| Titel: | Ueber die giftigen Eigenschaften des Schwefelkohlenstoffs und über die Anwendung dieser Flüssigkeit zur Vertilgung der Ratten und der in der Erde lebenden schädlichen Thiere; von S. Cloëz. | 
| Fundstelle: | Band 182, Jahrgang 1866, Nr. CXXXII., S. 479 | 
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                        CXXXII.
                        Ueber die giftigen Eigenschaften des
                           Schwefelkohlenstoffs und über die Anwendung dieser Flüssigkeit zur Vertilgung der Ratten
                           und der in der Erde lebenden schädlichen Thiere; von S. Cloëz.
                        Aus den Comptes rendus, t. LXIII p. 185; Juli
                              1866.
                        Cloëz, über die giftigen Eigenschaften des
                           Schwefelkohlenstoffs etc.
                        
                     
                        
                           Schwefelkohlenstoff, in Dampfform mit einem beträchtlichen Volum atmosphärischer Luft
                              gemischt, kann in die Respirationsorgane der Menschen und Thiere eingeführt werden,
                              ohne unmittelbare Störungen hervorzubringen; längere Zeit indessen läßt sich ein
                              solches Gasgemisch nicht ohne schädliche Folgen einathmen.
                           Enthält die eingeathmete Luft anstatt nur einiger Milliontel Schwefelkohlenstoffdampf
                              ungefähr 1/20 ihres Volumens davon, so wirkt dieses Gemisch auf den thierischen
                              Organismus sehr rasch und veranlaßt, wenn man seine Wirkung nicht bei Zeiten
                              unterbricht, unvermeidlich den Tod.
                           Die giftigen Wirkungen des Schwefelkohlenstoffs wurden an verschiedenen Gattungen von
                              Säugethieren, Vögeln und Reptilien durch Versuche festgestellt.
                           
                           Erster Versuch. – Eine große, starke Ratte wurde
                              unter eine tubulirte Glasglocke von 17 Liter Rauminhalt gesperrt, nachdem vorher ein
                              mit Schwefelkohlenstoff getränkter Pfropf von Baumwollwatte unter dieselbe gebracht
                              worden war. In den ersten Augenblicken blieb das Thier vollkommen ruhig und schien
                              schläfrig zu werden; nach Verlauf einer halben Minute jedoch begann es sich heftig
                              zu bewegen, indem es sich der Schwefelkohlenstoff-Atmosphäre zu entziehen
                              suchte; seine Bewegungen wurden indeß bald langsamer; es folgten einige
                              convulsivische. Zuckungen, dann fiel das Thier auf eine Seite, fuhr aber zu athmen
                              fort; allmählich wurde jedoch die Respiration schwächer und einige Minuten nach dem
                              Beginne des Versuches trat der Tod ein.
                           Beim Oeffnen des Cadavers zeigte sich ein entschiedener Congestivzustand in den
                              Geweben der ganzen Lunge; das Gehirn bot keine Verletzung dar, die Herzhöhlen waren
                              mit schwarzem Blute angefüllt, der rechte Vorhof dieses Organes zog sich nach dem
                              Tode des Thieres noch zwei Stunden lang zusammen. Die Blutkörperchen zeigten sich
                              unter dem Mikroskope weder in ihrer Form, noch sonst verändert.
                           Zweiter Versuch. – Einem ausgewachsenen Kaninchen
                              wurde einige Minuten lang ein mit Schwefelkohlenstoff getränkter Schwamm unter die
                              Nase gehalten. Anfänglich blieb das Thier ganz ruhig, dann sträubte es sich schwach,
                              worauf es losgelassen wurde; allein schon war es nicht mehr Herr seiner Bewegungen
                              und schien trunken zu seyn. Es wurde von Neuem gezwungen, die mit
                              Schwefelkohlenstoff gemischte Luft einzuathmen, so daß eine vollständige
                              Unempfindlichkeit aller Glieder hervorgebracht wurde, ohne daß man den Versuch bis
                              zum Tode des Thieres fortsetzte. Jetzt wurden dieselben Erscheinungen beobachtet,
                              wie bei dem ersten Versuche. Der Schwamm ward in dem Augenblicke entfernt, in
                              welchem der Tod einzutreten schien. Das Kaninchen blieb in diesem Zustande eine
                              halbe Stunde liegen, ohne sich zu rühren; allmählich stellte sich aber die
                              Respiration wieder ein; nach Verlauf einer Stunde versuchte es den Kopf zu heben und
                              sich auf die Pfoten zu setzen, aber die hinteren Glieder waren noch gelähmt. Nach
                              einer weiteren Stunde saß das Thier aufrecht und fraß, als ob ihm Nichts widerfahren
                              wäre.
                           Der dritte, gleichfalls mit einem Kaninchen angestellte
                              Versuch bildet eine Wiederholung des zweiten, nur mit dem Unterschiede, daß die
                              Wirkung des Schwefelkohlenstoffs bis zu dem – neun Minuten nach dem Beginne
                              des Versuches eingetretenen – Tode des Thieres fortgesetzt wurde. Beim
                              Oeffnen des Cadavers zeigte sich Congestion an der Basis der Lungen; nachdem das
                              Herz nebst den Respirationsorganen aus der Brusthöhle des Thieres entfernt worden, fuhr der rechte
                              Vorhof noch über fünf Stunden fort sich zusammenzuziehen.
                           Auf die Vögel scheint der Schwefelkohlenstoff noch rascher
                              zu wirken als auf die Säugethiere; auf Reptilien hingegen
                              wirkt er, wie es sich voraussehen ließ, weit langsamer. Die betreffenden Versuche
                              wurden mit Sperlingen und Fröschen angestellt.
                           Die Versuche über die Anwendbarkeit des Schwefelkohlenstoffs zur Vertilgung der in
                              oder unter der Erde lebenden schädlichen Thiere wurden im Pariser Museum der
                              Naturgeschichte an den Ratten angestellt, welche sich in verschiedenen Theilen der
                              Anstalt, hauptsächlich neben den Behausungen der wilden Thiere und in der Nähe des
                              Laboratoriums für vergleichende Physiologie eingebürgert hatten.
                           Schwefelkohlenstoff wird jetzt im Großen dargestellt, so daß er zu billigem Preise
                              (in Deutschland derzeit zu 5 bis 6 Slbrgr. per Pfund) im
                              Handel zu haben ist. Die Anwendungsweise dieser Flüssigkeit zur Vergiftung der
                              Ratten ist sehr einfach. Man benutzt dazu ein 1 Meter bis 1,2 Meter langes und 20
                              Millim. weites biegsames Bleirohr, welches an beiden Enden offen, an der oberen
                              Oeffnung aber mit einem aufsteckbaren, kleinen Weißblechtrichter von
                              cylindrisch-conischer Form und seitlich, nach dem unteren Ende zu, mit
                              einigen Löchern versehen worden ist, durch welche die Flüssigkeit, falls sich die
                              untere Rohröffnung mit Erde etc. verstopfen sollte, leicht in die Rattennester
                              abfließen kann.
                           Bevor ich den Schwefelkohlenstoff zur Vertilgung der Ratten in großem Maaßstabe
                              anwendete, stellte ich in der kleinen Allee, welche zu dem Laboratorium für
                              vergleichende Physiologie führt, einen Versuch an. Hier befanden sich auf einem
                              Flächenraume von 50 Quadratmetern mehrere bewohnte, durch unterirdische Gänge mit
                              einander verbundene Rattenlöcher. In eines dieser Löcher ward das Bleirohr möglichst
                              weit hineingeschoben, und die übrigen wurden einstweilen durch aufgelegte Backsteine
                              verschossen. Dann wurden etwa 50 Grm. Schwefelkohlenstoff in einem kleinen geaichten
                              Fläschchen abgemessen und durch den Trichter in das Rohr gegossen; nach einigen
                              Minuten wurde letzteres herausgezogen und dann das Loch mittelst aufgehäufter Erde
                              fest verstopft.
                           Dasselbe Verfahren wurde bei allen Löchern befolgt. Bis zum zweiten Tage darnach
                              wartete ich, um mich vom Erfolge zu überzeugen. Während des Versuches hatte ich die
                              Gewißheit erlangt, daß die Nester bewohnt waren, denn ich hatte mehrere Ratten
                              bemerkt, welche durch die unterirdischen Gänge schlüpften. Zwei Tage darauf fanden
                              wir alle zu diesen Gängen führenden Löcher verstopft, woraus ich schloß, daß die
                              dahin geflüchteten Nager erstickt seyen.
                           
                           Um mich davon zu überzeugen, ließ ich den Boden mittelst des Spatens umgraben. Dabei
                              fanden sich auf einem Flächenraume von etwa 20 Meter vierzehn Cadaver von Ratten,
                              welche in ihren Wohnungen erstickt waren. Somit war der erste Versuch in genügender
                              Weise gelungen; diese ersten Resultate wurden seitdem durch zahlreiche weitere, im
                              Museum angestellte Proben immer mehr bestätigt.