| Titel: | Das elektrische Clavier; von M. Hipp, Director der Telegraphen-Fabrik in Neuenburg (Schweiz). | 
| Autor: | Matthias Hipp [GND] | 
| Fundstelle: | Band 183, Jahrgang 1867, Nr. LIII., S. 200 | 
| Download: | XML | 
                     
                        LIII.
                        Das elektrische Clavier; von M. Hipp, Director der
                           Telegraphen-Fabrik in Neuenburg (Schweiz).
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              IV.
                        Hipp's elektrisches Clavier.
                        
                     
                        
                           Der Gedanke, ein Clavier mittelst elektromagnetischer Kraft zu spielen, ist zwar
                              nicht neu, es scheint jedoch, daß nie ein Clavier dieser Art zur Ausführung gekommen
                              ist; daher dürfte dasjenige das erste seyn, welches unten näher beschrieben und in
                              der oben genannten Fabrik nach meinen Angaben ausgeführt worden ist.
                           
                           Vorausschicken muß ich, daß im vorliegenden Falle die Veranlassung zur Ausführung
                              eines elektrischen Claviers von Hrn. Andreä,
                              Verwaltungs-Actuar in Sindelfingen, ausging, welcher auch in Württemberg im
                              April 1861 ein Patent auf ein elektrisches Clavier nahm. Der Ausführung standen
                              jedoch vorerst unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen, bis Hr. Andreä sich Anfangs v. J. an mich wandte, mit der Angabe,
                              daß es ihm bisher nicht habe gelingen können, die Schwierigkeiten zu beseitigen. Es
                              kann dieß auch nicht verwundern, indem die bekannten technischen Mittel nicht
                              ausreichen, um das Problem mit Erfolg zu lösen.
                           Der nächst liegende Gedanke wäre wohl der, unter den Tasten Elektromagnete
                              anzubringen, deren Anker die Taste selbst ist; dabei ergibt sich jedoch die
                              Schwierigkeit, daß ein Klappern oder anderes störendes Geräusch nicht vermieden
                              werden kann, und daß, abgesehen vom Kraftverlust, ein Anschlag wie derjenige mit der
                              Hand, nicht erzielt werden kann, weil der Anker anfangs mit schwacher und dann rasch
                              zunehmender Kraft wirkt, während die Wirkung der Hand eine umgekehrte ist.
                           Es mußte darauf gedacht werden, einen Elektromagnet auszufinden, der die umgekehrte
                              Eigenschaft der gewöhnlichen hat, nämlich daß seine Bewegung mit größter Kraft
                              beginnt und mit einem Minimum derselben endet.
                           Es ist mir nun geglückt, einen solchen Elektromagnet zu construiren, dessen
                              Eigenschaften das vollkommene Gelingen des elektrischen Clavieres ohne allen Zweifel
                              zu verdanken ist.
                           Dieser Elektromagnet ist über dem Clavier angebracht, indem leichte Stäbe von Holz
                              den Anker mit der Hammer-Mechanik in directe Verbindung bringen, in der Art,
                              daß die Taste beim Spiel des elektrischen Claviers unbeweglich bleibt. Das Clavier
                              braucht nicht auf eine besondere Art gebaut zu seyn und erleidet keinerlei
                              Veränderung; der Mechanismus, welcher für die elektrischen Claviere erfordert wird,
                              kann zu jedem anderen Claviere ähnlicher Bauart verwendet werden, ohne daß auch nur
                              ein Schräubchen oder ein Stift in einem der Bestandtheile desselben eingeschraubt
                              oder eingeschlagen werden müßte.
                           Der Elektromagnet, als wesentlichster Bestandtheil des Clavieres, ist in Fig. 20 und
                              21
                              abgebildet. Die beiden Enden eines Hufeisens sind durch eine starke Messingbrücke
                              verbunden; der Anker geht zwischen zwei Schraubenspitzen und kann so regulirt
                              werden, daß er zwischen beiden Schenkeln des Hufeisens, das zu diesem Ende an der
                              betreffenden Stelle flach gefeilt ist, hindurch fällt und von beiden Seitenflächen
                              gleich viel absteht. Der Anker, welcher sich ursprünglich in der Lage Fig. 20
                              befindet, wird, wenn der elektrische Strom durchgeht, so lange angezogen werden, bis sich seine
                              Eisenmasse derjenigen des Hufeisens gegenüber befindet; in dieser Lage wird er
                              stehen bleiben, weil er weder nach oben, noch nach unten, und weder nach rechts noch
                              nach links angezogen wird, oder, richtiger gesagt, nach allen diesen Seiten und
                              somit in Ruhe bleibt; dabei wird er jedoch nicht verhindert, in Folge des
                              Beharrungsvermögens noch eine weitere Bewegung zu machen, wobei aber jedes Geräusch
                              vermieden wird.
                           Der Anschlag, welcher durch diesen Elektromagnet erreicht wird, ist demjenigen von
                              Hand gleich und kann von letzterem, mit dem feinsten Ohr, durch nichts unterschieden
                              werden, es sey denn durch die Gleichförmigkeit des Anschlags.
                           Die Stärke des Anschlags hängt, wie leicht einzusehen, von der Stärke des
                              elektrischen Stromes ab und kann eben so variiren als letzterer, d.h. innerhalb der
                              praktischen Grenze in's Unendliche, mit dem Ohre nicht mehr zu Unterscheidende; man
                              hat es also in seiner Gewalt, den Ton mit verschiedener Stärke anzuschlagen. Es
                              bleibt nun noch übrig, die verschiedenen Töne nach Stärke und Aufeinanderfolge, wie
                              sie einem Musikstück entsprechen, durch eine besondere Maschine, die Spielmaschine wieder zu geben.
                           Dieselbe ist ziemlich einfach: ein breites Papierband ist durchlöchert, wie bei den
                              Wheatstone'schen Telegraphen, und zwar der Länge nach
                              für den Anschlag und die Dauer, und der Breite nach für die Höhe und Tiefe der Töne,
                              s. Fig. 22.
                              Außerdem hat der Papierstreifen eine besondere Abtheilung für Strom- resp.
                              Tonstärke.
                           Auf einer metallenen Unterlage oder einer Walze liegen so viel Lamellen oder
                              Federchen, als das Clavier Töne hat. Wird nun der Papierstreifen zwischen Walze und
                              Federchen bewegt, so schließen dieselben, so oft sie auf ein Loch des
                              Papierstreifens treffen und also mit der metallenen Walze in Berührung kommen, die
                              Batterie und schlagen den ihnen entsprechenden Ton an, weil jedes dieser Federchen
                              durch einen Draht mit einem Elektromagnet verbunden ist. Die Dauer des Tons hängt
                              von der Länge des Loches, das Tempo von der Schnelligkeit ab, mit welcher sich der
                              Papierstreifen bewegt.
                           Wie bereits erwähnt, sind an der Seite des Papierstreifens für forte und piano ähnliche Federchen angebracht,
                              welche durch Einschaltung von Widerständen die Stromstärke und damit die Tonstärke
                              mäßigen. Ob zwölf Abstufungen, wie ich sie am ersten Clavier angebracht habe,
                              genügend sind, wird die Erfahrung zeigen.
                           Wenn man sich frägt, worin liegt wohl das, was man in der Musik das Leben, den Geist,
                              das Anregende, das Hinreißende und Begeisternde nennt, so kann die Antwort nur
                              die seyn, daß es, beim Clavier wenigstens, einfach in der Technik liegt; es wäre
                              denn, daß die Persönlichkeit des Künstlers, was im gegebenen Falle nicht zu läugnen
                              ist, eine Einwirkung auf die Zuhörer ausüben würde, welche physikalisch nicht zu
                              erklären ist.
                           Die Musik als Musik aber, wenigstens so weit sie Instrumental-Musik ist, ist
                              mechanischen Ursprungs und muß mechanisch mit allem Leben, mit allen Reizen, mit
                              allem Schwunge wieder gegeben werden können.
                           Analysiren wir die Wirkung der Musik, des Piano, so finden wir sie aus nur drei
                              Elementen zusammengesetzt: aus Tonstärke, Tonhöhe und Aufeinanderfolge (Dynamik,
                              Melodik, Rhythmik); so lange diese Elemente mit der Maschine in derselben
                              unendlichen Variation gegeben werden können wie vom Künstler selbst, muß die
                              Maschine auch denselben Effect hervorbringen. Wenn der Künstler die momentane
                              Inspiration für sich hat, so hat die Maschine dagegen den Vortheil genau dieselbe
                              Wirkung so oft hervorzubringen als man will. Der Künstler wird dabei nichts
                              verlieren, im Gegentheil, es wird ihm nur die profane Arbeit abgenommen. Wie der
                              Maler seine Farben nicht selbst zu reiben, und der SchriftstellerSchrifsteller sein Buch nicht selbst zu drucken braucht, so werden auch die geistigen
                              Producte des Künstlers von denen genossen und bewundert werden können, denen er sich
                              nicht persönlich vorstellen kann.
                           Das Schreiben der Noten, was Tonstärke und Aufeinanderfolge betrifft, wird freilich
                              eine ganz andere Aufgabe werden; statt, wie bisher, nur drei bis vier Tonstärken zu
                              bezeichnen, wird man achtzehn bis zwanzig annehmen müssen und damit fast jede Note
                              bezeichnen; accelerato und ritenuto werden viel häufiger und in kaum merklichen, dem Zuhörer nicht
                              direct wahrnehmbaren Abstufungen vorkommen, was eine vielleicht schwere, aber um so
                              dankbarere Arbeit des Komponisten seyn wird.
                           Die Aufgabe, den Geist seiner Musik zu bewahren, würde dem Künstler gewiß wesentlich
                              erleichtert durch ein Clavier, das seine Schöpfungen nach Tonstärke, Tonhöhe und
                              Aufeinanderfolge autographirend wiedergeben würde, ein Problem, das ungleich
                              leichter auszuführen wäre, als dasjenige des selbstspielenden Clavieres.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
