| Titel: | Ueber das Kohlen der Tabakssorten; von Apotheker Liecke in Hannover. | 
| Fundstelle: | Band 178, Jahrgang 1865, Nr. LXIX., S. 236 | 
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                        LXIX.
                        Ueber das Kohlen der Tabakssorten; von Apotheker
                           Liecke in
                           Hannover.
                        Aus den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins,
                              1865 S. 160.
                        Liecke, über das Kohlen der Tabakssorten.
                        
                     
                        
                           Häufige Nachfrage, ob es nicht möglich sey, kohlendem Tabak auf irgend eine Weise
                              diese verderbliche Eigenschaft zu nehmen, sind Veranlassung gewesen, weßhalb ich diesem
                              Gegenstande einige Aufmerksamkeit geschenkt habe. Meine darüber eingezogenen
                              Erkundigungen und gemachten Erfahrungen theile ich im Nachstehenden mit.
                           Das Kohlen des Tabaks kann durch geschickte Leitung des Schwitzens, namentlich aber
                              des Fermentirens vermieden werden. Diese beiden Processe bilden die Hauptmomente der
                              Tabakfabrication. Das Schwitzen wird in der Weise bewerkstelligt, daß die an der
                              Luft getrockneten Tabaksblätter etwa drei Fuß hoch über einander geschichtet in
                              warmer Luft sich selbst überlassen werden. Man nimmt dieß Geschäft auf Böden vor,
                              welche gegen Luftwechsel geschützt sind. Hierbei tritt, ähnlich wie bei gelagertem,
                              allzufrischem Heu, ein Erwärmen der Blätter ein. Es ist zu verhüten, daß die
                              Temperatur der Schwitzhaufen über 45° C. steige, aber auch nicht unter
                              35° herabsinke. Im ersteren Falle würde ein Theil des Aroma's schwinden, ja
                              sich vollständig zersetzen können; im letzteren Falle würde ein Schwitzen nur
                              ungenügend stattfinden. Daneben ist darauf zu achten, daß die äußeren, wie die
                              inneren Theile des Schwitzhaufens durch sorgfältiges Umlegen derselben Temperatur
                              unterworfen werden. Hinsichtlich der zu verarbeitenden Waare ist noch zu bemerken,
                              daß gute Tabake in möglichst niedriger, geringere Sorten dagegen in möglichst hoher
                              Temperatur zu erhalten sind; selbstverständlich beide innerhalb der oben gesteckten
                              Grenzen von 35 bis 45° Celsius. Der Zweck des Schwitzens ist der, den Tabak
                              so zu sagen unempfindlicher gegen äußere Einflüsse zu machen und dadurch geeigneter
                              zum Lagern und für den Transport.
                           Was nun jenen zweiten Proceß, die eigentliche Fermentation anbelangt, so wird diese
                              in den Fabriken vor der Verarbeitung des Tabaks vorgenommen. Verschiedene
                              Fabrikanten befolgen hierbei verschiedene Vorschriften, selbst die Tabakssorten
                              bedingen Abänderungen; indeß kommen sämmtliche Verfahren darin überein, daß der
                              Tabak durch künstliche Wärme und feuchte Luft einer Art Gährung unterworfen wird. In
                              manchen Fabriken wird dieselbe in ähnlicher Weise ausgeführt, wie das Schwitzen.
                              Andere Fabriken bedienen sich großer Gährbottiche, wohinein der Tabak geschichtet
                              sechs bis zehn Tage hindurch bei feuchter warmer Luft sich selbst überlassen wird.
                              In Frankreich benutzt man fast allgemein in den kaiserlichen Magazinen etwa 12 Fuß
                              breite und ebenso hohe Kammern von Holz, von denen mehrere neben einander stehen und
                              deren Einrichtung es zuläßt, durch angebrachte Ventilation die Temperatur zu regeln.
                              Irre ich nicht, so vermag man z.B. in Straßburg vermittelst besonderer Vorkehrungen
                              durch die einzelnen Tabaksschichten in den Gährkammern warme feuchte Luft
                              durchströmen zu lassen. Mit Hülfe des Thermometers und eines Instrumentes, womit die Feuchtigkeit der Luft
                              zu messen ist, kann man die verschiedenen Tabakssorten den Einflüssen unterwerfen,
                              die ihnen gerade am dienlichsten sind. Nicht immer ist es leicht, eine Gährung
                              einzuleiten oder eine erstorbene wieder zu beleben, sondern es erheischt mitunter
                              ein Abwarten des Frühjahres. Wie der Wein beim Eintreten der ersten warmen Tage neue
                              Gährungserscheinungen zeigt, so regen sich auch in den Magazinen zu dieser Zeit die
                              todten Tabaksblätter und drohen sogar nicht selten in Fäulniß überzugehen.
                           Ist die Gährung vollendet, so werden die Tabake auseinander genommen, getrocknet und
                              mitunter, ehe sie zu weiteren Zwecken verarbeitet werden, mit Lösungen verschiedener
                              Salze oder Riechstoffe behandelt. Diese Behandlung geschieht indeß hauptsächlich bei
                              ordinäreren Sorten, um dieselben pikanter zu machen. Der innere chemische Vorgang
                              bei dem Schwitz- und Fermentationsprocesse besteht in einer Verminderung des
                              Nicotingehaltes und in einem Bloßlegen dieser basischen Quintessenz der Tabake. Der
                              eigenthümliche Geruch der Pflanze wird durch das Nicotin im freien, d. i. nicht an
                              Säuren gebundenen Zustande bedingt. Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff sind die
                              Elemente, woraus das erwähnte Alkaloid besteht. Man kann dieses als ein Ammoniak
                              betrachten, dessen Wasserstoff-Atome durch das organische Radical C⁵
                              H⁷ ersetzt sind.
                           
                              
                                 Typus-Ammoniak:
                                 Formel für Nicotin:
                                 
                              
                                 N²
                                 
                                    
                                    
                                 H³H³
                                 N²
                                 
                                    
                                    
                                 C⁵ H⁷C⁵ H⁷
                                 
                              
                           Wird der Tabakspflanze ihre Lebensbedingung genommen, wird dieselbe anderen
                              Einflüssen ausgesetzt, so kann die ganze Arbeit der Pflanze hinsichtlich der
                              Nicotinbildung annullirt werden. Jener primäre Stoff, das Ammoniak, tritt auf,
                              gebildet aus dem Stickstoff und einem Theile des Wasserstoffs des Nicotins, während
                              die übrigen Atome Wasserstoff und der Kohlenstoff der erwähnten Pflanzenbase mit
                              Sauerstoff vereinigt Wasser und anderweitige Zersetzungsproducte bilden. Das
                              auftretende Ammoniak wirkt theils auf das noch unzersetzt vorhandene, an Säuren
                              gebundene Nicotin und setzt dieses in Freiheit; theils entweicht das Ammoniak und
                              kann so durch aufgestellte Näpfchen, welche mit Salzsäure gefüllt sind, nachgewiesen
                              werden mittelst der Bildung weißer Nebel. Diese Nebel rühren von der Verbindung der
                              Salzsäure mit Ammoniak zu Salmiak her. Wie schon erwähnt, rührt der nicht gerade
                              angenehme Geruch des Tabaks vom freien Nicotin her. Das Aroma resultirt aus dem
                              Nicotianin, einem zweiten wesentlichen Bestandtheile der Tabakspflanze, dessen
                              Zusammensetzung durch die chemische Formel C²3 H³2 N² O⁶
                              ausgedrückt wird.
                           
                           Nachdem ich so in Kürze die Hauptprocesse der Tabakfabrication besprochen habe, komme
                              ich auf meine Eingangs gemachte Behauptung zurück, daß nämlich durch geschickte
                              Leitung des Schwitzens, namentlich aber des Fermentirens ein selbst stark kohlender
                              Tabak von dieser Ungehörigkeit befreit werden kann, wie mich Versuche, die ich mit
                              verschiedenen kohlenden Tabakssorten angestellt, gelehrt haben. Bei diesen Versuchen
                              richtete ich meine Aufmerksamkeit gleichzeitig darauf, zu erfahren, wie das
                              quantitative Verhältniß des Nicotingehaltes kohlender und nicht kohlender Tabake
                              sey, welche in gleichen Länderstrichen angebaut waren. Zur Bestimmung des Nicotins
                              verfuhr ich folgendermaßen: Die trockenen Blätter extrahirte ich dreimal mit Wasser,
                              welches mit Schwefelsäure angesäuert war, dampfte die Auszüge bis zur Consistenz
                              eines Extractes ein, schüttelte tüchtig mit Alkohol, etwa dem gleichen Volum,
                              trennte die ausgeschiedenen Theile durch Filtration und wusch gut nach. Alles
                              Nicotin mußte als schwefelsaures Salz in der alkoholischen Flüssigkeit enthalten
                              seyn. Nachdem der Alkohol verdampft war, zerlegte ich das rückständig gebliebene
                              schwefelsaure Nicotin vermittelst Kalilauge in einer Glasretorte, welche ich
                              allmählich im Oelbade bis 260° C. erwärmte. Das überdestillirende Nicotin
                              leitete ich in Schwefelsäure von bestimmter Concentration und fand nach der
                              Destillation durch Sättigen der überschüssig vorgeschlagenen Schwefelsäure mit
                              Natronlösung von bekanntem Gehalt denjenigen Theil der Säure, der durch Nicotin
                              neutralisirt ward. Die Ergebnisse dieser Bestimmungen sind folgende:
                           
                              
                                 
                                 
                                 kohlend:
                                 nicht kohlend:
                                 
                              
                                 Deutscher Tabak
                                 8,14 
                                 Proc.
                                 Nicotin
                                 5,28
                                 Proc.
                                 Nicotin
                                 
                              
                                 Französischer Tabak
                                 7,64
                                 „
                                 „
                                 4,91
                                 „
                                 „
                                 
                              
                                 Türkischer Tabak
                                 6,42
                                 „
                                 „
                                 4,52
                                 „
                                 „
                                 
                              
                                 Amerik. Tabak:
                                 Cuba
                                 5,93
                                 „
                                 „
                                 6,11
                                 „
                                 „
                                 
                              
                                 
                                 Maryland
                                 5,18
                                 „
                                 „
                                 3,24
                                 „
                                 „
                                 
                              
                                 
                                 Havanna
                                 3,47
                                 „
                                 „
                                 1,96
                                 „
                                 „
                                 
                              
                           Aus dieser Tabelle ergibt sich, daß der Nicotingehalt in kohlendem Tabak in der Regel
                              ein größerer ist, als in nicht kohlendem. Da nun eine verlängerte oder wiederholte
                              Fermentation einen Mindergehalt an Nicotin zur Folge hat, so versuchte ich stark
                              kohlende Tabake auf's Neue einer Gährung zu unterwerfen, um zu erfahren, ob nicht
                              hierdurch eine günstige Veränderung erzielt werden könne. Meine Versuche gelangen.
                              Nach zehn bis zwölf Tagen hatte sich der Nicotingehalt der untersuchten Tabake
                              durchschnittlich um ein Drittel verringert, die lästige Eigenschaft des Kohlens war
                              geschwunden und die Tabake hatten hierbei nicht merklich an Kräftigkeit und Aroma
                              verloren.
                           
                           Angestellte Versuche, durch Oxydationsmittel dem erwähnten Uebel abzuhelfen, haben im
                              Allgemeinen ein günstiges Resultat nicht geliefert. Die hier und da gebrauchten
                              Mittel sind Salpeter, eine Mischung aus Salpeter und Borax, auch wohl Kleesäure.
                              Alle diese Mittel wirken durch ihren disponibel Sauerstoff, indem sie denselben an
                              die kohlenden Theile abgeben und so eine vollkommene Verbrennung zu Stande bringen.
                              Dieser Verbrennungsproceß greift aber zu tief ein, so daß sich der eigenthümliche
                              Tabaksgeschmack bis zum Unkenntlichwerden verliert, namentlich ist dieß bei
                              Anwendung von Salpeter und dessen Gemisch der Fall. Die Kleesäure würde noch eher zu
                              empfehlen seyn, wenn nicht ihre heftige Wirkung auf den Organismus des Menschen in
                              Frage käme, die bei Tabak, welchen man zu Cigarren verarbeitet, leicht nachtheilig
                              ist. Eine Verwendung bei Tabak, der nur aus Pfeifen geraucht wird, kann indeß
                              keinerlei Schaden verursachen, indem die Verbrennungsproducte der Kleesäure völlig
                              unschädlich sind.
                           Da deutsche Tabake beim Verbrennen nicht selten einen unangenehmen und strengen
                              Geruch von sich geben, so ist es vor allen Dingen erforderlich, ihnen diesen zu
                              nehmen. Aus dem Grunde geschieht es, daß man die Tabaksblätter mit Beizen mehrere
                              Stunden hindurch behandelt. Diese Beizen bestehen aus Salzen und Riechstoffen. Die
                              am häufigst gebrauchten sind Kochsalz, Potasche, Salmiak und andere, die gleichfalls
                              lösend auf die übelriechenden Stoffe wirken. Das Parfümiren geschieht mit schwach
                              geistigen Saucen, die aus Melilotenkraut, Zimmt, Pommeranzenschalen, Tonkabohnen,
                              Cascarillrinde, Lavendel und verschiedenen anderen Sachen bereitet werden.
                           Wenn ich meine vorerwähnten Versuche nur im Kleinen ausführte und auf das Fermentiren
                              beschränken mußte, so leidet es doch keinen Zweifel, daß auch im Großen günstige
                              Resultate zu erzielen sind und daß auch das Schwitzen, dessen Wirkung der des
                              Fermentirens ähnlich ist, in gleichem Verhältniß vortheilhaft auf kohlende
                              Tabakssorten wirken wird.