| Titel: | Ueber Schießbaumwolle und explosives Amylum oder Pyroxam; von Payen. | 
| Fundstelle: | Band 174, Jahrgang 1864, Nr. XCVI., S. 386 | 
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                        XCVI.
                        Ueber Schießbaumwolle und explosives Amylum oder
                           Pyroxam; von Payen.
                        Aus den Comptes rendus, t. LIX p. 415, August
                              1864.
                        Payen, über Schießbaumwolle und explosives Amylum oder
                           Pyroxam.
                        
                     
                        
                           In den Mittheilungen von Pelouze und Morin
                              S. 209 in diesem Bande des polytechn.
                                    Journals. über die geringe Beständigkeit der Schießbaumwolle und die durch dieselbe
                              bedingten freiwilligen Explosionen der letzteren, wurde unter den schwierig zu
                              bestimmenden Umständen, durch welche eine langsame oder plötzliche Zersetzung der
                              Schießbaumwolle verursacht werden kann, ganz besonders eine längere oder kürzere
                              Zeit andauernde Temperaturerhöhung bis zu Wärmegraden angeführt, die weit unter
                              denen liegen, welche die Entzündung des Präparats, wenn es vorher eine Zersetzung
                              noch nicht erlitten hat, gewöhnlich hervorrufen.
                           Diesen wichtigen und unbestrittenen Thatsachen erlaube ich mit einige Beobachtungen
                              über die Ursachen einer langsamer oder schneller eintretenden Veränderung, durch
                              welche die Gefahren zufälliger Explosionen vermehrt werden können, hinzuzufügen.
                           In den vegetabilischen Substanzen von mehr oder minder complexer Structur und Zusammensetzung
                              lassen sich stets nähere Bestandtheile nachweisen, deren Einflüsse zu erforschen von
                              Wichtigkeit ist.
                           Mittelst verschiedener, aus Cellulose bestehender oder mit derselben isomeren
                              Rohstoffe stellte ich Pyroxylin-Producte dar und machte mit denselben
                              verschiedene Versuche. Hierbei beobachtete ich wiederholt, daß die dickwandigen und
                              unregelmäßige Aggregate bildenden Gespinnstfasern, wie z.B. Hanf, ein Pyroxylin
                              geben, welches sich leichter zersetzt, als das aus gekrempelter Baumwolle
                              dargestellte, deren Fasern sehr dünnwandig und von gleichartiger Structur sind.
                              Indessen enthält die Baumwolle in ihren Zellenhöhlungen fette und stickstoffhaltige Substanzen, deren
                              vollständige Beseitigung fast unmöglich ist.
                           Ein anderer, der Pflanzenfaser oder Cellulose isomerer Pflanzenstoff, das Amylum, namentlich Kartoffelstärke, zeigt in Bezug auf
                              Homogenität der Structur größere Verschiedenheiten, als alle Gespinnstfasern
                              pflanzlichen Ursprungs; seine concentrischen, weniger homogenen und zahlreicheren
                              Schichten nehmen sämmtlich von der Peripherie nach dem Mittelpunkt an Cohäsion ab,
                              und bei jedem Stärkekörnchen ist die Cohäsion in seiner äußeren Schicht am
                              stärksten, am schwächsten dagegen in der inneren. Wird Kartoffelstärke im Vacuum bei
                              125° C. getrocknet, nach dem Erkalten sechs Stunden lang in ein Gemisch von
                              gleichen Aequivalenten einfach-gewässerter Salpetersäure und Schwefelsäure
                              getaucht, dann vollständig ausgewaschen und rasch getrocknet, so gibt sie ein
                              außerordentlich leicht explodirendes Product, das Pyroxam, dessen ballistische Kraft zuweilen weit größer, zuweilen weit
                              geringer ist, als die der Schießbaumwolle oder des Pyroxylins.
                           Wie Pelouze bezüglich der Schießbaumwolle nachgewiesen,
                              habe ich beobachtet, daß das explosive oder nitrirte Amylum, das Pyroxam, um so
                              geringere chemische Stabilität besitzt, je vollständiger es mit Salpetersäure
                              gesättigt ist. In verschlossenen Gefäßen aufbewahrt, zersetzt es sich bei den
                              gewöhnlichen Temperaturen der Atmosphäre freiwillig, zuweilen mit Explosion.
                              Folgender Vorlesungsversuch gelang mit stets: ich bringe einige Centigramme aus
                              Baumwolle, Flachs- und Hanfleinwand dargestellten Pyroxylins und ebensoviel
                              frisch bereitetes Pyroxam in Proberöhren, und erhitze dieselben gleichzeitig im
                              Wasserbade; das Pyroxam entzündet sich zuerst, sobald die Temperatur 95° bis
                              98° erreicht; die übrigen Präparate halten sich im Allgemeinen noch bei
                              100° mehr oder weniger lang. Der Einfluß der unregelmäßigen Cohäsion in den
                              Pyroxamkörnchen auf die Stabilität dieses Körpers tritt beim Auflösen desselben in
                              Essigäther deutlich hervor; man erhält ihn dann durch Abdampfen in homogenen Platten,
                              welche, frisch bereitet, selbst einer Temperatur von 100° einige Zeit
                              widerstehen.
                           Die Fasern des Hanfs enthalten, wie Malaguti zuerst
                              beobachtete, zuweilen Stärkmehlkörnchen; in diesem Falle kann sich begreiflicher
                              Weise in den Zellen des Hanfs Pyroxam bilden, was die größere Unbeständigkeit des
                              aus jenen Fasern bereiteten explosiven Präparats erklären würde. Denn die Gegenwart
                              einer einzigen Faser von solcher Beschaffenheit würde hinreichen, um die freiwillige
                              Explosion einer mehr oder minder beträchtlichen Masse irgend eines Pyroxylins
                              herbeizuführen, und um so eher, wenn der zur Darstellung des Präparats angewendeten
                              Baumwolle oder dem Hanfe beim Eintauchen in das Gemisch von Schwefel- und
                              Salpetersäure ein Stärkmehl enthaltendes Holzspänchen
                              beigemengt wäre. Es ist mit nämlich gelungen, im Zellgewebe einer Menge von Bäumen
                              und Sträuchern die Gegenwart oft beträchtlicher Mengen von Stärkmehlkörnchen
                              nachzuweisen; bei neueren Beobachtungen fand ich solche manchmal sogar im Inneren
                              der Holzfasern. Diese letztere, ziemlich unerwartete Thatsache wurde später durch
                              unsern Collegen Decaisne bestätigt.
                           Alle diese Ursachen zufälliger Entzündungen lassen die Möglichkeit der Darstellung
                              eines Pyroxylins, welches die gleichen Garantien bezüglich seiner Haltbarkeit
                              darbietet, wie das gewöhnliche Schießpulver, dessen Bestandtheile bei den
                              Temperaturen unserer Atmosphäre nicht aufeinander reagiren, wenig wahrscheinlich
                              erscheinen.
                           (Bezüglich dieser Mittheilungen Payen's über den möglichen
                              Einfluß des der Schießbaumwolle beigemengten Pyroxams
                              oder explosiven Amylums erinnert Chevreul an die
                              Nachtheile der Bereitung der ersteren aus Baumwollengeweben welche mit Stärke appretirt sind, da die vollständige Befreiung des
                              Gewebes vom Amylum sehr schwierig ist. Diese Bemerkung gilt wohlverstanden nur für
                              einen zufälligen Umstand bei der Darstellung der Schießbaumwolle, denn es läßt sich
                              nicht wohl annehmen, daß man bei der Bereitung derselben im Großen sich appretirter
                              Baumwollengewebe bedienen werde.)