| Titel: | Die Luft- oder Röhren-Post in London. | 
| Fundstelle: | Band 169, Jahrgang 1863, Nr. LXXVIII., S. 321 | 
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                        LXXVIII.
                        Die Luft- oder Röhren-Post in
                           London.
                        Aus dem Practical
                                 Mechanic's Journal, Juni 1863, S. 57.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              V.
                        Die Luft- oder Röhren-Post in London.
                        
                     
                        
                           Die Luft- oder Röhrenpost (pneumatic dispatch) ist
                              unzweifelhaft eine besondere Form der atmosphärischen Eisenbahn, aber eine von allen
                              bisher vergeblich versuchten abweichende, welche ihren Erfolg der Annahme von drei
                              Grundprincipien verdankt, die bei dem früheren atmosphärischen Eisenbahnsystem
                              unberücksichtigt blieben, nämlich der Benutzung einer sehr weiten Röhre, eines sehr
                              niedrigen Luftdruckes und der Fortschaffung durch Saugen sowohl wie durch
                              Comprimiren der Luft, einzeln oder gleichzeitig angewandt.
                           Anfangs sollte die Luftpost nur Briefe oder Depeschen befördern und wurde daher nur
                              in sehr kleinem Maaßstabe ausgeführt. In der Hand des Ingenieurs Rammell ist sie jedoch zu einem Transportmittel geworden,
                              welches fast in jedem Maaßstabe zur Beförderung von Postfelleisen, sowie von
                              Frachtgut aller Art, ja sogar von Passagieren benutzt werden kann. Der jetzt in
                              Benutzung stehende Apparat dient zur Beförderung der Felleisen von der Eisenbahn
                              nach dem Postamte in Eversholt Street, eine Entfernung von etwa 1800 engl. Fuß.
                           Dicht an der Euston-Ankunftsstation sieht man ein kleines einstöckiges Gebäude
                              mit einem schlanken Schornstein: dieß ist das eine Ende der Luftpost. Wir treten ein
                              und finden, einige Stufen tiefer, einen engen gußeisernen Tunnel (Fig. 3) mit gewölbter
                              Decke und einem fast flachen Boden, welcher mit zwei Schienensträngen versehen ist.
                              Dieser Tunnel mißt in der Höhe 2' 9'' bei etwa gleicher größter Breite; an einer
                              Seite des Gebäudes geht er durch die Mauer hindurch. Die auf dem Fußboden des
                              Gebäudes befindlichen Schienen erstrecken sich an der entgegengesetzten Mauer in
                              einen correspondirenden Tunnel; letzterer ist jedoch nur eine kurze Mauervertiefung
                              (in Fig. 3
                              rechts), welche als Luftkissen für die von der Post in Eversholt Street
                              zurückkommenden Wagen wirkt.
                           
                           In der Mitte des Raumes auf den Schienen, zwischen diesen beiden
                              Tunnel-Oeffnungen, bemerken wir zwei oder drei eiserne vierrädrige Wagen von
                              der in Fig.
                                 11 und 12 in Endansicht und halben Durchschnitten dargestellten Einrichtung.
                              Diese Wagen sind hohle, wiegenartige Kasten von beträchtlicher Größe und von einer
                              der Form der Tunnelröhren entsprechenden Gestalt, jedoch rings herum etwa um einen
                              Zoll kleiner. Die in gewöhnlicher Weise zusammengefügten gußeisernen Tunnelröhren
                              gehen unter den Straßen und Häusern fort (Fig. 1), und haben
                              Steigungen von 1 : 100 bis 1 : 80. Sie begreifen drei wichtige Curven, nämlich zwei
                              einander entgegengesetzte an der Euston-Station (Fig. 3) von 110 Fuß
                              Radius, und eine an der Poststation (Fig. 2) von nur 40 Fuß
                              Radius; dieselben waren durch die Oertlichkeit bedingt und beweisen wie leicht sich
                              solche Einrichtungen den kurzen Biegungen der Straßen u.s.w. anschmiegen können.
                           An der letztgenannten Poststation befindet sich keinerlei Apparat; man sieht daselbst
                              nur in einem wegen localer Umstände unter der Erde angebrachten Gebäude das offene
                              Ende der Tunnelröhre, ein aus derselben herauskommendes Schienenpaar und gegenüber
                              eine Bufferröhre.
                           Die ganze Einrichtung zum Hin- und Herführen der Wagen befindet sich an der
                              Euston-Station. Der Haupttheil des Apparates stellt sich uns in Form eines
                              aus Kesselblech angefertigten großen, flachen Gehäuses mit rundem Obertheil dar,
                              welches 4' über dem Boden vorragt, von einer auf gußeisernem Gestelle laufenden
                              schmiedeeisernen Welle durchzogen ist und „Auswerfer“ (pneumatic ejector) benannt wird. Derselbe ist in Fig. 3 im
                              Grundriß, in Fig.
                                 4 in vergrößertem Seitenaufriß und in Fig. 5 und 6 in senkrechtem und
                              horizontalem Durchschnitt dargestellt; sein Zweck ist, die Luft in Bewegung zu
                              setzen um die Wagen von Euston aus durch Einblasen, und
                              zurück durch Aussaugen von Luft zu befördern. Hinter dem
                              großen Gehäuse mit seinem Luftrad (Ventilator) von 21' Durchmesser befindet sich
                              eine kleine Hochdruck-Dampfmaschine mit einem Cylinder von 15'' Durchmesser
                              und 16 Zoll Hublänge, welcher schief aufgestellt ist und dessen Kolben direct an der
                              Welle des Luftrades angreift. Neben der Maschine liegt ein cylindrischer Kessel mit
                              innerer Feuerung, welcher Dampf von 40 Pfd. Druck per
                              Quadratzoll liefert.
                           Endlich gehören zu dem Apparate noch die erforderlichen Einrichtungen zum Oeffnen und
                              Schließen des Tunnels bei Ankunft oder Abgang der Wagen, sowie zur Bewirkung des
                              Einblasens oder des Aussaugens der Luft, und außerdem ein elektrischer Telegraph zur
                              Correspondenz zwischen den beiden Endstationen.
                           Im Innern des erwähnten Gehäuses, welches durch eine Thüre zugänglich ist, befindet sich eine um ihren
                              Mittelpunkt bewegliche kreisförmige hohle Scheibe von Eisenblech (Fig. 5 und 6). Die gegenüberliegenden
                              Seiten derselben sind Drehungsflächen, erzeugt durch Curven, welche nahezu Hyperbeln
                              sind, eine gemeinschaftliche Asymptote an der Achse haben und an der Peripherie in
                              Tangenten parallel mit der Drehungsebene endigen. An jeder Seite des Gehäuses erhebt
                              sich in der Mitte desselben ein gußeiserner Luftcanal (welchen man in Fig. 5 und 6 sieht, und im
                              Seitenaufriß in Fig.
                                 4), deren Gesammt-Querschnittsfläche etwas größer als der
                              Querschnitt des Tunnels ist. Die äußeren Enden dieser beiden Canäle können, wenn sie
                              vereinigt sind, durch die Drosselklappen und Seitenröhren (Fig. 5 und 6) entweder mit der
                              äußeren Luft oder nur mit dem Inneren des Tunnels (an diesem Ende) verbunden werden.
                              Die Luftcanäle endigen an jeder Seite der rotirenden Scheibe in kreisförmigen
                              Mündungen von etwa 3 Fuß Durchmesser, an welche entsprechende Mündungen an der Mitte
                              der Scheibe gepaßt sind, so daß, während letztere sich frei umdrehen kann, doch an
                              den Berührungskreisen ein luftdichter Verschluß mittelst einer Lederscheibe
                              hergestellt ist. Die Welle ist in der rotirenden Scheibe durch radiale Rippen
                              befestigt und die gekrümmten Seiten der Scheibe sind ebenfalls durch Rippen
                              verstärkt. Die Weite des Raumes zwischen den Seiten oder Wangen der Scheibe beträgt
                              an ihrer Peripherie nur 2 Zoll. In Folge der Curve, welche die Form bestimmt, ist
                              eine senkrechte Durchschnittsfläche des Raumes zwischen den Wangen in jeder
                              Entfernung vom Mittelpunkt dieselbe und gleich dem Querschnitt der eben
                              beschriebenen Eintrittsöffnungen. Wenn die Scheibe sich dreht, wird die in ihr
                              befindliche Luft an der Peripherie in das Gehäuse ausgeschleudert und durch die in
                              der Mitte eingesogene Luft ersetzt. Aus dem Gehäuse tritt die ausgeschleuderte Luft
                              durch die in den Figuren 5, 6, 7 u. 8 dargestellten Röhren und
                              Klappen entweder in die Tunnelröhre zum Blasen –
                              um die Wagen fortzuschieben – oder sie wird aus dem Tunnel durch die in Fig. 7 und 8 dargestellte
                              gegitterte Oeffnung gesaugt und aus dem Gehäuse ins Freie
                              geführt – wo sie dann die Wagen durch die Röhre hindurchsaugt.
                           Fig. 9 und
                              10 zeigen
                              im Längen- und Querdurchschnitt die Einrichtungen an der Euston-Seite
                              des Tunnels, wodurch, nachdem der Wagenzug ins Innere geschoben ist, das Ende durch
                              eine leichte Fallthüre von Eisenblech geschlossen wird. Diese Thüre ist mit
                              Gegengewichten und Sperrkegeln versehen, so daß sie durch den zurückkommenden Zug
                              selbstthätig geöffnet wird. Die Vorderräder des ersten Wagens laufen über ein paar
                              Rollen, welche etwas über die Schienenfläche hervorragen und auf den Enden zweier
                              langen Hebel (Fig.
                                 9) aufliegen. Dadurch werden die entsprechenden Enden dieser Hebel
                              niedergedrückt, somit die Sperrhaken ausgelöst und die Gewichte um einige Zoll
                              niedergelassen, worauf die Thüre unmittelbar vor dem Austritt des Zuges sich öffnet.
                              Eine große stellbare Klappe (Fig. 9), welche oben auf
                              dem Tunnel angebracht ist, gestattet mit vollkommener Leichtigkeit und Sicherheit
                              die Schnelligkeit des Zuges zu mäßigen, so daß die Wagen fast jedesmal an derselben
                              Stelle, wenige Yards vom Ende der Röhre, zur Ruhe kommen.
                           Das Hin- und Hergehen der Züge geschieht in fast unglaublich kurzer Zeit. Die
                              Curve von 40' Radius macht an Eversholt Street die Verminderung der Schnelligkeit
                              nöthig; die wirkliche Geschwindigkeit ist daher in diesem gebogenen Rohr 250 Yards
                              in 65 Secunden oder fast 16 1/2 engl. Meilen in der Stunde. Dabei macht die Scheibe
                              des Ventilators 100–110 Umdrehungen in der Minute und erzeugt einen Luftdruck
                              von 3–4 Zoll Wassersäule, die Luft mag nach der einen oder anderen Richtung
                              bewegt werden. Es werden jetzt etwa 15 Wagenzüge täglich auf der ganzen Entfernung
                              hin- und herbewegt; es ist klar, daß dieß bei weitem nicht der
                              Leistungsfähigkeit des Apparates gleichkommt und daß der Dampfconsum daher ein viel
                              zu großer ist; dennoch beträgt der tägliche Verbrauch an Brennmaterial (Kohks und
                              ein wenig Steinkohlen) in zehn Stunden nur 21 Bushels und kostet etwa 6 Shill., so
                              daß das Brennmaterial für eine Doppelfahrt nur auf 5 Pence zu stehen kommt.
                           Die Luftpost soll demnächst bis zum Hauptpostamt und zu einigen anderen Nebenämtern
                              fortgeführt werden, wodurch natürlich wegen besserer Ausnützung der Dampfmaschine
                              die Kosten für jeden Transport sehr vermindert werden müssen.
                           Zu bemerken ist noch, daß die Bewegung jeden Wagenzuges in demselben Augenblicke
                              beginnt, wo der Ventilator zu arbeiten anfängt, und daß nicht, wie bei den früheren
                              atmosphärischen Eisenbahnen, vorher ein gewisses Vacuum hergestellt zu seyn
                              braucht.
                           Wegen des intermittirenden Arbeitens der Betriebskraft ist natürlich die
                              Dampfbenützung keine ökonomische; der beste Effect dürfte in derartigen Fällen nur
                              durch das System der Kraft-Ansammlung zu erreichen seyn. Wenn z.B. zum
                              Betrieb des Ventilators 30 Pferdekräfte jede Stunde nur 5 Minuten lang erfordert
                              werden, die Dampfmaschine also die übrigen 55 Minuten ruhen kann, so würde man am
                              besten thun, nur eine Maschine von dem zehnten Theile dieser Kraft anzuwenden und
                              dieselbe die ganze Zeit hindurch arbeiten zu lassen, indem man die Luft in einem
                              großen unterirdischen Behälter von Kesselblech auf einen hohen Drucke comprimiren
                              ließe. In den erforderlichen 5 Minuten würde diese Luft dann eine Luftmaschine in
                              Thätigkeit setzen können und die kleine Dampfmaschine den nöthigen Vorrath an comprimirter Luft
                              stets unterhalten. Je nach den örtlichen Verhältnissen könnte auch die Dampfmaschine
                              in ein höher gelegenes Sammelgefäß Wasser pumpen und durch dieses Wasser von Zeit zu
                              Zeit ein Rad in Bewegung gesetzt werden, welches den Ventilator triebe.
                           Das beschriebene Transportsystem soll in nächster Zeit für Steinkohlen in gewissen
                              Districten angewendet werden, wo Eisenbahnen zu theuer kommen.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
