| Titel: | Ueber zwei neue Arten von Pyroxylin oder Schießbaumwolle; von C. Blondeau. | 
| Fundstelle: | Band 178, Jahrgang 1865, Nr. XLV., S. 147 | 
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                        XLV.
                        Ueber zwei neue Arten von Pyroxylin oder
                           Schießbaumwolle; von C.
                              Blondeau.
                        Aus den Comptes rendus, t. LXI p. 378; August
                              1865.
                        Blondeau, über zwei neue Arten von Schießbaumwolle.
                        
                     
                        
                           Die Vorwürfe, welche der Schießbaumwolle gemacht werden, sind erstens, daß sie sehr
                              brüchig ist; zweitens, daß sie einer freiwilligen Zersetzung unterliegt, und dieser
                              Uebelstand, durch welchen die größten Unglücksfälle herbeigeführt werden können, ist
                              so groß, daß man, wenn eine Abhülfe desselben nicht gelingen sollte, die Hoffnung
                              auf die Möglichkeit der Anwendung dieser Substanz aufgeben müßte. Die
                              Schießbaumwolle, sich selbst überlassen, zersetzt sich in der That sehr bald; es
                              entwickelt sich zunächst Salpetersäure, welche dann auf das Pyroxylin einwirkt und
                              dasselbe nach und nach in Xyloidin und Oxaminsäure verwandelt. Durch diese
                              Reactionen wird die Temperatur der Masse so erhöht, daß sie sich entzündet. Dieser
                              Ursache sind die bisher bekannt gewordenen, ziemlich zahlreichen Unfälle
                              zuzuschreiben, zu denen die Schießbaumwolle Veranlassung gegeben hat.
                           Aus den von uns über die chemische Natur der Schießbaumwolle angestellten
                              Untersuchungen (Comptes rendus, t. LX. p. 128) geht hervor, daß das Pyroxylin als ein
                              Säureanhydrid, eine wasserfreie Säure, betrachtet werden muß, welche eine nur
                              geringe Beständigkeit und die Zusammensetzung
                           C24 H20 O20
                              (NO³)³
                           hat. Dieser Säure läßt sich die ihr fehlende Beständigkeit
                              ertheilen, indem sie an Ammoniak gebunden wird, worauf sie die Verbindung bildet,
                              deren Zusammensetzung durch die Formel
                           C24 H20 O20
                              (NO⁴)⁵ (NH²)⁵ 
                           ausgedrückt wird und die wir Nitrocellulopentamid genannt haben. Diese Verbindung entsteht aber nicht unmittelbar, sondern
                              nur allmählich und bildet die Grenze, welche alle Körper zu erreichen streben, deren
                              Zusammensetzung durch die nachstehenden Formeln ausgedrückt werden kann:
                           C24 H20 O20
                              (NO⁵)⁴ (NO⁴) (NH²),
                           C24 H20 O20
                              (NO⁵)³ (NO⁴)² (NH²)².
                           Unterbricht man nun die Einwirkung des Ammoniaks, sobald die erstere dieser
                              Verbindungen sich gebildet hatBleibt man bei der ersteren dieser Substanzen stehen, welcher die FormelC24 H20 O20
                                    (NO⁵)⁴ (NO⁴) (NH²)zukommt, so zersetzt sich dieser Körper unter
                                    Detonation zu C24 O24 + H20
                                    O20 + N⁶ + H², wobei
                                    jeder Gramm desselben 955 Kubikcentimeter Gase oder Dämpfe gibt., so erhält man eine Schießbaumwolle, welche unter Beibehaltung ihrer ganzen
                              Explosivkraft gleichzeitig eine Beständigkeit erlangt hat, in Folge deren sie bei
                              gewöhnlicher Temperatur unveränderlich ist und selbst bei 100° C. sich nicht
                              zersetzt.
                           Zur Darstellung dieses Pyroxylins setzt man gut bereitete Schießbaumwolle beiläufig
                              vier Stunden lang der Einwirkung von Ammoniakdämpfen aus. Dabei nimmt das Pyroxylin
                              eine gelbliche Färbung an – ein Anzeichen seiner Verbindung mit dem Ammoniak,
                              – und gibt nach dem Trocknen ein Pulver, welches, abgesehen von seiner
                              Beständigkeit, eine größere Explosivkraft besitzt, als gewöhnliches Pyroxylin.
                           Das ammoniakalische Pyroxylin oder die Ammoniak-Schießbaumwolle besitzt die Eigenschaft, sich mit Salzsäure zu verbinden
                              und bildet dann eine Art Salz, dessen Zusammensetzung der Formel
                           C24 H20 O20
                              (NO⁴)⁵ (NH²)⁵ (HCl)³
                           entspricht und welches ebenfalls ein Präparat von gleicher
                              Explosivkraft wie das gewöhnliche Pyroxylin ist, sich vom letzteren aber dadurch
                              vortheilhaft unterscheidet, daß es sich weder bei gewöhnlicher, noch bei einer
                              Temperatur von 100° C. zersetzt. Zur Darstellung dieses neuen explosiven
                              Präparats läßt man gewöhnliche gute Schießbaumwolle in einer ziemlich concentrirten
                              Salmiaklösung eine halbe Stunde lang kochen, wäscht das erhaltene Product in
                              fließendem Wasser aus und trocknet es an der Sonne.
                           Diese neue Schießbaumwolle detonirt bei derselben Temperatur wie die bisherige, gibt
                              aber andere Verbrennungsproducte als diese; denn außer Kohlenoxyd und Wasserdampf
                              gelang es uns auch die Gegenwart von Cyan und Chlorammon, sowie von freier
                              Chlorwasserstoffsäure, freiem Stickstoff und freiem Wasserstoff in den
                              Verbrennungsproducten nachzuweisen. Die Resultate dieser Reaction entsprechen der
                              Gleichung:
                           C24 H20 O20
                              (NO⁴)⁵ (NH²)⁵ (HCl)⁵ = C20 O20 + H20 O20 +
                              C²N + 3 (NH³HCl) + N⁵ + 2HCl + H.