| Titel: | Ueber Gerberei, von Th. Klemm in Pfullingen. | 
| Fundstelle: | Band 163, Jahrgang 1862, Nr. CXXVI., S. 457 | 
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                        CXXVI.
                        Ueber Gerberei, von Th. Klemm in Pfullingen.
                        Klemm, über Gerberei.
                        
                     
                        
                           In Veranlassung des Aufsatzes von Hrn. W. Kampffmeyer über
                              Schnellgerberei (polytechn. Journal Bd. CLVII S. 383) hat Hr. Theodor Klemm folgende Mittheilung an den polytechnischen Verein
                              in Würzburg gemacht.
                           
                              „Im Jahre 1848 machte ich die ersten Versuche, nach meiner Methode zu
                                 präpariren, welche ein sehr günstiges Resultat lieferten, was mich veranlaßte,
                                 in England meine Manier zu gerben, für England, Irland, Schottland und die
                                 englischen Colonien gegen ein Honorar an einen Bekannten abzutreten, welcher
                                 sich dort ein Patent ertheilen ließ.
                              
                           
                              Die ganz abweichende Manier meines Fabricationsverfahrens und die Anwendung
                                 verschiedener animalischer und vegetabilischer Stoffe, diebisher bei der Gerberei
                                 nicht verwendet wurden, bestimmten mich, die in der Gerberei bis jetzt
                                 angewendeten Gerbstoffe genauer zu prüfen, und habe ich in dieser Richtung
                                 einige Erfahrungen gemacht, welche für die Rothgerberei nicht uninteressant seyn
                                 werden.
                              
                           
                              Vor einigen Jahren gab es in unserer Gegend an unseren Eichen ungewöhnlich viel
                                 Galläpfel, was mich veranlaßte, mit zwei Freunden (Chemikern) Rücksprache über
                                 dieses Product zu nehmen; ich stellte die Frage an sie, ob es sich wohl lohnen
                                 würde, diese Galläpfel zu sammeln und sie als Gerbstoff zu verwenden, wie die im
                                 Handel vorkommenden Galläpfel verwendet werden; der eine untersuchte den Saft
                                 dieser Galläpfel auf den Gehalt der Gerbsäure, die in denselben enthalten sey,
                                 der andere trocknete die Galläpfel, und beide Resultate waren von der Art, daß
                                 es sich durchaus nicht gelohnt hätte, dieselben zu sammeln und sie als
                                 Gerbmittel anzuwenden; nun machte ich einen weiteren Versuch damit.
                              
                           
                              Ich ließ vier große Säcke Galläpfel sammeln, zerquetschte dieselben, wie man das
                                 Obst beim Mosten zerquetscht; hernach wurden die zerquetschten Galläpfel in
                                 Kaffeesäcke gethan und in einer Obstpresse ausgepreßt und der Saft in ein
                                 reines, mit Gewürzschwefel frisch eingebranntes Faß gethan; das Faß wurde in
                                 einem Local, welches 16 bis 18° C. hatte, aufbewahrt; dieser
                                 Galläpfelsaft gieng in stürmische Gährung über, die ganz gleich war, wie die von
                                 neuem Wein. Wo diese Gährung vorüber war, wurde der Saft abgelassen, das Faß von
                                 dem Niederschlag gereinigt, dasselbe wieder frisch eingebrannt und in einen
                                 kalten Keller gelegt, und nun wurde der Saft wieder in dasselbe eingefüllt. Nach
                                 Verfluß von einem halben Jahr untersuchte ich das Gewicht von dem Saft mit der
                                 Weinwaage, welche unsere Weinverbesserungsgesellschaft anwendet, wo die
                                 Weinwaage 2 Grad Spiritus angab. Mit diesem Gerbstoff (Saft) machte ich nun
                                 mehrere Versuche mit Schaf-, Geis-, Kalbfellen und Schmalhäuten,
                                 wobei mich das Resultat sehr überraschte. Die ersten Versuche gelangen mir
                                 nicht, weil ich, ohne den Gerbstoff zu verdünnen, die Hautstücke in den Saft
                                 einhängte, wodurch dieselben zusammenschrumpften, so daß der Gerbstoff nicht
                                 durchdringen konnte. Nach mehreren Versuchen habe ich mit 7 Theilen Wasser und 1
                                 Th. Saft ein günstiges Resultat und nach viermaligem Wechseln der Gerbbrühe ein
                                 Leder bekommen, welches an Tüchtigkeit und Zähe, sowie in der Farbe ganz den
                                 ungarischen Schaf- und Geisfellen gleich kam, welche an Tragkraft alle
                                 anderen bisher bekannten in Loh gegerbten Felle übertreffen.
                              
                           
                              Ein Jahr später machte ich mit (dünnen) zarten, im grünen Zustande befindlichen
                                 Eichenreisern einen zweiten Versuch. Dieselben ließ ich ganz klein zerhacken,
                                 warf sie in ein Geschirr, füllte soviel Wasser daran, daß dasselbe ein Paar Finger
                                 hoch über den zerhackten Reisern stand, und drückte vermittelst eines mit vielen
                                 Löchern versehenen Senkbodens die zerhackten Reiser so hinunter, daß die
                                 Flüssigkeit über dem Senkboden stand. Die Stande wurde mit einem Deckel gut
                                 verschlossen, damit der Zutritt der Luft und des darin befindlichen Sauerstoffs
                                 verhindert war. Nach Verlauf von 6 Wochen ließ ich von dem Saft ab, welcher wie
                                 neuer Wein gährte, behandelte diesen Saft wie den oben angegebenen
                                 Galläpfelsaft, füllte die Stande noch einmal mit Wasser, und ließ nach Verfluß
                                 von 14 Tagen die Lohbrühe wieder ab und füllte dieselbe in das gleiche
                                 Faß.
                              
                           
                              Diese Lohbrühe machte die nämliche Gährung wie bei den Galläpfeln, nur war sie
                                 schwächer, so daß auf 1 Theil Lohbrühe 4 Theile Wasser genommen werden
                                 mußten.
                              
                           
                              Aus diesen Versuchen geht hervor, daß der in den grünen Loh- oder
                                 Galläpfeln enthaltene Zuckerstoff eine spirituöse Gährung hervorbringt, durch
                                 welche bei der Conservirung der Häute die Textur derselben dichter und viel
                                 zäher bleibt, als wenn der Zuckerstoff sich in Säure zersetzt. Von den
                                 Nordamerikanern kommt viel Lohgerbe-Extract in den Handel; ich habe
                                 während meines Aufenthalts in London Gelegenheit gehabt, mehrere solche
                                 Lohextracte zu untersuchen, und gefunden, daß dieselben ganz abweichende
                                 Resultate liefern, was ich hauptsächlich in den verschiedenen Manipulationen bei
                                 Gewinnung dieser Extracte suche, und es würde ganz gewiß ein sehr günstiges
                                 Resultat erzielt werden, wenn sämmtliche bei der Rothgerberei angewandte Rinden
                                 und Pflanzen im grünen Zustande so ausgeloht würden, daß der in denselben
                                 enthaltene Zuckerstoff statt in Sauergährung in Spiritusgährung gebracht würde,
                                 wodurch eine bedeutende Ersparniß an Lohe und eine weit bessere Qualität von
                                 Leder erzielt werden könnte.
                              
                           
                              Ich erlaube mir noch, auf die Erfahrungen aufmerksam zu machen, die man in der
                                 Behandlung der Weine in den letzten Jahren gemacht hat. Das Nämliche ist auf die
                                 Lohe anzuwenden; ein Loh, wie man bisher gewohnt war zu behandeln, also das
                                 Eichenholz im Saft zu schälen, die Rinden zu trocknen, vielleicht oft noch an
                                 einem dumpfen Ort aufzubewahren, nachher zu mahlen, um es zum Gerben zu
                                 verwenden, kann unmöglich dasselbe Resultat liefern, wie dasjenige, welches nach
                                 der oben angegebenen Manier behandelt worden ist. Durch das Ausdämpfen oder
                                 Auskochen der Lohe gerinnt das Eiweiß, das in demselben enthalten ist, wodurch
                                 ein ausgekochtes Loh keine Spiritusgährung mehr aufnehmen kann, und das Product
                                 hiervon ein ganz anderes wird, als das oben angegebene. Die Erfahrung lehrt
                                 einem jeden Nothgerber, daß die Anwendungvon Loh auf Häute in kaltem Zustande ein viel
                                 langsameres Verfahren ist, aber ein besseres Leder liefert, als wenn man warmes
                                 Loh anwendet. Ich suche die Ursachen dieser Erfahrung in den oben angegebenen
                                 Gründen, und würde es sich gewiß lohnen, wenn meine Erfahrungen, die ich mit den
                                 Galläpfeln und mit dem grünen Loh gemacht habe, weiter benutzt und in der
                                 Gerberei im Allgemeinen berücksichtigt würden. Das Wesentliche in der
                                 Fabrication würde sich nur insofern ändern, als man die grüne Lohe oder Reiser
                                 der Eichen zu verhacken oder gemahlen in Gefäße zu thun, mit Wasser aufzufüllen
                                 und vor dem Zutritt der Luft gut zu verwahren hätte. Hernach müßten dieselben in
                                 einer Temperatur von 16 bis 18° R. in Gährung gebracht, alsdann
                                 abgelassen und in einem guten Keller bis zur Verwendung aufbewahrt
                                 werden.
                              
                           
                              Von dem oben angegebenen Saft habe ich zwei Jahre aufgehoben und er hat sich bis
                                 dorthin ganz in dem Zustand erhalten, wie er nach der stürmischen Gährung
                                 war.
                              
                           
                              In meiner Gerberei habe ich die Erfahrung gemacht, daß ein Gerbstoff, den ich von
                                 den ganz gleichen Substanzen zusammensetzte, ganz verschiedene Resultate
                                 lieferte, je nachdem die Gährung nach der Zusammensetzung des Gerbstoffs
                                 behandelt wurde, wenn derselbe vor der Anwendung beim Gerben entweder in
                                 Spiritus oder Sauergährung gebracht wurde.
                              
                           
                              Die sämmtliche Beschreibung, welche Hr. Wilh. Kampffmeyer über die bisher bekannten besten Schnellgerbmethoden gibt,
                                 bestätigt meine Erfahrungen, die ich in der Behandlung des Lohes und anderen
                                 Gerbsubstanzen gemacht habe, und wäre es gewiß nicht ohne Interesse, weitere
                                 Versuche in dieser Richtung anzustellen.
                              
                           Ich bin gern bereit, wenn irgend Jemand weitere Auskunft über meine Erfahrungen
                                 haben will, die ich in dieser Richtung gemacht habe, dieselbe
                                 mitzutheilen.“ (Würzburger gemeinnützige Wochenschrift, 1861.)