| Titel: | Antwort auf die letzten Bemerkungen des Hrn. Professor Walther, betreffend den Gang der nassen Gasuhr. | 
| Autor: | Walther , L. Seidel | 
| Fundstelle: | Band 164, Jahrgang 1862, Nr. CXIV., S. 409 | 
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                        CXIV.
                        Antwort auf die letzten Bemerkungen des Hrn.
                           Professor Walther,
                           betreffend den Gang der nassen Gasuhr.
                        Seidel über den Gang der nassen Gasuhr.
                        
                     
                        
                           Hr. Professor Walther hat auf
                              meinen Aufsatz in Betreff des Ganges der nassen Gasuhr (1stes Maiheft, in diesem Bande S. 173) eine Erwiderung erscheinen lassen
                              (2tes Maiheft, S. 280). Er bestreitet in derselben nicht die Richtigkeit der von mir
                              gegebenen Erörterung, aber er selbst glaubt, durch wesentlich einfachere Betrachtung
                              das Ziel zu erreichen, indem er indeß tolerant genug ist, es als eine
                              „unschädliche Privatliebhaberei“ zu bezeichnen, den anderen
                              Weg zu gehen; andererseits bestreitet er, daß meine Darstellung mit der zuerst von
                              Pettenkofer gegebenen Erörterung übereinstimme,
                              – in welcher Beziehung er mit derselben Eleganz des Ausdruckes meint
                              „es könnten noch mehrere Erklärungen kommen, welche alle, als in dem
                                 Aufsatze des Hrn. Prof. P. enthalten, nachgewiesen, und für ihn vertheidigt
                                 würden,“ wodurch dann die Arbeit des Entgegnens endlos würde. Ich
                              werde die beiden Aufstellungen dieser Erwiderung mit einigen Worten beleuchten.
                           Was die eigene Erläuterung des Hrn. Verfassers angeht, so ist dieselbe nichts als
                              eine Ausführung derjenigen Idee, nach welcher der Gang der Maschine mit dem Steigen
                              der Glocke eines Gasometers verglichen wird. Hierüber habe ich schon in meinem
                              vorigen Aufsatze alles Nöthige gesagt. Der Aufgabe, einen Widerspruch gegen die neue
                              Darstellung einzulegen, bin ich um so mehr überhoben, da der Hr. Verfasser diese
                              Mühe gleich selbst übernommen hat. Denn nachdem er für die Bequemlichkeit seiner
                              Erläuterung an die Stelle des wirklichen Apparates einen anderen gesetzt hat, auf
                              welchen, wie er sagt, die gebräuchliche Erklärung noch vollkommen paßt (–
                              richtiger muß es heißen: welchem allein diese Erklärung, sowie sie gewöhnlich gegeben wird,
                              angepaßt ist, –) behauptet er gleich darauf selbst, daß dieser neue Apparat
                              mit anderer (geringerer) Kraft arbeite, als der gebräuchliche, weil er ein in diesem
                              vorhandenes Hinderniß nicht zu besiegen habe. Damit ist doch offenbar ausgesprochen,
                              daß beide wesentlich verschieden sind, und daß die in dem einen wirksamen Kräfte
                              nicht richtig dargestellt werden, wenn man den anderen statt seiner betrachtet. Es
                              folgt dann freilich gleich wieder die Behauptung, daß beide im Princip identisch
                              seyen, weil dem einen, um dem andern gleich zu werden, nur die eine Scheidewand
                              fehle, die „weiter nichts“ als ein unvermeidliches Hinderniß
                              sey. Die Erklärungsweise des Hrn. Verfassers ist also von der Art, daß er es für
                              thunlich hält, bei der Erörterung mechanischer Kräfte Dinge zu überspringen, welche
                              für die Action dieser Kräfte „weiter nichts“ als Hindernisse
                              vorstellen. Man kann nicht läugnen, daß eine solche Methode, die offenbar sehr
                              vieler Anwendungen fähig ist, den Vortheil hat, ganz ungemein schnell zum Ziele zu
                              führen; – ob man indessen mit dieser Art von expeditem Verfahren den
                              Bedürfnissen einer wissenschaftlichen Darstellung entsprechen, oder gar zur
                              Aufklärung irriger Ansichten einen Beitrag liefern kann, das scheint eine andere
                              Frage zu seyn.
                           Einen untergeordneten aber durchgehenden Irrthum des Hrn. Verf. (natürlich nicht der
                              Leser, welche derselbe sehr unnöthig gegen einen
                              ähnlichen Vorwurf verwahrt, den ihnen Niemand gemacht hat) will ich im Vorbeigehen
                              erwähnen. Es wird nämlich in seinem Aufsatze gesagt, bei meiner Erklärung werde die
                              unter Wasser befindliche Scheidewand der Kammern zu Hülfe
                                 genommen. Ich habe aber mit klaren Worten ausgesprochen, und mein ganzer
                              Artikel handelt davon, daß das Vorhandenseyn dieser Wand zunächst ein Hinderniß für die Drehung bildet (Hr. W. scheint sogar
                              diesen Ausdruck von mir adoptirt zu haben), und ich habe nur über dieses Hinderniß
                              nicht so behende hinwegvoltigiren wollen, wie mein Hr. Gegenpart.
                           Was die andere Behauptung angeht, daß meine Darstellung des Vorganges mit derjenigen
                              Pettenkofer's nicht
                              übereinstimme, weil diese von Wassergewicht in der Trommel als der nächsten Ursache
                              der Drehung redet, während ich von dem Druck des Wassers
                              gesprochen und die Vergleichung mit dem Tretrade (die vollkommen zutreffend ist)
                              nicht ausdrücklich reproducirt habe, so ist ihr Irrthum ebenso leicht zu erweisen.
                              In der That kann man nur dann die Uebereinstimmung vermissen, wenn man annimmt,
                              entweder daß nach P. das einseitige Uebergewicht des Wassers die Maschine auf andere
                              Art treibe, als durch den Druck, welchen es hervorbringt, – oder daß nach
                              meiner Meinung der statische Ueberdruck der einseitig erhöhten Wassermasse von etwas anderem als von
                              ihrem vermehrten Gewichte herrühre. Wie aber eine Last einen Körper, auf dem sie
                              ruhend angenommen ist, anders in Bewegung setzen soll, als vermöge ihres Druckes,
                              das ist mir ein Räthsel; auch der auf dem Tretrad befindliche beschwerende Körper
                              treibt das Rad nur durch seinen Druck auf die Theile desselben. Und sowie bei dem
                              letzteren diejenige Componente der Schwerkraft das drehende Moment liefert, welche
                              senkrecht auf den Radius gerichtet ist, während die andere verloren geht, so kommen
                              auch in der Trommel der Gasuhr für die Drehung nur diejenigen vom Wassergewicht
                              herrührenden Druckkräfte in Betracht, welche die im Sinne des Radius gestellte
                              Scheidewand in Anspruch nehmen, und nicht die den Cylindermantel angreifenden,
                              weßhalb es denn gleichgültig ist, ob man die letzteren durch Beseitigung eines
                              Stückes dieses Mantels in Wegfall bringt oder nicht. – In meinem Aufsatze
                              habe ich fortwährend von der Verstärkung des Druckes geredet, welche auf der einen
                              Seite nach der relativen Erhöhung des Wasserspiegels sich ergebe: daß dieser
                              Ueberschuß des Druckes ganz allein von dem Gewichte derjenigen Wassermasse herrührt,
                              welche auf jener Seite über das Niveau der andern erhoben ist, hatte ich für
                              selbstverständlich gehalten. Hr. Prof. Walther erweist mir die Ehre, zu sagen, ich wisse sicherlich recht
                              gut, daß von einem Wassergewichte in der Trommel nicht die Rede seyn könne, weil
                              dieses Gewicht nur in dem Gehäuse liege. Leider muß ich die Ehre ablehnen. Wenn
                              gleich das Wassergewicht in einem Gefäße von diesem Gefäß (oder in letzter Instanz
                              von dem Erdboden) getragen werden muß, so ist es doch unumstößlich gewiß, daß jeder
                              Massentheil innerhalb der Flüssigkeit mit seinem vollen Gewichte zunächst auf den
                              ihm benachbarten festen oder flüssigen Theilen lastet, und dieß zu läugnen wäre
                              genau derselbe Irrthum, wie wenn ein Reiter, der einen schweren Sack auf den
                              Schultern hätte, sich einreden wollte, diese Last drücke ihn nicht, weil sie ja
                              offenbar von seinem Pferd getragen werden müsse. – Der Hr. Verf. glaubt auch,
                              es sey ihm der Nachweis gelungen, daß die eine Hälfte der (im Gange befindlichen)
                              Gasuhr nicht schwerer sey, als die andere. Er hat indeß nicht widersprochen, daß
                              während des Ganges ein Unterschied in der Höhe des Wasserspiegels auf beiden Seiten
                              stattfinde, daß also in der einen Hälfte eine Schicht vom Wasser eingenommen wird,
                              deren Stelle in der andern Gas einnimmt. Daß Wasser schwerer sey als Gas ist meines
                              Wissens auch nicht bestritten; die Consequenz hieraus scheint sich von selbst zu
                              ergeben.
                           Pettenkofer's Absicht und die
                              meinige war, durch die Besprechung des Gegenstandes auf zwei Dinge aufmerksam zu
                              machen: 1) daß man bei
                              jeder vollständigen Darstellung des Ganges der nassen Gasuhr auf die innerhalb
                              derselben eintretende Niveau-Verschiedenheit, als auf ein für die Drehung
                              nothwendiges Moment, Rücksicht nehmen muß; 2) daß man den
                              Gang dieser Maschine so darstellen kann, daß das auf die
                              eine Seite gebrachte Uebergewicht an Wasser als Agens für die festen Theile
                              erscheint. Die von P. angeführten Stellen aus Clegg's Patentbeschreibungen beweisen
                              unzweideutig, daß der Erfinder, im Gegensatze zu neueren Darstellungen, die
                              erstgedachte Nothwendigkeit klar erkannte. Ob der Wortlaut dieser Stellen (wie ich
                              mit P. glaube) hinlänglichen Anhalt gibt, um schließen zu lassen, daß er selbst sich
                              die bei 2) erwähnte Vorstellung von der Sache gemacht hatte, darüber will ich nicht
                              streiten; wohl aber kann ich dem Hrn. Gegenpart die Versicherung geben, daß wir aus
                              dem Munde eines Herrn von ebenso großer theoretischer als praktischer Sachkenntniß,
                              der, jetzt in höherer Sphäre wirksam, zur Zeit wo die Erfindung noch neu war, in
                              England mit dem Erfinder und mit vielen der ersten Mechaniker in Verkehr stand,
                              wirklich wissen, daß unter denselben damals die gedachte Vorstellung die ganz
                              allgemeine war.
                           Dr. L. Seidel.