| Titel: | Ueber die Einwirkung des Aetzammoniaks auf organische Stoffe; von Prof. Paul Schützenberger in Mülhausen. | 
| Fundstelle: | Band 159, Jahrgang 1861, Nr. CXXI., S. 448 | 
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                        CXXI.
                        Ueber die Einwirkung des Aetzammoniaks auf
                           organische Stoffe; von Prof. Paul
                              Schützenberger in Mülhausen.
                        Aus der Zeitschrift für Chemie und Pharmacie, 1861 S.
                              65.
                        Schützenberger, über die Einwirkung des Aetzammoniaks auf
                           organische Stoffe.
                        
                     
                        
                           Gegenüber dem umfangreichen Material, das in dem von mir eingeleiteten Studium der
                              Bearbeitung vorliegt, erschien es zweckmäßig, meine ersten Resultate, wenn selbst in
                              unvollständiger Form, wegen Prioritätsrücksichten, der Oeffentlichkeit zu
                              übergeben.
                           Ich habe beobachtet, daß eine große Anzahl organischer Stoffe, wenn man dieselben
                              längere Zeit mit einer concentrirten Lösung von Aetzammoniak bei Luftabschluß auf
                              100°–200° C. erhitzt, den Stickstoff unter anderer Gestalt,
                              denn als Ammoniaksalz aufnehmen können. Die Einwirkung wurde in zugeschmolzenen
                              Glasröhren vorgenommen, woraus durch vorläufiges Auskochen die Luft vollständig
                              ausgetrieben, und welche sodann im Wasserbade erwärmt wurden. Bei 100''
                              übersteigenden Temperaturen setze ich die Röhre in einen sehr starken Cylinder aus
                              Gußstahl, der mit Schraubenschluß versehen ist und den ich im Oelbade erhitze.
                           Ich habe zuerst die neutralen kohlen- und wasserstoffhaltigen Körper, wie
                              Zucker, Stärkemehl, Dextrin, Gummi, Cellulose, mehrere Tage lang mit Aetzammoniak
                              auf 150 Grad erhitzt und bei allen eine Aufnahme von Stickstoff wahrgenommen. Wenn
                              man das nach beendeter Reaction erhaltene Product zur Trockene eindampft, so erhält
                              man feste, gummiartige, bräunlich gefärbte Massen, welche durch Thierkohle sich
                              leicht entfärben lassen. Sie sind in Wasser und Alkohol löslich, an der Luft etwas
                              zerfließlich, und von bitterem Geschmack. Die Lösung derselben gibt oft durch
                              Gerbstoff einen reichlichen Niederschlag; bei trockenem Erhitzen verbreiten sie
                              einen sehr wahrnehmbaren Geruch nach gebratenem Fleische.
                           In Gegenwart von Kalkhydrat oder Kalilösung entwickeln diese neuen Körper kein
                              Ammoniak. Bei Anwendung von geschmolzenem Kalihydrat erhält man hingegen eine
                              reichliche Ammoniakentwickelung. Man kann diese gummiartigen Substanzen als Gemenge
                              der neugebildeten stickstoffhaltigen Körper mit einem Ueberschuß der angewandten
                              kohlen- und wasserstoffhaltigen Materie, welche entweder unverändert
                              geblieben oder eine Molecularveränderung erlitten hat, betrachten.
                           Nach 48stündiger Einwirkung lieferten sowohl Gummi, wie Zucker einen 2 1/2–3
                              Proc. Stickstoff enthaltenden Rückstand. Nach siebentägiger Behandlung wurde aus Dextrin
                              eine 11 1/2 Proc. Stickstoff enthaltende Substanz gewonnen.
                           Die Cellulose (Baumwolle) erschien nach 48stündiger Einwirkung völlig unverändert;
                              beim Eindampfen der ammoniakalischen Flüssigkeit blieb aber ein reichlicher
                              stickstoffhaltiger Rückstand. Da ich bis jetzt diese stickstoffhaltigen Producte
                              noch nicht in hinlänglicher Reinheit erhalten habe, so kann ich mich über die Natur
                              derselben nicht aussprechen; ich glaube aber, daß die Resultate meiner eifrigst
                              fortgesetzten Untersuchungen, vom physiologischen Standpunkte betrachtet, manches
                              Interesse darbieten werden.
                           Die meisten vegetabilischen Farbstoffe, wie Alizarin, Hämatoxylin Brasilin, Santalin,
                              Carminsäure, Quercetin, Luteolin, Fustin, und der Farbstoff des Gelbholzes u.s.w.,
                              nehmen Ammoniak auf, wenn man sie mit diesem Reagens einige Tage lang bei
                              Luftabschluß auf 100° erhitzt.
                           Es werden somit neue Farbstoffe erhalten, welche den starken Säuren kein Ammoniak
                              abtreten und auch bei Behandlung mit Kalkhydrat dieses Gas nicht entwickeln, worin
                              aber die gewöhnlichen Reagentien erhebliche Mengen Stickstoff nachweisen. Das
                              Alizarin verwandelt sich auf diese Weise in eine violette stickstoffhaltige
                              Substanz, welche von Salzsäure nicht mehr zersetzt wird. Dieses Amid ist ziemlich
                              löslich in warmem Wasser und in Aether. Es ist sehr löslich in Alkohol, dem es eine
                              schöne violettrothe Farbe mittheilt. Es färbt die mit Thonerde- und
                              Eisensalzen gebeizten Stoffe ähnlich wie Alizarin, nur sind die so erhaltenen
                              Färbungen Heller und viel schmutziger. Es färbt die Wolle und Seide ohne Anwendung
                              von Beizen violettroth.
                           Mülhausen (im Elsaß), den 15. Januar 1861.