| Titel: | Mittheilungen aus dem chemisch-technischen Laboratorium von Dr. H. Vohl in Cöln. | 
| Autor: | H. Vohl | 
| Fundstelle: | Band 182, Jahrgang 1866, Nr. LXXXVIII., S. 319 | 
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                        LXXXVIII.
                        Mittheilungen aus dem chemisch-technischen
                           Laboratorium von Dr. H. Vohl in
                           Cöln.
                        Vohl, über die Extraction der Samen zur Oelgewinnung.
                        
                     
                        
                           I. Ueber die Extraction der Samen behufs
                                 Gewinnung von Speise-, Brenn- und Schmierölen.
                           Die fast noch allgemein gebräuchliche Darstellungsweise der fetten Oele aus den
                              Pflanzensamen besteht darin, daß man dieselben, nachdem sie vorher einem
                              Zerkleinerungsproceß (Knirschen) unterworfen worden sind, sowohl einer kalten, wie
                              auch warmen starken Pressung aussetzt. Diese Methode hat jedoch den Nachtheil, daß
                              eine Menge verschiedener Substanzen mit dem Oele gleichzeitig aus den Samen
                              austritt, welche dann entweder ein Ranzigwerden desselben bedingen, oder dem Oele
                              einen unangenehmen Geschmack mittheilen, wodurch die Verwendung eines solchen Oeles
                              als Speiseöl beschränkt und oft dasselbe sogar für eine solche Anwendung untauglich
                              wird. Auch sind diese Verunreinigungen nicht minder nachtheilig bei der Verwendung
                              des Oeles als Brenn- oder Schmieröl.
                           Viele Vorschläge waren deßhalb schon bezüglich der Gewinnung der fetten Oele aus den
                              Pflanzensamen gemacht worden, welche diese Uebelstände beseitigen sollten, bevor man
                              das Ausziehen (Extrahiren) der Samen vermittelst eines kräftigen Lösungsmittels in
                              die Technik einführte.
                           Alkohol, Aether etc. kamen in Anwendung, mußten aber theils wegen ihres hohen
                              Preises, theils wegen beschränkten Lösungsvermögens, theils aber auch wegen der
                              mangelhaften Construction der dabei in Anwendung gebrachten Apparate bei Seite
                              gesetzt werden.
                           Erst als der von Lampadius entdeckte Schwefelkohlenstoff im Großen und zu niedrigen Preisen behufs der
                              Kautschuk-Industrie dargestellt wurde, fieng man an, dieses Lösungsmittel zum
                              Ausziehen der Oelsamen zu benutzen.
                           Zu dem Ende wurden sinnreich construirte Apparate in Vorschlag gebracht, um diese
                              Extraction im Großen auszuführen. Der bei diesem Verfahren erhaltene, mit Oelen
                              beladene Schwefelkohlenstoff wird alsdann durch Destillation von den fetten Oelen
                              geschieden und wieder gewonnen, und dadurch das Ausziehen einer großen Quantität
                              Samen durch eine verhältnißmäßig geringe Menge Schwefelkohlenstoff ermöglicht. Hier
                              in Cöln hatte auch ein derartiges Etablissement seine Thätigkeit begonnen, jedoch
                              nach kurzer Zeit die Oelsamen-Extraction eingestellt, da dieselbe den gewünschten Erfolg
                              nicht hatte und nicht nutzbringend war. Die Fabrik beschränkt sich jetzt lediglich
                              auf das Ausziehen der gebrauchten Putzwolle und Abfälle aus den Stearinfabriken und
                              Talgschmelzereien mit Schwefelkohlenstoff.
                           Die Mängel, mit welchen die Extraction der Samen vermittelst Schwefelkohlenstoff
                              behaftet ist, sind nachfolgende:
                           1) Während der Extraction ist es unumgänglich nöthig, den Schwefelkohlenstoff vor
                              einer Zersetzung zu schützen, deren Ursachen größtentheils noch so gut wie nicht
                              gekannt sind und die in ihrem Gefolge eine Entwickelung von Schwefelwasserstoff
                              sowie eine Abscheidung von Schwefel bedingt.
                           Dieser Schwefel bleibt in dem ausgezogenen und von dem Lösungsmittel durch
                              Destillation getrennten Oele gelöst zurück.
                           Der Schwefelgehalt ertheilt aber dem Oele einen unangenehmen Geruch, der an
                              Schwefelbalsam erinnert; der Geschmack des Oeles ist ein widerlicher hepatischer
                              geworden, so daß dasselbe zur Verwendung als Speiseöl unbrauchbar ist.
                           2) Der Schwefelkohlenstoff hat ferner die Eigenschaft, nicht allein die fetten Oele
                              des Samens zu lösen, sondern auch einen harzähnlichen klebrigen Körper aus dem Samen
                              zu extrahiren, welcher an der Luft durch Sauerstoff-Aufnahme ein schnelles
                              Verharzen, resp. Ranzigwerden des Oeles bedingt und so dasselbe zur Anwendung als
                              Schmiermaterial für feinere und raschbewegte Maschinentheile ungeeignet macht.
                           Bei der Verseifung solcher Oele verursacht ihr Schwefel- und Harzgehalt einen
                              unangenehmen Geruch und ertheilt der Seife auch andere für manche Zwecke
                              nachtheilige Eigenschaften. Der Schwefelgehalt bedingt nämlich während der
                              Verseifung die Bildung einer Schwefelleber, welche theils durch den unangenehmen
                              Geruch, theils durch die Einwirkung auf Metalle sich bemerkbar macht.
                           Die sogenannte schwarze oder grüne Schmierseife, eine Kaliseife, welche aus einer
                              Mischung von Rüböl und Leinöl bereitet wird, findet hierorts außer der Verwendung
                              zur Reinigung der Wäsche auch noch zur Reinigung von Silberzeug oder stark
                              versilberten Tischgeräthen, sowie zum Reinigen von mit weißer Oelfarbe
                              angestrichenen Holzbekleidungen Verwendung, wobei alsdann, wenn die Seife einen
                              Schwefelleber-Gehalt besitzt, eine zwar überraschende, aber höchst
                              unangenehme Einwirkung auf diese Metalle, resp. Metalloxyde, eintritt.
                           Bekanntlich wird in manchen Gasthöfen das Silberzeug mit einer verdünnten warmen
                              Seifenlösung gereinigt und es war in einem hiesigen Gasthof der Fall eingetreten,
                              daß bei dieser Operation dasselbe schwarz
                              aus der zur Reinigung
                              angewandten Lauge zum großen Schrecken des damit beauftragten Kellners hervorgieng.
                              Ich ermittelte sehr bald, daß die verwandte Seife einen Schwefelleber-Gehalt
                              besaß, der die Oberfläche des Silbers in Schwefelsilber verwandelt hatte. Weitere
                              Nachforschungen ergaben, daß das zur Fabrication der Seife angewandte Alkali keinen
                              Gehalt an Schwefelalkalien hatte, daß man aber ein Gemisch von Rüb- und
                              Leinöl verwendet hatte, wovon das erstere durch Extraction mit Schwefelkohlenstoff
                              dargestellt war.
                           3) Der Samenrückstand, der sonst bei der gewöhnlichen Oelgewinnungsmethode als ein
                              vorzügliches Viehfutter benutzt werden kann, ist bei der Extractionsmethode mit
                              Schwefelkohlenstoff mit einem höchst unangenehmen Geruch behaftet, der seine
                              Benutzung als Viehfutter beeinträchtigt, insofern die Freßlust der Thiere
                              benachtheiligt wird.
                           Die Samenrückstände (Preßkuchen) sind bei der gewöhnlichen Methode in Kuchenform,
                              wohingegen die Extractionsmethode dieselben in Pulverform ergibt, daher sie in
                              letzterer Form leichter eine Fälschung durch Zumischen von anderen gepulverten
                              Substanzen erleiden können, aus welchem Grunde es vortheilhaft erscheint, den bei
                              dem Extrahiren abfallenden Samenrückständen durch nachheriges Pressen in
                              hydraulischen Pressen die Kuchenform zu geben. Auch ist bezüglich der Verpackung und
                              des Transports die Kuchenform vorzuziehen.
                           Vergleicht man den Samenrückstand, welcher durch Schlagen der Oelsamen gewonnen wird,
                              mit dem durch Extraction resultirenden, so ergibt sich, daß ersterer 5 bis 6 Proc.
                              fettes Oel enthält, wohingegen bei letzterer Methode nur noch 1/2 bis 1/4 Proc.
                              davon in demselben sich vorfinden. Dieser geringere Oelgehalt bei den
                              Samenrückständen der Extractionsmethode kann jedoch in Bezug der Nährfähigkeit
                              desselben nicht in Betracht gezogen werden.
                           Aus den oben angeführten Gründen ist leicht ersichtlich, daß die Extraction der
                              Oelsamen vermittelst Schwefelkohlenstoff technisch nicht für
                                 alle Fälle anwendbar ist und ich wurde dadurch veranlaßt, eine Reihe von
                              Versuchen mit verschiedenen Lösungsmitteln anzustellen, die mich schließlich zu
                              einem günstigen Resultate führten.
                           Die Eigenschaften, welche ein Lösungsmittel haben muß, wenn es zur Oelextraction
                              seine Verwendung finden soll, sind nachfolgende:
                           
                              a) die als Lösungsmittel angewendete
                                 Substanz muß vollständig flüchtig seyn und sich leicht durch Destillation von
                                 dem fetten Oele trennen lassen;
                              b) sie darf nicht leicht zersetzbar
                                 seyn, namentlich keine Körper durch Zersetzung abscheiden, die im Oele gelöst bleiben und
                                 demselben nachtheilige Eigenschaften ertheilen;
                              c) sie darf keine auflösenden
                                 Eigenschaften gegenüber anderen in den Samen enthaltenen Bestandtheilen, welche
                                 die Güte des Oeles beeinträchtigen, haben;
                              d) muß dieselbe leicht zu beschaffen und
                                 billig seyn.
                              
                           Meine Versuche haben nun ergeben, daß das Canadol, ein sehr flüchtiger und leichter,
                              aus dem canadischen und pennsylvanischen Petroleum gewonnener Kohlenwasserstoff, die
                              obengenannten Eigenschaften in sich vereinigt und sich vorzugsweise zur Extraction
                              der Oelsamen eignet.
                           Eine Hauptbedingung ist die, daß das Canadol keine Spur von Schwefel enthält, und aus
                              diesem Grunde muß eine große Sorgfalt auf die Reinigung dieses Kohlenwasserstoffes
                              verwendet werden. Die Behandlung mit einer Mischung von saurem chromsaurem Kali und
                              Schwefelsäure, oder von Manganhyperoxyd mit Schwefelsäure, ist nicht zu
                              unterlassen.
                           Ehe man das Canadol anwendet, muh man es auf einen Gehalt an Schwefel prüfen; durch
                              die bekannte Behandlung mit Kalium wird dieses ermittelt (m. s. polytechn. Journal
                              Bd. CLXVIII S. 49).
                           Das schwefelfreie Canadol hat ein spec. Gewicht von 0,650 bis 0,700 bei + 12°
                              C.; es siedet bei + 60° C., verflüchtigt sich, ohne irgend einen Rückstand zu
                              lassen, ist vollkommen neutral und von angenehmem ätherischem Geruche. Dieser Körper
                              zeigt als Lösungsmittel ein ganz eigenthümliches, von anderen ähnlichen
                              Kohlenwasserstoffen abweichendes Verhalten gegen fette Oele.
                           Bekanntlich lösen die Steinkohlentheeröle, das Benzol etc., sowohl die fetten Oele,
                              wie auch die aus denselben durch Oxydation entstandenen verharzten Körper auf,
                              weßhalb sie zum Fleckenvertilgen aus Stoffen so große Anwendung finden.
                           Das Canadol verhält sich in dieser Beziehung bei weitem anders. Es löst nämlich die
                              unveränderten Fette und fetten Oele leicht und in großer Menge auf, wohingegen an
                              der Luft eingetrocknete oder verharzte Oele von ihm wenig oder nicht gelöst werden;
                              auch sind Harze und Gummiharze in diesem Kohlenwasserstoff fast unlöslich. Ferner
                              löst es weder Amygdalin, noch das sogenannte Sinapin (Sulfosinapisin oder
                              schwefelcyanwasserstoffsaures Sinapin), welches letztere in allen Samen der Brassica-Arten enthalten ist. Auf diese
                              Eigenschaften fußend, habe ich diesen Kohlenwasserstoff zum Extrahiren der Oelsamen
                              angewandt und sehr günstige Resultate erzielt.Auch
                                    in analytischer Beziehung verdient das Canadol zur Bestimmung des
                                    Oelgehaltes der Oelsamen eine Beachtung; in meinem Laboratorium werden
                                    derartige Analysen von Sommerraps-, Winterrübsen- und
                                    Kohlrapssamen auf ihren Oelgehalt stets mit Canadol
                                    bewerkstelligt.
                              
                           Durch Extraction vermittelst Canadol erhielt ich aus 100 Gewichtstheilen:
                           
                              
                                 von Sommerraps (Brassica praec.) 36–40
                                    Proc.von Winterrübsen (Brassica napus
                                       oleifera) 39 bis 42 Proc.von Kohlraps (Brassica campestris oleifera) 45 bis 50 Proc.
                                 
                                    
                                    
                                    hellesklares Oel.
                                 
                              
                           Nach der gewöhnlichen Methode, d.h. vermittelst Schlagen, erhält man
                           
                              
                                 von Sommerrapsvon Winterrübsenvon Kohlraps
                                 30
                                    Procent33      „39      „
                                 
                                    
                                    
                                 helles klares Oel.
                                 
                              
                           Es ist daraus leicht ersichtlich, daß durch dieses Extractionsverfahren eine bei
                              weitem reichere Ausbeute erzielt wird.
                           Ein sehr schlechter Sommerraps ergab, nur mit Canadol behandelt, von 100 Theilen:
                           
                              
                                 Oel
                                   38,5 bis  39,1 Procent
                                 
                              
                                 Mehl
                                   35,6  „  
                                    37,4     „
                                 
                              
                                 Kleie
                                   21,8  „  
                                    19,3     „
                                 
                              
                                 Wassergehalt      
                                     4,1  „    
                                    4,2     „
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 100,0     100,0
                                 
                              
                           Die im Handel vorkommenden Oelsamenkuchen, welche zur Viehfütterung benutzt werden,
                              habe ich einer Untersuchung bezüglich des in ihnen noch enthaltenen Oeles
                              vermittelst dieser Extractionsmethode unterworfen und aus denselben 6–7 Proc.
                              fette Oele ausgezogen.
                           Die durch Extraction vermittelst Canadol aus obengenannten Pflanzensamen erhaltenen
                              Oele haben eine schön goldgelbe Farbe, sind fast geruch- und geschmacklos,
                              erstarren erst bei – 8° C. und sind nur sehr wenig dem Ranzigwerden
                              unterworfen. Sie können, ohne eine weitere Reinigung zu erheischen, als Speiseöl
                              benutzt werden.
                           Wird das mit den fetten Oelen beladene Canadol mit gut getrockneter Blut- oder
                              Knochenkohle behandelt, alsdann filtrirt und durch Destillation die Trennung des
                              Gemisches vorgenommen, so erhält man diese fetten Oele fast farblos und sie können
                              alsdann dem besten Baumöl an die Seite gestellt werden.
                           
                           Für den technischen Betrieb ist es nothwendig Folgendes zu beachten:
                           
                              1) ein vollständiges Knirschen der Samen;
                              2) die Behandlung des geknirschten Samens im Extractionsapparat
                                 bei Siedhitze des Lösungsmittels;
                              3) vollständige Trennung des Lösungsmittels von den fetten
                                 Oelen;
                              4) Entfernung der Extractionsflüssigkeit aus dem
                                 Samenrückstand.
                              
                           Das Knirschen der Samen geschieht in besonders dazu hergerichteten Mühlen, welche in
                              12 Stunden 60 bis 70 Zollcentner geknirschten Samen liefern können.
                           Die Extractionsapparate haben einen Fassungsraum von 150 bis 200 Pfd. Zollgewicht und
                              die Extraction ist in 1 1/2 bis 2 Stunden beendet.
                           Die Separationsapparate zur Trennung des Canadols von den fetten Oelen werden mit
                              Dampf geheizt und das Oel schließlich durch Abblasen von den letzten Spuren des
                              Lösungsmittels befreit.
                           Der Samenrückstand wird in dem Extractionsapparat von dem Lösungsmittel getrennt.
                           
                              Der vermittelst Canadol ausgezogene
                                    Samenrückstand.
                              Dieser Samenrückstand hat frisch eine grünlichgelbe Farbe und kann durch eine
                                 einfache Beutelmaschine in Mehl und Kleie getrennt werden.
                              Durch Behandlung mit siedendem Alkohol erhält man aus diesem Rückstand Harz,
                                 Wachs und Chlorophyll nebst geringen Mengen Oel; man kann aus demselben
                                 sogenanntes Sinapin darstellen.
                              Wird der Samenrückstand mit Wasser zu einem dünnen Brei angemengt und bis auf
                                 20–30° R. erwärmt, so entwickelt sich ätherisches Senföl.
                              (Der mit Alkohol behandelte Rückstand liefert kein ätherisches Senföl mehr, da
                                 ihm der zur Bildung desselben nöthige Gehalt an Sinapin fehlt.)
                              Sowohl der Samenrückstand, wie auch das aus demselben erhaltene Mehl kann als
                                 Viehfutter Verwendung finden und wird zu dem Ende mit heißem Wasser angebrüht,
                                 resp. gekocht, wobei alsdann das Senföl entweicht und die Freßlust der Thiere
                                 nicht mehr beeinträchtigen kann.
                              Dr. H. Vohl.
                              
                           
                        
                           
                           II. Ueber die Bestandtheile und die
                                 Benutzung des in den Weizenstärke-Fabriken abfallenden
                                 Wassers.
                           Die aus den Weizenstärke-Fabriken abfließenden Wässer sind nicht allein durch
                              ihren unangenehmen Geruch für die Nachbarschaft höchst belästigend, sondern es ist
                              auch die Einwirkung der Ausdünstungen derselben auf die Gesundheit der Umwohnenden
                              eine höchst schädliche, so daß der Ausfluß derselben in die offenen Straßenrinnen in
                              sanitätspolizeilicher Hinsicht nicht gestattet werden darf. Ebensowenig dürfen
                              dieselben ohne Weiteres den öffentlichen Canälen zugeführt werden, da sie hier
                              theils ein Verschlammen, theils die Verbreitung eines unausstehlichen Gestankes in
                              Folge einer weiteren Fäulniß des aufgelösten Klebers hervorrufen.
                           Einer zweckmäßigen Behandlung unterworfen, können jedoch diese stinkenden Wässer auf
                              verschiedene Weise unschädlich und zu Gute gemacht werden.
                           Schon zu Anfang des Jahres 1840 wurde von der Société d'Encouragement in Paris ein Preis von 3000 Francs
                              für die Angabe von Mitteln zur Beseitigung dieser Uebelstände ausgeschrieben. In
                              Folge dessen erschien bald nachher eine Arbeit von Leduc,
                              welche mit einer Prämie von 500 Francs honorirt wurde; der Rest des Preises von 2500
                              Francs blieb bis zum Jahre 1843 zur Concurrenz bestehen, da das Verfahren von Leduc nicht in jeder Hinsicht ausreichend war; meines
                              Wissens haben keine weiteren Bewerbungen stattgefunden und ist diese Angelegenheit
                              bis jetzt unerledigt geblieben.
                           Um mit der Unschädlichmachung zugleich eine nutzbringende Verwerthung zu verbinden,
                              ist vor allen Dingen die genaue Kenntniß der Bestandtheile dieser abfallenden Wässer
                              erforderlich.
                           Eine derartige genaue Untersuchung dieser Wässer wurde von mir im Interesse eines
                              hiesigen Stärkefabrikanten, welcher bei der Anlage einer neuen Fabrik die
                              abfallenden Wässer dem hiesigen städtischen Canale zuführen wollte, ausgeführt.
                           Die Fabrication des Stärkemehls aus Weizen zerfällt, abgesehen von dem Formen
                              (Patentstärke) und Trocknen desselben, in drei Hauptoperationen:
                           1) Aufquellenlassen des Weizens unter Wasser;
                           2) Zerquetschen des gequollenen Weizens und
                           3) Ausschlämmen des Stärkemehls aus dem Weizenbrei.
                           Das Aufquellen des Weizens wird in großen Bottichen oder Kufen vorgenommen und
                              dauert, je nachdem die Witterung warm (Sommermonate) oder kalt (Wintermonate) ist,
                              etwa 14 Tage oder 3 bis 4 Wochen. Während dieser Zeit wirkt das Wasser in der Art auf den
                              Weizen ein, daß eine saure Gährung resp. eine Art Fäulniß entsteht, bei welcher sich
                              Kohlensäure, Sumpfgas und geringe Mengen Schwefelwasserstoff entwickeln.
                           Diese sich entbindenden Gase sind mit den flüchtigen Zersetzungsproducten des Klebers
                              geschwängert; sie enthalten also Essigsäure, Buttersäure, Valeriansäure etc. und
                              verdanken diesen Bestandtheilen und dem Schwefelwasserstoff ihren unangenehmen
                              Geruch. Die Gase, welche für die Nachbarschaft höchst belästigend werden können und
                              außerdem auf die Gesundheit mancher Individuen schädlich einwirken, müssen aus den
                              Arbeitsräumen entfernt und unschädlich gemacht werden. Man bewerkstelligt dieses am
                              besten durch Ableitung unter den Rost einer Feuerung (z.B. unter den Rost der
                              Dampfkesselfeuerung oder den der Trockenstube).
                           Das bei dem Aufquellen abfallende Wasser, das Quellwasser (auch Sauer- und
                              Setzwasser genannt), sowie das erste Schlämmwasser des gequetschten Weizens haben
                              eine schwach gelbe Farbe und sind schwach getrübt; sie besitzen einen höchst
                              unangenehmen Geruch nach altem faulendem Käse und reagiren beide stark sauer.
                           Zur Untersuchung wurde das Gemisch von Sauer- und Schlämmwasser einer Partie
                              Weizen verwendet, in dem Verhältniß wie es sich bei der Fabrication ergibt. Das
                              Quantum betrug circa 100 Liter.
                           Der Abdampfrückstand dieser Mischung, welcher einen auffallend ähnlichen Geruch nach
                              thierischem Leim besitzt und eine klebrige Masse bildet, gibt beim Erhitzen, nachdem
                              das Wasser verdunstet ist, einen höchst unangenehmen penetranten Geruch nach
                              verkohlenden Thiersubstanzen (Horn oder Haaren).
                           Das Wasser direct mit Alkalien im Ueberschuß versetzt, entwickelte ammoniakalische
                              Dämpfe neben einem unerträglichen Fischgeruch
                              (Häringslacke).
                           Die Asche des Abdampfrückstandes bestand zum größten Theil aus den in Milch-
                              und Essigsäure löslichen, phosphorsauren alkalischen Erden und Alkalien, neben
                              geringen Mengen von Chloriden der Alkalien, Eisenoxyd, Spuren von Mangan und
                              schwefelsauren Salzen (Gyps).
                           Zum Nachweis der in diesen Wässern enthaltenen organischen Verbindungen, der Säuren
                              und Basen, wurden 100 Liter der gemischten Flüssigkeit (Sauer- und
                              Schlämmwasser) mit dünner Kalkmilch neutralisirt und der Destillation bei guter
                              Kühlung unterworfen. Der Destillations- resp. der Kühlapparat war so
                              hergerichtet, daß das Auffangen der sich während der Destillation entbindenden Gase
                              ermöglicht war.
                           
                           Das Destillat wurde zur Bestimmung des Ammoniaks und der organischen Basen, der
                              Destillationsrückstand zum Nachweis der organischen Säuren verwandt.
                           Außer dem Ammoniak wurden in dem Destillat mit Bestimmtheit nachgewiesen:
                           Aethylamin C⁴H⁷N oder (C⁴H⁴)
                              + (NH³)
                           Triäthylamin C⁶H⁹N oder 3
                              (C²H²) + (NH³) und
                           Propylamin C⁶H⁹N oder (C⁶H⁶)
                              + (NH³)
                           (Amyl- und Butylamin sind höchst wahrscheinlich ebenfalls in dem Destillat
                              enthalten, konnten jedoch wegen Mangel an Substanz nicht mit Bestimmtheit
                              nachgewiesen werden.)
                           Zur Trennung dieser Basen wurde theils der Siedepunkt, theils das Verhalten gegen
                              Platinchlorid in Anwendung gebracht. In dem Destillations-Rückstand des mit
                              Kalk versetzten Wassers wurden mit Gewißheit nachgewiesen
                           an organischen Säuren:
                                       1)
                              flüchtige:
                           Essigsäure,
                           Propionsäure,
                           Buttersäure,
                           Valeriansäure,
                           Capronsäure,
                           Benzoesäure und
                           geringe Mengen Ameisensäure;
                                       2)
                              nichtflüchtige:
                           Milchsäure,
                           Bernsteinsäure,
                           Oxalsäure.
                           (Kohlensäure und Schwefelwasserstoff entweichen während der Destillation.)
                           An anorganischen Säuren enthielt die Rückstands-Flüssigkeit Schwefelsäure,
                              Phosphorsäure, Chlorwasserstoff- und geringe Mengen Kieselsäure.
                           Neben diesen Basen und Säuren enthält das Wasser noch erhebliche Mengen Leucin und durch die Gährung und Fäulniß veränderten und
                              in Wasser löslich gewordenen Kleber; Tyrosin konnte nicht
                              mit Bestimmtheit nachgewiesen werden.
                           Der unerträgliche Geruch dieser Abflußwässer stammt offenbar von der Gegenwart der
                              flüchtigen organischen Säuren neben Schwefelwasserstoff her; die flüchtigen
                              organischen Basen, welche in verhältnißmäßig sehr geringer Menge in demselben vorkommen, sind an die
                              Säuren gebunden und können nur wenig oder gar keinen Antheil an diesen
                              übelriechenden Ausdünstungen nehmen.
                           Das Sauer- und Schlämmwasser, welches die oben angegebenen Körper als
                              Fäulnißproducte des Klebers neben gelöstem Kleber enthält, muß, ehe es zum Abfluß
                              gelangen darf, vorher einer Operation unterworfen werden, die sowohl den
                              Übeln Geruch beseitigt wie auch den aufgelösten Kleber vor einer weiteren
                              Zersetzung schützt; die Säuren müssen neutralisirt und der Kleber muß gebunden
                              werden.
                           Auch ist das Versenken dieses Sauerwassers, ohne vorherige Präparation, in Schlinggruben nicht zu gestatten, weil durch die sauren
                              und auflösenden Eigenschaften desselben leicht eine Infiltration in die benachbarten
                              Brunnen stattfinden kann. Ferner unterliegt der aufgelöste Kleber in diesen Gruben
                              einer weiteren Zersetzung durch die fortschreitende Fäulniß, in Folge deren sich ein
                              unausstehlicher Gestank entwickelt.
                           Diese eben genannten Gründe, welche auch gegen den Abfluß der unpräparirten
                              Sauer- und Schlämmwässer in die offenen Wasserrinnen und öffentlichen Canäle
                              sprechen, werden in letzterem Falle noch durch ein rasches Verschlämmen
                              vermehrt.
                           Um dem Sauerwasser und Schlämmwasser die Säuren zu binden, den aufgelösten Kleber
                              theils unlöslich zu machen und den nicht fällbaren vor einer weiteren Zersetzung
                              durch die Fäulniß zu schützen, versetzt man dasselbe mit einigen Procenten frischer
                              Kalkmilch bis zur alkalischen Reaction. Es bildet sich sofort ein coagulirender
                              Niederschlag, welcher sich rasch zu Boden setzt. Das klare überstehende Wasser hat
                              seinen übeln Geruch verloren und kann nun sogar in die offenen Straßenrinnen zum
                              Abfluß zugelassen werden.
                           Diese Operation ist in großen Bottichen oder cementirten Behältern vorzunehmen.
                           Der schlammige Niederschlag wird zum Abtropfen in Körbe oder durchlöcherte Kästen
                              gegeben, welche von Innen mit grobem Packtuch bekleidet sind und nur dem Wasser den
                              Abfluß gestatten.
                           Ich habe das so präparirte, schwach alkalisch reagirende Sauer- und
                              Schlämmwasser bei einer constanten Temperatur von + 28° R. sich selbst
                              überlassen und auch nach 14 Tagen keine eingetretene Fäulniß bemerken können. Auch
                              der kalkhaltige Niederschlag, sich selbst überlassen, gieng bei einer Temperatur von
                              circa + 22° R. binnen 14 Tagen noch nicht in
                              Fäulniß über, obgleich er bedeutende Mengen stickstoffhaltiger organischer
                              Bestandtheile enthält. Der Gehalt an phosphorsaurem Kalk und stickstoffhaltiger organischer
                              Substanz gibt demselben einen besonderen Werth als Dungstoff, der die Präparation
                              der Wässer auch in pecuniärer Hinsicht als lohnend bezeichnet.
                           100 Liter gemischtes Sauer- und Schlämmwasser gaben circa 4 Kilogrm. Kalkniederschlag (lufttrocken).
                           Dieser Niederschlag enthält in 100 Gewichtstheilen an:
                           
                              
                                 
                                    Phosphorsäure
                                    
                                 11,6938 Proc.
                                 
                              
                                 
                                    Stickstoff
                                    
                                   0,4651    „
                                 
                              
                           oder entsprechend:
                           
                              
                                 Knochenerde (3 CaO
                                    PO⁵)
                                 25,5686 Proc.
                                 
                              
                                 
                                    Ammoniak
                                    
                                   0,5634    „
                                 
                              
                           Der Phosphorsäuregehalt resp. phosphorsaure Kalkgehalt bestimmt den Werth dieses
                              Niederschlages als Düngmittel.
                           Schließlich will ich noch darauf aufmerksam machen, daß der Einfluß unpräparirter Sauer- und Schlämmwässer in
                              öffentliche Canäle, welche gleichzeitig kalkhaltige Flüssigkeiten, z.B. das Wasser
                              von Weißgerbereien, Leimsiedereien etc. wegführen, ein sehr baldiges Verschlämmen,
                              durch Bildung des obenerwähnten Niederschlages veranlaßt, und dadurch ein häufigeres
                              Reinigen bedingt.
                           Dr. H. Vohl.