| Titel: | Ueber zwei im Frühlinge dieses Jahres vorgekommene Blitzesereignisse nebst einigen Bemerkungen über Anlegung und Construction der Blitzableiter; von C. Kuhn in München. | 
| Autor: | Carl Kuhn [GND] | 
| Fundstelle: | Band 182, Jahrgang 1866, Nr. LXXXI., S. 289 | 
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                        LXXXI.
                        Ueber zwei im Frühlinge dieses Jahres
                           vorgekommene Blitzesereignisse nebst einigen Bemerkungen über Anlegung und Construction
                           der Blitzableiter; von C. Kuhn
                           in München.
                        Kuhn, über zwei Blitzesereignisse, nebst einigen Bemerkungen
                           hierzu.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich bieten für die Construction von Blitzableitern für Gebäude die bei
                              Blitzesereignissen durch unmittelbare und sachgemäße Beobachtung festgestellten
                              Thatsachen bis jetzt noch die wichtigste Grundlage, wenn gleichwohl nicht in Abrede
                              gestellt werden kann, daß experimentelle Untersuchungen, welche den Umständen ganz
                              und gar entsprechen, unter denen Blitzesentladungen gegen irdische Objecte eintreten
                              können, zu brauchbaren Resultaten führen werden. Als brauchbar können aber nur
                              solche durch das Experiment zu diesem Zwecke festgestellte Thatsachen betrachtet
                              werden, mittelst welchen man die bei der unmittelbaren oder mittelbaren Wirkung der
                              Wolkenelektricität an irdischen Objecten und namentlich an Blitzableitern
                              auftretenden Erscheinungen in genügender Weise zu erklären im Stande ist. Es dürfte
                              daher nicht als unwesentlich erscheinen, solche Blitzesereignisse, die entweder neue
                              Anhaltspunkte für den in Rede stehenden Zweck liefern oder die zur Beurtheilung von
                              Anordnungen, welche schon in die Praxis übergegangen oder wenigstens für diese
                              empfohlen worden sind, zuweilen besonders hervorzuheben.
                           
                           Einen Fall dieser Art scheinen mir zunächst die Ereignisse darzubieten, welche am 8.
                              April dieses Jahres an einigen Gebäuden zu Paris beobachtet wurden, und über welche
                              Barker der französischen Akademie sofort Bericht
                              erstattet hat.Comptes rendus, t. LXII p. 951; April 1866. Von diesem Berichte lassen wir
                              zunächst das Wesentliche hier folgen:
                           
                              „Bei einem starken Gewitter, das am Abend des 8. April über Paris sich
                                 entlud, fiel der Blitz auf das Haus Nr. 80 am Boulevard Montparnasse, wo sein
                                 Durchgang zwei Ereignisse derselben Natur gleichzeitig an zwei verschiedenen
                                 Orten veranlaßte, nämlich in einem gegen den Boulevard gelegenen Saale zu ebener
                                 Erde in der Weinhandlung, und in einem rückwärtig gelegenen, durch mehrere
                                 Piecen von dem Saale getrennten Hofe. In dem Saale geht an einen Winkel zwischen
                                 der Wand und dem Plafond in der Nähe einer Oeffnung, die zur Aufnahme eines
                                 Kaminrohres bestimmt und zur Zeit offen war, eine bleierne Gasröhre. Eine
                                 ähnliche Gasröhre ist in einer Höhe von beiläufig 4 Metern über dem Boden
                                 horizontal an der Mauer des Hauses fortlaufend im Hofe angebracht, die
                                 unmittelbar vor einer starken für das Regenwasser bestimmten Abfallröhre
                                 vorübergeht, ohne diese zu berühren; letztere endigt etwa 10 Centimeter über dem
                                 Boden. Gegen 8 1/2 Uhr Abends wurden die Bewohner des Hauses durch einen
                                 blendenden Blitz, von einer starken, einem Schusse aus einer gezogenen Kanone
                                 ähnlichen Detonation begleitet, erschreckt, und gleichzeitig bemerkte man eine
                                 mächtige Gasflamme an der Stelle der Gasröhre des Hofes, wo diese der
                                 Abfallröhre gegenübersteht. Es war kein Zweifel, daß die Gasröhre an jener
                                 Stelle durch den Blitz verletzt wurde und so dem Gas den Austritt gestattete,
                                 das auch sogleich durch den elektrischen Funken in Flamme versetzt worden ist.
                                 Während diese Dinge im Hofe stattfanden, kam an der Gasröhre des gegen den
                                 Boulevard gelegenen Saales ein zwar ähnliches Ereigniß, aber von geringerem
                                 Grade vor. Diese Röhre wurde an der Stelle, wo sie die Kaminöffnung berührt, in
                                 Folge des Durchganges der Elektricität durchbohrt und das Gas kam ebenfalls
                                 dabei in Flamme.“
                              
                           Die Erklärung, welche Barker für diese Blitzesereignisse
                              gibt, geht beiläufig dahin, daß nach seinem Dafürhalten der Blitz gegen irgend einen
                              Punkt des aus Zink bestehenden Daches fiel, von hier aus der für das Regenwasser
                              bestimmten Abfallröhre folgen wollte, aber in Folge des großen Widerstandes, den die
                              Elektricität am Ende der Abfallröhre, wo diese dem Pflaster nur gegenübersteht, ohne
                              dieses zu berühren, gegen bessere Leiter in der Nähe überspringen mußte, was auch
                              wirklich eingetreten sey, da der Blitz von der Abfallröhre gegen die nächste Stelle
                              der vorbeigehenden Gasröhre übersprang; die Gasröhre im Saale aber sey vermuthlich
                              direct vom Dache aus durch den Kamin vom Blitze getroffen worden; beide
                              Erscheinungen seyen daher derselben Ursache, nämlich dem Abspringen des Blitzes oder
                              der Theilung des Blitzstromes zuzuschreiben, was nicht eingetreten wäre, wenn die
                              Abfallröhre bis in den Boden selbst verlängert gewesen wäre. Nähere Anhaltspunkte über die Umstände,
                              welche das Ereigniß zur gründlichen Erklärung führen könnten, gibt Barker nicht, auch die weitere Bahn des sogen.
                              Blitzstrahles, die dieser gegen die Erde hin genommen haben muß, wurde nicht
                              verfolgt; es wurde auch nicht angegeben, ob beide Gasröhren zu einer und derselben
                              Leitung gehörten, welchen Weg die Gasleitungen überhaupt im Boden nehmen etc., und
                              es ist selbst nicht erwähnt, ob das Gebäude mit Blitzableitern versehen ist, oder
                              nicht. Am Schlusse seines Berichtes bemerkt er noch, daß an dem gleichen Abende und
                              um dieselbe Zeit im Hause Nr. 17 der Rue de la
                                 Pépinière in einer Mauerecke, wo eine Gasröhre hinter einer
                              Wasserleitung vorübergeht, jene auf eine Länge von 1/5 Meter geschmolzen und das Gas
                              in Flamme versetzt wurde.
                           Obgleich nun eine sachgemäße Erklärung der eben erwähnten Blitzesereignisse nicht
                              gegeben werden kann, da die wichtigsten Umstände, welche hierzu nöthig wären, gar
                              nicht ermittelt worden sind und selbst nicht einmal erwähnt worden ist, ob während
                              des Ereignisses oder schon längere Zeit vorher es regnete, die Constatirung einiger
                              an den Gasröhren eingetretenen Verletzungen aber, sowie nicht minder die dort
                              beobachteten Funken für die Erklärung selbst wohl nöthig, aber von untergeordneter
                              Natur sind, so möchte es dennoch nicht unwichtig seyn, diesen und ähnliche Fälle
                              besonders in's Auge zu fassen, da die Netze von Gas- und Wasserleitungen, wie
                              sie in großen und selbst in mittleren und kleinen Städten die verschiedensten
                              Stadttheile und die verschiedensten Terrainstrecken durchziehen, nicht hier das
                              erste Mal zu Feuersgefahren während starker Gewitter Veranlassung gegeben haben, und
                              wir erinnern unter Anderem an einen derartigen Fall, der am Charfreitage des Jahres
                              1861 in München vorkam, aus dessen BeschreibungZeitschrift des deutsch-österreichischen Telegraphenvereins,
                                    Jahrg. 1862, S. 13. unzweideutig hervorgeht, daß man derartigen
                              Vorfällen durch zweckmäßige Anlegung der Blitzableiter etc. vorbeugen könnte.
                           Bei der Anlegung (und nicht minder bei der Construction) von
                              Blitzableiter-Systemen hat man nämlich, wie ich dieß schon mehrfach
                              hervorzuheben Gelegenheit nahm, von dem durch die Erfahrung schon längst bestätigten
                              Satze auszugehen, „daß jede Blitzesentladung schon im Voraus –
                                 nämlich vor dem sog. Einschlagen – dem Wege nach, den sie befolgt,
                                 bestimmt ist.“ Dieser Satz kann aber nach meiner Ansicht nur dadurch
                              begründet werden, daß man von der noch vielfach verbreiteten Ansicht absteht, als ob
                              der Blitz gegen irdische Objecte gleichsam sich ergieße und dabei den Weg des kleinsten Widerstandes
                              bis zur Erde erst während seines Durchganges aufsuche, dafür aber die sämmtlichen
                              Blitzeserscheinungen nur den Influenzwirkungen zuschreibt, welche von der
                              Gewitterwolke ursprünglich erzeugt werden.
                           
                              „Jede Gewitterwolke kann nämlich – wie ich bei einer früheren
                                 Gelegenheit bemerktePolytechn.
                                       Journal, 1863, Bd. CLXVII S. 115. –, auch wenn sie in
                                 weit größerer Entfernung als die Schlagweite beträgt, von der Erde sich
                                 befindet, gegen die an der Erde befindlichen Objecte Fernewirkungen ausüben, die
                                 denen ähnlich sind, mit welchen ein elektrisirter Körper gegen andere nicht mit
                                 ihm in Verbindung stehende Leiter einzuwirken sucht. Diese Influenzerscheinung
                                 ist als eine gegenseitige Einwirkung der elektrischen Gewitterwolke und der an
                                 der betreffenden Erdstrecke befindlichen Elektricitätsleiter anzusehenZeitschrift des
                                       deutsch-österreichischen Telegraphenvereins, Jahrg. 1862, S.
                                       12.; den hierüber bekannt gewordenen Thatsachen gemäß kömmt
                                 dieselbe nur dann zum Vorschein, wenn der betreffende Theil der Erdstrecke, der
                                 noch von der Wolke influenzirt werden kann, auf ausgedehnten Wasserstrecken ruht, hingegen kommen Blitzschläge in
                                 solchen Gegenden, wo das unterirdische Wasser sehr tief unter der Oberfläche
                                 liegt, entweder gar nicht oder wenigstens nur dann vor, wenn durch heftige
                                 Regengüsse eine leitende Verbindung mit dem Grundwasser schon hergestellt worden
                                 ist. Der Weg also, den ein Blitzschlag gewöhnlich nimmt, ist daher in der Regel
                                 schon durch die Terrainbeschaffenheit, sowie durch die Leitungsstrecke zwischen
                                 dem unterirdischen Wasser und dem hervorragendsten Theile des irdischen Objectes
                                 vorgeschrieben.“
                              
                           Jene Leitungsstrecke allein ist es daher, die den Weg des
                                 kleinsten Widerstandes darbietet und darbieten muß, wenn wir dieselbe künstlich
                                 mit einem Blitzableitersysteme versehen, und in dieses alle metallischen Objecte
                                 der Umgebung in sachgemäßer Weise einschalten.
                           Meiner Ansicht nach hat man daher dahin zu streben, durch fortgesetzte Registrirung
                              von authentisch nachgewiesenen Blitzeserscheinungen an irdischen Objecten mittelst
                              neuer Thatsachen nachzuweisen, daß die vorstehende Erklärungsweise mit den in der
                              Wirklichkeit eintretenden Erscheinungen unter allen Umständen in Einklang gebracht
                              werden kann; es würde sich unter Anderem dann mit Bestimmtheit entscheiden lassen,
                              welche von den bis jetzt vorgeschlagenen Anordnungen für Blitzableiter ihre
                              Functionen im Augenblicke der Gefahr verrichten, und welche nicht.
                           Ich zweifle nicht, daß die oben beschriebenen Blitzesereignisse ihre erkleckliche
                              Erklärung finden können, ohne daß man anzunehmen gezwungen ist, es sey der Blitz auf
                              einen Punkt des Zinkdaches gefallen und habe sich von hier aus wegen der
                              mangelhaften Continuität der Leitungsstrecke getheilt etc.; nur müßten auch alle
                              diejenigen Anhaltspunkte angegeben werden, welche zur Bestimmung der Bahn des Entladungsstromes nothwendig
                              sind.
                           Ein Fall, der in der letzten Zeit erst vorkam, dürfte geeignet
                              seyn, hier besonders hervorgehoben zu werden. Es ereignete sich dieser in dem schon
                              seit einiger Zeit verlassenen Lager der königl. bayerischen Truppen bei Schweinfurt.
                              Einem auf mein Ansuchen erfolgten authentischen Berichte hierüber, den ich meinem
                              hochverehrten Freunde Hrn. Major
                                 Rudolf – Commandanten des 8ten k. b. Jäger-Bataillons
                              – verdanke, entnehme ich hierüber das Nachstehende:
                           
                              „Das fragliche Elementar-Ereigniß fand am 4. Juni (dieses Jahres)
                                 Abends 6 Uhr 25 Minuten statt. Das Gewitter – es waren übrigens deren
                                 mehrere über uns – zog von Südwest gegen Nordost. Demselben (vermuthlich
                                 dem Blitzesereignisse) ging ein heftiger Regenguß voraus und hatte dasselbe
                                 einen gleich starken zur Folge. Während der Blitzes-Entladung war der
                                 Regen nur schwach. Der Blitz schlug in ein Mannschafts-Zelt und zwar in
                                 einen der eisernen Nägel, welche die Firststange mit den Zeltstangen verbinden,
                                 zersplitterte letztere und ging dann an den angelehnten Gewehren auseinander. Es
                                 waren sieben Gewehre angelehnt, wovon nur eines ohne alle Spur der Schmelzung
                                 etc. gelassen wurde, die übrigen sechs waren sämmtlich am Schafte, resp. am
                                 Kolben, mehr oder weniger beschädigt. Auffallend war, daß knapp an der zersplitterten Zeltstange auf dem Zeltbrete drei Packete,
                                 36 Stück Patronen enthaltend, lagen, ohne daß diese Schaden litten. Von den im
                                 Zelte anwesend gewesenen sieben Personen wurden alle mehr oder minder, doch
                                 keiner lebensgefährlich, beschädigt. Der am meisten Betroffene klagt noch zur
                                 Stunde (am 12. Juni) an Eingenommenheit des Kopfes und allgemeiner Müdigkeit.
                                 – Am Boden war keine Spur zu sehen, nur war die ganze Zeltgasse auf Secunden mit elektrischen
                                    Funken und Streiflichtern übersäet, so daß Jeder im ersten Augenblicke
                                    glaubte, es habe bei ihm eingeschlagen. Das fragliche Zelt liegt
                                 ungefähr in der Mitte zwischen dem Main und einer Waldung, und von beiden circa 600 Schritte entfernt. Die Brunnen sind
                                 – bei 4 bis 5 Fuß Wassertiefe – höchstens 20 Fuß tief (unter der
                                 Erdoberfläche) und haben ungefähr das Main-Niveau. Der Lagerplatz ist ganz eben und daher das Grundwasser an den
                                 verschiedenen Stellen ohne Tiefen-Differenz.“
                              
                                 
                                 Ein ähnlicher Fall wie im Lager bei
                                    Schweinfurt, ereignete sich um die gleiche Zeit am Lechfelde, wo damals ein
                                    Theil der k. b. Truppen ein Lager bezogen hatte; die näheren Umstände über
                                    diese Blitzesereignisse konnte ich bis jetzt nicht genau genug
                                    ermitteln.
                                 
                              
                           Wenn man die im Vorstehenden nach unmittelbaren Wahrnehmungen beschriebenen Vorgänge
                              betrachtet, so dürfte es gar keinem Zweifel unterliegen, daß das erwähnte Zelt
                              direct gar nicht vom Blitze getroffen worden ist. Die im Zelte befindlichen
                              metallenen Objecte, mit der Zeltstange bis zu dem eisernen Nagel in einer
                              discontinuirlichen Leitung befindlich, wurden mit der ganzen in der Nähe des Zeltes
                              befindlichen Erdstrecke, die unzweifelhaft in Folge der vorher stattgehabten starken
                              Regengüsse mit dem Grundwasser eine continuirliche Leitungsstrecke bildete, durch
                              Influenz von der über den Main gegen den auf der östlichen Seite liegenden Forst ziehenden
                              Gewitterwolke in den elektrischen Zustand versetzt. Diesen Influenzwirkungen sind
                              dann auch die in der Zeltgasse in dem Momente des Einschlagens aufgetretenen
                              Lichterscheinungen zuzuschreiben, und das eigentliche Einschlagen trat bei
                              genügender Entfernung der Gewitterwolle oder bei ihrer durch den Blitz entstandenen
                              Entladung in der Atmosphäre ein. Die an dem Zeltdache und an dem Erdboden
                              wahrgenommenen Funken sind dann namentlich der direct zur Ausströmung gekommenen
                              negativen Ladung zuzuschreiben, während die mit der Elektricität der Gewitterwolke
                              gleichnamige in Form des eigentlichen Entladungsstromes auf die unterirdische
                              Wasserstrecke übergieng, welcher letztere auf seiner Bahn die Schmelzungen und
                              mechanischen Wirkungen hervorbrachte. Uebrigens können die Erscheinungen und die
                              dabei aufgetretenen Wirkungen eben so leicht durch den beim Aufhören der
                              influenzirenden Wirkung direct entstandenen Rückschlag ihre Erklärung finden, und es
                              kann keinem Zweifel unterliegen, daß auch Seitenladungen dabei eine Rolle spielten,
                              welchen theilweise die physiologischen Wirkungen an den dabei getroffenen Personen
                              zugeschrieben werden dürften. Obgleich die Art und Weise, wie die sämmtlichen
                              Erscheinungen vor sich gegangen sind, mit Bestimmtheit sich nicht auseinandersetzen
                              läßt, wenn man nicht die Anordnung und den gegenseitigen Zusammenhang der
                              sämmtlichen durch den Erdboden mit dem Grundwasser in leitender Verbindung
                              gestandenen Objecte kennt, so läßt sich dennoch behaupten, daß alle dabei
                              vorgekommenen Erscheinungen von directen und indirecten Influenzwirkungen
                              herrührten, die bei ihrem Verschwinden, also im Augenblicke des Entstehens der
                              hierdurch in verschiedenartiger Weise erzeugten Entladungsströme, ihre sachgemäße
                              Erklärung finden können.
                           Die bis jetzt bekannt gewordenen Versuche über elektrische Influenz beziehen sich
                              zwar – meines Wissens – nur auf continuirlich angeordnete
                              Leitungssysteme von einfacher Form; mit Sicherheit geht aber aus denselben hervor,
                              daß die von einem elektrisirten Körper ausgeübte Influenz sich auf alle Theile des
                              ganzen der Influenz unterworfenen Systemes erstreckt, daß hierbei aber unter sonst
                              gleichen Umständen die Dichte der Elektricität von der Gestalt des influenzirten
                              Leiters wesentlich abhängig seyn muß und daß dieselbe an verschiedenen Stellen eines
                              und desselben Körpers die größten Verschiedenheiten zeigen kann. Wenn man also
                              annimmt, daß die von einer Gewitterwolke ausgeübte Influenz sich lediglich auf die
                              unterirdische Wassermasse der nächsten Umgebung erstreckt, und daß in Folge dessen
                              alle Objecte, die auf der influenzirten Wasserstrecke ruhen, direct und zum Theil
                              indirect durch Influenz geladen werden, insoferne sie nämlich dieser Einwirkung
                              fähig sind, so werden die beim Verschwinden der Influenzelektricität eintretenden Wirkungen nicht auf
                              eine einzige Stelle beschränkt bleiben können, sondern sie müssen gleichzeitig an
                              vielen Stellen, wenn auch in verschiedener Intensität, wahrgenommen werden,
                              vorausgesetzt, daß die sämmtlichen Objecte ein continuirliches Leitungssystem von
                              überall gleicher und ausreichender Leitungsfähigkeit nicht bilden; hingegen könnten, wenn das Leitungssystem ein
                              continuirliches von genügender Leitungsfähigkeit wäre, beim Verschwinden der
                              influenzirenden Wirkung der Wolke keinerlei Wirkungen eintreten, da selbst die durch
                              Influenz erzeugten Nebenströme etc. unter geeigneten Umständen unwirksam gemacht
                              werden können.
                           Es erscheint mir daher auch nicht als etwas Sonderbares, wenn beim s. g. Einschlagen
                              des Blitzes gleichzeitig die Funken und Wirkungen an verschiedenen Stellen
                              wahrgenommen werden; die Erklärung hierfür scheint mir vielmehr so einfach, daß es
                              nicht nothwendig seyn dürfte, anzunehmen, der Blitz habe sich auf seinem Wege zur
                              Erde etc. getheilt und jene Wirkungen seyen den dabei entstandenen Theil-
                              oder Zweig-Strömen zuzuschreiben.
                           Aus den Lichterscheinungen, welche gewöhnlich bei der Beschreibung von
                              Blitzesereignissen angegeben werden, auf die Richtung des sogen. Blitzstrahles etc.
                              zu schließen, erscheint mir daher auch nicht als gerechtfertigt, da keine derartige
                              Wahrnehmung auf einer unmittelbaren Beobachtung beruht, für welche irgend eine
                              Vorbereitung zuerst hätte getroffen werden können, und deßhalb, sowie namentlich
                              wegen der Ueberraschung, in welche die kaum 1 Secunde andauernde und plötzlich
                              eintretende Blitzeserscheinung mit allen ihren gleichzeitig dabei auftretenden
                              Wirkungen die Beobachter versetzt, dürften auch derlei Angaben nur mit der äußersten
                              Vorsicht benutzt werden. Ich halte es, den oben gegebenen Erörterungen gemäß, für
                              möglich, daß bei den meisten vorkommenden Blitzschlägen eine directe
                              Blitzeserscheinung äußerst selten, in den meisten Fällen aber gar nicht vorkam,
                              sondern daß vielmehr alle dabei beobachteten Blitze nur den Entladungsfunken
                              zugeschrieben werden dürfen, welche bei dem Zustandekommen der Entladungsströme
                              – und selbst zuweilen bei den durch diese erzeugten inducirten Strömen
                              – an Stellen von mangelhafter Continuität und Leitungsfähigkeit in größerem
                              oder geringerem Grade auftreten mußten. Selbst die an der Spitze eines
                              Blitzableiters oder an dem obersten metallischen Ende irgend eines irdischen
                              Objectes beim sogen. Einschlagen auftretende Lichterscheinung dürfte in vielen Fällen nicht einmal der directen Ausgleichung der
                              Elektricität zwischen jenem sogen. Auffänger und der Wolke zuzuschreiben seyn. Die
                              Dichte der zwischen dem neutralen Gürtel und der Spitze oder dem Ende des Auffängers influenzirten
                              Elektricität ist weit größer als die mit ihr ungleichnamige irgend einer Stelle des
                              Ableiters selbst; es kann daher nicht auffallend seyn, wenn die beim sogen.
                              Einschlagen an der Spitze ausströmende Elektricitätsmenge mächtige Licht- und
                              Wärmewirkungen erzeugt, von welchen jene der von uns vermuthete von der Wolke
                              herabgekommene Blitz ist. Wenn übrigens auch die Gewitterwolke so tief herabhängen
                              würde, daß eine directe Ausgleichung zwischen einem Theile der Elektricität dieses
                              atmosphärischen Conductors und der negativen Ladung des Auffängers eintreten könnte,
                              so rühren dennoch die in der Nähe der Erde eingetretenen Wirkungen nicht von einem
                              directen Blitzschlage, sondern lediglich von den Entladungsströmen her, welche in
                              Folge des Ueberganges der durch Influenz entstandenen positiven Ladung im unteren
                              Theile des Blitzableiters etc. zur unterirdischen Wasserstrecke entweder direct oder
                              indirect zu Stande gekommen sind.
                           Ich habe nicht die Absicht, den hier besprochenen Gegenstand noch weiter auszuführen
                              und andere Konsequenzen anzureihen, die sich auf die Formen der wirklichen
                              Blitzeserscheinungen beziehen, wie solche zwischen den Wolkengebilden selbst etc.
                              auftreten, da ich den eigentlich praktischen Standpunkt, den ich bei meinen
                              Erörterungen allein im Auge hatte, bei dieser Gelegenheit nicht verlassen darf.
                              Hingegen kann ich nicht unterlassen, noch anzuführen, daß die oben erwähnte
                              principielle Grundlage, von der ich bei der Anordnung von Blitzableitern für Gebäude
                              ausgegangen bin, nicht bloß durch eine große Anzahl der Thatsachen, die ich in
                              meiner Bearbeitung über BlitzableiterHandbuch
                                    der angewandten Elektricitätslehre, mit besonderer Berücksichtigung der
                                    theoretischen Grundlagen. Leipzig 1866, bei Leopold Voß. Erster Abschnitt, S. 267. zusammenstellte,
                              bestätigt wird, sondern daß auch außer den oben erwähnten Fällen die neueste Zeit
                              sehr wichtige Belege hierfür geliefert hat. Zu diesen zähle ich namentlich die von
                              P. von Salis in seiner AbhandlungZeitschrift des deutsch-österreichischen
                                    Telegraphenvereins, Jahrgang VIII, Seite 174–180.
                              „über die Einwirkungen der Luftelektricität auf die Telegraphenlinien der
                                 schweizerischen Hochalpen“ zusammengestellten Fälle von
                              Blitzesentladungen gegen die Telegraphen des vierten schweizerischen
                              Telegraphenkreises während der Jahre 1852 bis 1860. Die Linien dieses Kreises sind
                              über 8 Alpenübergänge und Bergrücken geführt mit folgenden Höhen: Bernina 2334,
                              Julier 2287, Ofen 2155, St. Gotthard 2114, St. Bernhardin 2063, Maloja 1811,
                              Lenzerhaide 1551 und Monte-Cenere 553 Meter, und dennoch kamen die meisten
                              Blitzesereignisse, sowie die heftigsten nur an Stellen vor, die zwischen 200 und 500 Meter über
                              dem Meere liegen, während in 2000 Meter Seehöhe nur 1 Fall, in 1500 Meter kein, in
                              1000 Meter Höhe auch nur 1 Fall sich ereignete. Seine Erörterungen führen Hrn.
                              von Salis zu
                              Folgendem:
                           
                              „Werden sämmtliche Localitäten, wo in diesem Kreise
                                 Luftelektricitätsentladungen stattfanden, näher in's Auge gefaßt, so findet
                                 man:
                              
                           
                              1) daß merkwürdiger Weise alle und jede Luftelektricitätsentladung in
                                 unmittelbarer Nähe eines kleineren oder größeren Baches oder Flusses, ferner bei
                                 der zur Ueberführung der unterseeischen Linie verwendeten Telegraphenstange am
                                 Ufer des Vierwaldstätter See's und im unterseeischen Tau durch den
                                 Lago-Maggiore vorkamen und nirgends eine Entladung anderswo
                                 stattfand;
                              
                           
                              2) daß die Luftelektricitätsentladungen seither weit häufiger in den Niederungen,
                                 jedoch selbst von höheren und niederen Bergen umschlossenen Thälern, als bei den
                                 hohen Alpenübergängen vorkamen.“
                              
                           Derartige Thatsachen dürften nach meiner Ansicht weit wichtigere Aufschlüsse über die
                              Anordnung von Blitzableitern für Gebäude im Allgemeinen geben, als die Versuche,
                              welche wir im Kleinen über die Wirkungsweise der Blitzableiter durch Leydner
                              Batterien etc. durchzuführen im Stande sind; letztere können nur bezüglich der
                              Construction einzelner Theile des Blitzableiters, wenn sie unter sachgemäßen
                              Umständen ausgeführt worden sind, wichtige Anhaltspunkte, jedoch keine bindenden
                              Maßregeln für ein ganzes Blitzableiter-System liefern. Außerdem dürfte es
                              nicht unstatthaft seyn, die Meinung auszusprechen, daß überall, wo Blitzschläge an
                              irdischen Objecten und der Erdoberfläche selbst eintreten, die getroffene Erdstrecke
                              auf einer ausgedehnten Wasserstrecke, die im Inneren der Erde nicht weit von der
                              Oberfläche sich befindet, ruhen müsse. Man kann daher, wenn solche Ereignisse in
                              einem Walde oder auf einer ausgedehnten Haide u.s.w. vorkommen, mit großer
                              Wahrscheinlichkeit vorhersagen, daß an solchen Stellen, die – nach dem
                              gebräuchlichen Ausdrucke – zunächst von dem Blitze getroffen worden sind,
                              unterirdisches Wasser in nicht beträchtlicher Tiefe durch Bohrung aufgefunden werden
                              dürfte; daß hingegen in solchen Gegenden, in denen die Blitzschläge gegen irdische
                              Objecte zu den größten Seltenheiten gehören, selbstständige Brunnen nicht angelegt
                              werden können, wenn man nicht bis zu solchen Tiefen zu bohren im Stande ist, die mit
                              den Nächstliegenden Flußthälern in einem Niveau sich befinden.
                           Zum Schlusse meiner Betrachtungen mag es gestattet seyn, die nachstehenden
                              praktischen Folgerungen, welche unter Anderem meiner
                              Ansicht nach aus denselben gezogen werden dürften, besonders hervorzuheben (wobei
                              ich bezüglich des dazu gehörenden Details auf meine früheren Arbeiten mich zu
                              berufen erlaube):
                           
                           1) Bei der Anlegung von Blitzableitern für Gebäude hat man nicht von dem obersten
                              Theile, dem sogen. Auffänger etc. auszugehen, sondern man hat zunächst die
                              Terrainstrecke zu untersuchen, auf der das Gebäude ruht, d.h. man hat
                              nachzuforschen, ob diese Strecke auf ausgedehntem Grundwasser sich befindet und
                              zunächst auf die Einrichtung der Bodenleitung und die unmittelbare Ausleitung der letzteren in das Grundwasser Bedacht zu
                              nehmen.
                           In Gegenden, welche an keinen der durch Bohrungen etc. untersuchten Stellen
                              selbstständige unterirdische Wasserstrecken oder
                              wenigstens solche in sehr bedeutender Tiefe antreffen
                              lassen, reicht es aus, die Ausleitungen bis nur wenige Fuß im Boden nach der
                              vorgeschlagenen Weise anzubringen; dabei muß man aber hierzu diejenigen
                              Bodenschichten wählen, welche die Durchdringung des Regenwassers gestatten.
                           Erst wenn die Angelegenheiten bezüglich der Bodenleitung festgestellt sind, hat man
                              die übrigen Constructionen in sachgemäßer Weise anzuordnen: nämlich über die
                              Beschaffenheit, den Querschnitt, die Führung der oberirdischen Leitung u.s.w., die
                              gehörigen Bestimmungen zu treffen.
                           3) Für einzelne der Gebäude, die sämmtlich auf der gleichen Terrainstrecke sich
                              befinden, gibt es keinen Blitzableiter, der alle übrigen gegen Blitzschläge zu
                              schützen vermag; in allen solchen Fällen, und diese kommen auf dem platten Lande,
                              sowie namentlich in großen Städten am häufigsten vor, hat man ein
                              Blitzableiter-System für eine jede der Gebäudegruppen gemeinschaftlich herzustellen, dessen Anordnung nach
                              sachgemäßen Grundregeln sich richten muß, und das, mit der unterirdischen
                              Wasserstrecke in unmittelbarem Zusammenhange stehend,
                              gleichsam ein ganz continuirliches Leitungssystem von ausreichender
                              Widerstandsfähigkeit für elektrische Entladungs-Ströme bildet, ohne daß an
                              irgend einer Stelle des Systemes eine eigentliche Ladung oder Ansammlung der
                              Influenzelektricität stattfinden oder Seitenentladungen, getrennte oder secundäre
                              Ströme dabei zur wahrnehmbaren Wirksamkeit kommen können.
                           3) Wenn man hingegen, wie dieß bis jetzt fast immer noch geschieht, bloß für ein
                              einzelnes Gebäude einer ganzen Reihe oder Gruppe einen Blitzableiter anlegt, so ist
                              damit keine Fürsorge getroffen, daß andere größere oder kleinere Gebäude in der
                              nächsten Nähe von jenem gegen Blitzschläge gesichert sind. Es kann vielmehr bei
                              einem eintretenden Blitzschlage das mit einem tadellosen Blitzableiter bewaffnete
                              Gebäude vollkommen geschützt bleiben, während ein anderes nahe liegendes ohne
                              Blitzableiter die Blitzeswirkungen erfahren kann. Es lassen sich sogar Fälle (von nicht geringer Zahl)
                              aufweisen, bei denen solche Vorgänge eingetreten sind; manche jener Fälle zeigen
                              sogar, daß in Folge der mangelhaften Bodenleitung des Blitzableiters eines
                              bewaffneten und höher liegenden Gebäudes ein anderes in der Nähe liegendes kleines
                              Gebäude bei eingetretenem sogen. Blitzschlage gezündet worden ist, während jenes
                              verschont blieb. Eine Wirkungssphäre oder einen sogen. Schutzkreis, den ein einziger
                              Blitzableiter mit hoher Auffangstange für andere Objecte der nächsten Umgebung nach
                              der größtentheils noch herrschenden Ansicht darbieten soll, gibt es in dem Sinne,
                              wie man ihn gewöhnlich annimmt, gar nicht; in einem anderen Sinne aber, auf dessen
                              Erklärung wir wohl hier nicht einzugehen brauchen, könnte man allerdings von einer
                              Wirkungssphäre von Blitzableitern überhaupt sprechen.
                           4) Die Wirksamkeit eines tadellos construirten und richtig angelegten Blitzableiters
                              besteht bloß darin, die bei einem auftretenden Gewitter gegen die unterirdischen
                              Wasserstrecken etc. etc. der betreffenden Gegend eintretenden Influenzwirkungen für
                              die irdischen Objecte der Umgebung in jeder Beziehung unschädlich zu machen; es kann
                              daher nicht als statthaft erscheinen, einen Blitzableiter gleichsam als einen
                              Conductor oder als einen Ansammler der Wolkenelektricität zu betrachten. Aus diesem
                              Grunde hat auch der oberste Theil des Blitzableiters nicht die Function eines
                              Auffängers oder eines Saugers zu verrichten, wenn man auch diese Ausdrücke als
                              technisch eingebürgerte beibehält; das oberste Ende des Blitzableiters soll vielmehr
                              so angeordnet seyn, daß es die Spitzenwirkung für Influenzelektricität in der
                              möglich vollkommensten Weise auszuüben vermag,Hiermit dürfte auch unter Anderem die von Peltier (im Bulletin de l'Académie
                                       royale de Belgique, 2. série, t.
                                    XXI p. 132, Februar 1866) betrachtete Frage:
                                    „Faut-il terminer les
                                          paratonnerres par des pointes ou par des boules?“
                                    ihre erkleckliche Erledigung finden können, wenn nicht die von Peltier angeregten Zweifel schon längst ihre
                                    Beseitigung gefunden haben würden. während der unterste im Boden befindliche Theil desselben nicht bloß
                              von genügender Leitungsfähigkeit seyn muß, sondern mit großer Oberfläche und nicht
                              in Spitzenform dem Grundwasser etc. zugeführt werden soll.
                           5) Ebenso, wie man bei einem tadellosen Blitzableiter-Systeme alle
                              ausgedehnten Metallstrecken eines Gebäudes in das System so einschalten muß, daß
                              weder directe noch Neben-Wirkungen bei eintretenden Influenzvorgängen zu
                              Stande kommen können, ist es auch nothwendig, die an Gebäuden etc. vorüberziehenden
                              Gas- und Wasserleitungs-Röhren in das System in sachgemäßer Weise
                              aufzunehmen. Die Vorschläge aber, nach welchen man die größeren Gas- oder
                              Wasserleitungs-Röhren als eigentliche unterirdische Bodenleitung der
                              Blitzableiter verwenden solle, dürften, wenn solche zur Ausführung kommen würden,
                              Gefahren herbeiführen, für welche gleichfalls sich schon nicht uninteressante Belege
                              aufweisen lassen.
                           München, 6. Juli 1866.