| Titel: | Ueber ein Lumpensurrogat für die Papierfabrication; von Conrad Schinz, Chemiker in Odessa. | 
| Autor: | Conrad Schinz | 
| Fundstelle: | Band 169, Jahrgang 1863, Nr. LXXVII., S. 312 | 
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                        LXXVII.
                        Ueber ein Lumpensurrogat für die
                           Papierfabrication; von Conrad Schinz, Chemiker in
                           Odessa.
                        Schinz, über ein Lumpensurrogat für die
                           Papierfabrication.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich war man in den letzten Jahren eifrig bemüht, den Faserstoff der Lumpen in
                              der Papierfabrication durch etwas anderes zu ersetzen. Die zahllosen Vorschläge,
                              welche in dieser Beziehung gemacht worden sind, haben jedoch ungünstige Resultate
                              geliefert. Gegenwärtig erfreut sich nur die Esparto einer Anwendung im Großen,
                              außerdem noch Stroh, Mais und Holz. Diese Materialien sind aber alle noch weit
                              entfernt die feinen Lumpen in der Fabrication der feineren Schreib- und
                              Postpapiere zu ersetzen, ja sie müssen selbst zu Druck- und Schreibpapier mit
                              Lumpenzeug gemengt werden, da sie sonst wie Esparto und Stroh ein zu sonores und
                              brüchiges Papier geben würden, oder wie das Maisstroh ein transparentes, körperloses
                              Papier liefern.
                           Auf Grund zahlreicher und im Großen ausgeführter Versuche, und auf das Urtheil von
                              competenten Praktikern hin, glaube ich den Papierfabrikanten ein Lumpensurrogat
                              vorschlagen zu dürfen, welches wegen seiner großen Verbreitung und weil es ein
                              ausgezeichnetes Product zu liefern im Stande ist, für die Papierfabrication von
                              großer Wichtigkeit seyn dürfte.
                           Typha angustifolia und latifolia (Typhaceen
                              Juss.) kommen an den Ufern der untern Donau, des
                              Dniesters, Bug und Dniepers in ungeheuren Massen neben dem Rohr (Arundo donax und Phragmites
                                 communis) vor. Das Rohr wird in Odessa, Nicolajeff und Cherson zum Theil
                              als Brennmaterial verbraucht, die Typha dagegen an Ort
                              und Stelle abgebrannt, oder der Verwitterung überlassen. Die nichtblühenden
                              Individuen dieser Pflanzen (d.h. an 80–90 Proc.) bestehen aus Blätterbüscheln
                              von 5–8' Höhe welche am Boden oft einen Querschnitt von 1–2''
                              besitzen. Diese weichen, sehr wenig Kieselerde enthaltenden, sehr faserreichen,
                              knotenlosen, reinen Blätter liefern durch Behandlung mit Alkalien in der Hitze ein
                              Papierzeug, das ohne mechanische Zerkleinerung in Holländern sofort auf die
                              Papiermaschine gegeben und für sich allein, ohne Zusatz von Lumpenzeug, zu den
                              feinsten und schönsten Papieren verarbeitet werden kann. Der Bleichproceß geht sehr
                              schnell und leicht von statten, so daß man im Verhältniß zu Lumpen die Hälfte an
                              Zeit und Arbeit erspart. Das daraus gefertigte Papier hat eine große Geschmeidigkeit
                              und Weichheit, worin es anderen Papieren aus Pflanzenfasern weit zuvorkommt. Die ersten größeren
                              Proben, welche von meinen Producten nach England geschickt wurden, haben daselbst
                              sehr gut gefallen, und hat unter Anderen Hr. Cowan in
                              Edinburgh Versuche damit gemacht und damit die günstigsten Resultate erhalten.
                           Die betreffenden Versuche im Großen wurden vorigen Winter in der mir zu diesem Zwecke
                              überlassenen Wollwäscherei des Hrn. O. Fritten in Cherson
                              gemacht.
                           Das Rohmaterial wurde uns ins Etablissement, das Pud zu 4–5 Cop. geliefert
                              (100 Kilogramm = circa 1 Franc). Nachdem einzelne
                              Rohrstengel und die vorkommenden blühenden Individuen, welche einen harten holzigen
                              Stengel enthalten, ausgelesen waren, wurden die Pflanzen mittelst einer
                              Häckselmaschine in 3 Linien lange Stücke zerschnitten und in einen großen, eigens zu
                              diesem Zwecke construirten rotirenden Cylinder (wie er in Payen's
                              Chimie industrielle abgebildet ist) gefüllt, welcher
                              davon an 32 Pud (circa 500 Kilogr.) faßte. Der Cylinder
                              wurde dann mit Natronlauge von 15° Baumé zur Hälfte gefüllt,
                              verschlossen, in Bewegung gesetzt und während 3 Stunden mit einem Dampfdruck von 3
                              Atmosphären kochen gelassen. Nach Verfluß dieser Zeit wurde die Lauge in ein
                              Reservoir evacuirt, der Cylinder geöffnet und das Papierzeug herausfallen gelassen
                              (auf ein Drahtnetz mit untergestelltem Abflußboden und Canal für die abtropfende
                              Lauge). Die Masse wurde hierauf noch, um so viel als möglich die Lauge wieder zu
                              gewinnen, stark ausgepreßt, und in Körben von Drahtnetz in den Fluß gehängt, wo sie
                              nach Verlauf von 1 Stunde vollkommen rein ausgewaschen war, dann getrocknet und
                              verpackt. Die Herstellungskosten betrugen per Pud circa 1 Rubel, könnten jedoch durch Behandlung mit ganz
                              schwachen Laugen und überhitztem Dampf um ein Bedeutendes reducirt werden. In 24
                              Stunden konnte der Cylinder 4 Operationen machen. Hätte man überhitzten Dampf oder
                              eine größere Dampfspannung anwenden können, so hätte man leicht 6 statt 4
                              Operationen machen können.
                           Die Bleichung wurde für verlangte weiße Proben vermittelst einer Chlorkalklösung und
                              Zusatz von etwas Säure bewerkstelligt, und dauerte circa
                              2 Stunden.
                           Bei der Bleichung lösen sich die einzelnen Fasern in viele feine Fasern auf, und
                              bildet die feuchte Masse dann ein dem Lumpengangzeug sehr ähnliches Product.
                           Zu Packpapier läßt es sich ungebleicht sehr gut verwenden, da es schon fein genug aus
                              dem Cylinder kommt und eine schöne Naturfarbe besitzt.
                           Von den Preisen, welche uns nun in England für unser Fabrikat geboten werden und von den
                              Transportpreisen wird es abhängen, ob hier eine Papierzeugfabrik oder eine
                              Papierfabrik eingerichtet werden soll.
                           Da die Pflanze auch in Deutschland an sumpfigen Ufern häufig vorkommt, so dürfte der
                              eine oder der andere Papierfabrikant günstige Versuche damit machen können. Auch
                              wäre vielleicht ein Bezug aus den unteren Donaugegenden möglich. Die Ausbeute
                              beträgt 35–40 Proc. vom Gewicht der gehackten Pflanze.