| Titel: | Ueber die aus dem Anilin entstehenden Farbstoffe; von Ed. Willm, Assistent der Chemie an der Schule für angewandte Wissenschaften in Mülhausen. | 
| Fundstelle: | Band 159, Jahrgang 1861, Nr. LVIII., S. 224 | 
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                        LVIII.
                        Ueber die aus dem Anilin entstehenden Farbstoffe;
                           von Ed. Willm, Assistent
                           der Chemie an der Schule für angewandte Wissenschaften in Mülhausen.
                        Aus dem Bulletin de la Société industrielle de
                                 Mulhouse, 1860, t. XXX p. 360.
                        Willm, über die aus dem Anilin entstehenden Farbstoffe.
                        
                     
                        
                           Anilinviolett. – Das Anilinviolett oder Anilein, auch Indisin genannt,
                              erhält man durch Einwirkung verschiedener Oxydationsmittel auf Anilin; die am
                              gewöhnlichsten angewendeten Mittel sind Chlorkalk und zweifach-chromsaures
                              Kali. Letzteres wendet Perkin an, und zwar läßt er das
                              zweifach-chromsaure Kali auf schwefelsaures Anilin wirken. Dabei entsteht
                              zugleich eine braune Substanz, welche durch leichtes Steinkohlentheeröl
                              (Steinkohlennaphtha), worin sie sich löst, entfernt wird. Das Anilein bleibt dabei
                              zurück, ist aber noch mit Harz vermengt. Um den Farbstoff rein zu erhalten, kann man das harzige
                              Gemenge mit Wasser oder ganz schwachem Weingeist kochen, wobei der violette
                              Farbstoff sich auflöst, während das Harz ungelöst bleibt. Indem man diese Behandlung
                              mehreremale wiederholt, erhält man das Anilein fast ganz von Harz befreit. Beim
                              Erkalten scheidet das Anilein sich als amorphes Pulver ab; man begünstigt diese
                              Abscheidung, indem man der wässerigen Flüssigkeit kohlensaures Natron hinzufügt, da
                              das Anilein in einer concentrirten Lösung dieses Salzes ganz unlöslich ist.
                           Die Ausbeute an reinem Anilein ist sehr gering und beträgt gewöhnlich nur 4 bis 5
                              Proc. vom Gewicht des angewendeten Anilins, woraus der hohe Preis dieses Farbstoffs
                              sich erklärt.
                           Die hauptsächlichsten Lösungsmittel des Anileins sind Alkohol und Essigsäure; nach
                              Gros-Renaud löst
                              auch das Glycerin es sehr gut auf. Alle diese Flüssigkeiten lösen außerdem auch das
                              Harz ganz oder theilweise auf.
                           Das schwärzliche Pulver, welches sich beim Erkalten der wässerigen Lösung
                              ausgeschieden hatte, wurde in absolutem Alkohol wieder aufgelöst. Beim Verdunsten
                              dieser Lösung blieb eine grüne glänzende Masse zurück, welche als der möglichst
                              reine Farbstoff anzusehen ist. Dieses Product habe ich zur Analyse verwendet und
                              dabei Resultate erhalten, welche der Formel
                              C³⁶H¹⁷N³O² entsprechen. Der nach dieser
                              Formel berechneten Zusammensetzung des Anileins ist zugleich das Mittel aus den bei
                              vier Analysen gefundenen Zahlen beigefügt:
                           
                              
                                 
                                 Berechnet.
                                 Gefunden.
                                 
                              
                                 36 Aequivalente Kohlenstoff
                                 74,23
                                 74,56
                                 
                              
                                 17          „          
                                    Wasserstoff
                                   5,84
                                   5,86
                                 
                              
                                   3          „          
                                    Stickstoff
                                 14,43
                                 13,92
                                 
                              
                                   2          „          
                                    Sauerstoff
                                   5,40
                                   5,66
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                    100,00
                                    100,00.
                                 
                              
                           Wenn diese Formel richtig ist, kann die Bildung des Anileins auf die Weise erfolgen,
                              daß 3 Atome Anilin und 6 Atome Sauerstoff 1 Atom Anilein und 4 Atome Wasser geben,
                              wie folgende Gleichung zeigt:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 159, S. 225
                              
                           Ich konnte diese Formel nicht durch Verbindung des Anileins mit anderen Körpern
                              controliren, weil es mir nicht gelang eine beständige Verbindung desselben
                              hervorzubringen.
                           Das Anilinviolett hat die Eigenschaft, sich ohne Vermittelung eines Mordant mit den
                              Faserstoffen zu verbinden. Die Baumwolle nimmt diesen Farbstoff jedoch nur dann in
                              dauerhafter Weise an, wenn man sie vorher mit einem organischen Beizmittel behandelt
                              hat. Die geölte Baumwolle eignet sich ebenfalls recht gut für das Färben mit
                              Anilinviolett. Für den Druck verdickt man die Farbe mit Eiweiß oder Kleber.
                           Schweflige Säure und im Allgemeinen alle Reductionsmittel wirken selbst bei längerer
                              Behandlung nicht auf das Anilinviolett. Durch Einwirkung von concentrirter Salzsäure
                              oder Schwefelsäure geht es in Blau über, aber das Violett kommt leicht wieder zum
                              Vorschein. Wenn man eine mit Anilein gefärbte Zeugprobe der Einwirkung von einer
                              dieser Säuren aussetzt, so wird sie blau, aber schon beim bloßen Waschen mit Wasser
                              tritt die violette Farbe wieder mit ihrer ganzen Intensität hervor. Mittelst dieses
                              Verhaltens kann man das Anilinviolett von dem Orseilleviolett unterscheiden, denn
                              dieses wird unter denselben Umständen roth.
                           Chlor und Salpetersäure zerstören das Anilinviolett, aber Reductionsmittel, z.B.
                              schwefligsaures Natron, bringen die violette Farbe wieder zum Vorschein. Wenn man
                              die essigsaure Lösung des Anilins mit Bleisuperoxyd behandelt, so entsteht ein
                              lebhaftes Aufbrausen und die Flüssigkeit nimmt eine schöne rothe Farbe an, ähnlich
                              der des Fuchsins.
                           Das Anilin wird von chlorsaurem Kali sehr lebhaft angegriffen. Es entsteht dabei
                              zuerst ein grüner Niederschlag und durch längere Einwirkung erhält man Blau. Die
                              Flüssigkeit, aus welcher die grüne Substanz sich abgesondert hat, ist braun; wenn
                              man Papier oder Baumwollenzeug in dieselbe taucht, so nehmen diese, nachdem sie
                              1–2 Stunden der Luft ausgesetzt waren, eine dunkelgrüne Farbe an.
                           Anilinroth. – Wenn man das Anilin mit gewissen
                              wasserfreien Metallchloriden behandelt, namentlich mit Zinnchlorid oder
                              Quecksilberchlorid, oder mit einem Gemisch von Zinnchlorid und Quecksilberchlorid,
                              so erhält man augenblicklich eine schöne rothe Masse, welche beim Kochen mit Wasser
                              sich bis auf den metallischen Rückstand vollständig auflöst. Die Masse, welche sich
                              im Wasser auflöst, besteht aus Harz, salzsaurem Anilin und einem rothen Farbstoff,
                              welchen man Fuchsin genannt hat. Das Harz scheidet sich großentheils beim Erkalten
                              ab, da es in kaltem Wasser fast unlöslich ist. Das Fuchsin scheidet sich dagegen
                              erst nach einiger Zeit aus, wenn die Lösung nicht sehr concentrirt ist. In gewissen
                              Fällen zeigt es sich krystallisirt.
                           Wenn man das Anilin statt mit einem wasserfreien Chlorid, mit gewissen salpetersauren
                              Salzen, namentlich mit salpetersaurem QuecksilberoxydulNach Schlumberger's Verfahren, polytechn. Journal
                                    Bd. CLVII S. 292., Silberoxyd oder Eisenoxyd behandelt, so wird es mit Heftigkeit angegriffen und es entsteht
                              ebenfalls ein rother Körper, welcher mit dem Fuchsin viel Aehnlichkeit hat, dessen
                              Identität mit dem Fuchsin aber durchaus noch nicht bewiesen ist.
                           Es ist sehr schwierig, das Fuchsin ganz frei von salzsaurem Anilin zu erhalten, denn
                              die wässerige Lösung gibt, nachdem man sie mit reiner Salpetersäure entfärbt hat,
                              auf Zusatz von salpetersaurem Silber immer eine mehr oder weniger starke Trübung von
                              Chlorsilber. Wegen dieses Umstandes konnte ich bei der Analyse keine genügenden
                              Resultate erlangen; in dem mit einem Metallchlorid bereiteten Fuchsin fand ich 69,16
                              bis 69,83 Proc. Kohlenstoff, 5,86 bis 6,72 Proc. Wasserstoff und 9 bis 10 Proc.
                              Stickstoff. Da das salzsaure Anilin sich nicht vollständig entfernen ließ, so kann
                              ich mich nicht darüber aussprechen, ob etwa das Fuchsin auch Chlor enthält.
                           Bei der Verwendung des Fuchsins in der Färberei verfährt man ähnlich wie bei dem
                              Anilinviolett.
                           In einer Auflösung von Fuchsin in Holzgeist erzeugt sich Anilinviolett.
                           Die charakteristische Reaction des Fuchsins ist sein Verhalten zum Natron; wenn man
                              nämlich eine mit Fuchsin gefärbte Zeugprobe mit Natron behandelt, so entfärbt sie
                              sich, aber beim Waschen mit Wasser kommt das Fuchsin wieder zum Vorschein.