll = 600 Fuß
                           
                           nöthig, wozu thönerne Röhren nicht zu verwenden sind. Bemerkt
                              wird hierbei noch, daß das Ansatzrohr für die Löschstrahlen nicht mehr als 1/2 bis
                              3/4 Zoll Durchmesser haben darf, indem sonst die angegebenen Druckhöhen nicht mehr
                              passen werden, weil die Sprunghöhen mit stärkerem Durchmesser der Ansatzröhren immer
                              mehr abnehmen.
                           Da gußeiserne Röhren, wie oben angegeben, wegen den inneren Unebenheiten und der
                              geringen Luftdichtigkeit der Wände stark oxydiren, wodurch jede Berechnung der zu
                              liefernden Wassermenge zuletzt nicht mehr zutreffen wird, weil die Oxydknollen die
                              Oeffnung verengen, so ist es anzurathen, sich bei neuen Anlagen (und größeren
                              Reparaturen) mit hohem Drucke, wobei die Röhren selbstverständlich immer voll Wasser
                              gefüllt seyn werden und die atmosphärische Luft nicht unmittelbar zutreten kann,
                              sich der schmiedeeisernen Röhren, wie solche die Fabrik
                              von Albert Pönsgen in Düsseldorf sehr preiswürdig und gut
                              liefert, zu bedienen.
                           Die Wandstärken dieser eben genannten Röhren kann man, weil dieselben nicht bedeutend
                              sind, durch die Formel für die Bleche zu Dampfkesseln
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 157, S. 405
                              
                           worin:
                           D die Wanddicke,
                           r den inneren Radius,
                           
                              
                                   p den von Innen
                                      p' den von Außen
                                 
                                    
                                    
                                 gegen die Röhre nöthigen Druck pro Quadrateinheit,
                                 
                              
                           f die absolute Festigkeit dieses Materials,
                           n den Sicherheitscoefficient bezeichnet, berechnen, wenn
                              man dabei berücksichtigt, daß gewalzte Röhren gegen den ringförmigen Querschnitt nur
                              9/10 der absoluten Festigkeit von derjenigen in der Walzrichtung haben, wodurch
                              obige Formel sich in
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 157, S. 405
                              
                           verwandelt.
                           Durch einfache Vergleichung der Resultate dieser Formel zwischen Guß- und
                              Walzeisen ergibt sich, daß trotz des viel höheren Preises des Walzbleches, Röhren dieses
                              Materials dennoch nicht theurer kommen, als solche von gleicher Festigkeit resp.
                              Sicherheit aus Gußeisen.
                           Bei dem Legen der eisernen Röhren überhaupt, namentlich aber solcher aus Eisenblech,
                              muß alle Sorgfalt angewandt werden, um das Oxydiren von Außen zu verhindern.
                              Asphalt, Cement und gewöhnlicher Kalkmörtel reichen hierbei fast vollkommen aus.
                           In allen Fällen aber, wo ein nicht zu hoher Druck erforderlich ist, ist es rathsam,
                              gute thönerne Röhren aus den besten Fabriken zur Anwendung zu bringen, und zu diesem
                              Zwecke den Druck, welcher nicht nöthig ist, dadurch unschädlich zu machen, daß man
                              eine entsprechende Anzahl Brunnenkammern auf je 50 bis 70 Fuß Gefälle, wie Fig. 21 zeigt,
                              mit selbstwirkenden Ventilen, Fig. 22, anlegt, welche
                              auch noch den Vortheil haben, daß sich die aus den Quellen und den Sammelbrunnen
                              mitgeführten Unreinlichkeiten, als Sand und Schlammtheilchen, darinnen absetzen
                              können.
                           Marburg, im Monat September 1860.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
