| Titel: | Ueber die Einwirkung des Glycerins auf Oxalsäure und deren technische Verwendung zur Darstellung concentrirter Ameisensäure; von Lorin. | 
| Fundstelle: | Band 178, Jahrgang 1865, Nr. LXXXIII., S. 300 | 
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                        LXXXIII.
                        Ueber die Einwirkung des Glycerins auf Oxalsäure
                           und deren technische Verwendung zur Darstellung concentrirter Ameisensäure; von
                           Lorin.
                        Aus den Comptes rendus, t. LXI p. 382; August
                              1865.
                        Lorin, Verfahren zur Darstellung concentrirter
                           Ameisensäure.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich läßt sich die Ameisensäure (Formylsäure) in den Laboratorien nach dem
                              Verfahren von Berthelot durch Behandlung von Oxalsäure
                              mit Glycerin sehr rein darstellen. Hierzu bringt man in eine Retorte 10 Theile
                              Oxalsäure, 10 Theile syrupartiges Glycerin und 1 oder 2 Theile Wasser; man versieht
                              dieselbe mit einer Vorlage und erhitzt auf 100° C.; bald entwickelt sich
                              Kohlensäure mit lebhaftem Aufbrausen. Nach beiläufig 15 Stunden ist die Reaction
                              beendigt, eine kleine Menge mit Ameisensäure gesättigtes Wasser ist überdestillirt
                              und in der Retorte bleibt das Glycerin zurück, welches fast sämmtliche gebildete
                              Ameisensäure enthält; um dieselbe aus dem Glycerin auszuziehen, setzt man der
                              Flüssigkeit in der Retorte 5 Theile Wasser zu, und destillirt, indem man das Wasser
                              in dem Maaße ersetzt als es verdampft. Auf diese Weise fährt man fort, bis man 60
                              bis 70 Theile destillirte Flüssigkeit gesammelt hat, wornach sich fast alle
                              Ameisensäure mit dem Wasser verflüchtigt hat und nur das Glycerin in der Retorte
                              zurückbleibt.
                           
                           Ich stellte mir die Aufgabe, ein anderes Verfahren zur leichten Gewinnung von
                              Ameisensäure zu ermitteln, ohne Mitanwendung von Wasser zum Ausziehen der gebildeten
                              Ameisensäure, und ohne die Nothwendigkeit, letztere erst in Ameisensäuresalze
                              verwandeln zu müssen, um sie concentrirt zu erhalten. Es ist mir auch geglückt,
                              diesen doppelten Zweck vollständig zu erreichen, und zwar mit Hülfe von eingehenden
                              Untersuchungen über das Verhalten von fester Oxalsäure zum Glycrin, wenn sie diesem
                              in kleinen Portionen zugesetzt wird; die Oxalsäure zerfällt dabei in Wasser,
                              Kohlensäure und Ameisensäure. Obschon ich bereits im letztverflossenen Herbste
                              dieses neue Verfahren zur Darstellung concentrirter Ameisensäure entdeckte, so
                              verzögerte ich die Veröffentlichung desselben doch noch, um die Verhältnisse genau
                              feststellen zu können.
                           
                        
                           I. Technische Darstellung der
                                 Ameisensäure von 56 Proc.
                           Das Gemisch von gewöhnlicher (krystallisirter) Oxalsäure mit wasserfreiem oder auch
                              käuflichem Glycerin wird zunächst erhitzt; bei 75° C. beginnt die Reaction
                              und ist bei 90° in voller Thätigkeit. Unter Entwickelung von Kohlensäure geht
                              eine wässerige Lösung von Ameisensäure über. Einige Zeit nach dem Aufhören der
                              Kohlensäure-Entwickelung setzt man eine neue Portion Oxalsäure zu, worauf die
                              Zersetzung sofort von Neuem beginnt, indem wieder eine wässerige Flüssigkeit
                              übergeht, welche aber jetzt reicher an Ameisensäure ist; indem man in dieser Weise
                              mit dem Zusatze von Oxalsäure fortfährt, nimmt der Ameisensäuregehalt des erhaltenen
                              Destillats immer mehr zu, bis derselbe die von der Theorie angegebene Grenze
                              erreicht. Die Gleichung
                           C⁴H²O⁸, 4 HO = C²H²O⁴ +
                              4 HO + C²O⁴
                           zeigt, daß 126 Grm. Oxalsäure 82 Grm. einer wässerigen
                              Ameisensäure geben, welche 56 Proc. wasserfreie Säure enthalten muß und auch in der
                              That enthält. Das Vorhandenseyn dieser Grenze ist Folge der wiederholten und
                              successiven Verbindung der vom Glycerin zurückgehaltenen Ameisensäure mit diesem
                              mehratomigen Alkohol; daß eine solche Verbindung stattfindet, beweist die Thatsache,
                              daß die aus dem Glycerin eliminirte Wassermenge der bei jeder der successiven Phasen
                              der Reaction fixirten Ameisensäuremenge äquivalent ist.
                           Bei einer ersten Versuchsreihe stellte sich der Gehalt der von einem Kilogramm
                              Oxalsäure – welche jedesmal in Portionen von 250 Grm. zugesetzt wurde
                              – erhaltenen wässerigen Ameisensäure zu 24, 44, 53 Procent heraus; bei einer
                              zweiten Versuchsreihe zu 17, 33, 41, 46, 50 u. 51,5 Proc. Am Anfange der Operation
                              steigt der Gehalt rascher, als wenn dieselbe schon einige Zeit im Gange ist.
                           
                           Diese Darstellungsweise der 56procentigen Ameisensäure geht ununterbrochen und so
                              regelmäßig von Statten, daß sie eine der leichtesten Operationen ist. Der
                              Temperatur, sowie der das Anfangs- und das Schlußstadium des Processes
                              bildenden Kohlensäure-Entwickelung braucht eine besondere Aufmerksamkeit gar
                              nicht zugewendet zu werden. Bei Anwendung von 1 Kilogr. Glycerin und successiven
                              Zusätzen von jedesmal 250 Grm. Oxalsäure gelangt man bald dahin, für jedes Kilogr.
                              angewandter Oxalsäure 650 Grm. Ameisensäure von 56 Proc. zu produciren. Es ist
                              übrigens leicht ersichtlich, daß hierbei die Ameisensäure von 25 Proc. Gehalt nicht
                              höher zu stehen kommt, als die gleiche Gewichtsmenge der zu ihrer Darstellung
                              gebrauchten Oxalsäure; denn indem ich bei der zweiten Versuchsreihe die jedesmal
                              gesammelte Quantität Ameisensäure durch Wasserzusatz auf das Volum eines Liters
                              brachte, erhielt ich die Titer 21, 26, 31, 33, 34 Proc. Nach erfolgter Sättigung des
                              Glycerins liefert 1 Kilogramm Oxalsäure 1,5 Kilogr. Ameisensäure von 25 Proc.
                           Zu bemerken ist noch, daß die Operation ununterbrochen beliebig lange fortgesetzt
                              werden kann. Bei meinen Versuchen gebrauchte ich mehrere Monate lang dasselbe
                              Glycerin, obschon die Operationen ununterbrochen, Tag und Nacht hindurch, im Gange
                              blieben.
                           
                        
                           II. Ameisensäure von 75
                                 Proc.
                           Durch Behandlung von gesättigtem Glycerin mit entwässerter Oxalsäure erhielt ich
                              Ameisensäure von durchschnittlich 75 Proc. Man muß dabei aber sehr vorsichtig
                              erwärmen, um Aufblähen zu vermeiden, denn die Zersetzung der Oxalsäure beginnt schon
                              unter 50° C.
                           
                        
                           III. Krystallisirbares
                                 Ameisensäurehydrat.
                           Bekanntlich wurde das Ameisensäurehydrat bisher mittelst Zersetzung des ameisensauren
                              Bleioxyds durch Schwefelwasserstoff erhalten – eine langwierige und mühsame
                              Operation. Ich habe das Bleisalz durch ameisensaures Kupferoxyd ersetzt, welches
                              verhältnißmäßig sehr leicht löslich, leicht krystallisirbar, leicht zu entwässern
                              und leicht durch Schwefelwasserstoff zu zersetzen ist, überdieß auch die theoretisch
                              berechnete Ameisensäuremenge liefert. Dieß dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach
                              nicht der einzige Fall der Darstellung organischer Säuren seyn, in welchem das
                              Bleisalz mit großem Vortheil durch das Kupfersalz ersetzt werden kann. Bald darauf
                              kam mir der Gedanke, zur Entfernung der letzten 25 Proc. Wasser aus der Ameisensäure
                              vorzugsweise entwässerte Oxalsäure zu benutzen; läßt man nämlich solche auf
                              Ameisensäure von 70 Proc. einwirken, so erfolgt eine Temperaturerhöhung, das Gemisch
                              wird bei vorsichtigem Erwärmen flüssig, und krystallisirt, sich selbst überlassen;
                              decantirt und destillirt man alsdann, um die gelöste Oxalsäure abzuscheiden, so
                              erhält man Ameisensäure von beinahe 100 Proc., welche bei geeigneter
                              Temperaturerniedrigung krystallisirte Ameisensäure
                              gibt.
                           
                        
                           IV. Verschiedene Versuche.
                           Bei meinen Untersuchungen fielen mir folgende Erscheinungen auf:
                           1) Unter allen Ameisensäuresalzen liefert nur das Kupferoxydsalz beim Zersetzen durch
                              Erhitzen Ameisensäure von bestimmtem Concentrationsgrade, 82 Proc.
                           2) Durch Behandlung von Ameisensäuresalzen mit Schwefelsäure gelang es mir,
                              ungeachtet der sorgfältigsten Beobachtung aller denkbaren Vorsichtsmaßregeln, nur
                              seilen, Ameisensäure von 70 Proc. zu erhalten und dann stets nur in verhältnißmäßig
                              geringer Menge. Mit den zweifach-ameisensauren Salzen hatte ich ebenso wenig
                              Glück.
                           3) Die Spaltung der gewöhnlichen oder der entwässerten Oxalsäure durch Behandlung mit
                              Essigsäure und Ameisensäure könnte zur Darstellung von Ameisensäure benutzt
                              werden.
                           4) Durch vorsichtiges Erhitzen von entwässerter Oxalsäure erhielt ich bei einem
                              meiner Versuche eine ziemlich beträchtliche Menge Ameisensäure von 55 Proc.
                           5) Die Anwendung von Schwefelsäure als Absorptionsmittel für den Wasserdampf bot in
                              theoretischer Hinsicht einiges Interesse dar. Ich operirte im November und December
                              bei der Temperatur des Laboratoriums mit Ameisensäure von 57,5 Proc. An jedem
                              dritten Tage wurde eine Wägung und eine Titerbestimmung gemacht, und zwar jedesmal
                              zu derselben Stunde, wodurch ich in Stand gefetzt wurde, die Erscheinungen auf's
                              Sorgfältigste zu verfolgen. Das Wasser wird stets rascher absorbirt, als die Säure;
                              nachdem der Gehalt der letzteren bis auf 63 Proc. gestiegen war, hielt sich das
                              Verhältniß zwischen Säure und Wasser an der Grenze 1,7. Dieses von 46/27 = 1,704 nur
                              unbedeutend abweichende Verhältniß scheint auf die Existenz eines
                              Ameisensäurehydrats C²H⁴O⁴, 3 HO hinzudeuten. Durch Vertauschen
                              der gebrauchten Schwefelsäure mit frisch ausgekochter wurde dieses Verhältniß nicht
                              wesentlich geändert.
                           Eine Methode zur leichteren Darstellung des reinen Kohlenoxyds mittelst Ameisensäure und Schwefelsäure ist ebenfalls das
                              Resultat meiner Arbeit.