| Titel: | Ueber die in England angewendeten Mittel zur Beseitigung oder Minderung der für die Gesundheit nachtheiligen Einflüsse einzelner Fabriken und Gewerbe. | 
| Fundstelle: | Band 174, Jahrgang 1864, Nr. CVIII., S. 425 | 
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                        CVIII.
                        Ueber die in England angewendeten Mittel zur
                           Beseitigung oder Minderung der für die Gesundheit nachtheiligen Einflüsse einzelner
                           Fabriken und Gewerbe.
                        Aus dem Bericht des Ingenieurs Ch. de Freycinet an den französischen
                           Minister für Handel etc., in den Annales des mines, 1864, t. V p. 1; übersetzt in
                           den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, 1864 S.
                              153.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              VII.
                        Mittel zur Beseitigung der für die der Gesundheit schädlichen
                           Einflüsse einzelner Fabriken und Gewerbe.
                        
                     
                        
                           1. Anwendung mechanischer Ventilatoren
                                 in den Messerwaaren- und Nähnadelfabriken.
                           In den Schleifsälen der Messerwaarenfabriken sind die
                              Leute dem Stein- und Stahlstaub, welcher bei ihrer Arbeit entsteht,
                              ausgesetzt. Die hierdurch erzeugten Krankheiten sind sehr gefährlich und werden
                              schließlich immer tödtlich. Die Fabrikherren, welche hierüber bestürzt wurden,
                              wollten ihre Leute magnetische Masken tragen lassen; da sich aber über die Löhnung
                              Schwierigkeiten erhoben und die Vorrichtung ohne Zweifel unbequem war, wurden diese
                              Masken wieder aufgegeben. Nach einigen anderen eben so unglücklichen Versuchen
                              gelangte man zu dem sehr einfachen System, welches sich seit etwa 12 Jahren täglich
                              mehr ausbreitet. Diese Einrichtung, welche in den großen Etablissements von Joseph
                              Rodgers und Sohn in guter
                              Ausführung zu sehen ist, besteht darin, den hinteren Theil des Schleifsteines in die
                              Oeffnung eines Rohres zu legen, welches mit einem Flügelventilator in Verbindung
                              steht; der Arbeiter steht auf der anderen Seite des Steines, jener Oeffnung
                              gegenüber. Der beim Schleifen erzeugte Staub entweicht tangential auf das Rohr zu,
                              wo er heftig in das Innere gesaugt wird. In einigen Werkstätten wendet man zu
                              demselben Zweck statt der Ventilatoren den Luftzug des großen
                              Dampfkesselschornsteins an; das erstere Mittel ist aber vorzuziehen, da es
                              gleichzeitig kräftiger und regelmäßiger wirkt.
                           Die Nähnadelfabriken bei Birmingham erfordern ähnliche
                              Vorrichtungen. In der That ist das Zuspitzen der Nähnadeln nicht weniger ungesund
                              als das Schleifen der Werkzeuge. Wenn der Arbeiter mit einem Male hundert Nähnadeln
                              in seiner Hand auf den Schleifstein bringt, erzeugt er Funkengarben und einen Staub,
                              der um so gefährlicher ist, als er feiner ist. Seit 6 oder 7 Jahren haben auch Thomas
                               und Sohn zu Redditch, deren Musterfabrik jährlich mehr als
                              200 Millionen Nähnadeln dem Consum übergibt, das Beispiel einer ausgezeichneten
                              Construction gegeben, welche auf dem in Sheffield angewendeten Princip beruht. Die
                              ganze hintere Hälfte des Schleifsteins liegt in einer Weißblech-Hülle, welche
                              mit einem kräftigen Ventilator in Verbindung steht und den ganzen Staub verschluckt;
                              s. Figur 19
                              u. 20. Seit etwa 15 Monaten beschäftigen sich auch die HHrn. Thomas damit, die Handschleiferei durch eine mechanische
                              Schleifvorrichtung zu ersetzen. Sie haben bereits drei deutsche Maschinen nach Schleicher'scher Construction aufgestellt, von denen eine
                              in voller Thätigkeit sehr gute Resultate gibt. In den Fabriken zu Redditch werden
                              die Ventilatoren immer allgemeiner.
                           
                        
                           2. Rauchverzehrende Feuerung der
                                 Thonwaaren-Oefen.
                           Durch die Thonwaaren-Oefen, welche zuerst in der Fabrik von Henry Doulton und Watz (s. Figur 13)
                              versucht und dann bald in allen Nachbarfabriken eingeführt wurden, ist der District
                              Lambeth von dem dicken Rauch befreit worden, den die Oefen der zahlreichen
                              Thonwaarenfabriken in diesem Theile von London noch vor fünf oder sechs Jahren
                              erzeugten.
                           Die Fabrik von Doulton, welche jährlich nahe an 15,000
                              Tonnen Thonwaaren in den Handel bringt, hat 15 große Oefen, mit je zehn Feuerungen,
                              in denen man eine sehr bituminöse Newcastle-Steinkohle brennt. Unmittelbar
                              hinter der Beschickungsöffnung (man beschickt von oben) befindet sich auf dem
                              Gewölbe jeder Feuerung eine verticale Ziegelwand mit Löchern von 7 bis 8 Millimeter
                              Durchmesser, welche man je nach Bedürfniß mehr oder weniger aufdeckt. Die äußere
                              Luft strömt durch die Löcher, erwärmt sich dabei und trifft hinter der Wand auf die
                              Steinkohlengase, mit denen sie sich mischt. Die Verbrennung tritt ein und wird
                              vollständig, indem die Flammen in das Innere des Ofens schlagen. Die Gase sind beim
                              Austritt aus dem Schornstein vollkommen farblos. Wenn man hingegen die Löcher der
                              Wand von einer einzigen Feuerung nur wenig zudeckt, so ist alsbald eine rußige Säule
                              zu bemerken.
                           
                        
                           3. Vermeidung der widerlichen Gerüche,
                                 welche bei der Bereitung von Gelatine, Leim, Fett etc. während des Kochens
                                 entstehen.
                           Bei Vickers zu Manchester (s. Fig. 21 u. 22) werden die
                              Kessel, welche die Knochen enthalten, genau verschlossen, eine Seitenöffnung
                              ausgenommen, durch
                              welche die Dämpfe entweichen und sich in ein gemeinschaftliches Rohr begeben, in
                              welchem die Flamme der Feuerung circulirt. Die Ansaugung ist so stark, daß nicht nur
                              alle Dämpfe, sondern auch eine gewisse Menge Luft mit fortgerissen wird, deren
                              Zutritt am Anfang jedes Entwickelungsrohres bewirkt wird. Die Verbrennung geschieht
                              im Innern des Rohres, und die Gase gelangen fast desinficirt in den Schornstein. Wir
                              sagen fast, weil die Verbrennung weniger vollständig ist, als wenn die Dämpfe durch
                              einen Kohksofen gehen. Diese letztere Einrichtung hat man zu Morecambe bei Lancaster
                              getroffen, wo der gewöhnliche Leim aus Knochen geringerer Qualität und aus
                              Fischüberresten bereitet wird. Die Gerüche waren unerträglich und riefen viele
                              Klagen hervor. Jeder Kessel hat zwei Oeffnungen, von denen die eine nach außen
                              mündet und Luft eintreten läßt, während die andere mit dem Aschenfall in Verbindung
                              steht, in welchem man den Luftzug nach Belieben ändern kann. Aehnliche Einrichtungen
                              sind in mehreren Fabriken zu Islington getroffen. Bei John Atcheler, wo man alte Pferde schlachtet, um das Fleisch zu sieden und das
                              Fett daraus zu gewinnen, verbrennt jeder der sechs Kessel seine Dämpfe in feinem
                              eigenen Feuerherde. In der großen Seifenfabrik von Convan
                              und Sohn liegen zwanzig viereckige Kessel zur Bereitung
                              des Fettes längs der Mauer; sie communiciren sämmtlich mit einem horizontalen Rohr,
                              welches die Dämpfe unter einen besonderen Feuerherd führt.
                           Es ist hierbei zu bemerken, daß sich die Gerüche nicht nur während der Fabrication
                              entwickeln, sondern auch bei der Lagerung der Rohmaterialien in den Werkstätten. Man
                              hat vorgeschlagen, die Rohmaterialen in geschlossenen Localen aufzubewahren und
                              diese durch ein Rohr mit einer Feuerung oder mit dem großen Schornstein so zu
                              verbinden, daß alle Ausdünstungen und die von außen durch die Thürritze eintretende
                              Luft mit fortgerissen werden. Diese Unannehmlichkeiten werden vermieden, wenn man
                              Materialien verarbeitet, welche, wie die Häute und Knochen, die der Dr. Calvert der Industrie
                              übergibt, mit Phenylsäure behandelt worden sind.Man s. Dr. Calvert's
                                    Abhandlung „über die Anwendung der Phenylsäure als
                                       fäulnißverhinderndes Mittel“ im polytechn. Journal Bd. CLVI S. 49. Diese Felle kommen aus dem südlichen Amerika und aus Australien. Bevor sie
                              eingeschifft werden, taucht man sie in Wasser, welches 2 bis 3 Tausendstel
                              Phenylsäure enthält. Wir haben bei Hrn. Vickers solche
                              Felle gesehen, welche keinen Geruch bemerken ließen.
                           
                        
                           
                           4. Vermeidung der Ausdünstungen beim
                                 Schmelzen der rohen Fette für die Lichterfabrication.
                           Das Schmelzen der rohen Fette veranlaßt starke Ausdünstungen; die zur Bereitung der
                              Stearinlichte erforderliche Verseifung hat dieselben Unannehmlichkeiten, obgleich in
                              geringerem Grade.
                           Die bedeutendsten Fabriken haben Desinfectionsverfahren eingeschlagen. Die besten
                              Beispiele hiervon findet man in der Fabrik von Price zu
                              Battersea, in welcher Stearin- und Paraffinlichte sowie alle Arten von Oelen
                              und Essenzen im großartigsten Maaßstabe fabricirt werden.
                           Die rohen Fette werden in großen Gefäßen geschmolzen, die mittelst flacher, an den
                              Wänden angenieteter und hermetisch schließender Bleideckel überdeckt sind (Fig. 23). In
                              der Mitte des Deckels befindet sich eine quadratische Oeffnung von 80 Centimeter
                              Stärke, welche mit einem Wasserverschluß versehen ist und die Bedienung des Gefäßes
                              ermöglicht. Auf dem Deckel sitzt das kurze Ende eines umgekehrt U förmigen Rohres
                              von 15 Centimeter Durchmesser, dessen anderes Ende von ungefähr 4,50 Meter Länge
                              unter den Fußboden des Arbeitsraumes geht und in einen Canal mündet. An dem unteren
                              Theile des Rohres spritzt ein kleines, mit einer Druckpumpe in Verbindung stehendes
                              Rohr durch eine Brause kaltes Wasser von unten nach oben ein. Die Dämpfe des Gefäßes
                              condensiren sich in Berührung mit jenem Wasserregen augenblicklich, und die mit
                              allen Miasmen geschwängerte, niederfallende Flüssigkeit geht in die Themse. Weder in
                              noch außerhalb der Arbeitsräume ist irgend ein Geruch vorherrschend, obwohl die
                              Dämpfe ihrer Natur nach so penetrant sind, daß man beim geringsten Entweichen
                              derselben aus den Apparaten ganze Eimer mit Chlorkalk herbeibringen muß, um den
                              Aufenthalt erträglich zu machen. Das einzig Mangelhafte ist die Füllung der Gefäße,
                              und es ist hierin keine Einrichtung getroffen, um die Ausdünstungen zu verhindern.
                              Allerdings ist es eine Operation von kurzer Dauer, und man trägt Sorge, dieselbe
                              während der Nacht zu verrichten. Die Gefäße zur Verseifung sind mit
                              Condensationsapparaten versehen, welche im Ganzen den vorigen ähnlich sind. In
                              derselben Fabrik sieht man eine Vorrichtung zum Verbrennen des sehr penetranten
                              Kohlenwasserstoffs, welcher sich bei der Destillation der Petroleumrückstände
                              entwickelt; ein Rohr führt ihn unter den Rost eines der Dampfkessel.
                           
                        
                           5. Verfahren zum Condensiren der Dämpfe
                                 bei der Firnißfabrication.
                           Die Firnißfabriken wenden bald Verbrennung, bald Condensation an. Bei Schneizer, Spong und Comp. zu
                              London hat der Arbeitsraum die Form eines großen Trichters, welcher durch eine 1,40
                              Meter über dem Boden beginnende Wand in zwei ungleiche Abtheilungen getrennt wird.
                              In der einen stehen alle Gefäße zum Schmelzen, in der anderen halten sich die
                              Arbeiter auf, welche durch die Scheidewand wie von einet Schornsteinhaube geschützt
                              werden. Die Dämpfe steigen in dem ihnen zugetheilten Raum in die Höhe und treffen
                              oben am Dach auf eine Feuerung, durch welche sie verbrannt werden. Diese Einrichtung
                              ist complicirt und soll keine Nachahmung finden.
                           Die Einrichtung von Willinson, Heywood und Comp., welche ein ihnen patentirtes Verfahren anwenden,
                              ist weit vorzuziehen (s. Fig. 11 und 12). Auf jedem
                              Gefäß sitzt ein concaver Deckel, der in der Mitte eine Oeffnung von 10 Centimeter
                              hat, durch welche der Arbeiter die Mischung umrührt. Die Dämpfe sammeln sich oben
                              zwischen dem Rande des Gefäßes und dem des Deckels, wo sie in ein gemeinschaftliches
                              Rohr treten, welches mit dem in freier Luft befindlichen Condensator in Verbindung
                              steht. Dieser, einer Orgel ziemlich ähnliche Apparat besteht aus 18 verticalen,
                              communicirenden Röhren von 3 Meter Höhe bei 12–14 Centimeter Breite, welche
                              in zwei parallelen Reihen aufgestellt sind. Die letzte Röhre ist mit einem
                              Schaufelventilator verbunden, welcher das ganze Röhrensystem energisch exhaustirt
                              und das Entweichen der Dämpfe aus den Gefäßen, so wie der ihnen beigemengten
                              atmosphärischen Luft, welche durch die Oeffnung der Deckel eintritt, bewirkt.
                              Während des Durchströmens oxydiren sich die Dämpfe rasch und sammeln sich auf dem
                              Boden der Röhren als eine schwärzliche Flüssigkeit von schwer zu bestimmender
                              Zusammensetzung, die schließlich noch Bearbeitungen unterworfen wird, welche die
                              Fabrikanten verheimlichen.
                           Die HHrn. Mander zu Wolverhampton wenden dasselbe
                              Verfahren an; sie haben den Condensationsapparat modificirt, ohne jedoch das Princip
                              desselben zu ändern.
                           
                        
                           6. Mittel, um die Wirkungen der
                                 Phosphor-Dämpfe in den Zündhölzchenfabriken zu verhindern.
                           Die Fabrik von Black und Bell
                              zu Stratford bei London, welche täglich ungefähr 6 Millionen Zündhölzchen in den
                              Handel bringt, gibt, vielleicht einzig in England, ein Beispiel der Anwendung eines
                              Mittels, die Wirkungen der Phosphordämpfe zu verhindern. Nach Angabe des Dr. Letheby, einer
                              medicinischen Autorität Londons, hat man die bekannte Eigenschaft des Terpenthinöls
                              benutzt, welche darin besteht, durch seine Anwesenheit in der Luft, selbst in
                              geringer Menge, die freiwillige Verbrennung des Phosphors zu verhindern, und ohne
                              Zweifel auch die Wirkung
                              der bereits gebildeten Phosphordämpfe aufzuheben.Dr. Letheby hat
                                    diesen Gegenstand in seinen Vorlesungen über die Chemie der Gifte im
                                    medicinischen Collegium des London-Hospital ausführlich behandelt. Er
                                    hebt darin besonders hervor, daß ein Mengenverhältniß von weniger als 1/4000
                                    Terpenthinöl in der Luft bei gewöhnlicher Temperatur und gewöhnlichem Druck
                                    hinreicht, um die langsame Verbrennung des Phosphors zu hindern. Nun weiß man, daß hauptsächlich die Säuren, welche durch die langsame
                              Verbrennung der Phosphordämpfe und die zufällige Entzündung der auf dem Boden
                              zerquetschten Hölzchen erzeugt werden, die Krankheiten hervorrufen, von denen die
                              mit dem Eintauchen und Zusammenstellen der Rahmen, dem Trocknen und
                              Auseinandernehmen beschäftigten Arbeiter befallen werden. Von allen diesen Arbeiten
                              ist die ungesundeste das Eintauchen; bei den anderen können die Uebelstände zum
                              großen Theil durch eine gute Einrichtung der Arbeitsräume beseitigt werden. Bei Black und Bell tragen die mit
                              dem Eintauchen beschäftigten Arbeiter ein Blechgefäß auf der Brust, welches mit
                              Terpenthinöl gefüllt ist. Dieses Mittel hat die Krankheitsfälle beträchtlich
                              vermindert, und nach dem, was uns Dr. Letheby sagte, würde es sich darum handeln, die
                              Einführung desselben in allen Fabriken des Königreichs zu verordnen.
                           Zu demselben Resultat wird man auf anderem Wege gelangen, wenn sich die neue, diesen
                              Fabrikanten unter dem Namen Bell und Higgins patentirte Maschine, welche man bei unserer Reise
                              nach London eben aufstellte, praktisch bewährt haben wird. Diese übrigens sehr
                              sinnreiche Maschine verrichtet die Operationen des Einlegens in die Rahmen und des
                              Eintauchens, welche bisher mit der Hand ausgeführt wurden. Der Arbeiter hat weiter
                              nichts zu thun, als die rohen Hölzchen zuzuführen, und kann sich von der
                              Eintauchvorrichtung, der sich allmählich die gefüllten Rahmen selbst darbieten, fern
                              halten.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
