| Titel: | Ueber Elasticität oder absolute Festigkeit der Körper; vom General Morin. | 
| Fundstelle: | Band 164, Jahrgang 1862, Nr. CXVIII., S. 430 | 
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                        CXVIII.
                        Ueber Elasticität oder absolute Festigkeit der
                           Körper; vom General Morin.
                        Aus den Comptes rendus, Februar 1862, t. LIV p.
                              235.
                        Morin, über Elasticität oder absolute Festigkeit der
                           Körper.
                        
                     
                        
                           Indem ich der (französischen) Akademie die dritte Auflage meines Werkes Sur la résistance des matériaux einreiche,
                              will ich deren Aufmerksamkeit auf zwei sehr wichtige Fragen bezüglich der Elasticität
                              und Festigkeit lenken.
                           Nach der Fundamental-Hypothese bei der Theorie über die Elasticität oder
                              absolute Festigkeit der Körper nimmt man an, daß bis zu gewissen, durch Versuche
                              annähernd festgestellten Grenzen die Verlängerungen und Verkürzungen der Fasern den
                              einwirkenden Belastungen proportional sind, und daß die Fasern innerhalb dieser
                              Grenzen genau ihre ursprünglichen Dimensionen wieder annehmen, wenn die Kräfte zu
                              wirken aufhören; man sagt dann, die Elasticität sey nicht verändert worden.
                           In den letzten Jahren hat aber der englische Forscher Eaton Hodgkinson aus seinen zahlreichen und wichtigen Untersuchungen über diesen
                              Gegenstand schließen zu können geglaubt, daß jeder Körper, welcher eine beliebige
                              Verlängerung oder Verkürzung erlitten hat, seine ursprünglichen Dimensionen
                              keinenfalls vollkommen wieder annimmt, wenn die frühere Kraft nicht mehr auf ihn
                              wirkt. Er nahm demnach an, daß die Verlängerung z.B. eines Metalldrahtes immer eine
                              doppelte sey: eine elastische, welche mit der angewandten Zugkraft aufhöre, und eine
                              permanente.
                           Bei der Betrachtung der Versuche Hodgkinson's führte mich die sehr geringe Größe der beobachteten
                              permanenten Verlängerungen auf die Ansicht, daß dieselbe nicht sowohl einer
                              Formveränderung oder einer Aenderung in der Länge der Fasern, als vielmehr einem
                              Nachgeben (einer theilweisen Zusammendrückung) der Stütz- oder
                              Verbindungspunkte zuzuschreiben sey, weil die von ihm benutzten Stäbe von 15 Meter
                              Gesammtlänge aus mehreren Stücken bestanden, welche durch Muttern mit
                              entgegengesetzten Gewinden vereinigt waren, also recht wohl unter dem Einfluß der
                              Belastung nachgeben konnten.
                           Um alle Zweifel in dieser Beziehung zu lösen, schienen mir specielle Versuche unter
                              Anwendung von sehr langen Drähten in einem Stücke erforderlich. Ich habe dieselben
                              in der Versuchsgallerie des Conservatoire des arts et
                                 métiers zu Paris angestellt, und dabei Kupfer- und
                              Eisendrähte von 22–24 Meter Länge prüfen können.
                           Die Verlängerungen zwischen zwei bestimmten Punkten in 21 Met. Entfernung wurden
                              mittelst sehr genauer Kathetometer bis auf 1/100 Millimeter genau beobachtet.
                           Eine Schwierigkeit boten diese Versuche dadurch dar, daß die im Handel vorkommenden
                              Drähte nur in Rollen von 60–70 Centimeter Durchmesser vorkommen, und daher
                              vor dem Versuche kaum vollständig gerade zu richten waren; es verblieben immer noch
                              schwache Krümmungen, deren allmähliches Geradrichten unter dem Einfluß der
                              Belastungen die Resultate beirren konnte, wie dieß auch wirklich geschah.
                           
                           Indessen muß sich diese Wirkung, wenn sie einmal stattgefunden hat, bei Wiederholung
                              der Versuche mehr und mehr vermindern, und sich so der wirkliche Gang der
                              Verlängerungen um so besser herausstellen.
                           Indem nun die an den Drähten aufgehangenen Belastungen allmählich angebracht und
                              weggenommen wurden, konnte für jede derselben die bewirkte Verlängerung und die
                              Rückkehr zur ursprünglichen Länge beobachtet werden, woraus auf die Größe der
                              elastischen, wie der permanenten Verlängerung geschlossen wurde.
                           Es zeigte sich hiebei, daß die erstere, der Theorie entsprechend, in weiten Grenzen
                              der Belastung proportional blieb, indeß die letztere, gleich anfangs nur gering,
                              sich von Versuch zu Versuch geringer erwies, offenbar in Folge des mehr und mehr
                              erfolgten Geradrichtens der Drähte.
                           Es gaben z.B. zwei nach einander geprüfte Kupferdrähte folgende Resultate:
                           
                              
                                 Bezeichnung des Drahtes.
                                 
                                 Nr. des Versuchs.
                                 Permanente Verlängerung,als Bruchtheil der
                                    ursprünglichenLänge.
                                 
                              
                                 Nr. 1.Durchmesser: 2,584 Millim.
                                 
                                    
                                    
                                 123
                                 1/295851/1166611/285715
                                 
                              
                                 Nr. 2.Durchmesser: 2,600 Millim.
                                 
                                    
                                    
                                 123
                                 1/15000Negativ1/112903
                                 
                              
                           Diese Größen können offenbar vernachlässigt, und gegenüber dem Einfluß der geringsten
                              Temperaturschwankungen als Null betrachtet werden, indem nach den Versuchen von Laplace und Lavoisier ein
                              Temperaturunterschied von 1° C. einer Verlängerung oder Verkürzung von
                              1/58400 entspricht. Hieraus erklärt sich auch die negative Verlängerung beim zweiten
                              Versuch mit dem Draht Nr. 2; eine geringe Abkühlung reicht zur Hervorbringung dieses
                              Resultates hin.
                           Die Werthe für den Elasticitäts-Coefficient, welche sich aus diesen Versuchen
                              ergeben, beweisen übrigens, daß bei keinem derselben die Elasticität verändert
                              worden ist. Diese Coefficienten waren nämlich folgende:
                           
                           
                              
                                 Bezeichnung des Drahtes.
                                 
                                 Nr. des Versuchs.
                                 Werthder
                                    Elasticitätscoefficienten.
                                 
                              
                                 Nr. 1
                                 
                                    
                                    
                                 123
                                 
                                 6 909 971 309 Kil.7 118 354 507
                                         6 521 770 186
                                         
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 ––––––––––––––
                                         
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 Mittel
                                 6 850 003 001
                                         
                                 
                              
                                 Nr. 2.
                                 
                                    
                                    
                                 123
                                 
                                 7 310 170 535 Kil.8 777 809 696
                                         7 374 366 197
                                         
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 ––––––––––––––
                                         
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 Mittel
                                 7 827 448 809
                                         
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 Gesammtmittel
                                 7 338 740 405
                                         
                                 
                              
                           Diese Werthe sind sämmtlich geringer als die aus früheren Versuchen abgeleiteten,
                              welche waren für:
                           
                              
                                 gezogenen Kupferdraht
                                 
                                 12 000 000 000 Kil.
                                 
                              
                                 geglühten Kupferdraht
                                 
                                 10 500 000 000
                                 
                              
                                 
                                 
                                 –––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 Mittel
                                 11 250 000 000
                                 
                              
                           Uebrigens waren auch die Dichtigkeiten der Drähte bei den älteren Versuchen größer
                              als diejenigen der jetzt im Handel vorkommenden, daher man aus den älteren Versuchen
                              im Vergleich mit den neuen schließen könnte, daß für gleiche Metalle die
                              Elasticitätscoefficienten sich im Verhältniß der Dichtigkeiten ändern, wie dieß auch
                              sehr wahrscheinlich ist.
                           Aehnliche Versuche mit sehr feinem Eisendraht von 0,20 Millimeter Durchmesser ergaben
                              bei sofortiger dreimaliger Wiederholung der Probe für die permanente Verlängerung
                              folgende Bruchtheile der Gesammtverlängerung:
                           
                              
                                 1ster Versuch
                                 1/29762
                                 
                              
                                 2ter      
                                    „
                                 1/277777
                                 
                              
                                 3ter      
                                    „
                                 1/312500
                                 
                              
                           Die elastische Verlängerung blieb dagegen sehr nahe unverändert, und es folgten aus
                              den Messungen für den Elasticitätscoefficient die Werthe:
                           
                              
                                 1ster Versuch
                                 
                                 19 326 210 980 Kil.
                                 
                              
                                 2ter      
                                    „
                                 
                                 19 747 235 387
                                 
                              
                                 3ter      
                                    „
                                 
                                 19 857 029 388
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 Mittel
                                 19 643 458 585
                                 
                              
                           Dieser Werth weicht nur sehr wenig von demjenigen ab, welcher sich aus den
                              Beobachtungen über die Biegung der besten Eisensorten ergibt.
                           
                           Aus allen diesen Versuchen, so wie aus denjenigen, welche ich über die Biegung von
                              Gußeisen-, Stabeisen- und Stahlstäben der größten Dimensionen
                              ausführen ließ, scheint mir hervorzugehen, daß die von Hodgkinson angegebenen permanenten Verlängerungen und Verkürzungen nur die
                              Folge der oben erwähnten Ursache gewesen sind, und daß die Fundamentalhypothese der
                              Theorie über den Widerstand der Körper, wie sie zuerst 1670 von dem berühmten Hoocke mit den Worten ut tensio
                                 sic vis ausgesprochen wurde, der Beobachtung entspricht.
                           Ich erlaube mir ferner noch auf ein anderes Capitel meines Werkes aufmerksam zu
                              machen, nämlich auf dasjenige, welches von den Achsen und den Achsenproben handelt.
                              Ich weise in demselben durch die Discussion der Proben und die Vergleichung ihrer
                              Ergebnisse mit der allmählichen Veränderung des Elasticitäts-Coefficienten
                              als Function der Verlängerungen, nach, daß bei den (in Frankreich) vorgeschriebenen
                              Proben die von den Fasern, welche die größte Verlängerung erfuhren, erlittene
                              Wirkung nicht die Grenze des Bruches erreicht. Andererseits ergaben meine directen
                              Versuche, daß das Geradrichten der bei solchen Proben gebogenen Achsen, bei guter
                              Ausführung der Arbeit, ihre Elasticität nicht merklich ändert.
                           Die allgemeinen Schlüsse dieses Capitels sind folgende:
                           1) die Proben, wie sie bei der Artillerie und den Eisenbahnen angenommen sind, können
                              von gutem Stabeisen ohne Gefahr einer Veränderung ertragen werden;
                           2) diese Proben führen zum Ausschließen des mittelmäßigen oder schlechten Eisens;
                           3) um diese Proben unter sich übereinstimmend zu machen, braucht man nur die
                              Biegungen so zu beschränken, daß die größte Verlängerung der Fasern dieselbe für
                              alle Achsen ist.