| Titel: | Eine neue Verwendung der Decimalwaage; von Siegmund Schüller, Maschinentechniker in Wien. | 
| Autor: | Siegmund Schüller | 
| Fundstelle: | Band 167, Jahrgang 1863, Nr. LXIV., S. 267 | 
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                        LXIV.
                        Eine neue Verwendung der Decimalwaage; von
                           Siegmund Schüller, Maschinentechniker in Wien.
                        Mit einer Abbildung.
                        Schüller, über eine neue Verwendung der Decimalwaage.
                        
                     
                        
                           Hinsichtlich der Durchführung eines gleichförmigen Gewichtssystems in Deutschland
                              sind gegenwärtig nicht wenige Staaten in einer Uebergangsperiode, indem sie die
                              Einführung des Zollpfundes entweder eben bewerkstelligt haben oder erst anbahnen. Im
                              ersteren Falle befinden sich z.B. Oesterreich und Preußen; im zweiten u.a. Bayern,
                              wo neben dem alten Landesgewicht das neue, für den Eisenbahnverkehr ausschließlich
                              benützte, auch sonst schon vielfach im Gebrauche ist.
                           Während einer solchen Uebergangsperiode sieht man sich auch in den ersteren Staaten
                              im Privatverkehr aus Rücksicht auf viele am Alten hängende Geschäftsfreunde oft
                              gezwungen, das eine Gewichtssystem neben dem andern zu benutzen. Die Bildungsstufe
                              der mit dem Wägen betrauten Personen macht aber die Anwendung von Umsetzungstabellen
                              häufig unmöglich, abgesehen davon, daß deren Gebrauch etwas umständlich ist. Es ist
                              daher ein Bedürfniß, unter Umgehung von zweierlei Gewichten, welche zu fortwährenden
                              Verwechselungen Anlaß geben, auf der gleichen Waage mit
                                 denselben Gewichten nach zweierlei Gewichtssystemen wägen zu können.
                           Dieses Ziel läßt sich bei den gewöhnlichen Decimal- und Centesimalwaagen
                              überraschend einfach erreichen, wie im Folgenden entwickelt werden soll.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 167, S. 267
                              
                           Die vorstehende Figur stellt eine gewöhnliche Quintenz'sche Decimalwaage in mathematischen Linien dar. Auf der Brücke
                              befindet sich das Gewicht Q. Diese überträgt einen Theil X der Kraft Q durch die
                              Zugstange BH auf den Waagebalken AD und wirkt an diesem mit dem statischen Momente
                           CB . X.
                           Ein anderer Theil Y hingegen geht bei K auf den Hebel EF über und
                              wirkt in E mit der Kraft
                           Z = KF/EF
                              Y.
                           Nun geht wieder diese Kraft mittelst der Stange DE in D auf den Waagebalken über; es wirkt daher der Theil Y mit dem statischen Momente
                           CD . KF/EF
                              Y
                              
                           und in B mit der Kraft
                           CD/CB .
                              KF/EF
                              Y
                              
                           am Waagebalken AD. Damit das
                              Gleichgewicht des Waagebalkens weder von X noch von Y allein, sondern von der Summe Q = X + Y abhänge,
                              ist nöthig, daß Y in demselben Punkte B genau so wirkt, als wenn es unmittelbar von demselben
                              aufgenommen würde, daß also
                           CD/CB .
                              KF/EF
                              Y = Y, das heißt
                           CD/CB .
                              KF/EF = 1, also
                           CD/CB .
                              KF/EF ist;
                           wir haben daher
                           G . AC =
                              (X + Y) BC
                              
                           G . AC =
                              Q . BC, oder
                           Q = AC/BC . G . . . .
                              . (1)
                           G = BC/AC . Q.
                           Denken wir uns nun die Waagschale in A hinweggenommen und
                              in M aufgehängt, jedoch die Last auf der Brücke noch
                              immer Q, so werden wir finden:
                           Q = MC/BC
                              G₁ . . . . . (2)
                           
                           Aus den Gleichungen (1) und (2) läßt sich nun eine Proportion herstellen:
                           G : G₁ = MC/BC :
                              AC/BC = MC : AC
                              
                           Nehmen wir nun an, wir hätten zwei verschiedene Gewichtssysteme. Ein Körper Q wiege in dem einen G
                              Einheiten, in dem andern G₁ Einheiten; die beiden
                              Systeme stünden aber in einem gewissen fixen Verhältnisse, es wäre die Einheit des
                              einen gleich m/n Einheiten
                              des andern; mithin besteht die Gleichung
                           G = m/n
                              G₁.
                           Will ich nun mit den Gewichten des Maaßsystems G operiren
                              und die Anzahl Gewichtseinheiten des Körpers Q im
                              Systeme G₁ erfahren, so kann ich dieß auf der
                              Decimalwaage, deren Hebel entsprechend getheilt ist, sehr einfach; es muß nämlich
                              bestehen
                           G : n/m
                              G = MC : AC oder
                           m : n =
                              MC : AC.
                           Man kann also auf eine äußerst einfache Weise vorgehen. Man braucht bloß den
                              Waagebalken, woran die Waagschale hängt, in einem gewissen Verhältniß zu theilen, um
                              durch Aufhängung der Schale mittelst eines Gewichtes zweierlei Maaße zu
                              erfahren.
                           Hierbei ist jedoch zu bemerken, daß die Praxis eine Correctur des Verhältnisses m/n erheischen wird, da bei
                              Aufhängung der Schale in A ein Theil des Hebels
                              überhängt. Diese Ausgleichung kann man jedoch leicht in dem Gehäuse, woran die
                              Waagschale eingehackt wird, erreichen und die Waage gehörig tariren.Der hier bemerkte Uebelstand läßt sich unbeschadet der Genauigkeit sehr
                                    leicht umgehen. In der Ausführung sind an der Stelle der Punkte A und M die Kanten
                                    von dreiseitigen Prismen, wovon jede ein Gehäuse trägt, welches stets an
                                    seinem Orte bleibt. In eines dieser Gehäuse wird die Waagschale eingehängt,
                                    in das andere ein mit der leeren Waagschale genau
                                       gleich schweres schmales cylindrisches Gewicht, beide so
                                    abgeglichen, daß die leere Waage einspielt. Soll dann im andern System
                                    gewogen werden, so braucht man nur die Waagschale und das cylindrische
                                    Gewicht mit einander zu vertauschen. Jedes Gehäuse hätte die Bezeichnung
                                    desjenigen Gewichtssystemes zu tragen, nach welchem gewogen werden kann,
                                    wenn die Waagschale an ihm hängt.A. d. Red.
                              
                           
                           Auf dieselbe Weise läßt sich derselbe Zweck bei der Centesimalwaage erreichen.
                           Schließlich soll noch an einem Beispiele das Verfahren erläutert werden:
                           Angenommen, wir hätten eine Decimalwaage und wollten Wiener und Zollpfunde auf
                              derselben abwägen; zum gewöhnlichen Gebrauche hätten wir jedoch bloß im Zollgewichte
                              tarirte Gewichte.
                           Bekanntlich steht das Wiener Pfund zum Zollpfund in dem Verhältniß von 100: 112,
                              daher ein Wiener Pfund = 112/100 Zollpfunden; wir haben sohin
                           
                              
                                 112 :
                                 100  = MC : AC
                                 
                              
                                 
                                 MC = 112/100 AC =
                                    112/100 . 10 BC
                                 
                              
                                 
                                 MC = 11,2 BC.
                                 
                              
                           Im umgekehrten Falle, wenn Wiener Gewichte gegeben wären, hätten wir
                           
                              
                                 100 :
                                 112  = MC : AC
                                 
                              
                                 
                                 MC = 100/112 . AC
                                       = 100/112 . 10 BC
                                 
                              
                                 
                                 MC = 8,928 BC.