| Titel: | Ueber die Zersetzung des rohen Weinsteins; von Dr. Julius Haerlin. | 
| Autor: | Julius Haerlin | 
| Fundstelle: | Band 175, Jahrgang 1865, Nr. LV., S. 218 | 
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                        LV.
                        Ueber die Zersetzung des rohen Weinsteins; von
                           Dr. Julius Haerlin.
                        Mit Abbildungen.
                        Haerlin, über die Zersetzung des rohen Weinsteins.
                        
                     
                        
                           Einen nicht unwesentlichen Theil der Weinproduction bildet die Gewinnung der
                              Weinsteine, und es ist jedem größeren und rationellen Weinproducenten bekannt,
                              welche Bedeutung der Weinstein für die Haltbarkeit seiner Weine, sowie als
                              Handelswaare hat. Dennoch wird in manchen Gegenden noch sehr wenig Rücksicht auf die
                              Gewinnung der Weinsteine genommen, und dadurch der Industrie eine Menge dieses für
                              viele Zwecke unersetzlichen Körpers entzogen, so namentlich in Italien, dem
                              südlichen Frankreich und Ungarn, wo der Verlust nicht einmal zu Gunsten des Weins,
                              sondern aus bloßer Nachlässigkeit entsteht.
                           
                           Es ist. bekannt, daß jeder ältere Wein zu seiner Haltbarkeit Weinstein nothwendig
                              hat; der Weinproducent legt ihn deßhalb in Fässer, die Weinstein haben,
                              „er gibt ihm Weinstein zum Zehren“; ist dieser aufgezehrt,
                              so wird der Wein häufig krank, ebenso verschwindet der Weinstein im Fasse meist sehr
                              rasch, wenn der Wein krank zu werden beginnt. Mag nun dieses Verschwinden des
                              Weinsteins Ursache oder Wirkung der Krankheit des Weines seyn, jedenfalls ist es
                              sehr gerathen, möglichst vorsichtig bei der Gewinnung des Weinsteins zu Werke zu
                              gehen, und wahrscheinlich ist der Mangel an Weinstein ein Grund, warum sich manche
                              südländische Weine nicht halten, denn in vielen südlichen Gegenden bleibt der Wein
                              so lange auf der Hefe, bis sich auch der größte Theil des Weinsteins abgeschieden
                              hat, der dann mit der Hefe vom Weine getrennt wird. Hierdurch bleibt dem Weine wenig
                              Weinstein mehr; dieser wenige Weinstein aber, d.h. dessen Weinsäure, zersetzt sich
                              leicht durch weitere Gährung, und der Gedanke, daß diese Zersetzung mit der
                              Zersetzung des Weines zusammenhängt, liegt sehr nahe.
                           Die interessante Arbeit Pasteur's über die organisirten
                              Fermente des WeinesComptes rendus t. LVII p. 936; polytechn. Journal Bd. CLXXIII S. 216. veranlaßte mich daher einige Lösungen von Weinsäure und weinsauren Salzen,
                              die längere Zeit gestanden, mikroskopisch zu untersuchen. Es fand sich, daß sowohl
                              erstere als letztere organisirte Fermente enthielten. Daß diese bloß der Weinsäure
                              eigen sind, geht aus dem Umstände hervor, daß die gleichen Gebilde bei reiner
                              Weinsäure, bei sauren und neutralen Salzen vorkommen.
                           Fig. 1, 2 und 3 zeigen diese Gebilde in ihren verschiedenen
                              Entwicklungsstufen. In den Lösungen zeigen sich dieselben als größere oder kleinere
                              Flocken, auch bilden sie an der Oberfläche eine Decke, die sich bei 300facher
                              linearer Vergrößerung als ein dichter Filz von langgestreckten, häufig gegliederten
                              Zellen mit vielen, zum Theil ganze Kuchen bildenden, zusammenhängenden runden Zellen
                              zeigen.
                           Zugleich mit dieser Pilzbildung vermindert sich, wenn auch nur langsam, der Gehalt an
                              Weinsäure, diese nimmt Sauerstoff aufBothe nennt sie deßhalb Oxyweinsäure, s.
                                    polytechn. Journal Bd. CLXXIII S. 292.; da die geschimmelte Weinsäure jedoch eine größere reducirende Kraft besitzt
                              als die gewöhnliche, so ist anzunehmen, daß jene Organismen den zu ihrem Bestehen
                              nothwendigen Sauerstoff eben sowohl aus der gelösten Weinsäure wie aus der Luft
                              aufnehmen.
                           
                           
                              
                              Fig. 1., Bd. 175, S. 220
                              
                           
                              
                              Fig. 2., Bd. 175, S. 220
                              
                           
                              
                              Fig. 3., Bd. 175, S. 220
                              
                           Leider erleidet der Weinstein nicht bloß in Berührung mit krankem Wein einen Verlust
                              an Weinsäure, sondern auch nachdem er vom Weine getrennt ist. Der Weinstein, sowie
                              sämmtliche weinsaure Salze haben nämlich die Eigenschaft, sich bei Gegenwart von
                              gährungserregenden und gährungsfähigen Körpern zu zersetzen; die Weinsäure
                              verschwindet unter Kohlensäureentwickelung und schließlich resultiren kohlensaure
                              Salze.
                           Wenn nun auch die Zersetzung der Weinsäure in Lösungen chemisch reiner Salze kaum
                              merklich ist, so ist sie bei Gegenwart von Hefe sehr stark und häufig kommen im
                              Handel Weinsteine vor, in denen 10 bis 20 und noch mehr Procente Weinsäure
                              verschwunden sind.
                           Folgende Versuche mögen diese Verluste erklären: Der gesammte Kaligehalt eines
                              rothen, sehr hefereichen italienischen Weinsteins, durch Glühen, Auslaugen der Kohle
                              und Titriren bestimmt, betrug 13,52 Proc., entsprechend 54 Proc. Weinstein; dagegen
                              enthielt derselbe Weinstein an neutralisirbarer Weinsäure 17,86 Proc., entsprechend
                              44,8 Proc. Weinstein; es waren demnach 9,2 Proc. Weinstein schon zersetzt. Dieser
                              Weinstein hatte nach achttägiger Gährung bei 30° C. noch einen Gehalt von 30
                              Proc. Weinstein, nach vierzehntägiger Gährung einen solchen von 24,4 Proc. und nach
                              vierwöchentlicher Gährung enthielt er nur noch 14,8 Proc. Weinstein. Nach dieser
                              Zeit hörte die Gährung, welche von starker Kohlensäureentwickelung begleitet war,
                              auf, die Flüssigkeit bekam einen üblen Faulgeruch und der Gehalt an reinem Weinstein
                              blieb constant.
                           Bei diesem Rohweinstein haben sich also innerhalb vier Wochen an Weinsäure 66 Proc.
                              vom Reingehalt zersetzt, während selbstverständlich der Gehalt an Kali gleich
                              blieb.
                           Eben so verhielten sich noch viele Sorten Weinstein, und aus den gemachten Versuchen
                              ist der Schluß zu ziehen, daß jemehr ein Weinstein Hefe, Pectinstoffe u.s.w.
                              enthält, um so mehr ist er disponirt sich zu zersetzen.
                           Vielen Weinsteinen südlicher Länder ist nun Alles geboten, sich möglichst stark
                              zersetzen zu können. Die Weinsteine kommen mit viel Unreinigkeiten, namentlich Hefe,
                              aus den Fässern, und werden noch feucht, auf Haufen geworfen, die Temperatur ist der
                              Gährung meist sehr günstig, und so kommt es, daß diese Weinsteine häufig einen
                              größeren Kaligehalt haben, als ihnen nach der Menge der Weinsäure als Weinstein
                              zukommt.
                           Unsere deutschen Weinsteine sind durch Zersetzung gewöhnlich weniger alterirt, da sie
                              ziemlich rein aus dem Faß kommen, nicht so viel Feuchtigkeit zurückhalten und
                              schneller trocknen.
                           Dagegen liefern unsere Träber- und Hefenbrenner künstliche Weinsteine, die häufig
                              mehr oder weniger zersetzt sind. Hauptsächlich sind es die sogenannten Kesselstoße,
                              faustgroße Stücke von zusammengebackenem Weinsteinschlamm, welche äußerlich ziemlich
                              weiß, im Innern jedoch meist dunkelbraun und zersetzt sind.
                           Werden solche Weinsteine mit wenig destillirtem Wasser ausgelaugt, die Lösung
                              filtrirt und vorsichtig abgedampft, so erhält man eine braune amorphe Masse; löst
                              man solche in wenig Wasser, so kann man den schwerlöslichen Weinstein trennen, und
                              erhält nun durch Abdampfen wieder eine Masse, die zerrieben ein gelbbraunes, in
                              Wasser leichtlösliches, in Weingeist unlösliches Pulver gibt, das bei einer nicht
                              viel höheren Temperatur als Siedhitze weich und klebrig wird. Die Lösung reagirt
                              sauer, von wenig beigemischtem Weinstein herrührend. Die weitere Untersuchung dieser
                              Substanz ergab, daß sie durch Trocknen bei 100° C. noch 3 Proc. Wasser
                              verlor; Essigsäure fand sich keine, dagegen enthielt sie, durch Glühen und Titriren
                              bestimmt, 21,8 Proc. Kali, entsprechend 34,8 Proc. Weinsäure oder 54,5 Proc.
                              neutrales weinsaures Kali oder 67,2 Proc. neutrales metaweinsaures Kali.
                           Die Lösung mit Chlorcalciumlösung gefällt, lieferte einen stockigen Niederschlag, mehr dem
                              metaweinsauren als dem weinsauren Kalk ähnlich; dieser, ausgewaschen und geglüht,
                              gab, durch Titriren bestimmt, 18,4 Proc. kohlensauren Kalk, entsprechend 88,1 Proc.
                              neutralem weinsaurem Kali oder 58,3 Proc. Weinsäure.
                           Essigsäure bewirkt in der concentrirten Lösung einen sehr fein zertheilten
                              Niederschlag von saurem weinsaurem oder saurem metaweinsaurem Kali; derselbe beträgt
                              40,3 Procent, entsprechend 50,7 Procent neutralen weinsauren Kalis.
                           Die Resultate dieser Untersuchungen sind übrigens nur relativ zu nehmen, da der
                              Gehalt an Weinsäure und Kali bei den Zersetzungsproducten verschiedener Weinsteine
                              auch verschieden ist, und zum Theil in weiten Grenzen schwankt. Durchgängig ist
                              anzunehmen, daß der Kaligehalt sehr hoch ist, daß auch der Chlorcalciumniederschlag
                              sehr bedeutend ist, daß jedoch durch Citronensäure oder Essigsäure, im Verhältniß
                              zum Gehalt an Kali oder durch Chlorcalcium fällbaren Säuren, nur sehr wenig
                              Niederschlag erhalten wird, während sonst diese Methode der Bestimmung der
                              Weinsäure, vorgeschlagen von G. Schnitzer (polytechn.
                              Journal Bd. CLXIV S. 132) ganz befriedigende Resultate liefert.
                           Es folgt hieraus, daß die Hälfte der Weinsäure im Weinstein bei der Gährung nicht
                              bloß einfach verschwindet, sondern daß sich noch mehrere Zwischenstufen der
                              Zersetzung resp. Oxydation bis zur Kohlensäure bilden.
                           Diese Zersetzungsproducte sind leicht lösliche, schwer krystallisirbare Kalisalze. In
                              wie weit die Bildung derselben abhängig ist von der Gegenwart von Pectinstoffen, die
                              fast immer vorhanden sind, werden spätere Untersuchungen ergeben.
                           Für die Praxis ist es sehr mißlich, daß derartig zersetzte Weinsteine von Ungeübten
                              nicht erkannt werden, und deßhalb der Weinsteinhandel als sehr precär verrufen ist,
                              noch mehr aber, daß viele Leute von Fach, d.h. Analytiker, bei der Untersuchung von
                              Weinsteinen diese Zersetzungen ignoriren, einfach den Gehalt des Kalis ermitteln und
                              darnach den Gehalt des Weinsteins berechnen. Solche Untersuchungen haben für den
                              Fabrikanten keinen Werth, da sie bloß den einst vorhandenen Weinstein, nicht aber
                              den gegenwärtig noch vorhandenen Gehalt an Weinsäure angeben.
                           Daß sich manche Analytiker sträuben, den Gehalt an Weinstein direct durch Titriren
                              mit Natron- oder Kalilauge zu bestimmen, hat seinen Grund darin, daß auch diese
                              Methode, wenn sie nicht mit großer Vorsicht und Uebung ausgeführt wird, unsichere
                              Resultate liefert, denn der Neutralisationspunkt einer sehr dunkel gefärbten, mit
                              Hefe und Pectinstoffen verunreinigten Weinsteinlösung wird nur vom geübten Auge scharf erkannt; auch
                              wirkt heiße Natron- oder Kalilauge leicht zersetzend auf durch Zersetzung alterirte
                              Weinsäure und deren Verunreinigungen, was bei langem Kochen ebenfalls Fehler
                              veranlaßt. Dennoch liefert die directe Bestimmung des Weinsteins durch Sättigen mit
                              Natron- oder Kalilauge bei einiger Uebung Resultate die vollständig genügen.
                           Schließlich empfehle ich den Weinproducenten, den Träber- und Hefenbrennern, die
                              erhaltenen Weinsteine möglichst rasch bei nicht zu hoher Temperatur zu trocknen, und
                              dadurch, sowie durch trockene Aufbewahrung jede Zersetzung der Weinsäure möglichst
                              zu verhüten, indem die Abnahme der Weinsäure im Weinstein durch Zersetzung eine
                              verhältnißmäßig viel größere Abnahme des Preises des Weinsteins zur Folge hat.
                           Waldau bei Heilbronn, im December 1864.