| Titel: | Ueber die Schießbaumwolle; von Pelouze und Maurey. | 
| Fundstelle: | Band 174, Jahrgang 1864, Nr. LVII., S. 210 | 
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                        LVII.
                        Ueber die Schießbaumwolle; von Pelouze und Maurey.
                        Aus den Comptes rendus, t. LIX p. 363, August
                              1864.
                        Pelouze und Maurey über die Schießbaumwolle.
                        
                     
                        
                           Die Schießbaumwolle (das Pyroxylin) ist seit bald zwei Jahrzehnten, wo man das
                              gewöhnliche Pulver für die Schußwaffen und die bergmännische Bohr – und
                              Schießarbeit durch sie zu ersetzen suchte, in der verschiedenartigsten Weise
                              beurtheilt worden. In Frankreich ist ihre Anwendung nach zahlreichen Versuchen wegen
                              ihrer zerstörenden Wirkungen auf die Läufe der Waffen, sowie wegen der durch ihre
                              freiwillige Zersetzung und Explosion verursachten Unfälle, auf die zuerst Einer von
                              uns in einem der Akademie vorgelegten Aufsatze (polytechn. Journal, 1849, Bd. CXII
                              S. 138) aufmerksam machte, wieder aufgegeben worden.
                           In Oesterreich beschäftigte sich General v. Lenk mit der
                              Darstellung und Anwendung dieses explosiven Präparats specieller. Die ihm
                              eigenthümliche Darstellungsmethode, welche zu Hirtenberg in großem Maaßstabe
                              praktisch ausgeführt wurde, blieb mehrere Jahre lang tiefes Geheimniß; seit dem
                              vorigen Jahre sind jedoch mehrere auf dieselbe bezügliche Documente sowohl von
                              verschiedenen deutschen Chemikern als vom General Lenk
                              selbst veröffentlicht worden.
                           Diesen zufolge wäre die Hirtenberger Schießbaumwolle spontanen Explosionen nicht
                              unterworfen, wie es der Fall mit der französischen, in der Pulverfabrik zu Bouchet
                              dargestellten der Fall ist, ja die erstere soll sogar eine von der der letztern
                              abweichende chemische Zusammensetzung haben, und ihre (die Feuerwaffen)
                              zersprengenden Eigenschaften sollen durch die Art wie man die Fäden zu einem Ganzen
                              vereinigt, beseitigt werden können. Wir wollen im Nachfolgenden untersuchen,
                              inwiefern diese Behauptungen gegründet sind, und zu dem Zwecke die Resultate der von uns beiden
                              unter Assistenz des Commissär-Adjuncts der kaiserlichen Pulverfabriken, Hrn.
                              Faucher und des Hrn. Chapoteaut, unseres Präparateurs, angestellten Versuche und Analysen
                              mittheilen.
                           
                        
                           Die zu Hirtenberg und zu Bouchet
                                 befolgten Methoden zur Darstellung der Schießbaumwolle.
                           Die zu Hirtenberg nach dem Verfahren des Generals Lenk
                              dargestellte Schießbaumwolle wird, gleich der zu Bouchet präparirten, durch
                              Eintauchen von Baumwolle in ein Gemisch von einfach-gewässerter Salpetersäure
                              und Schwefelsäure von 66° Baumé gewonnen. Indessen weichen die beiden
                              Methoden doch in mehreren Punkten von einander ab.
                           Zunächst ist das Verhältniß beider Säuren bei den beiden Methoden nicht gleich; das
                              Lenk'sche Gemisch wird aus 1 Gewichtstheil
                              Salpetersäure auf 3 Th. Schwefelsäure, das zu Bouchet angewendete dagegen aus 1 Vol.
                              Salpetersäure und 2 Vol. Schwefelsäure, entsprechend 1 Gewichtstheil jener auf 2,46
                              Gewichtstheile der letzteren zusammengesetzt. In dem erwähnten Aufsatze von 1849
                              wird das Gemisch von 3 Vol. Salpetersäure mit 7 Vol. Schwefelsäure (1 Gewth. auf
                              2,86 Gewth.), welches den von General Lenk endgültig
                              angenommenen Verhältnissen noch näher kommt, als das am vortheilhaftesten wirkende
                              angegeben.
                           Zu Hirtenberg wird die Baumwolle in Quantitäten von 100 Grammen in 30 Kilogr. des
                              Säuregemisches eingetaucht. Nachdem sie im Bade einen Augenblick umgerührt worden,
                              wird sie aus demselben herausgenommen: das hierbei verbrauchte Bad wird jedesmal
                              durch neues Gemisch ersetzt, so daß die Operationen in dieser Weise beliebig lang
                              fortgesetzt werden können, indem das Gewicht des Säuregemisches fortwährend 300 mal
                              größer ist als das der Baumwolle.
                           Ist eine genügende Quantität eingetauchter Baumwolle vorräthig, so wird dieselbe in
                              einen Behälter gebracht, in welchem sie mit dem von ihr aufgesogenen Säuregemische
                              48 Stunden liegen bleibt. Nach Verlauf dieser Zeit kommt sie in eine Centrifuge, in
                              welcher binnen wenigen Minuten der größte Theil der nicht gebundenen Säuren
                              ausgeschleudert wird. Der Rest wird durch Waschen und sechswöchentliches Einhängen
                              in fließendem Wasser beseitigt. Darauf wird die Baumwolle nochmals in der Centrifuge
                              ausgeschleudert und zwei bis drei Minuten lang in einer Lösung von kohlensaurem Kali
                              von 2° Baums gekocht, dann zum dritten und letzten Male ausgeschleudert und
                              bei günstigem Wetter an freier Luft, sonst aber in einem Trockenraume, dessen
                              Temperatur 20° C. nicht übersteigen darf, getrocknet.
                           
                           In der letzten Zeit wandte General v. Lenk eine 12°
                              Baumé starke Lösung von Natron-Wasserglas an, mit welcher die auf die
                              angegebene Weise behandelte Baumwolle getränkt wird; dann kommt dieselbe zum
                              Trocknen und wird so lange an die Luft gehängt, bis die atmosphärische Kohlensäure
                              sich mit dem Natron des Wasserglases verbunden hat, wodurch ein unlösliches Silicat
                              auf der Pflanzenfaser niedergeschlagen wird, welches nach Lenk „die
                                 Baumwollenfaser geschlossener macht und die Entwickelung der Gase
                                 verzögert.“
                              
                           Zu Bouchet wurde die Behandlung mit dem Säuregemische in Gefäßen vorgenommen, welche,
                              auf je 200 Grm. Baumwolle, nur 2 Liter von jenem enthielten und eine einstündige
                              Imprägnirung mit dem Säuregemische wurde für hinlänglich gehalten.
                           Von den nicht gebundenen Säuren wurden etwa 70 Proc. mittelst einer Presse entfernt,
                              dann ward die Baumwolle eine oder anderthalb Stunden lang in fließendem Wasser
                              gewaschen, von einem großen Theile des Waschwassers durch starkes Auspressen befreit
                              und hernach zur Neutralisirung der letzten Spuren von Säuren vierundzwanzig Stunden
                              lang in Holzaschenlauge gelegt. Darauf wurde sie zum zweitenmale in fließendem
                              Wasser ausgewaschen, wieder ausgepreßt und schließlich auf einem weit gewobenen
                              Leintuchs, durch welches mittelst eines Ventilators kalte Luft getrieben wurde,
                              getrocknet.
                           Wasserglas ist für die Schießbaumwolle in Bouchet niemals angewendet worden; wir
                              werden auch zeigen, daß dieser Zusatz die ihm von General v. Lenk beigelegte
                              Wichtigkeit nicht zu haben scheint.
                           
                        
                           Quantität der durch ein gegebenes
                                 Gewicht Cellulose erzeugten Schießbaumwolle.
                           Nach einem Berichte der deutschen Chemiker Redtenbacher, Schrötter und Schneider
                              Der Bericht der genannten Chemiker wurde im Juni 1863 an den Feldmarschall
                                    Johann Freiherrn Kempen von Fichtenstamm als
                                    Präsidenten der k. k. Kommission für die Schießbaumwolle erstattet und der
                                    chemischen und mechanischen Section der zu Newcastle versammelten British Association mitgetheilt; er wurde dann
                                    vollständig in englischer Uebersetzung im Practical
                                       Mechanics' Journal October 1863, S. 172 veröffentlicht.A. d. Red. wird die Zusammensetzung der Lenk'schen
                              Schießbaumwolle durch die Formel
                           C¹²H⁷O⁷, 3NO⁵ oder
                              C¹²H⁷ 3(NO⁴)O¹º
                           ausgedrückt, welche der folgenden procentischen
                              Zusammensetzung entspricht:
                           
                           
                              
                                 Kohlenstoff
                                 24,24
                                 
                              
                                 Wasserstoff
                                 2,36
                                 
                              
                                 Sauerstoff
                                 59,26
                                 
                              
                                 Stickstoff
                                 14,14
                                 
                              
                                 
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 100,00
                                 
                              
                           Die Reaction selbst läßt sich in zweierlei Weise auffassen:
                           1) Indem man annimmt, daß die Pflanzenfaser bei der Berührung mit dem Gemische von
                              Salpetersäure und Schwefelsäure, Wasser verliert, an dessen Stelle Salpetersäure
                              tritt, entsprechend der Gleichung
                           C¹²H¹ºO¹º + 3NO⁵
                              = C¹²H⁷O⁷, 3NO⁵ + 3HO.
                           2) Indem man annimmt, daß ein Theil des Wasserstoffs der Cellulose durch eine gleiche
                              Anzahl von Aequivalenten Untersalpetersäure ersetzt wird, nach dem Ausdrucke
                           C¹²H¹ºO¹º + 3NO⁵
                              = C¹²H⁷ 3(NO⁴)O¹º + 3HO
                           Demzufolge müßten 100 Theile Baumwolle 183 Th. Schießbaumwolle geben. Wir haben
                              indessen bei mehr als hundert Versuchen, bei welchen wir die Gewichtsverhältnisse
                              der Substanzen, aus deren gegenseitiger Reaction der explosive Körper resultirt,
                              jedesmal abänderten, niemals mehr als 178 Gewichtstheile erhalten.
                           Der Bericht der genannten Chemiker schweigt bezüglich des Ausbringens an
                              Schießbaumwolle, und doch bildet dasselbe nach unserer Ansicht den zuverlässigsten
                              Anhaltspunkt zur Berechnung der Zusammensetzung der Schießbaumwolle. Wir wollen
                              damit keineswegs sagen, daß eine genaue Bestimmung der aus einer bestimmten Menge
                              Baumwolle erhaltenen Schießbaumwolle die Elementaranalyse dieser letzteren ganz
                              entbehrlich macht; die Ergebnisse der Analyse müssen aber mit der Ausbeute an
                              explosivem Präparate in Einklang stehen.
                           Unsere Versuche über die Quantität der erhaltenen Schießbaumwolle wurden mit
                              Baumwolle von guter Qualität angestellt, welche vor der Behandlung mit Säuren in
                              einer kochend heißen Lösung von kohlensaurem Kali oder von Seife gewaschen und
                              möglichst vollständig von allen fremden Körpern, namentlich von Samenkörnern,
                              gereinigt, dann aber in einem Gay-Lussac'schen
                              Trockenapparate bei einer Temperatur zwischen 100 und 115° C. sorgfältig
                              getrocknet wurde.
                           Die Schwefelsäure hatte 66° Baumé; die Salpetersäure zeigte bei +
                              9° C. ein spec. Gewicht von 1,50, enthielt eine geringe Menge Salpetrigsäure
                              und war gelblich gefärbt.
                           Die Säuren wurden in verschiedenen Verhältnissen mit einander gemischt, und zwar so,
                              daß sie: 1) die Zusammensetzung des Lenk'schen Gemisches,
                              2) diejenige des zu Bouchet angewendeten Gemisches, 3) verschiedene, zwischen den
                              Verhältnissen von 2 SO³ zu 1 NO⁵ und von 3 SO³ zu 1 NO⁵
                              liegende Mischungsverhältnisse zeigten.
                           Ebenso wurden auch die relativen Mengen des Säuregemisches und der auf einmal zu
                              behandelnden Baumwolle variirt, so daß dieselben gleichfalls den früher zu Bouchet
                              üblichen, dann den von Lenk angegebenen und außerdem
                              verschiedenen anderen Verhältnissen entsprachen, in denen die Menge des
                              Säuregemisches gesteigert wurde, so daß dasselbe im extremen Falle das 500fache
                              Gewicht der Baumwolle betrug.
                           Die Dauer des Eintauchens der Baumwolle in das Säuregemisch variirte von 1 Stunde bis
                              zu 66 Stunden.
                           Bei diesen sämmtlichen Versuchen schwankte die Ausbeute an Schießbaumwolle in engen
                              Grenzen, ohne jedoch mehr als 178 auf 100 angewendeter Baumwolle zu betragen.
                           Bei der fabrikmäßigen Darstellung des Präparats erreicht die Ausbeute an
                              Schießbaumwolle weder zu Hirtenberg, noch in der Pulverfabrik zu Bouchet die Höhe
                              des mit kleinen Quantitäten im Laboratorium erzielten Ertrags. Nach Lenk's Angaben sind zur Darstellung von 100 Kilogr.
                              Schießbaumwolle 64,5 Kil. nicht ausgetrockneter Baumwolle erforderlich, was einer
                              Ausbeute von 155 entspricht. Vorausgesetzt, daß die Baumwolle 6 bis 7 Proc.
                              Feuchtigkeit enthält, würde der Ertrag der trockenen Baumwolle zu Hirtenberg 165 bis
                              167 von 100 gewesen seyn.
                           Zu Bouchet war, nachdem der Betrieb ein regelmäßiger geworden, der Ertrag 165,25 von
                              100.
                           Ohne aus diesen Zahlen theoretische Folgerungen bezüglich der Entstehung der
                              Schießbaumwolle ziehen zu können, durften wir doch einen so wichtigen Punkt wie den
                              der Ausbeute nicht mit Schweigen übergehen, zumal da dieselbe bei der Darstellung im
                              Großen in den beiden in Rede stehenden Fabriken nahezu gleich ist.
                           
                        
                           Zusammensetzung der
                                 Schießbaumwolle.
                           Der Eine von uns hatte i. J. 1847 die Zusammensetzung der Schießbaumwolle
                              untersuchtPelouze, über die
                                    Elementar-Zusammensetzung der chemisch reinen Schießbaumwolle oder
                                    des Pyroxylins, im polytechn. Journal Bd.
                                       CIII S. 224. und für diese Verbindung die Formel
                           C²⁴ H¹⁷ O¹⁷, 5
                              NO⁵
                           aufgestellt. jetzt lag uns ob, zu ermitteln, ob die damals
                              analysirte Schießbaumwolle gleiche Zusammensetzung mit der Lenk'schen hatte, und welche Formel dem Präparate wirklich zukommt, wenn
                              dasjenige von Bouchet mit dem Lenk'schen chemisch ganz
                              übereinstimmt.
                           Auf diese Versuche verwendeten wir die größte Sorgfalt und wir glauben alle mit der
                              Verbrennung der Schießbaumwolle verbundenen Schwierigkeiten glücklich überwunden zu
                              haben. Das Resultat unserer Untersuchungen war, daß die Schießbaumwolle des Generals
                              Lenk mit der zu Bouchet dargestellten chemisch ganz
                              identisch ist, und wir halten uns demnach zur Aufstellung einer Formel berechtigt,
                              welche von der i. J. 1847 angenommenen nur um 1 Aequivalent Wasser abweicht. Diese
                              Formel ist
                           C²⁴ H¹⁸, O¹⁸, 5
                              NO⁵
                           dieselbe nähert sich der älteren
                           C²⁴ H¹⁷ O¹⁷, 5
                              NO⁵
                           so sehr, daß die Ergebnisse unserer Analyse allein zur
                              Rechtfertigung dieser Abänderung jenes chemischen Ausdruckes nicht genügend gewesen
                              seyn würden; wir haben uns vielmehr bei der Wahl der letzteren auf die oben näher
                              erörterte Ausbeute an dem explosiven Präparate gestützt. Die neue Formel verlangt
                              einen Ertrag von 177,78 Schießbaumwolle auf 100 Baumwolle, während die ältere einem
                              Ertrage von nur 175 entspricht. Unsere oben aufgeführten directen Versuche haben
                              aber die Ausbeute von 178 herausgestellt.
                           Alle von uns analysirten Proben von Schießbaumwolle wurden zunächst in einem Gemisch
                              von Alkohol und Aether gewaschen, durch welches ihnen einige Tausendtel fettiger
                              Substanzen und löslicher Theile entzogen wurden, dann mehrere Stunden lang in einem
                              Trockenapparat bei einer Temperatur zwischen 40 und 50° C. getrocknet.
                              Sämmtliche Proben zeigten die folgende Zusammensetzung:
                           
                              
                                 Kohlenstoff
                                 25,00
                                 
                              
                                 Wasserstoff
                                 3,13
                                 
                              
                                 Sauerstoff
                                 59,72
                                 
                              
                                 Stickstoff
                                 12,15
                                 
                              
                                 
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 100,00
                                 
                              
                           
                        
                           Wirkung der Wärme auf die
                                 Schießbaumwolle.
                           General Lenk schreibt die in Frankreich von der betreffenden Commission i. J. 1846
                              erhaltenen ungünstigen Resultate dem Umstande zu, daß man sich vorher nicht genugsam
                              mit der Darstellungsweise der Schießbaumwolle vertraut gemacht hatte und nicht mit
                              einem genügend nitrirten Producte operirt hatte. Er wählte daher ein Verfahren,
                              welches für die Nitrirung am günstigsten zu seyn scheint und glaubt so ein Präparat
                              erhalten zu haben, welches der Zersetzung mehr widersteht.
                           Nach unserer Ansicht ist es aber im Gegentheil wahrscheinlich, daß sich eine Schießbaumwolle um so
                              leichter zersetzt, je größer ihre Verschiedenheit von der typischen Cellulose, je
                              stärker sie also nitrirt ist. General Lenk behauptet, daß
                              die nach seinem Verfahren dargestellte Schießbaumwolle erst bei der Temperatur von
                              136° C. explodirt, jeder niedrigeren Temperatur aber widersteht. Eine nähere
                              Erörterung dieses Punktes ist von Wichtigkeit; wir haben bezüglich desselben
                              zahlreiche Versuche angestellt.
                           Dieselben wurden zunächst in offenen und verschlossenen Probirkölbchen vorgenommen,
                              welche man in ein kochendes Wasserbad tauchte. Sämmtliche auf diese Weise bis
                              100° erhitzte Proben zersetzten sich binnen kürzerer oder längerer Zeit; in
                              allen Fällen ließ sich binnen einiger Minuten die Entwickelung salpetrigsaurer
                              Dämpfe beobachten.
                           Es lassen sich vier Zersetzungsweisen bei 100°C. unterscheiden, deren
                              gemeinsamer Charakter die Entwickelung von Salpetrigsäuredämpfen ist:
                           1) Die Schießbaumwolle detonirt heftig.
                           2) Sie zersetzt sich ohne Detonation, mit Hinterlassung eines weißen pulverförmigen,
                              sauer reagirenden, in Wasser unvollständig löslichen, stickstofffreien Rückstandes,
                              dessen Menge ungefähr die Hälfte des Gewichts der angewendeten Schießbaumwolle
                              beträgt.
                           3) Sie hinterläßt einen gelblichen, amorphen, nicht explodirbaren, in Wasser
                              theilweise löslichen Rückstand, welcher wie die Glykose das weinsaure
                              Kupferoxyd-Kali reducirt.
                           4) Sie gibt einen geringen Rückstand (8 bis 10 Procent ihres Gewichtes) einer
                              schwarzen Substanz vom Ansehen der Kohle.
                           Im letzteren Falle überzieht sich der Kolben innen gänzlich mit einem gelblichen, in
                              Alkalien unter starker Entwickelung von Ammoniak
                              löslichen Pulver (welches ulminsaures Ammoniak zu seyn scheint). Aus der alkalischen
                              Lösung dieser Substanz wird durch Säuren ein schmutzig gelber Körper
                              niedergeschlagen, welcher sich wieder in Alkalien löst. Mit Kali behandelt, gibt
                              auch der erwähnte kohlige Rückstand Ammoniak. Diese Ammoniakbildung durch die bloße
                              Wirkung der Wärme auf eine aus Salpetersäure und Cellulose bestehende Substanz ist
                              sehr bemerkenswerth Andere, mit den verschiedenen Proben Schießbaumwolle bei
                              90°, dann bei 80° C. angestellte Versuche gaben ganz dieselben
                              Resultate, nur traten die Zersetzungserscheinungen, anstatt nach wenigen Minuten,
                              erst nach mehreren Stunden ein.
                           Die Schießbaumwolle zersetzt sich auch bei 60°, ja selbst bei 55° C.
                              Nach Verlauf einiger Tage füllen sich die Kolben mit dicken, röthlichen Dämpfen und
                              es bleibt derselbe pulverförmige, stickstofffreie Rückstand, von dem vorhin die Rede
                              war. Eine Entzündung wurde bei diesen letzteren Versuchen nicht beobachtet.
                           
                           Wir dürfen indessen einen Fall von Detonation nicht unerwähnt lassen, die in dem
                              Augenblick stattfand, als Einer von uns etwa 1 Grm. Schießbaumwolle in einen Gay-Lussac'schen kupfernen Trockenapparat brachte,
                              dessen Oelbad nur eine Temperatur von 47° C. hatte. Die auf diese Weise
                              zersetzte Schießbaumwolle rührte von einer, durch achtundvierzigstündige
                              Säureimprägnirung dargestellten und nach dem Lenk'schen
                              Verfahren ausgewaschenen Probe her.
                           Aus allen diesen Versuchen geht der unwiderlegliche Beweis hervor, daß, entgegen
                              General Lenk's Behauptung, seine Schießbaumwolle der
                              Wirkung der Wärme nicht besser widersteht, als die zu Bouchet dargestellte.
                           Die mit Wasserglas behandelte österreichische Schießbaumwolle verhielt sich unter
                              allen Umständen ganz so wie die übrigen Sorten.
                           Gegenüber diesen Thatsachen, der Zersetzung der Schießbaumwolle bei der Temperatur
                              von etwa 50° C., drängt sich die Frage auf, ob sich dieselbe nicht sogar
                              schon bei gewöhnlicher Temperatur zersetzt. Kann sie in Folge dessen freiwillig
                              detoniren, wenn sie in den Magazinen in beträchtlichen Massen aufbewahrt wird? Fälle
                              von Zersetzung der Schießbaumwolle bei gewöhnlicher Temperatur sind bereits von
                              mehreren Chemikern angegeben worden. Als Producte dieser Zersetzung wurden
                              salpetrigsaure Dämpfe, ferner hoch oxydirte Körper, namentlich Ameisensäure,
                              Oxal- und Essigsäure, und als Rückstand gummi- und zuckerartige
                              Substanzen aufgeführt. Diese Beispiele von Zersetzung des Präparats bei gewöhnlicher
                              Temperatur suchte man durch unvollständiges Auswaschen zu erklären.
                           Hierauf entgegnen wir zunächst, daß bei kleineren Mengen Substanz ein vollständiges
                              Auswaschen leicht zu bewerkstelligen ist. Da ferner schon seit Entdeckung der
                              Schießbaumwolle erkannt wurde, daß die Schwefelsäure zerstörend auf das Präparat
                              einwirkt, so mußte man stets auch die geringsten Spuren jener Säure vollständig zu
                              entfernen suchen, und somit mußte man auf das Auswaschen die größte Sorgfalt
                              verwenden.
                           Ohne hier auf die Einzelheiten der bekannten Fälle von Zersetzung der Schießbaumwolle
                              bei der Temperatur der Aufbewahrungsorte einzugehen, beschränken wir uns auf die
                              Zersetzungen, welche wir bei verschiedenen, von der Fabrication im Jahr 1847
                              herrührenden, mit ganz besonderer Sorgfalt sowohl in reinem, als in alkalihaltigem
                              Wasser ausgewaschenen Proben beobachteten.
                           Von achtundzwanzig dieser, in kleinen Flaschen mit eingeschliffenen Glasstöpseln
                              aufbewahrten Proben, deren jede einige Gramme wog, erlitten sechszehn Zersetzungen
                              verschiedener Art.
                           
                           Eine dieser letzteren, auf's Geradewohl ausgewählten Proben untersuchten wir näher.
                              Ursprünglich bestand dieselbe in 6 Grm. Schießbaumwolle, welche mit kalihaltigem
                              Wasser ausgewaschen und seit dem 17. März 1850 – also seit vierzehn Jahren
                              – in einer mit Glasstöpsel nicht ganz dicht verschlossenen Flasche aufbewahrt
                              worden war. Sie hatte einen dunkelgelben Rückstand von 79 Procent hinterlassen,
                              welcher deutlich sauer reagirte, aber von Schwefelsäure
                              frei war; derselbe war in Wasser vollkommen löslich und reducirte, wie Glykose, das
                              weinsaure Kupferoxyd-Kali. Seine Lösung verbreitete beim Kochen einen
                              deutlichen Essiggeruch, und entwickelte bei der Behandlung mit Kali merkwürdiger
                              Weise Ammoniak.
                           Demnach können unter den gewöhnlichen atmosphärischen Umständen spontane Zersetzungen
                              der Schießbaumwolle, und zwar sogar der mit alkalihaltigem Wasser sorgfältig
                              ausgewaschenen, unbestreitbar stattfinden.
                           Nun sahen wir aber, daß in der Wärme die Schießbaumwolle sich unausbleiblich
                              zersetzt, daß sie dabei in gewissen Fällen detonirt, während sie in anderen
                              scheinbar identischen Fällen sich ohne Entzündung oder Detonation zersetzt. Warum
                              sollte dieß nun nicht auch bei Schießbaumwolle stattfinden, welche bei niederen
                              Temperaturen aufbewahrt wird? Warum sollte in den Fällen wo die bloße Zersetzung bei
                              gewöhnlicher Temperatur stattfindet, nicht auch Detonation erfolgen können? Die
                              Analogie tritt zu deutlich hervor, als daß man genöthigt seyn sollte zur Erklärung
                              der Entzündungen dieses Präparats ein schlechteres Auswaschen anzunehmen.
                           Die Hirtenberger Schießbaumwolle selbst explodirte in dem Simmeringer Magazin, und
                              das Protokoll vom 31 Juli 1862 erklärt diesen Unfall nur durch freiwillige
                              Entzündung. Es wurde damals die Behauptung aufgestellt, daß derselbe ebenso gut auch
                              dem gleichzeitig in jenem Magazin aufbewahrten gewöhnlichen Schießpulver
                              zugeschrieben werden könne. Die Richtigkeit dieser Behauptung können wir aber
                              durchaus nicht zugeben, denn seit mehreren Jahrhunderten sind weder in
                              Pulvermagazinen, noch bei der Kriegsmunition, noch bei Jagd- und
                              Grubenpulvervorräthen Fälle von freiwilliger Entzündung beobachtet worden. Man darf
                              wahrlich nicht, wie dieß in einem österreichischen Actenstücke geschehen, die durch
                              Unfälle bei der Fabrication, z.B. durch einen Stoß, ein Sandkorn, eine
                              Unvorsichtigkeit von Seiten der Arbeiter, eine Störung im Mechanismus u. dgl.
                              verursachten Explosionen denjenigen zugesellen, welche einzig und allein durch die
                              Reactionen zwischen den Bestandtheilen des Präparats hervorgerufen werden.
                           
                        
                           
                           Vergleichung der Leninschen mit der
                                 Bouchet'schen Schießbaumwolle bezüglich ihrer ballistischen und zersprengenden
                                 Eigenschaften.
                           Wir haben nunmehr noch die Resultate der mit dem ballistischen Pendel mit beiden
                              Kategorien von Schießbaumwolle abgeführten Versuche mitzutheilen.
                           Mit dem Lenk'schen Präparate wurden 25, mit der
                              Schießbaumwolle von Bouchet 15 Schüsse, bei einer Ladung von 3 Grammen mit runden
                              Kugeln von 25,50 Grm. Gewicht, abgefeuert. Indem wir für jede der beiden Arten von
                              Schießbaumwolle das Mittel aus den Geschwindigkeiten der Kugeln, dann den stärksten
                              und den schwächsten Schuß (Anschlag) nahmen, fanden wir:
                           
                              
                                 
                                 Lenk'scheSchießbaumwolle.
                                 Schießbaumwollevon Bouchet.
                                 
                              
                                 Mittlere Geschwindigkeit
                                   385,36 Met.
                                   394,32 Met.
                                 
                              
                                 stärkster Schuß
                                 441,53    „
                                 445,94    „
                                 
                              
                                 schwächster Schuß
                                 357,63    „
                                 357,63    „
                                 
                              
                           Beim Schießen mit einer und derselben Probe von Schießbaumwolle können sich noch
                              größere Verschiedenheiten ergeben, als die durch die vorstehenden Zahlen
                              angedeuteten. So wurde mit der Schießbaumwolle welche General Lenk aus Oesterreich mitgebracht hatte, zweimal geschossen:
                           
                              
                                 am 17. Februar gab sie
                                 374,40 Met.
                                 
                              
                                 am 18. März gab sie
                                 408,40    „
                                 
                              
                           Wir glauben daher aus den angegebenen Resultaten folgern zu dürfen, daß beide Sorten
                              Schießbaumwolle, die Lenk'sche und die von Bouchet,
                              gleiche ballistische Kraft haben.
                           Bei diesen Proben nahm die Schießbaumwolladung im Laufs eine Höhe von 5 Centimeter
                              ein. Als durch festeres Aufsetzen des Ladstocks die letztere auf 3 Centim. reducirt
                              worden war, zersprang mit einer Ladung von 3 Grm. nach Lenk's Methode dargestellter Schießbaumwolle der Gewehrlauf beim ersten
                              Schusse.
                           Diese Thatsache ist den beim Schießen mit dem Präparate von Bouchet wiederholt
                              beobachteten ganz analog. Wir sehen darin einen Beweis für die Aehnlichkeit der
                              österreichischen und der französischen Schießbaumwolle auch in Bezug auf ihre
                              zersprengenden Eigenschaften. Wir wollen hier nicht die sämmtlichen Versuche in
                              Erinnerung bringen, welche die (französische) Commission von 1846 zur Beseitigung
                              dieses Uebelstandes der
                              zu raschen Verbrennung der Schießbaumwolle anstellte,Bericht über die Versuche, welche bei der Direction der Pulverfabriken zu
                                    Paris über die Bereitung und ballistischen Eigenschaften der Schießbaumwolle
                                    bis zum November 1846 angestellt wurden, im polytechn. Journal Bd. CIII S. 48. müssen aber über die zu gleichem Zwecke von Lenk
                              gemachten Versuche Einiges sagen.
                           Zuerst wendete er gepreßte Patronen an, mit welchen er keine günstigen Resultate
                              erzielte; dann bediente er sich dazu mit gesponnener Schießbaumwolle überzogener
                              Papiercylinder. Mit letzteren Patronen konnte ein österreichischer Zwölfpfünder,
                              ohne daß die Seele angegriffen wurde, mit einer Ladung von beiläufig 481 Grm.
                              Schießbaumwolle, 1000 Schüsse abgeben, bei denen das Projectil eine Geschwindigkeit
                              von 427 Meter hatte.
                           Diese Geschwindigkeit aber, bei welcher die fraglichen Versuche stehen blieben, ist
                              geringer als die, welche man in Frankreich mit Zwölfpfündern bei einer Ladung von 2
                              Kilogr. gewöhnlichen Pulvers erhält und welche beiläufig 480 Meter beträgt. Diese
                              letztere Geschwindigkeit beabsichtigte die (französische) Commission von 1846 durch
                              eine Ladung von 667 Grm. Schießbaumwolle zu erreichen. Es ist noch keineswegs
                              erwiesen, daß die nach Lenk'schen System angefertigten
                              Patronen die Geschütze nicht benachteiligen würden, wenn man, um eine gleiche
                              Geschwindigkeit, wie in Frankreich, zu erhalten, die Schießbaumwolladung verstärken
                              würde.
                           Uebrigens gibt der Verfasser des einen der österreichischen Berichte selbst zu, daß
                              das Ziel noch nicht erreicht ist, und daß durch die zur Verhinderung der
                              zersprengenden Wirkungen der Schießbaumwolle angewendeten mechanischen Mittel deren
                              Propulsivkraft zum Theil neutralisirt wird.
                           Er gelangt zu dem Schlusse, daß das Problem erst dann als gelöst betrachtet werden
                              kann, wenn man Geschütze herstellen wird, bei denen die zersprengende Kraft der
                              Schießbaumwolle unberücksichtigt bleiben kann. Diese Ansicht theilen auch wir;
                              allein es fragt sich, ob es möglich ist, diesen Weg einzuschlagen, wenn der unserer
                              Ansicht nach die ganze Frage beherrschende Einwurf bezüglich der freiwilligen
                              Explosionen der Schießbaumwolle als ein so bedeutendes Hinderniß entgegentritt.
                           Aus unseren Untersuchungen ergibt sich, daß wenn auch die Schießbaumwolle
                              hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, ihrer Darstellung und ihrer chemischen
                              Eigenschaften jetzt allerdings besser gekannt ist, dennoch ihre Anwendung in den
                              Feuerwaffen immer noch beinahe auf demselben Standpunkt geblieben ist, auf welchem sie bei den
                              Untersuchungen der französischen Kommission vom Jahr 1846 sich befand.
                           Nichts berechtigt nämlich zu glauben, daß es bei dem jetzigen Stande unserer
                              Kenntnisse möglich ist, einerseits die freiwilligen Explosionen der Schießbaumwolle
                              zu verhüten, andererseits auf praktische Weise ihre zersprengende Wirkung mit
                              Beibehaltung des für das gewöhnliche Pulver gebräuchlichen Materials aufzuheben.
                           
                        
                           Bemerkungen zu der vorstehenden
                                 Mittheilung von Séguier.
                           Der Vortrag von Pelouze in der (französischen) Akademie
                              gab Hrn. Séguier Anlaß, der Akademie mitzutheilen,
                              daß er schon vor längerer Zeit eine Reihe von Versuchen begonnen, um mit der
                              Schießbaumwolle bei tragbaren Schußwaffen gute ballistische Resultate zu
                              erhalten.
                           Um den mit der zu raschen Verbrennung dieser Substanz verknüpften Nachtheil zu
                              beseitigen und das durch die Trägheit des Projectils verursachte Zerspringen der
                              Läufe zu vermeiden, wendet Séguier gemengte Ladungen an, welche aus
                              Schießbaumwolle und grobkörnigem Grubenpulver zusammengesetzt sind; der
                              Entzündungsmoment ist von ihm in der Art berechnet, daß das langsamer verbrennende
                              Pulver sich zuerst entzündet. Auf diese Weise wird das Projectil allmählich zur
                              Bewegung angeregt und seine Trägheit leistet nicht mehr einen Widerstand, welcher
                              bei der augenblicklich erfolgenden Detonation von Schießbaumwolle allein ein
                              Zerspringen der Waffen verursachen würde.
                           Der Gedanke einer gemengten, aus langsam und aus rasch verbrennendem Pulver
                              zusammengesetzten Ladung, deren Gemengtheile einer nach dem andern verbrennen, und
                              zwar so, daß das langsamer verbrennende Pulver sich zuerst entzündet, ist das
                              Resultat der Beobachtung des in gut construirten Windbüchsen stattfindenden
                              Vorganges. Bei dieser Art von Waffen enspricht ein größerer ballistischer Effect
                              einem anfänglich langsamen, dann rascheren Oeffnen des am Reservoir für die
                              comprimirte Luft befindlichen Ventils.
                           Mit derartigen gemengten Ladungen gelang es Séguier, in Handfeuerwaffen gewisse Knallpulver ohne Nachtheil
                              detoniren zu lassen; indem er dieselben mit anderen langsam verbrennenden
                              Compositionen verband, erzielte er bemerkenswerthe ballistische Effecte, worüber er
                              nach Beendigung seiner Versuche der Akademie zu berichten beabsichtigt.
                           
                        
                           
                           Bemerkungen zu der vorstehenden
                                 Mittheilung von Morin.
                           General Morin bemerkt, daß durch die Arbeit von Pelouze und Maurey die
                              Folgerungen welche die Commission von 1846 aus ihren Versuchen zog, in allen Punkten
                              bestätigt werden.
                           Er bemerkt ferner, daß Fälle von freiwilliger Zersetzung der Schießbaumwolle bei
                              Temperaturen von 50 bis 60° C. bereits mehrfach beobachtet worden sind und
                              daß in gedeckten Munitionskästen von Eisenblech, sowie selbst im Innern mancher
                              Gebäude solche Temperaturen sich gar nicht selten erzeugen.
                           Er führt mehrere ganz neue Beobachtungen an, welche ihm den Beweis geliefert haben,
                              daß in Folge der Wirkung der Sonnenstrahlen auf Glasdächer die Temperatur der sie
                              berührenden Luft innen auf 40 bis 42°C. steigen kann, wenn diejenige der
                              äußeren Luft nur 24° beträgt. Aehnliche, an einem dießjährigen Augusttage in
                              der Magdalenen-Kirche zu Paris angestellte Versuche zeigten, daß die
                              Temperatur in der Nähe des gemauerten Gewölbes innen auf 38 bis 40° L.
                              gestiegen war, während diejenige der äußeren Luft nur 24'' betrug.
                           Demnach können Temperaturverhältnisse, durch welche die spontane Zersetzung der
                              Schießbaumwolle herbeigeführt wird, im Sommer sehr häufig wirklich eintreten, schon
                              in Frankreich, viel leichter aber in Algerien.
                           Schließlich glaubt General Morin noch bemerken zu müssen,
                              daß die österreichische Regierung dem General Lenk die
                              Erlaubniß, sein Verfahren zur Fabrication der Schießbaumwolle in Frankreich in
                              Vorschlag bringen zu dürfen, erst dann ertheilte, als sie sich, nach zahlreichen und
                              kostspieligen Versuchen, entschieden hatte, dieselbe für ihren eigenen Dienst nicht
                              anzuwenden (?).
                           
                        
                           Zusatz der Redaction.
                           
                              Bericht des Comité's der British Association über die österreichische
                                    Schießbaumwolle.
                              In der Versammlung der British Association im J. 1862
                                 wurde aus den Mitgliedern der chemischen und mechanischen Sectionen ein
                                 Comité erwählt, um über die neue österreichische Schießbaumwolle Bericht
                                 zu erstatten. Dieser Bericht wurde in der Versammlung der genannten Gesellschaft
                                 zu Newcastle-on-Tyne im J. 1863 verlesen und findet sich in dem Journal of the Society of arts vom 25. September
                                 1863. Wir theilen daraus das Wichtigste mit:Nach dem württembergischen Gewerbeblatt, 1863, Nr. 41.
                                 
                              Das Comité gelangte zu den folgenden Mittheilungen durch Professor Abel, Chemiker beim englischen Kriegsdepartement,
                                 welcher demselben mit Erlaubniß der Behörden sowohl die von Seiten der
                                 österreichischen Regierung dem englischen Kriegsdepartement gemachten
                                 Mittheilungen, als auch die Resultate seiner eigenen hierüber gemachten Versuche
                                 zur Verfügung stellte. Ueberdieß erhielt General v. Lenk, der Erfinder des neuen Verfahrens zur Verwendung von
                                 Schießbaumwolle, die Erlaubniß von der österreichischen Regierung, dem
                                 Comité persönlich das ganze Verfahren, sowie Zeichnungen und Proben aus
                                 dem kaiserlichen Laboratorium mitzutheilen.
                              Wenn bei der Darstellung der Lenk'schen
                                 Schießbaumwolle die Bedingungen (wie sie in vorstehender Abhandlung von Pelouze und Maurey
                                 mitgetheilt sind) genau eingehalten werden, so erhält man ein Product, welches
                                 von den fehlerhaften Eigenschaften der bisher dargestellten Präparate völlig
                                 frei ist. Eine Probe dieser neuen Schießbaumwolle hat sich während 15 Jahren
                                 unverändert erhalten. Sie entzündet sich erst bei einer Temperatur von
                                 136° Celsius,Was von Pelouze und Maurey in vorstehender Abhandlung bestritten
                                       wird. nimmt aus der Luft nur wenig Feuchtigkeit auf, hinterläßt nach dem
                                 Verbrennen wenig Asche, und bildet keinen Rauch. Auch greifen die beim
                                 Verbrennen im verschlossenen Raum sich bildenden Gase, bestehend nach Karolyi
                                 Polytechn. Journal Bd. CLXIX S.
                                          426. aus Stickstoff, Kohlensäure, Kohlenoxyd, Wasser, etwas Wasserstoff und
                                 leichtem Kohlenwasserstoff, die Schießwaffen nicht an, und üben auch keinen
                                 schädlichen Einfluß auf die dieselben bedienende Mannschaft aus, welcher Vorwurf
                                 sowohl die käufliche Schießbaumwolle als auch das Schießpulver trifft. Ferner
                                 ist die Bereitung der Schießbaumwolle im Vergleich zu der des Schießpulvers
                                 weniger gefahrvoll, indem die Substanz bis auf den Zeitraum während des
                                 Trocknens beständig unter Wasser ist; überdieß könnte auch die Aufbewahrung im
                                 Großen unter Wasser geschehen, da sich die Lenk'sche
                                 Schießbaumwolle im Wasser unverändert erhält und man bloß nöthig hätte, den
                                 augenblicklichen Bedarf zu trocknen. Um beim Gebrauch der Schießbaumwolle eine
                                 langsamere Verbrennung zu erzielen, empfiehlt v. Lenk
                                 dieselbe nach dem
                                 Auswaschen der Säuren noch mit einer Lösung von Natron-Wasserglas zu
                                 behandeln, wobei sie nach dem Trocknen um etwa drei Procent an Gewicht zunehmen
                                 würde.
                              Was den mechanischen Effect anbelangt, so scheinen die aus dieser Schießbaumwolle
                                 durch Verbrennung erzeugten Gase eine größere Wirkung hervorzubringen als die
                                 Gase des Schießpulvers, was in Anbetracht der niederen Temperatur, bei welcher
                                 die Verbrennung der Schießbaumwolle vor sich geht, sehr auffallend ist, sich
                                 aber aus der Thatsache erklärt, daß bei Anwendung von Schießpulver 68 Procent
                                 seines Gewichts ohne Wirkung bleiben, und daß diese 68 Procent nicht nur
                                 verloren gehen, sondern auch noch einen Theil des mechanischen Effects der übrig
                                 bleibenden 32 Procent unnütz für sich in Anspruch nehmen, während im Falle der
                                 Schießbaumwolle die ganze angewendete Menge zur Wirkung kommt. Ein anderer
                                 Vortheil der letzteren besteht in dem Umstand, daß je nach der Behandlung
                                 derselben die Schnelligkeit der Explosion vergrößert oder vermindert und z.B.
                                 von 1 Fuß per Secunde auf 1 Fuß in 1/1000 Secunde
                                 gebracht werden kann. Es ist klar, daß wenn die ganze in Anwendung gebrachte
                                 Menge gleichzeitig und plötzlich explodirt, der größt mögliche dynamische Effect
                                 erzielt wird, indem das Ganze vollständig in Gasform übergeht, ehe die Bewegung
                                 erfolgt. Diese Bedingung wird durch möglichste Verengerung des Raumes, in
                                 welchen die Schießbaumwolle eingeschlossen wird, erreicht, und kommt bei
                                 Verwendung derselben zum Sprengen von Felsen und für Minen in Betracht. Zum
                                 Gebrauche für Schießwaffen muß im Gegentheil die
                                 Schnelligkeit der Explosion gemindert werden, was man dadurch erreicht, daß man das Volum der Schießbaumwolle durch mechanische
                                    Ausdehnung, sowie auch den Raum, in welchen sie eingeschlossen wird,
                                    vergrößert, wodurch man es sogar dahin bringen kann, daß die
                                 Verbrennung eine ebenso langsame ist, wie die des Schießpulvers. Nach den
                                 Erfahrungen des Generals v. Lenk bringen im
                                 Allgemeinen 11 Pfund Schießbaumwolle, in einem Raume von 1 Kubikfuß
                                 eingeschlossen, eine den Bedingungen gewöhnlicher Schießgewehre entsprechend
                                 stärkere Wirkung hervor, als eine denselben Raum einnehmende Menge von 50 bis 60
                                 Pfund Schießpulver.
                              Schießgewehre sowohl als Geschütze erfordern aber je nach ihrer Verschiedenheit
                                 verschiedene Stärken von Patronen. Schießbaumwolle zeigt sich praktisch am
                                 wirksamsten, wenn sie im Gewichte von 1/4 bis 1/3 der sonst angewendeten
                                 Pulvermenge und in einem Volum von 1 1/10 der Länge der Pulverpatrone verwendet
                                 wird. Nicht weniger von Bedeutung für die Wirksamkeit der Schießbaumwolle ist
                                 die Art und Weise, wie die Fäden zu einem Ganzen
                                    vereinigt werden. Zum Gebrauche für Schießgewehre wird sie zu Fäden
                                 versponnen (bei welcher Form die Verbrennung an der Luft nicht schneller als im
                                 Verhältniß von 1 Fuß per Secunde fortschreitet) und
                                 diese in cylindrische Stücke von verschiedener Größe verwoben, aus welchen man
                                 dann die Patronen für gewöhnliche gezogene Büchsen fertigt, indem man sie der
                                 erforderlichen Länge entsprechend zuschneidet und in steife
                                 Pappdeckel-Cylinder einschließt. (Bei dieser Form ist die Schnelligkeit
                                 der Verbrennung an der Luft 10 Fuß per Secunde.)
                                 Auch zum Füllen von Bomben dient dieselbe
                                 Cylinderform. Zum Sprengen von Felsen und für
                                 Minenzwecke wird die Schießbaumwolle in Taue bis zu 2 Zoll im Durchmesser
                                 geflochten, die im Innern hohl gelassen werden. Die Patronen für Kanonen werden direct aus dem Schießbaumwollegarn
                                 durch Aufwickeln auf Spulen, welche aus hohlen Röhren von Papier oder Holz
                                 bestehen, gefertigt, um daraus Spindeln, ähnlich den in den Spinnereien
                                 gebrauchten, zu bilden. Zum Zwecke von Zündschnüren
                                 wird das oben beschriebene cylindrische Gewebe in Röhren von
                                 Kautschuk-Leinwand eingeschlossen.
                              Da die Schießbaumwolle beim Verbrennen keinen Ruß bildet, so setzt sich in den
                                 Geschützen nur wenig Unreinigkeit ab, und es braucht daher bei deren
                                 Construction weniger Spielraum für die Geschosse gelassen zu werden, als dieß
                                 bei Anwendung von Pulver der Fall ist. Praktische Versuche zeigten in der That,
                                 daß, wenn die Ladung aus Schießbaumwolle bestand, ohne Unterbrechung 100
                                 Schüsse, wenn sie aus Schießpulver bestand, jedoch nur 30 abgefeuert werden
                                 konnten; dabei ist die Erhitzung im ersteren Falle so gering, daß mittelst eines
                                 Sechspfünders innerhalb 34 Minuten 100 Schüsse abgefeuert werden konnten, ohne
                                 daß die Temperatur des Geschützes höher als 50° C. stieg, und daß das
                                 Feuern ohne Nachtheil sogar bis zu 180 Schüssen fortgesetzt werden konnte,
                                 während bei Anwendung von Schießpulver bei 100 Schüssen, welche 100 Minuten
                                 erforderten, die Temperatur schon so gesteigert war, daß Wasser rasch auf den
                                 Geschützen verdunstete. Ferner ist der Rückschlag der Geschütze bei einem
                                 Schusse mit Schießbaumwolle nur 2/3 so stark, als bei einem Schusse mit
                                 Schießpulver. Auch hinsichtlich der der Kugel mitgetheilten Schnelligkeit
                                 zeichnet sich die Schießbaumwolle vortheilhaft vor dem Schießpulver aus: bei
                                 einer Ladung mit 13 1/2 Unzen Schießbaumwolle (Krupp'sche Gußstahlkanone) ergab sich nämlich eine Schnelligkeit von 1563
                                 Fuß per Secunde, mit der gewöhnlichen Ladung von 30
                                 Unzen Schießpulver jedoch nur 1338 Fuß. Ebenso lehrte die Erfahrung, daß für
                                 Schießbaumwolle leichtere und kürzere Geschütze ohne Nachtheil verwendet werden
                                 können, und daß selbst nach Abfeuerung von 1000 Schüssen noch keine Spur von
                                 Abnützung sich bemerklich macht. Endlich zeigte sich auch die zerstörende
                                 Wirkung der Bomben bei einer Ladung mit Schießbaumwolle viel größer als bei
                                 einer Ladung mit Schießpulver, indem dieselben im ersteren Falle mit Bildung
                                 einer weit größeren Menge von Fragmenten zerplatzten. In gleicher Weise leistet
                                 beim Sprengen von Felsen 1 Gewichtstheil Schießbaumwolle ebenso viel als 6,274
                                 Gewichtstheile Schießpulver, wobei sich herausstellte, daß die Stärke der
                                 Explosion mit dem Widerstande, den das Gestein bietet, zunimmt.
                              
                           
                              Von der englischen Regierung
                                    ernanntes Comité zur Prüfung der Schießbaumwolle hinsichtlich ihrer
                                    Anwendbarkeit für Schießwaffen, sowie zum Sprengen von Felsen und für
                                    Minen.
                              Schon in der vorjährigen Versammlung der British
                                    Association zu Newcastle erklärte das mit der Prüfung der
                                 Schießbaumwolle hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit zu Kriegszwecken beauftragte
                                 Comité in seinem erstatteten Berichte, daß die Gesellschaft nicht die
                                 Mittel besitze, welche zur angemessenen Durchführung einer so wichtigen
                                 Untersuchung erforderlich seyen und stellte den Antrag, die Gesellschaft möchte
                                 bei der Regierung die Ernennung einer königl. Commission zu diesem Zweck
                                 befürworten. Diesem Antrag wurde von der Gesellschaft zugestimmt und der
                                 betreffende Beschluß dem Kriegsminister Lord de Grey
                                 am 11. December v. J. überreicht. Im Januar dieses Jahres ernannte dann die
                                 Regierung ein aus Officieren der Artillerie- und Ingenieurcorps, sowie
                                 aus Civilingenieuren, Chemikern und Physikern zusammengesetztes Comité
                                 Die Mitglieder dieses Comité's sind: General Sabine, Vorsitzender; General Hay;
                                          Brandreth, Capitän der kgl. Marine; Liddell, Commodore der kgl. Marine; Artillerie-Oberst
                                       Boxer; Ingenieur-Oberst Lovell; F. A. Abel, Chemiker beim Kriegsdepartement; T. Sopwith; Professor W. A. Miller;
                                       Professor G. G. Stokes; Dr. J. H. Gladstone; Artillerie-Major Miller, Schriftführer. zur Prüfung des Gegenstandes in allen seinen Beziehungen.
                              In der dießjährigen Versammlung der British
                                    Association zu Bath machte Prof. Abel,
                                 Mitglied dieses Comité's, folgende Mittheilung: „Es freut mich,
                                    sagen zu können, daß das königl. Comité in seinen Untersuchungen über
                                    die Schießbaumwolle schon beträchtlichen Fortschritt gemacht hat, und es
                                    gewährt mit noch mehr Vergnügen, beifügen zu können, daß die Resultate
                                    dieser Untersuchungen befriedigender Natur sind. Diese Thatsache muß ich um
                                    so mehr hervorheben, weil die in Frankreich veröffentlichten officiellen
                                    Berichte sehr ungünstig sind. Die Versuche, welche ich mit den Herren Prentice anstellte, die in Stowmarket eine
                                    Schießbaumwolle-Fabrik errichteten, haben bewiesen, daß die
                                    Fabrication der Schießbaumwolle bei weitem einfacher und sicherer als
                                    diejenige des Schießpulvers ist. Durch Befolgung einfacher
                                    Vorsichtsmaßregeln werden Unfälle fast unmöglich gemacht. Einem anderen
                                    Punkt – der Gleichförmigkeit des Products – habe ich die
                                    größte Aufmerksamkeit geschenkt und gefunden, daß man sich auf das
                                    österreichische Fabricationssystem verlassen kann. Die nächste und
                                    wichtigste Frage betrifft die Haltbarkeit oder Unveränderlichkeit der
                                    Schießbaumwolle, denn wenn man auf diese Eigenschaft derselben nicht das
                                    vollkommenste Vertrauen setzen könnte, so ließe sie sich zu militärischen
                                    Zwecken nicht anwenden. Der Behauptung der französischen Chemiker, daß die
                                    Schießbaumwolle sich verändern und von selbst zersetzen kann, vermag ich
                                    nicht beizustimmen, obgleich deren Versuche mit großer Sorgfalt angestellt
                                    wurden. Ich bin gegenwärtig mit einer Anzahl von Versuchen beschäftigt, um
                                    die Veränderungen zu ermitteln, welche die Schießbaumwolle durch die
                                    Einwirkung sowohl der Wärme als des Lichtes erfährt.“ (Nach der
                                 Chemical News vom 1. October 1864.)
                              
                                 
                                    E. D.