| Titel: | Ueber die Leinenindustrie des Zollvereins. | 
| Fundstelle: | Band 169, Jahrgang 1863, Nr. CIII., S. 388 | 
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                        CIII.
                        Ueber die Leinenindustrie des
                           Zollvereins.
                        Ueber die Leinenindustrie des Zollvereins.
                        
                     
                        
                           Von dem Berichterstatter über die Leinenwaaren und Gespinnste der vorjährigen
                              Londoner Industrie-Ausstellung, dem kgl. preuß. Regierungsassessor Hrn. Bossart zu Minden, wird auch die
                              Zollvereins-Leinenindustrie (in den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung
                              des Gewerbfleißes in Preußen, 1862 S. 242) im Allgemeinen besprochen. Er äußert sich
                              hierüber folgendermaßen:
                           Es kann für denjenigen, welcher der Entwickelung der Leinenindustrie im Zollverein
                              aufmerksam gefolgt ist, wohl kaum zweifelhaft seyn, daß das
                              Minden-Ravensbergische und vorzugsweise Bielefeld in dem letzten Jahrzehnt
                              die bedeutendsten Anstrengungen gemacht macht hat, der dort alteinheimischen Leinenindustrie
                              wieder einen höheren Aufschwung zu verschaffen und, gestützt auf die in
                              Großbritannien gemachten Erfahrungen, zunächst wenigstens das ihr noch gebliebene
                              Terrain zu behaupten.
                           Seit der letzten Pariser Ausstellung im Jahre 1855 hat sich die Maschinenspinnerei
                              von Flachsgarnen nicht allein consolidirt, sondern auch bedeutend erweitert. Die
                              Actien-Spinnerei „Vorwärts,“ welche damals nur 5000
                              Spindeln zählte, hat gegenwärtig 10,716 im Betrieb.
                           Die im Jahre 1855 noch erst im Bau begriffene Actienspinnerei
                              „Ravensberg“ arbeitet jetzt mit 22,000 Spindeln, und wird
                              binnen wenigen Wochen auf ihren vollen Betrieb von 24,000 Spindeln gesetzt seyn.
                              Neben ihr hat sich die Schönfeld'sche Spinnerei in
                              Herford auf ihrem alten Standpunkte von 3000 Spindeln erhalten.
                           Mehrere Bleichen und Appreturanstalten sind seit jener Zeit im
                              Minden-Ravensbergischen nach Irländischem Muster neu angelegt oder
                              umgestaltet worden.
                           Die vor Kurzem etablirte Garnbleiche der Ravensberger Spinnerei, welche täglich 80
                              bis 100 Centner Garn zu bleichen im Stande ist, kann ihrem Umfange nach dem größten
                              Etablissement Englands dieser Art, dem des Hrn. Gill in
                              Horsforth bei Leeds, an die Seite gestellt werden.
                           Mit der Power-loom-Weberei ist in jenem
                              Theil Westphalens wenigstens ein Anfang gemacht. Außer 30 Power-looms für glatte Leinen, welche in der Spinnerei
                              „Vorwärts“ aufgestellt sind, ist vor kurzem eine
                              Maschinenweberei für feinere und gröbere glatte Leinen von dem Fabrikanten Piderit in Bielefeld eingerichtet, und dort zunächst eine
                              geringe Zahl von Stühlen in Betrieb gesetzt worden.
                           Einen erfreulichen Aufschwung nimmt die mechanische Weberei für Segeltuche von Helling in Borgholzhausen,Im Königreiche Hannover arbeitet die Fabrik der Herren Stelling und Comp. (in der
                                    Residenzstadt Hannover) mit ganz entschiedenem Erfolge. welche gegenwärtig mit 72 Stühlen arbeitet.
                           Das Fabricat derselben, welches bald nach der Eröffnung des Betriebes allgemeinen
                              Beifall auf dem Markte fand, hat auch auf der Ausstellung die vollste Anerkennung
                              von Seiten der Jury der Classe XIX sich erworben. Der Plan, eine Power-loom-Weberei im größeren Maaßstabe
                              für Leinen, Drelle und Damaste in Bielefeld auf Actien zu errichten, ist bereits in
                              Folge der auf der Londoner Ausstellung gemachten Erfahrungen aufgefaßt und seiner
                              Verwirklichung nahe geführt worden.
                           Mit Recht läßt sich daher wohl die Minden-Ravensbergische Leinenindustrie,
                              ungeachtet des bei weitem bedeutenderen Umfanges der schlesischen Leinenindustrie,
                              sowohl wegen ihrer rascher vorgeschrittenen Entwickelung als wegen ihrer größeren
                              Concentration, für eine Vergleichung des Standpunktes der deutschen und der
                              englischen Leinenindustrie als die maaßgebende betrachten.
                           Es ist noch in den letzten Jahren selbst in industriellen Kreisen vielfach darüber
                              gestritten worden, ob es für die deutsche Leinenindustrie zweckmäßig sey, den Gang
                              der englischen einzuschlagen, und sich, soweit als irgend angänglich, auf
                              mechanische Kräfte zu stützen. Der Streit wird gegenwärtig nur noch sehr vereinzelt
                              geführt und kann als zu Gunsten der englischen Methode entschieden angesehen
                              werden.
                           Dagegen wird jetzt häufiger von Leinenfabrikanten und Leinenhändlern die Frage
                              aufgeworfen, ob der englischen und selbst der belgischen Concurrenz gegenüber die
                              deutsche Leinenindustrie noch günstige Elemente zu ihrem Fortbestehen und ihrer
                              Entwickelung besitzt.
                           Diese Frage wird leider häufig verneinend beantwortet, glücklicher Weise jedoch mehr
                              aus Gründen, welche
                              aus dem neuesten Entwickelungsgange der deutschen Leinenindustrie zu folgen
                              scheinen, als aus einer durch genaue Berechnung der Productions-Factoren
                              gewonnenen Ueberzeugung.
                           Die Thatsache, daß der deutsche Leinenhandel in dem letzten Jahrzehnt auf immer
                              engere Grenzen zurückgeführt worden, und der früher blühende überseeische Export
                              schlesischer Leinen gegenwärtig als erloschen anzusehen ist, diese Thatsache kann
                              leider nicht bezweifelt werden.
                           Ihr gegenüber steht jedoch eine andere, erfreuliche und hoffnunggebende, die
                              unbestreitbare Ausdehnung und Consolidation der Leinengarn-Spinnereien.
                           Die Zahl der Spindeln für Leinengarn stellt sich zur Zeit im Zollvereinsgebiet auf
                              ungefähr 158,000, und bleibt mithin nicht weit hinter der Zahl der 180,000 Spindeln
                              Belgiens zurück.
                           Vergleicht man hiermit die in Großbritannien arbeitende Spindelzahl, so ergibt sich
                              allerdings für dieses Land ein Vorsprung, der wohl schwerlich weder von Deutschland
                              noch von Belgien abgewonnen werden wird. Nach dem dem englischen Parlament in diesem
                              Jahre erstatteten Berichte beläuft sich die Zahl der in Großbritannien beschäftigten
                              Flachsspindeln auf 1,216,679, und es steht diese in Folge der ungünstigen
                              Conjuncturen der letzten Jahre gegen die im Jahre 1856 vorhanden gewesene
                              Spindelzahl von 1,288,043 noch um etwas zurück, selbst wenn zu jener die inzwischen
                              entstandenen 36 Jute-Fabriken mit 32,982 Spindeln hinzugerechnet werden.
                           Daß die Flachs- und Hede-Spinnerei im Zollvereinsgebiete, und hier
                              gerade die dem Umfange nach bedeutendste, nämlich die Ravensberger Spinnerei in
                              Bielefeld, durchschnittlich mit günstigem Erfolge arbeitet, beweist indeß, daß die
                              Leinenindustrie auch bei uns in dem neuen Boden frische Wurzeln geschlagen hat und
                              einer gesunden Entwickelung fähig ist.
                           Die weitere und entscheidende Frage ist hiernach, ob es möglich und an der Zeit ist,
                              behufs einer solchen Entwickelung den nächstliegenden Schritt zu thun und allgemein
                              zur mechanischen Weberei überzugehen. Diese Frage ist bereits in dem amtlichen
                              Berichte der allgemeinen Pariser Ausstellung des Jahres 1855 berührt, indeß dabei
                              vor sanguinischen Hoffnungen in dieser Beziehung gewarnt worden. Man hat folgende
                              vier Punkte, als den damaligen Erfahrungen entsprechend, aufgestellt:
                           
                              1) Da, wo die gewöhnliche Menschenkraft ein befriedigendes Gewebe
                                 herzustellen im Stande ist, liefert der Power-loom, zumal in Bezug auf Schwere und Dichtigkeit, keine
                                 bessere Qualität des Fabricats.
                              2) Die Kettenfäden, vermöge der geringeren Elasticität des
                                 Leinengarns, brechen, wenn die Anzahl der Schläge eine zu große wird, und um
                                 dieses Brechen möglichst zu verhüten, wird man genöthigt, bessere und deßhalb
                                 kostspieligere Garne zu benutzen.
                              3) Der Einschlag dagegen verhält sich indifferent und es können
                                 selbst Handgespinnste dazu verwendet werden.
                              4) Lose und batistartige Gewebe sind mehr für Power-looms geeignet, als dichtere, und es
                                 tritt bei denselben, selbst bei bedeutend feineren Garnen, ein Brechen der Kette
                                 seltener ein.
                              
                           Nach den neueren Erfahrungen können diese Aufstellungen nicht mehr als zutreffend
                              angesehen werden.
                           Zu 1. Das Gewebe des Power-loom ist dem Handgewebe
                              deßhalb vorzuziehen, weil es eine größere Gleichmäßigkeit besitzt. Die Dichtigkeit
                              des Gewebes richtet sich ganz nach der Construction des loom, der Aufnahme- und Nachlaß-Bewegung.
                           Zu 2. Die Stärke des Schlages ist Sache der Construction, und es wird die Elasticität der Kettenfäden
                              durch ein geeignetes Schlichtverfahren in genügender Weise hergestellt.
                           Zu 3. Es ist hier bereits bemerkt, daß der Einschlag sich indifferent verhält,
                              Handgespinnste werden übrigens zum Einschlag thatsächlich nicht verwendet.
                           Zu 4. Die Bemerkung ist thatsächlich nicht mehr richtig. Es werden alle Sorten von
                              Leinwand, von der gröbsten bis zur feinsten, von der losesten bis zur dichtesten,
                              auf Power-loom hergestellt.
                           Die Anwendbarkeit und Anwendung des mechanischen Webstuhls für alle Arten von
                              Leinengeweben, glatten, gemusterten und Drellen, steht durchaus außer Zweifel.
                           Ein jeder kann sich hierüber durch einen kurzen Besuch englischee Power-looms-Webereien die vollste
                              Ueberzeugung verschaffen.
                           Ein Zweifel über diesen Punkt existirt auch in Großbritannien nicht mehr. Der beste
                              Beweis hierfür liegt in der ungemein raschen Ausdehnung der mechanischen Webereien
                              Englands, welche sich selbst in den letzten 6 Jahren, trotz der ungünstigen
                              Verhältnisse, trotz eingetretener Handelskrisen und trotz der nachtheiligen Folgen,
                              welche der amerikanische Krieg auch für den Leinenmarkt gehabt hat, nicht
                              unerheblich vermehrt haben.
                           Im Jahr 1856 waren nach den amtlichen Ermittelungen des Parlaments in Großbritannien
                              in Thätigkeit:
                           
                              
                                 I. mechanische Webereien:
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                   1) in England und Wales
                                 19
                                 mit
                                 1452
                                 Stühlen,
                                 
                              
                                   2)  „ Schottland
                                 25
                                 „
                                 3995
                                 „
                                 
                              
                                   3)  „ Irland
                                 13
                                 „
                                 1033
                                 „
                                 
                              
                                 –––––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 Summe
                                 57
                                 mit
                                 6480
                                 Stühlen,
                                 
                              
                                 II. mechanische Webereien und Spinnereien:
                                 
                              
                                   1) in England und Wales
                                 17
                                 mit
                                 535
                                 Stühlen,
                                 
                              
                                   2)  „ Schottland
                                 17
                                 „
                                 1016
                                 „
                                 
                              
                                   3)  „ Irland
                                 9
                                 „
                                 685
                                 „
                                 
                              
                                 –––––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 Summe
                                 43
                                 mit
                                 2236
                                 Stühlen,
                                 
                              
                           mithin in der Totalsumme 100 mechanische Webereien, theils
                              allein, theils in Verbindung mit Spinnereien, mit 8716 Power-looms.
                           Für das Jahr 1861 stellt sich die Anzahl der arbeitenden mechanischen Webereien und
                              Power-looms wie folgt:
                           
                              
                                 I. mechanische Webereien:
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                   1) in England und Wales
                                 27
                                 mit
                                 1062
                                 Stühlen,
                                 
                              
                                   2)  „ Schottland
                                 41
                                 „
                                 3896
                                 „
                                 
                              
                                   3)  „ Irland
                                 15
                                 „
                                 1446
                                 „
                                 
                              
                                 –––––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 Summe
                                 83
                                 mit
                                 6294
                                 Stühlen,
                                 
                              
                                 II. mechanische Webereien und Spinnereien:
                                 
                              
                                   1) in England und Wales
                                 14
                                 mit
                                   466
                                 Stühlen,
                                 
                              
                                   2)  „ Schottland
                                 24
                                 „
                                 2061
                                 „
                                 
                              
                                   3)  „ Irland
                                 19
                                 „
                                 2491
                                 „
                                 
                              
                                 –––––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 Summe
                                 57
                                 mit
                                 5456
                                 Stühlen,
                                 
                              
                           also in der Totalsumme auf 140 Fabriken mit 11,750 Power-looms.
                           In der Zwischenzeit jener 6 Jahre hat sich sonach die Zahl mechanischer Webereien um
                              40 und die Zahl der Power-looms um 3061 vermehrt.
                              Der Zuwachs ist ein noch
                              größerer, wenn man den mechanischen Webereien auf Flachs die in den letzten Jahren
                              in Schottland entstandenen 27 Jute-Webereien mit 554 Power-looms hinzurechnet.
                           Dem Beispiele Englands folgend, haben Belgien und Frankreich und in neuester Zeit dem
                              Vernehmen nach selbst Rußland die mechanischen Leinewebereien als eine unbedingte
                              Nothwendigkeit der weiteren Entwickelung ihrer Leinenindustrie erkannt, und es hat
                              namentlich Belgien mit gewohnter Thatkraft das neue System anzuwenden begonnen.
                           Diese offenliegenden, aus praktischen Erfahrungen hervorgegangenen Thatsachen haben
                              ihr volles Gewicht auch für die Leinenindustrie im Gebiete des Zollvereins. Es tritt
                              hier jedoch noch ein Grund zur Annahme jenes Systems hinzu, welcher bisher ein
                              Haupthinderniß bei der Bekämpfung des siegreichen Einflusses englischer
                              Leinenindustrie auf dem Markte war, nämlich die Mangelhaftigkeit der deutschen, mit
                              der Hand gewebten Leinen bezüglich der Bleiche und Appretur. Daß dieser Mangel
                              vorzugsweise den Manipulationen beim Weben mit der Hand zugeschrieben werden muß,
                              und daß auf Maschinen gewebtes Leinen ungleich leichter und besser zu bleichen und
                              zu appretiren ist, als jenes, darüber herrscht bei Fachmännern wohl kaum noch ein
                              Zweifel. Der Grund hiefür liegt darin, daß das Schlichtverfahren für den
                              mechanischen Webestuhl ein durchaus anderes ist und seyn muß, wie für den Handstuhl.
                              Der Handweber gebraucht, weil ihm das Schlichten in der Regel selbst überlassen
                              wird, zu diesem Proceß gewöhnlich die schlechtesten und unreinsten Materialien, ein
                              Verfahren, welches später den Bleichproceß entschieden erschwert und selten
                              vollständig gelingen läßt. Bei der mechanischen Weberei wird das Schlichten durch
                              eine besondere Maschine besorgt, welche nicht allein mit reinen und guten
                              Materialien versehen ist, sondern auch die Schlichte gleichmäßiger vertheilt. Ist
                              eine Spinnerei mit einer Power-looms-Weberei verbunden, so kann für mittlere Sorten
                              Leinen die Schlichte ganz erspart und der Bleichproceß noch mehr begünstigt werden,
                              wenn das Garn nicht vollständig getrocknet, sondern mit einem zurückbleibenden Grade
                              von Feuchtigkeit sofort auf die Ketten- und Schuß-Spulmaschinen (warp and weft winding machines) gebracht wird.
                           Es ist ferner zu beachten, daß mechanische Webereien größeren Umfangs zugleich eine
                              Theilung der Arbeit in der Bleiche veranlassen, welche dem Bleichverfahren eine
                              größere Gleichförmigkeit in der Behandlung und bessere Gelegenheit zur Gewinnung
                              praktischer Erfahrungen gewährt.
                           Die Ungleichartigkeit der Gewebe, welche den zollvereinsländischen Bleichereien in
                              Massen zur Bearbeitung zugehen, gibt einen Hauptentstehungsgrund für die Klage ab,
                              daß das Bleichresultat im Allgemeinen so häufig kein befriedigendes ist.
                           Daß das britische Klima und noch mehr das irische den Bleichproceß vor dem unseren
                              begünstigt, soll nicht bezweifelt werden. Indeß wird auf diesen Punkt in der Regel
                              zu viel Gewicht gelegt, da die Rasenbleiche, wenn auch ein nothwendiger Bestandtheil
                              des Bleichverfahrens, doch nur eine Nebenrolle in demselben spielt.
                           Es kann hiernach die Frage über den Vorzug des mechanischen Webestuhls vor dem
                              Handstuhl in technischer Beziehung als abgeschlossen angesehen werden, und die
                              vorhin aufgestellte Frage, ob im Zollvereinsgebiete mit der Einführung mechanischer
                              Webereien vorzugehen sey, reducirt sich einfach auf eine Frage kaufmännischer
                              Berechnung.
                           Daß letztere sich den Verhältnissen nach verschieden stellt, ist
                              selbstverständlich.
                           Im Allgemeinen nimmt man in England an, daß sich die Generalkosten der mechanischen
                              Weberei den Löhnen für die Herstellung eines Gewebes auf dem Handstuhl
                              gleichstellen, wenn der Dampfwebestuhl gerade doppelt so viel webt, wie der
                              Handweber. Hierbei sind jedoch die Arbeitslöhne in der mechanischen Weberei außer
                              Ansatz gelassen.
                           
                           Das Verhältniß zwischen den Kosten der einen und anderen Art der Weberei ist hiernach
                              überschläglich leicht zu berechnen. Bei einem 80gängigen Stück webt der Hand weder
                              durchschnittlich 14 Tage, der Power-loom noch
                              nicht 3; das Verhältniß stellt sich mithin hier zu Gunsten des Power-loom's fast wie 1 : 5.
                           Der Webelohn des Handwebers beläuft sich im Minden-Ravensbergischen für das
                              Stück jener Art auf ungefähr 3 Thlr. Bei dem Power-loom wird es darauf ankommen, welche Uebung die Arbeiter
                              bereits besitzen. Sind dieselben eingelernt, so kann der Einzelne, namentlich für
                              gewisse Sorten Leinwand, bequem zwei Stühle übernehmen.
                           Jene generelle Berechnung wird sich unter günstigen Bedingungen auch für die
                              Zollvereins-Verhältnisse als zutreffend erweisen. Es läßt sich jedoch nicht
                              verkennen, daß sich hier auch in den Hauptfactoren die Berechnung etwas
                              modificirt.
                           Vergleicht man die Verhältnisse Minden-Ravensbergs mit denen Englands, so
                              gelangt man zu folgenden Resultaten:
                           1) Hinsichtlich der Beschaffung des Rohmaterials stehen Minden-Ravensberg und
                              Irland auf gleicher Stufe.
                           Die englischen und schottischen Spinnereien verbrauchen zum größten Theil
                              ausländischen Flachs – russischen, preußischen, belgischen und holländischen,
                              – Irland vorzugsweise eigenen.
                           Der Marktpreis für die irischen Flachse stellt sich mit dem Preise, zu dem das
                              Material in Bielefeld zu haben ist, durchschnittlich gleich, für die englischen und
                              schottischen aber etwas niedriger.
                           Die gröberen und mittleren Nummern Garne können bei uns zu demselben Preise producirt
                              werden, wie in Großbritannien, die feineren noch nicht.
                           2) Die Kohle hat in Bielefeld den gleichen, zu Zeiten einen etwas geringeren
                              Durchschnittspreis, wie in Irland. Sie ist dagegen nicht ganz so billig, wie in
                              England und Schottland.
                           3) Die Maschinen, wenn von Großbritannien bezogen – und die Power-looms müssen noch von da bezogen werden,
                              – sind hier in Folge der Fracht und der Verpackung für den Seetransport etc.
                              wohl um 20 Proc. theurer als dort.
                           4) Ungünstiger für die hiesigen Verhältnisse, namentlich durch die höheren Preise des
                              Eisens, stellen sich auch die Kosten für die Errichtung der erforderlichen
                              Fabrikgebäude.
                           5) Die Arbeitslöhne halten sich durchschnittlich gleich hoch mit denen Englands und
                              Schottlands, und etwas höher als die irischen.
                           Es ist hierbei jedoch noch zu beachten, daß der geübte englische Arbeiter
                              außerordentlich viel leistet.
                           Es geht hieraus hervor, daß England unter den gegenwärtigen Verhältnissen, namentlich
                              so lange das Eisen einen hohen Schutzzoll genießt, unter theilweise etwas
                              günstigeren Bedingungen arbeiten wird, wie die Länder des Zollvereins.
                           Auch muß dabei ferner in Betracht gezogen werden, daß Großbritannien durch die
                              Concentration seiner Leinenindustrie auf bestimmte Punkte, Durchführung des Systems
                              der Theilung der Arbeit, ungemeine Entwickelung seines Creditsystems und durch seine
                              Capitalfülle ungleich vortheilhaftere Fundamente für seine Industrie gewonnen
                              hat.
                           Es sind jedoch alle diese Bedenken, welche zum Theil auch unserer Wollen- und
                              Baumwollen-Industrie entgegengestellt werden können, nicht so durchgreifender
                              Art, daß um ihrethalben von der weiteren Entwickelung der Leinenindustrie auf dem
                              von Großbritannien eingeschlagenen Wege Abstand zu nehmen wäre.
                           Zunächst handelt es sich nicht um den Beginn eines Kampfes mit England auf dem
                              Weltmarkte, sondern um die Behauptung des Zollvereinsmarktes, ein Ziel, welches im Hinblick auf den
                              früheren Flor der deutschen Leinenindustrie gewiß nicht zu hoch gestellt ist.
                           Es handelt sich ferner um die Frage, ob das durch den mechanischen Webestuhl
                              hergestellte Gewebe neben seiner größeren Vollkommenheit, auch seinen
                              Productionskosten nach, dem Handgewebe, wie es gegenwärtig gefertigt wird,
                              vorzuziehen ist, und es wird diese Frage in den meisten Fällen, namentlich bei
                              Segeltüchern, Sacktüchern, gröberen und mittleren Sorten von Leinen, bejahend
                              entschieden werden müssen.
                           Endlich handelt es sich darum, daß bei Errichtung von mechanischen Webereien von vorn
                              herein alle Momente für die Ermäßigung der Productionskosten auf das Sorgfältigste
                              erwogen werden.
                           Zur besseren Uebersicht über die hierbei in Betracht zu ziehenden Verhältnisse wird
                              nachstehend noch der generelle Betriebsplan einer sich auf die Verhältnisse im
                              Zollvereinsgebiet stützenden mechanischen Weberei beigefügt:
                           Die zollvereinsländische Leinenindustrie hat einmal durch Errichtung von
                              Garnspinnereien den ersten Schritt zur Wiederbefestigung ihrer Stellung und zwar mit
                              Erfolg gethan, der zweite muß gleichfalls genommen werden, soll nicht der erste
                              nutzlos seyn.
                           Die Errichtung von mechanischen Webereien ist eine absolute Nothwendigkeit für uns
                              geworden, wenn wir nicht eine weitere Rückwärtsbewegung der ganzen Leinenindustrie
                              und den allmählichen Untergang derselben herbeiführen wollen.
                           
                        
                           Plan für eine mechanische
                                 Weberei.Dieser Plan ist mit Hülfe des Civilingenieurs Heinrich Landwehr zu Bielefeld ausgearbeitet, welcher sich während seines
                                    mehrjährigen Aufenthalts in Großbritannien fast ausschließlich mit allen die
                                    Leinenfabrication betreffenden technischen Fragen beschäftigt hat.Wer sich genauere Information in dieser Beziehung zu verschaffen wünscht,
                                    möge sich an die gedachte Adresse wenden.
                           Unter den gegenwärtigen Verhältnissen des Leinengeschäfts im Zollverein ist bei
                              Errichtung einer mechanischen Leinenweberei von folgenden Grundsätzen
                              auszugehen:
                           1) Die Anlage ist zunächst allein auf den zollvereinsländischen Markt zu
                              berechnen.
                           2) Sie ist so herzustellen, sowohl was die in Anwendung zu bringende Dampfkraft, als
                              den Umfang der Fabrikräume betrifft, daß sie der Aufstellung einer größeren Anzahl
                              Stühle und im Allgemeinen einer weiteren Ausdehnung fähig ist.
                           3) Damit sich das Etablissement nach den Bedürfnissen des Marktes richten kann, sind
                              die gewöhnlichen Stühle auf glatte Leinen (Plain-linen-looms) so zu construiren, daß sie ohne Mühe in
                              Drellstühle umgewandelt werden können.
                           4) Es erscheint zweckmäßig, neben dieser Art von Power-looms auch Damaststühle, und zwar von verschiedenen
                              Breite-Dimensionen, für das Verfertigen von Tafeltüchern und Servietten
                              aufzustellen, und einige Stühle für Bettzeuge (sheeting-looms) von nicht zu geringer Breite einzuschalten.
                           5) Die Anlage ist von Anfang nicht zu groß zu bemessen, und ist deßhalb dem
                              nachfolgenden Kostenüberschlage ein Etablissement von 50 Stühlen zu Grunde gelegt
                              worden.
                           Kostenüberschlag.
                           
                              
                                   1)
                                 10 light plain-linen-looms zu 9 Pfd. St. 10
                                    Sh.
                                       95 Pf. St. –
                                    Sh.
                                 
                              
                                   2)
                                 10 middle plain-linen-looms à 13 Pfd.
                                    St.
                                     130    
                                    „     –  
                                    „
                                 
                              
                                   3)
                                 15 Drell-Stühle à 14 Pfd. St.
                                     210    
                                    „     –  
                                    „
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                    ––––––––––––––––––––
                                    
                                 
                              
                                 
                                 
                                    Latus
                                    
                                     435 Pfd. St. – Sh.
                                 
                              
                                 
                                    
                                    
                                 
                              
                                 
                                 Transport
                                     435 Pfd. St. – Sh.
                                 
                              
                                   4)
                                 10 Damast-Stühle von verschiedenen Dimensionen,durchschnittlich 18
                                    Pfd. St.
                                     180  
                                    „        
                                    –   „
                                 
                              
                                   5)
                                 5 Bettzeug-Stühle (sheeting-looms) von
                                    verschiedenenDimensionen
                                     110  
                                    „          –  
                                    „
                                 
                              
                                   6)
                                 eine Garnerweichungsmaschine
                                       12  
                                    „        
                                    10  „
                                 
                              
                                   7)
                                 2 Kettspulen-Maschinen (warp windig
                                       machines)zu 60 Spindeln à 18
                                    Sh. 6 Pence für die Spindel
                                     111  
                                    „        
                                    –   „
                                 
                              
                                   8)
                                 2 Schlichtmaschinen à 90 Pfund St. (dressing machines)
                                     180  
                                    „        
                                    –   „
                                 
                              
                                   9)
                                 1 Aufbäumemaschine (beaming machine)
                                       40  
                                    „        
                                    –   „
                                 
                              
                                 10)
                                 2 Schußspulmaschinen (weft winding
                                       machines)zu 50 Spindeln à 18
                                    Sh. pro Spindel
                                       90  
                                    „        
                                    –   „
                                 
                              
                                 11)
                                 Für Garnbäume, Schützen, Picker, Lederriemen,Oelkannen, Bürsten,
                                    Scheren, Ständer u. Heddles
                                     200  
                                    „        
                                    –   „
                                 
                              
                                 
                                 
                                 ––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 Summe
                                   1472 Pfd. St. 10 Sh.
                                 
                              
                                 
                                 
                                 oder 9816 Thlr. 20 Sgr.
                                 
                              
                                 12)
                                 Eine 30 Pferdekraft Dampfmaschine mit variablerExpansion und einem 30
                                    Pferdekraft Dampfkessel,3 Atm. Ueberdruck
                                   4300      
                                    „      –    „
                                 
                              
                                 13)
                                 Vorwärmer, Regulator
                                     270      
                                    „      –    „
                                 
                              
                                 14)
                                 Transmissionen, Röhren
                                   3000      
                                    „      –    „
                                 
                              
                                 
                                 
                                 ––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 Summe
                                 17386     Thlr.  20 Sgr.
                                 
                              
                           Rechnet man für den erforderlichen Grund und Boden, die Fabrikgebäude mit
                              Kessel- und Maschinenhaus circa 13000 Thlr., so
                              stellt sich die Totalsumme der Anlage mit Hinzurechnung von Fracht und Zoll auf
                              ungefähr 36000 Thlr. (Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins, 1863, S.
                              120.)