| Titel: | Neues Verfahren der Essigfabrication; von L. Pasteur. | 
| Fundstelle: | Band 165, Jahrgang 1862, Nr. LXXVII., S. 303 | 
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                        LXXVII.
                        Neues Verfahren der Essigfabrication; von L. Pasteur.
                        Aus den Comptes rendus,
                              t. LV p. 28.
                        Pasteur's neues Verfahren der Essigfabrication.
                        
                     
                        
                           Die Eigenschaft der Mycodermen, insbesondere des Wein- und Essigschimmels, den
                              Sauerstoff der Luft auf eine Menge organischer Substanzen übertragen zu können und
                              deren Verbrennung zu veranlassen, führte mich auf ein neues Verfahren der
                              Essigfabrication.
                           Ich säe den Mycoderma aceti (Essigschimmel oder
                              Essigpilz) auf die Oberfläche einer Flüssigkeit, bestehend in gewöhnlichem Wasser
                              welches 2 Proc. seines Volums Alkohol und 1 Proc. Essigsäure von einer
                              vorhergehenden Operation, überdieß einige Zehntausendtheile phosphorsaurer Alkalien
                              und Erden enthält. Die kleine Pflanze entwickelt sich und bedeckt bald die
                              Oberfläche der Flüssigkeit, ohne daß der geringste Platz leer bleibt. Gleichzeitig
                              säuert sich der Alkohol. Sobald die Operation gehörig im Zug, nämlich etwa die
                              Hälfte des ursprünglich angewandten Alkohols in Essigsäure verwandelt ist, setzt man
                              jeden Tag Alkohol in kleinen Portionen, oder Wein oder mit Weingeist versetztes Bier
                              zu, bis die Flüssigkeit so viel Alkohol erhalten hat, daß der Essig den im Handel
                              verlangten Grad erlangt. So lange als die Pflanze die Essigbildung veranlassen kann,
                              setzt man Alkohol zu. Wenn aber ihre Wirkung schwächer zu werden beginnt, wartet man
                              die vollständige Säuerung des in der Flüssigkeit noch enthaltenen Alkohols ab. Man
                              zieht dann die Flüssigkeit ab, und sammelt hernach die Pflanze, um sie zu waschen,
                              wobei sie eine etwas saure und stickstoffhaltige Flüssigkeit liefert, die sich
                              ferner benutzen läßt.
                           Die Kufe wird alsdann neuerdings in Arbeit genommen. Man darf es der Pflanze durchaus
                              nicht an Alkohol fehlen lassen, weil sie sonst den Sauerstoff der Luft einerseits an
                              die Essigsäure übertragen, folglich diese in Wasser und Kohlensäure verwandeln
                              würde, und andererseits an flüchtige Bestandtheile, deren Verlust den Essig fade
                              macht und ihn des Wohlgeruches beraubt. Ueberdieß erlangt die Pflanze, wenn man sie
                              einmal der Essigbildung entwöhnt hat, dieses Vermögen nur in viel schwächerem Grade
                              wieder. Eine andere, nicht weniger nothwendige Vorsichtsmaßregel besteht darin,
                              nicht eine zu große Entwickelung der Pflanze zu veranlassen, denn ihre Thätigkeit
                              würde sich dann übermäßig steigern und folglich die Essigsäure zum Theil in Wasser
                              und Kohlensäure verwandelt werden, selbst wenn noch Alkohol in der Flüssigkeit
                              aufgelöst wäre. Eine Kufe von 1 Quadratmeter Oberfläche, welche 50 bis 100 Liter Flüssigkeit enthält,
                              liefert täglich das Aequivalent von 5 bis 6 Litern Essig. Mittelst eines in
                              Zehntelsgrade der Celsius'schen Scale eingetheilten Thermometers, dessen Kugel in
                              die Flüssigkeit taucht und dessen Röhre aus der Kufe durch ein im Deckel
                              angebrachtes Loch tritt, kann man den Gang der Operation mit Leichtigkeit
                              verfolgen.
                           Die zweckmäßigsten Gefäße sind runde oder viereckige hölzerne Kufen, von geringer
                              Tiefe und mit Deckeln versehen. An den Enden sind zwei kleine Oeffnungen für den
                              Zutritt der Luft angebracht. Zwei Röhren von Gutta-percha, welche auf dem
                              Boden der Kufe befestigt und seitwärts mit kleinen Löchern versehen sind, gestatten
                              die alkoholischen Flüssigkeiten zuzusetzen, ohne daß man den Deckel abzuheben oder
                              die auf der Oberfläche der Flüssigkeit befindliche Decke zu stören braucht.
                           Die größten Kufen, welche mir meine Localität zu benutzen gestattete, hatten 1
                              Quadratmeter Oberfläche und 20 Centimeter Tiefe, und ich bemerke, daß die Vortheile
                              des Verfahrens desto auffallender waren, je größere Gefäße ich anwandte und je
                              niedriger die Temperatur des Locals war.
                           Ich habe gesagt, daß die Flüssigkeit auf deren Oberfläche ich den Essigpilz säe,
                              phosphorsaure Salze aufgelöst enthalten muß. Sie sind die mineralischen
                              Nahrungsmittel der Pflanze und daher unentbehrlich. Wenn sich unter denselben auch
                              phosphorsaures Ammoniak befindet, so entnimmt die Pflanze der Basis dieses Salzes
                              allen Stickstoff dessen sie bedarf. Zur vollständigen Ueberführung in Essigsäure
                              genügt es, daß die alkoholische Flüssigkeit beiläufig ein Zehntausendstel von jedem
                              der folgenden Salze enthält: phosphorsaures Ammoniak, phosphorsaures Kali,
                              phosphorsaure Magnesia; man löst diese Salze mit Beihülfe einer kleinen Menge
                              Essigsäure auf, welche zugleich mit dem Alkohol allen der Pflanze nothwendigen
                              Kohlenstoff liefert.
                           Bevor ich die Vortheile dieses neuen Verfahrens angebe, muß ich die zwei jetzt
                              gebräuchlichen Methoden der Essigfabrication in Kürze besprechen.
                           Die eine derselben, als das in Orleans gebräuchliche Verfahren bekannt, ist nur auf
                              den Wein anwendbar. Man füllt in Fässer von beiläufig 200 Liter Inhalt, welche in
                              horizontalen Reihen aufgestellt sind, guten Essig, beiläufig 100 Liter per Faß, und ein Zehntel seines Volums gewöhnlichen
                              geringen Wein. Nach Verlauf von sechs Wochen bis zwei Monaten beginnt man alle acht
                              oder zehn Tage 10 Liter Essig abzuziehen, und 10 Liter Wein zuzusetzen. Jedes Faß
                              liefert also, wenn es einmal in Thätigkeit ist, beiläufig 10 Liter Essig alle acht
                              Tage. Uebrigens bleiben die Fässer unverrückt, so lange sie keiner Ausbesserung
                              bedürfen.
                           
                           Bei der anderen Methode, welche als die deutsche Schnellessigfabrication bekannt ist,
                              wendet man große Fässer an, die mit Buchenholzspänen gefüllt sind, auf welche die in
                              Essig zu verwandelnde Flüssigkeit aus starken Bindfäden (Strohröhren oder
                              baumwollenen Dochten) hinabtropft. Die Späne ruhen auf einem Doppelboden im unteren
                              Theil des Fasses, wo sich die Flüssigkeit sammelt, welche man mehrmals wieder über
                              die Späne fließen läßt. In den Dauben des Fasses angebrachte Löcher gestatten den
                              Zutritt der Luft, welche oben entweicht, nachdem sie durch die Zwischenräume der
                              Späne hinaufzog, wo sie mit der hinabträufelnden alkoholischen Flüssigkeit in
                              Berührung kam. Dieses Verfahren geht sehr rasch, ist aber weder auf den Wein, noch
                              auf das Bier anwendbar, und seine Producte sind von geringerer Güte, besonders wenn
                              man Branntwein von schlechtem Geschmack angewandt hat. Der Weinessig hat beiläufig
                              den doppelten Preis des Branntweinessigs, wie man den in den beschriebenen
                              Essigbildern dargestellten Essig zu benennen pflegt. Dieses Verfahren veranlaßt auch
                              beträchtlichen Verlust an Rohmaterial, weil die sehr zertheilte alkoholische
                              Flüssigkeit stets einem warmen Luftstrom ausgesetzt ist.
                           Uebrigens verdanken die Essige von Orleans ihren Vorzug nicht, wie man glauben
                              könnte, bloß dem Umstande, daß sie mit Wein dargestellt werden, sondern
                              hauptsächlich ihrer Fabricationsweise selbst, wobei der Essig seine angenehm
                              riechenden flüchtigen Bestandtheile behält, während dieselben bei der
                              Schnellessigfabrication durch den Luftstrom und die erhöhte Temperatur fast gänzlich
                              entfernt werden. Aus diesem Grunde hat der Essig von Orleans einen stärkeren Geruch
                              und Geschmack als die Branntweinessige bei gleichem und manchmal geringerem
                              Säuregehalt.
                           Ich muß nun aber einen dem Verfahren von Orleans eigenthümlichen Uebelstand
                              besprechen, welcher bisher ganz unbemerkt blieb und durch die bekannte Gegenwart der
                              Essigaale in den Fässern veranlaßt wird.
                           Alle Fässer, ohne Ausnahme, sind bei dem Fabricationssystem in Orleans mit den
                              Aelchen gefüllt, und da man sie immer nur theilweise entfernt, weil man von 100
                              Litern Essig nur 10 Liter alle acht Tage abzieht und diese durch 10 Liter Wein
                              ersetzt, so ist ihre Anzahl manchmal außerordentlich groß. Nun brauchen diese Thiere
                              Luft um zu leben; andererseits geht aus meinen Versuchen hervor, daß die
                              Essigbildung nur an der Oberfläche der Flüssigkeit stattfindet, in einer dünnen
                              Decke von Mycoderma aceti, welche sich unaufhörlich
                              erneuert. Angenommen, diese Decke habe sich gut gebildet, so wird aller Sauerstoff,
                              welcher zur Oberfläche der Flüssigkeit gelangt, durch die Pflanze verbraucht, welche
                              den Aelchen gar
                              keinen übrig läßt. Letztere fühlen sich dann der Möglichkeit zu athmen beraubt, und
                              flüchten sich instinctmäßig auf die Wände des Fasses, wo sie eine feuchte, weiße,
                              über einen Millimeter dicke, mehrere Centimeter hohe Schicht bilden, welche ganz
                              belebt und wimmelnd ist. Nur dort können diese kleinen Wesen athmen. Natürlich
                              treten aber diese Aelchen ihren Platz nicht leicht an den Essigpilz ab; ich habe oft
                              den Kampf zwischen ihnen und der Pflanze beobachtet. In dem Maaße als letztere sich
                              entwickelt und an der Oberfläche ausbreitet, bemühen sich die unter ihr vereinigten
                              Aelchen sie in Gestalt von Lappen in die Flüssigkeit hinabfallen zu machen. In
                              diesem Zustande kann sie ihnen nicht mehr schaden, denn ich habe gezeigt, daß wenn
                              die Pflanze einmal untergetaucht ist, ihre Wirkung vollständig oder fast ganz
                              aufhört. Ich zweifle nicht, daß beinahe alle Krankheiten der Fässer bei dem
                              Verfahren von Orleans durch die Essigaale verursacht werden, und daß durch diese
                              Thierchen die Essigbildung verzögert und oft aufgehalten wird.
                           Hiernach sind die Vortheile meines Verfahrens einleuchtend. Ich operire in mit
                              Deckeln versehenen Kufen bei einer niedrigen Temperatur. Dieß sind die allgemeinen
                              Bedingungen des Verfahrens von Orleans, aber ich leite die Fabrication nach meinem
                              Belieben. Die Essigbildung wird bei dem Verfahren von Orleans nur durch die Decke an
                              der Oberfläche der Flüssigkeit bewirkt. Nun lasse ich diese unter Bedingungen sich
                              entwickeln, welche ich bestimme und beherrsche. Ich habe keine Essigaale, denn wenn
                              solche entstünden, hätten sie nicht Zeit sich zu vervielfältigen, weil jede Kufe
                              erneuert wird, nachdem die Pflanze so weit gewirkt hat als sie es vermag. Auch
                              erfolgt die Essigbildung unter übrigens gleichen Umständen wenigstens drei bis
                              viermal so schnell wie bei der Methode von Orleans.
                           Im Vergleich mit der Schnellessigfabrication bestehen die Vortheile meines Verfahrens
                              einerseits darin, daß der Essig die wohlriechenden flüchtigen Bestandtheile nicht
                              verliert, weil die Essigbildung bei niedriger Temperatur stattfindet, und
                              andererseits in einer großen Verminderung des Alkoholverlustes, weil bei der in
                              einer bedeckten Kufe enthaltenen Flüssigkeit die Verdunstung sehr schwach ist.
                              Endlich ist das neue Verfahren auf alle alkoholischen Flüssigkeiten anwendbar.
                           Hinsichtlich der Wichtigkeit meines neuen Verfahrens unterwerfe ich mich übrigens
                              gern dem Urtheil der Techniker vom Fach.