| Titel: | Beiträge zur Kenntniß und zur quantitativen Bestimmung der Gerbsäuren; von Prof. Dr. Rudolph Wagner in Würzburg. | 
| Autor: | Johannes Rudolph Wagner [GND] | 
| Fundstelle: | Band 183, Jahrgang 1867, Nr. LXI., S. 227 | 
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                        LXI.
                        Beiträge zur Kenntniß und zur quantitativen
                           Bestimmung der Gerbsäuren; von Prof. Dr.
                              Rudolph Wagner in Würzburg.
                        Wagner, Beiträge zur Kenntniß und zur quantitativen Bestimmung der
                           Gerbsäuren.
                        
                     
                        
                           Es gibt im Pflanzenreiche zwei Arten von Gerbsäuren, nämlich eine pathologische und
                              eine physiologische.
                           
                           α. Die pathologische
                              Gerbsäure, gewöhnlich Tannin genannt, ist mit Sicherheit nur in pathologischen
                              Gebilden der Species Quercus und Rhus nachgewiesen worden, nämlich in den in Folge des Stiches der Weibchen
                              der Gallwespe sich bildenden Galläpfeln an den jungen Zweigen und Blattstielen von
                              Quercus infectoria, Quercus cerris, Q. austriaca, Q.
                                 ilex, ferner in den unter dem Namen der (pathologischen) Knoppern
                              bekannten, aus dem Safte der jungen Eicheln (aber nicht der Fruchtbecher, wie man
                              früher annahm), ebenfalls durch Veranlassung einer Cynipsart sich bildenden
                              Auswüchse, endlich in den chinesischen oder japanesischen Galläpfeln, welche durch
                              Blattläuse (Aphis) auf zwei Sumacharten, der Rhus javanica und Rhus
                                 semialata hervorgerufen werden. Daß diese Gerbsäure in anderen Rhusarten,
                              in der Eichenrinde, im chinesischen Thee sich finde, beruht, wie ich gefunden habe,
                              auf einem Irrthum.
                           Diese pathologische Gerbsäure ist dadurch charakterisirt, a) daß sie durch die Einwirkung verdünnter Säuren, sowie durch Gährung und
                              Fäulniß sich spaltet und als Spaltungsproduct Gallussäure liefert; außerdem bildet
                              sich bei der Spaltung durch Wasseraufnahme ein zuckerähnlichen Körper,
                              wahrscheinlich Glycose, welcher jedoch bei der Spaltung weiter zersetzt als Alkohol
                              und Kohlensäure, als Milchsäure, Propionsäure, Buttersäure, Humuskörper etc. etc.
                              auftritt. Das Mengenverhältniß der Gallussäure zu dem Zucker ist noch nicht
                              festgestellt. b) Sie ist die einzige unter den
                              Gerbsäuren, welche Pyrogallussäure zu liefern vermag. c)
                              Sie fällt Leim vollständig aus der wässerigen Lösung, ist aber nicht geeignet,
                              Corium in technisch brauchbares und der Fäulniß widerstehendes Leder
                              überzuführen.
                           β. Die andere Art der Gerbsäure – sie sey
                              physiologische Gerbsäure genannt – ist
                              diejenige, die in den Gerbematerialien der Rothgerber, namentlich in der
                              Eichen-, Fichten-, Weiden-, Buchenrinde, dem Bahlah, der
                              Valonia, den Dividivischoten und dem Sumach (von Rhus
                                 typhina und Rhus coriaria) sich findet und von
                              der pathologischen Gerbsäure dadurch sich unterscheidet, daß sie durch Gährung und
                              durch Einwirkung verdünnter Säuren sich nicht spaltet (ein für die Gerbezwecke
                              höchst bedeutsames Verhalten), als Zersetzungsproduct nie Gallussäure und bei der
                              trockenen Destillation nie Pyrogallussäure, sondern stets Oxyphensäure
                              (Brenzcatechin) liefert, und endlich Corium in Leder (in technischem Sinne)
                              überzuführen vermag. Die so leicht durch ihr Verhalten zu neutralen Eisenoxydsalzen
                              zu erkennende Oxyphensäure kann in vielen Fällen als Mittel zum Nachweise der
                              physiologischen Gerbsäure in Pflanzentheilen angewendet werden.Vergl. Journal für praktische Chemie, Bd. LII S. 450; Bd. LV S. 66. Obgleich vor einigen Jahren, als das constante Vorkommen von Oxyphensäure in
                              dem rohen Holzessig nachgewiesen wurde, behauptet worden ist,Journal für praktische Chemie, Bd. LXII S. 508. daß die Oxyphensäure nicht nur direct aus einer Gerbsäure, sondern auch aus
                              einem anderen (in Wasser, Alkohol und Alkalien unlöslichen) Bestandtheil der Hölzer
                              entstehen kann, so glaube ich doch annehmen zu müßen, daß dieser Bestandtheil zu der
                              Gerbsäure in der innigsten Beziehung steht und auf keinen Fall Cellulose ist.
                              Baumwolle z.B. liefert bei der trockenen Destillation keine Spur von
                              Oxyphensäure.Ich nehme hier die Gelegenheit wahr, wiederholt auf die Wichtigkeit der
                                    Oxyphensäure, die mit geringen Schwierigkeiten aus den flüssigen Producten
                                    de trockenen Destillation des Gelbholzes in großer Menge gewonnen werden
                                    kann, für photographische Zwecke aufmerksam zu machen; vergl. polytechn.
                                    Journal Bd. CXXXV S. 375.
                              
                           Nur die physiologische Gerbsäure ist in der That eine gerbende Säure. Die
                              pathologische Gerbsäure wird nie bei dem eigentlichen Gerbprocesse des Rothgerbers,
                              sondern nur als Adjuvans, zum Färben und Erschweren (der Seide), zur Tintebereitung,
                              zur Darstellung der Gallussäure und der Pyrogallussäure benutzt. Beide Arten von
                              Gerbsäure haben das mit einander gemein, daß sie auf die Papillen der Schleimhaut
                              der Zunge durch theilweises Incrustiren derselben eigenthümlich einwirken und das
                              hervorrufen, was man mit dem Namen „adstringirender Geschmack“
                              zu bezeichnen pflegt; Leim aus der wässerigen Lösung fällen, indessen Niederschläge
                              erzeugen, die sich in vieler Hinsicht verschieden verhalten: der durch pathologische
                              Gerbsäure bewirkte Leimniederschlag fault sehr leicht, während der mit
                              Eichengerbsäure (d.h. nicht im Berzelius'schen Sinne,
                              sondern eine Gerbsäure aus der Eichenrinde) hervorgebrachte Leimniederschlag unter
                              denselben Verhältnissen unter Wasser aufbewahrt, nach vier Wochen noch völlig
                              unverändert sich erwies; mit den sauerstoffreichen Oxyden einiger Metalle wie des
                              Eisens und Vanadins dunkle Färbung bewirken und, was mit dem vorerwähnten Verhalten
                              zusammenhängt, vielen sauerstoffreichen Verbindungen, wie dem Silber- und
                              Goldoxyd, der Chromsäure, der Uebermangansäure etc. den Sauerstoff mit großer
                              Begierde entziehen. Beide Gerbsäuren, die pathologische wie die physiologische,
                              werden durch Alkalien bei Luftzutritt in kurzer Zeit unter Bildung von Humuskörpern
                              zersetzt.
                           Zur Ermittelung des Atomgewichtes der physiologischen Gerbsäure, die in dem
                              wichtigsten der Gerbematerialien, der Eichenrinde, sich findet, wurde die Zusammensetzung des
                              gerbsauren Cinchonins bestimmt. Es wurde zu dem Ende eine Abkochung von
                              Eichenspiegelrinde nach dem Filtriren mit einer wässerigen Lösung von neutralem
                              schwefelsaurem Cinchonin (völlig rein und von derselben Probe, die zu allen späteren
                              Versuchen diente) gefällt, der Niederschlag nach dem Auswaschen mit einer Lösung von
                              essigsaurem Bleioxyd gekocht und dadurch in gerbsaures Bleioxyd übergeführt. Der
                              Bleiniederschlag wurde durch Schwefelwasserstoffgas (bei anderen Versuchen auch
                              durch fortgesetztes Kochen mit einer wässerigen Lösung von schwefelsaurem Natron)
                              zersetzt und die durch Erwärmen von allem Schwefelwasserstoff befreite und vom
                              Bleisulfuret getrennte, hellbraun gefärbte Flüssigkeit darnach mit Cinchoninlösung
                              gefällt. Der Niederschlag wurde ausgewaschen, getrocknet und gewogen, nach dem Wägen
                              in Wasser suspendirt, zu der Flüssigkeit übermangansaures Kali tropfenweise
                              zugesetzt, bis zur vollständigen Zerstörung der Gerbsäure. Zur Ermittelung der
                              Cinchoninmenge waren drei Wege möglich, nämlich 1) die von Monier
                              Polytechn. Journal Bd. CXLVIII S.
                                       209; Wagner's Jahresbericht, 1858 S.
                                    511. vorgeschlagene Gerbstoffbestimmung zu benutzen und ganz einfach zur
                              Zerstörung der Gerbsäure in obigem Niederschlage eine titrirte Lösung zu verwenden;
                              die verbrauchten Kubikcentimeter der Lösung hätten dann sofort die Menge der
                              Gerbsäure angegeben, aus welcher durch Subtraction von dem ursprünglich angewendeten
                              Quantum des gerbsauren Cinchonins die Menge der Base erhalten worden wäre; 2) das
                              früher (1862) von mir vorgeschlagene jodometrische Verfahren; 3) die directe
                              Bestimmung des Cinchonins, welches in Form von bei 120° C. getrocknetem
                              neutralem schwefelsaurem Cinchonin gewogen wird.Es wurde der letztere Weg gewählt und aus dem Abdampfungsrückstand der mit
                                    Schwefelsäure neutralisirten Flüssigkeit das Cinchoninsulfat mit Alkohol
                                    extrahirt.
                              
                           1,554 Grm. bei 120° getrockneten gerbsauren Cinchonins ergaben 0,430 Grm.
                              Cinchonin.
                           Da nun das Atomgewicht des Cinchonins nach der Formel
                              C⁴⁰H²⁴N²O² = 308, so ist das der
                              Eichengerbsäure 813. Zum Fällen von 1,00 Grm. Eichengerbsäure braucht man 0,3715
                              Grm. Cinchonin, entsprechend der FormelDamit stimmt auch die Angabe Henry's überein, daß
                                    1 Theil Gerbstoff 0,37 Th. Cinchonin fällt. Vergl. Journal für praktische
                                    Chemie (1835), Bd. III S. 1. des gerbsauren Cinchonins:
                           2 (C²⁸H¹⁶O¹⁶) +
                              (C⁴⁰H²⁴N²O²).
                           Das neutrale schwefelsaure Cinchonin enthält 82,133 Proc. Cinchonin, mithin
                              entsprechen 0,3715 Grm. Cinchonin 0,4523 Grm. neutralem schwefelsaurem Salze. Diese
                              Verhältnisse wurden der unten zu beschreibenden Methode der Gerbstoffbestimmung in
                              den wichtigeren Gerbematerialien zu Grunde gelegt.
                           Da der Werth der Gerbematerialien allein von der Menge der in ihnen enthaltenen
                              physiologischen Gerbsäure abhängig ist, so war es von Wichtigkeit, eine
                              Prüfungsmethode zu haben, welche den Gehalt an Gerbstoff auf einfache und leicht
                              ausführbare Weise mit einer für technische Zwecke genügenden Genauigkeit zu
                              ermitteln gestattet. Und in der That hat es nicht an Vorschlägen, mitunter selbst
                              sehr beachtenswerten, gefehlt. Das Problem ist aber, trotz der vorzüglichen
                              kritischen Arbeiten von F. Gauhe
                              Zeitschrift für analytische Chemie, 1864 S. 122–133. und von W. Hallwachs
                              Polytechn. Journal Bd. CLXXX S.
                                       53. bei weitem noch nicht gelöst. Auch nachstehende Bestimmungsmethode wird im
                              günstigsten Falle die Frage nur einen Schritt weiter der Lösung zugeführt haben.
                           Die bisher üblichen Methoden der Gerbsäurebestimmung (wobei durchgängig ein
                              fehlerhaftes Princip angewendet und bei der Bestimmung der physiologischen Gerbsäure
                              vom Tannin der Galläpfel ausgegangen wurde) sind folgende:
                           I. Die Gerbsäure wird aus der Abkochung des Gerbematerials mit Leim oder mit Corium
                              ausgefällt.
                           α. Das Corium wird (bei 100–120° C.
                              getrocknet) vor und nach dem
                              Versuche gewogen; die Gewichtszunahme gibt die Menge der Gerbsäure (Davy);
                           β. die Gerbsäure wird mit titrirter Leimlösung
                              ausgefällt (von Fehling);Polytechn. Journal Bd. CXXX S. 53;
                                    Wagner's Jahresbericht, 1858 S. 512.
                              
                           γ. die Gerbsäure wird mit einer mit Alaun
                              versetzten titrirten Leimlösung ausgefällt (G. Müller);Wagner's Jahresbericht, 1858 S. 510; 1859 S.
                                    573. diese Methode wurde von Professor Fraas
                              Ergebnisse landwirthschaftl. und agriculturchem. Versuche. München 1861, 3.
                                    Heft S. 41–44. handlicher gemacht;
                           δ. es wird das specifische Gewicht der Abkochung
                              mittelst eines Aräometers bestimmt, die Gerbsäure darauf mit Hülfe von Thierhaut
                              entfernt und von Neuem das spec. Gew. der Flüssigkeit ermittelt. Die Abnahme des spec. Gew. ist dem
                              Gerbstoffgehalt der ursprünglichen Flüssigkeit proportional (G. Hammer).Polytechn. Journal Bd. CLIX S. 300;
                                    Wagner's Jahresbericht, 1860 S. 529.
                              
                           II. Die Gerbsäure wird durch eine titrirte Chamäleonlösung zerstört:
                           α. und zwar mit Chamäleonlösung allein (E. Monier);Polytechn. Journal Bd. CXVIII S.
                                       209.
                              
                           β. oder mit Chamäleonlösung und einem Indicator,
                              wofür Löwenthal
                              Polytechn. Journal Bd. CLIX S.
                                       143. Indigschwefelsäure oder ein indigschwefelsaures Salz anzuwenden vorschlug,
                              indem der Versuch gezeigt hatte, daß Gerbsäure und Indig zu gleicher Zeit und zwar
                              der Art oxydirt werden, daß mit dem letzten Antheil von Gerbsäure auch das letzte
                              Atom Indigblau verschwindet.
                           III. Die Gerbsäure wird durch essigsaures Kupferoxyd ausgefällt und das Verhältniß
                              zwischen Gerbsäure und Kupferoxyd im Niederschlage
                           
                              α. volumetrisch (H. Fleck),Gerberzeitung 1860, Nr. 2, 3 und 4; Wagner's
                                       Jahresbericht, 1860 S. 531. oder
                              β. durch Wägen des Kupferoxydes
                                 nach dem Glühen des Niederschlages (Sackur und E. Wolff)Kritische Blätter für Forst- und Jagdwirthschaft, 1861 S.
                                       167–205; Wagner's Jahresbericht, 1861
                                       S. 624.
                                 
                              
                           bestimmt.
                           IV. Die Gerbsäure wird durch eine mit essigsaurem Natron versetzte Lösung von
                              essigsaurem Eisenoxyd gefällt (R. Handtke).Journal für praktische Chemie, Bd. LXXXII S. 345.
                              
                           V. Die von R. Wildenstein
                              Zeitschrift für analytische Chemie, 1863 S. 137. in Vorschlag gebrachte Gerbstoffbestimmungsmethode – nur anwendbar
                              bei solchen Gerbematerialien, deren Gerbstoff durch Eisenoxydsalze schwarz gefällt
                              wird, also gerade bei den meisten der in der Gerberei zur Anwendung kommenden nicht – ist eine chronometrische Probe und gründet
                              sich auf die hellere oder dunklere Färbung, welche Streifen von schwedischem
                              Filtrirpapiere mit einer Auflösung von citronensaurem Eisenoxyd imprägnirt annehmen,
                              wenn man sie in nicht zu concentrirte Abkochungen der Gerbematerialien taucht.
                           VI. Nach der Methode von H. Risler-Beunat,Ebendaselbst, 1863 S. 287. die auf einem
                              von Persoz
                              Persoz, Traité d
                                       l'impression des tissus, t. I p
                                    282. vorgeschlagenen Verfahren fußt, wird die Gerbsäure durch Zinnchlorürlösung
                              gefällt und in dem aus gerbsaurem Zinnoxydul bestehenden Niederschlage die Menge des
                              beim Glühen gebildeten Zinnoxydes ermittelt.
                           VII. Die Gerbsäure wird (nach Gerland
                              Zeitschrift für analytische Chemie, 1863 S. 419.) mit einer mit Salmiak versetzten titrirten Lösung von weinsaurem
                              Antimonoxyd-Kali gefällt.
                           VIII. Die von M. Mittenzwey
                              Polytechn. Journal Bd. CLXXIII S.
                                       294. vorgeschlagene Methode der Bestimmung von Gerbsäure basirt sich auf die
                              Sauerstoffabsorption durch die Gerbsäure in alkalischer Lösung.
                           IX. Commaille's MethodePolytechn. Journal Bd. CLXXVI S.
                                       396. endlich gründet sich darauf, daß die Gerbsäure bei Gegenwart von Blausäure
                              durch Jodsäure oxydirt wird.
                           Es ist nicht meine Absicht, vorstehende Methoden,Eine neue Methode zur Bestimmung des Gerbstoffs mittelst titrirter Leimlösung
                                    hat Prof. Fr. Schulze veröffentlicht; man s.
                                    polytechn. Journal Bd. CLXXXII S.
                                       155.A. d. Red. welche von mir (bis auf die Commaille'sche Probe,
                              die selbstverständlich für technische Zwecke nicht anwendbar ist) auf ihre
                              Brauchbarkeit geprüft wurden, einer kritischen Beleuchtung zu unterwerfen, da die
                              von mir erhaltenen Resultate im Wesentlichen mit den Beobachtungen und Ansichten von
                              Gauhe, Hallwachs und Bolley
                              Schweizerische polytechnische Zeitschrift, 1864 S. 164. übereinstimmen. Es sey nur bemerkt, daß ich mit den Proben von Fehling-Müller und H. Fleck stets leidlich übereinstimmende und technisch brauchbare Zahlen
                              erhielt. Hammer's Probe ist äußerst sinnreich, es bedarf
                              jedoch noch eines gründlichen Studiums der physiologischen Gerbsäure, um die Probe
                              zur Ermittelung des Werthes der Gerbmaterialien anwenden zu können. Mittenzwey's Methode endlich ist nur in gewissen Fällen
                              anwendbar, da sehr viele organische Körper mit der Gerbsäure die Eigenschaft
                              theilen, in alkalischer Lösung Sauerstoff zu absorbiren. Der Umstand übrigens, daß
                              die Temperatur- und Luftdruckverhältnisse genau berücksichtigt werden müssen,
                              machen die Probe Mittenzwey's, so genial und so
                              beachtenswerth sie auch für die analytische Chemie ist, für den technischen Gebrauch
                              unbequem.
                           
                           Eine handliche Methode der Gerbstoffbestimmung, die vergleichbare und für die Technik
                              brauchbare Resultate liefert, gehörte immer noch zu den frommen Wünschen der
                              technischen Chemiker. Ist es mir nun auch nicht gelungen, die Lücke auszufüllen, so
                              hoffe ich doch mit nachstehender Mittheilung einen Beitrag zur Lösung der Frage
                              gegeben zu haben, welchen ich der Prüfung der Betheiligten anempfehle.
                           Der nahe liegende Gedanke, die Gerbsäuren, die häufig ohne weiteres der Classe der
                              Glycoside beigesellt werden, zu spalten und die Gerbsäurebestimmung einfach auf eine
                              saccharometrische Probe zurückzuführen, konnte nicht realisirt werden, da die
                              physiologischen Gerbsäuren unter den Verhältnissen, unter denen Tannin sich spaltet,
                              nicht zersetzt werden, ferner, falls auch eine Spaltung einträte, die Gleichung,
                              welche die Zersetzung ausdrückt, eine constante und glatte seyn müßte, wenn sie als
                              Basis einer Untersuchungsmethode dienen sollte.
                           Die Eigenschaft der Alkaloïde, mit der Gerbsäure schwerlösliche Verbindungen
                              zu bilden, eine Eigenschaft, die schon von O. Henry zur
                              Alkaloïmetrie in Vorschlag gebracht worden war, läßt sich mit Erfolg zur
                              Bestimmung der Gerbsäure in den Gerbmaterialien anwenden, wobei freilich nicht zu
                              übersehen ist, daß der Niederschlag in Wasser nicht unlöslich, sondern nur
                              schwerlöslich ist, daher die Flüssigkeit nicht zu sehr verdünnt seyn darf. Die
                              Alkaloïde fällen ferner neben der Gerbsäure auch einige als Säuren sich
                              verhaltende Farbstoffe (namentlich gelbe Pigmente, die Ruberythrinsäure der
                              Krappwurzel dagegen wird durch Alkaloïde nicht gefällt), so daß bei der
                              Werthbestimmung solcher Gerbmaterialien, die wie z.B. das Fisetholz und das Gelbholz
                              neben der Gerbsäure noch gelbe Pigmente enthalten, die Resultate etwas zu hoch
                              ausfallen. Bei den Gerberinden, dem Sumach und ähnlichen Materialien aber sind die
                              erhaltenen Zahlen zufriedenstellend.
                           Bei meinen Versuchen wählte ich als Alkaloïd aus naheliegenden Gründen das
                              Cinchonin; da die Base jedoch nicht verloren geht, so könnten ebenso gut auch
                              Chinin, Morphin, Strychnin etc. Anwendung finden. Das durch Umkrystallisiren
                              gereinigte neutrale schwefelsaure Cinchonin, wie es die Chininfabriken liefern, ist
                              von constanter Zusammensetzung; eine Beimengung von Cinchonidin ist in Folge der
                              Isomerie beider Basen unschädlich.
                           Es wurde von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Gerbsäuren des Sumachs und
                              ähnlicher Gerbematerialien sich analog der Gerbsäure der Eichenrinde verhalten und
                              mit dem Cinchonin zu Verbindungen zusammentreten, analog der oben erwähnten
                              Verbindung 2(C²⁸H¹⁶O¹⁶) +
                              (C⁴⁰H²⁴N²O²)
                           
                           Zuerst hatte ich die Absicht, die Gerbsäure aus der Abkochung des Gerbematerials
                              durch überschüssiges Cinchonin zu fällen und den Ueberschuß des Cinchonins im
                              Filtrat auf jodometrischem Wege nach der von mir im Jahre 1862 vorgeschlagenen
                              ProbeZeitschrift für analytische Chemie, 1862 S. 102. zu bestimmen. Schwierigkeiten in der Ausführung und Mangel an
                              Uebereinstimmung in den Resultaten veranlaßten mich jedoch, vorläufig von weiteren
                              Versuchen in der angedeuteten Richtung abzusehen. Ein anderer Weg, der von mir mit
                              Erfolg betreten wurde und welcher die Gerbstoffbestimmung in gewisser Hinsicht zu
                              einer colorimetrischen machte, war der, daß mit einer titrirten Lösung von
                              schwefelsaurem Cinchonin die Gerbsäure ausgefällt und als Indicator für die
                              Beendigung der Probe zur Cinchoninlösung eine höchst geringe Menge von essigsaurem
                              Rosanilin gesetzt wurde.
                           Die neutralen Rosanilinsalze werden durch Gerbsäure ebenfalls gefällt und wäre das
                              Rosanilin nicht ein Collectivname für ein Gemenge von homologen Phenyl- und
                              Tolylverbindungen, sondern eine chemische Verbindung mit constantem Atomgewichte, so
                              würde man sicher auch das Rosanilin oder eine ähnliche von dem Anilin derivirende
                              Base zur Gerbstoffbestimmung verwenden können. In Combination mit Cinchoninlösung
                              ist dagegen das Anilinroth ein vortreffliches Mittel, die Gerbsäure zu fällen, da
                              die Beendigung der Probe durch die röthliche Färbung der über dem Niederschlag
                              stehenden Flüssigkeit angezeigt wird.
                           Die zu den Gerbstoffbestimmungen dienende Cinchoninlösung wird auf die Weise
                              erhalten, daß man
                           4,523 Grm. neutrales schwefelsaures Cinchonin in Wasser bis zu 1 Liter löst und die
                              Lösung mit essigsaurem Rosanilin (0,08 bis 0,10 Grm.) roth färbt. 1 Kubikcentimeter
                              der Lösung entspricht 0,01 Grm. Gerbsäure, oder wenn man 1 Grm. Gerbematerial zum
                              Versuche anwendet, 1 Proc. Es ist vortheilhaft, die Lösung mit etwa 0,5 Grm.
                              Schwefelsäure anzusäuern, da hierdurch die Unlöslichkeit des Niederschlages erhöht
                              und dessen Absitzen befördert wird.
                           Bei allen unten angeführten Gerbstoffbestimmungen wurden 10 Grm. der
                              gerbstoffhaltigen Substanz durch Auskochen mit destillirtem Wasser erschöpft und die
                              Abkochungen nach dem Filtriren auf 500 K. C. gebracht. 50 K. C. davon (1 Grm.
                              Gerbematerial entsprechend) wurden mit der Cinchoninlösung gefällt, bis die über dem
                              flockigen Niederschlage stehende Flüssigkeit nicht mehr trüb war, sondern eine
                              schwach röthliche Färbung die Ausfällung der Gerbsäure anzeigte. Bei einiger Uebung
                              ist es übrigens
                              leicht, sofort aus der Beschaffenheit des Niederschlages und der Leichtigkeit, mit
                              welcher er aus der Flüssigkeit sich absetzt, Schlüsse auf das Stadium der Probe zu
                              ziehen, da der Niederschlag um so eher sich zusammenballt und die darüber stehende
                              Flüssigkeit um so klarer erscheint, je näher der Punkt kommt, bei welchem alle
                              Gerbsäure gefällt ist.
                           Bei vergleichenden Proben zweier Sorten eines und desselben Gerbmaterials ist es oft
                              genügend, wenn ohne Bürette, sondern nur mit der Pipette gearbeitet wird, und man 50
                              K. C. der Abkochung mit z.B. 15 K. C. der Cinchoninlösung und 50 K. C. derselben
                              Abkochung mit 10 K. C. der Cinchoninlösung versetzt. Sollten 15 K. C.
                              Cinchoninlösung zu viel und 10 K. C. zu wenig seyn, so läßt sich durch
                              Zusammengießen der beiden Flüssigkeiten (wo in dem gegebenen Falle auf 1 Grm.
                              Gerbematerial 12,5 K. C. Cinchoninlösung kommen), ein Resultat erzielen, wodurch man
                              z.B. erfahren würde, ob der Gerbstoffgehalt mehr als 12,5 Proc. oder weniger, in
                              jedem Falle aber mehr als 10 Procent und weniger als 15 Proc. beträgt. Weitere
                              Nutzanwendungen dieser Modification ergeben sich von selbst.
                           Nach vorstehender Methode untersucht, ergaben die Gerbematerialien folgende
                              Gerbstoffgehalte:
                           
                              
                                 Eichenspiegelborke
                                 10,80
                                 Proc.
                                 
                              
                                 Gewöhnliche Eichenrinde
                                 6,25
                                 „
                                 
                              
                                 Fichtenrinde
                                 7,33
                                 „
                                 
                              
                                 Buchenrinde
                                 2,00
                                 „
                                 
                              
                                 Sumach (I. Sorte)
                                 16,50
                                 „
                                 
                              
                                 Sumach (II. Sorte)
                                 13,00
                                 „
                                 
                              
                                 Valonia (I. Sorte)
                                 26,75
                                 „
                                 
                              
                                 Valonia (II. Sorte)
                                 19,00
                                 „
                                 
                              
                                 Dividivi
                                 19,00
                                 „
                                 
                              
                                 Bablah
                                 14,50
                                 „
                                 
                              
                                 Entölte Weinkerne
                                 6,50
                                 „
                                 
                              
                                 Hopfen (Ernte 1865)
                                 4,25
                                 „
                                 
                              
                           Die Niederschläge, aus gerbsaurem Cinchonin (nebst etwas gerbsaurem Rosanilin)
                              bestehend, werden gesammelt und von Zeit zu Zeit verarbeitet, indem man dieselben
                              mit überschüssigem Bleizucker und Wasser kocht, bis die röthliche Farbe der
                              Niederschläge in eine braune übergegangen und alles Cinchonin in Lösung getreten
                              ist. Aus der noch siedendheiß filtrirten Flüssigkeit wird der Ueberschuß des Bleies
                              durch überschüssige Schwefelsäure abgeschieden und die vom Bleisulfat getrennte
                              röthlich gefärbte Cinchoninlösung durch Eindampfen (erforderlichen Falles unter Zusatz von
                              Schwefelsäure) etc. etc. in neutrales schwefelsaures Cinchonin übergeführt.
                           Da Cinchonin durch verdünntes Chamäleon nicht angegriffen, die Gerbsäure durch
                              letztere aber sofort zerstört wird, so kann die Regenerirung der Niederschläge auch
                              durch übermangansaures Kali geschehen.
                           Würzburg, den 31. März 1866.