| Titel: | Ueber den Ersatz des Urins beim Waschen der Wolle; von A. L. Trenn. | 
| Autor: | A. L. Trenn | 
| Fundstelle: | Band 183, Jahrgang 1867, Nr. CXXIVCXXV., S. 479 | 
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                        CXXIVCXXV.
                        Ueber den Ersatz des Urins beim Waschen der
                           Wolle; von A. L.
                              Trenn.
                        Trenn, über den Ersatz des Urins beim Waschen der
                           Wolle.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich ist man bisher der Meinung gewesen, daß der gefaulte Urin ein ganz
                              unersetzliches Material Zum Waschen der rohen Wolle sey, und zwar zum großen
                              Leidwesen unserer Tuchfabrikanten, namentlich derjenigen in den vielen kleineren
                              Städten, in denen die Tuchfabriken an Zahl und an Ausdehnung in größerem
                              Verhältnisse gewachsen sind als die Kopfzahl der Einwohner. Denn wo einmal eine
                              Waare, und sey es auch die genannte, in größeren Mengen begehrt als producirt wird,
                              da erlangt sie einen Preis; und wo solch eine Waare erst bezahlt werden muß, da wird
                              sie in der einfachsten Weise von der Welt, durch Zupumpen von Wasser verfälscht; das
                              muß sich der Fabrikant ruhig gefallen lassen, denn er kann unmöglich jede Kanne
                              einer Untersuchung unterwerfen, ehe er sie bezahlt. So klagte mir denn vor etwa zwei
                              Jahren der Besitzer einer unserer größten preußischen Tuchfabriken sein betreffendes
                              Leid, mit dem Bedauern daß unsere Chemiker noch immer kein brauchbares Surrogat für
                              den gefaulten Urin gefunden hätten. Ich meinte, einen Ersatz für den Urin gebe es
                              wohl, denn meiner Ueberzeugung nach sey der einzig wirksame Bestandtheil des Urins
                              bei der Wollwäsche sein Gehalt an kohlensaurem Ammoniak, eine wässrige Lösung des
                              letzteren Salzes müsse daher wohl den Urin vollständig ersetzen, die Frage sey nur
                              der Kostenpunkt; es sey wirklich fraglich, ob man ein Salz, das per Centner über 20 Thlr. koste, werde verwenden können.
                              Ungeachtet des letzteren Bedenkens wurden aber in gedachter Fabrik Versuche
                              angestellt und systematisch durchgeführt, und die Erfolge übertrafen bei weitem die
                              gehegten Erwartungen. Man erzielte eine so schöne Wäsche, wie sie mit Urin nicht
                              regelmäßig hatte erreicht werden können, und es stellte sich heraus, daß zum Waschen
                              von 100 Ctr. Wolle nicht mehr als 1 Ctr. kohlensaures Ammoniak erforderlich ist, daß
                              sich also die Kosten des Salzes per Ctr. Wolle auf nicht
                              mehr als 6 Sgr. belaufen, somit auf nicht mehr, als was die Beschaffung eines
                              Aequivalentes Urin in den meisten Fabrikstädten kostet.
                           Bei der Anwendung ist die Hauptsache die, daß das Salz in sehr stark verdünnter
                              Lösung gebraucht werde; es darf das Waschwasser nicht mehr als 1/2 Proc.
                              kohlensaures Ammoniak enthalten, ein größerer Gehalt vermindert die Wirkung oder
                              reducirt sie sogar auf Null. Dieß kommt daher, daß das kohlensaure Ammoniak mit den aus der Wolle
                              zu entfernenden Fettheilen keineswegs chemische Verbindungen eingeht, sondern nur
                              eine Emulsion mit denselben bildet; es adhäriren die einzelnen Molecüle der Fette an
                              den einzelnen Molecülen des Ammoniaksalzes, sie hängen sich an diese, und darum muh
                              um letztere herum Raum genug seyn. Wenn nun in einer Wassermenge von 200 Pfunden die
                              einzelnen Molecüle eines Pfundes kohlensauren Ammoniaks gleichmäßig vertheilt sind,
                              so ist die lineare Entfernung der Molecüle von einander gleich der Kubikwurzel aus
                              200, also gleich 5,8 multiplicirt mit dem uns unbekannten Durchmesser der Molecüle;
                              gibt man aber schon auf 50 Pfd. Wasser 1 Pfd. kohlensaures Ammoniak, so ist die
                              Entfernung der Molecüle nur gleich der Kubikwurzel aus 50, also gleich 3,6
                              multiplicirt mit dem Durchmesser der Molecüle. Letztere Entfernung ist nun
                              erfahrungsmäßig für den vorliegenden Zweck eine zu kleine; es adhäriren zwar die
                              Molecüle der beiden Stoffe aneinander, sie können sich aber aus der Wolle nicht
                              herausheben, die Wolle wird schmierig! – Ich weiß sehr wohl, daß ich mit
                              meinem gutgemeinten Rath derzeit nichts Neues gegeben habe, wenigstens habe ich
                              später gehört, daß sowohl hier als an anderen Orten vor mehreren Jahren schon
                              Versuche gemacht worden sind, mit kohlensaurem Ammoniak Wolle zu waschen, welche
                              jedoch damals zu keinen günstigen Erfolgen geführt haben. Wenn also hier ein
                              Verdienst vorliegt, so besteht es in dem Auffinden des richtigen Verhältnisses, in
                              welchem das kohlensaure Ammoniak dem Waschwasser zugesetzt werden muß; dieses
                              Verdienst aber gebührt der gedachten Fabrik, der Tuchfabrik des Herrn
                              Commerzienraths Jer. Sigm. Förster in Grüneberg.
                           Die Verwendung von kohlensaurem Ammoniak zu dem gedachten Zweck ist bereits eine
                              bedeutende, hoffentlich wird sie eine allgemeine werden; den größten Werth der
                              allgemeinen Einführung des Verfahrens aber sehe ich darin, daß die vielen tausend
                              Arbeiter, welche in unseren zahlreichen Tuchfabriken Beschäftigung finden, von der
                              Nothwendigkeit werden erlöst werden, Jahr aus Jahr ein einen Stoff zu handhaben, der
                              den Menschen anwidert, wie kaum ein zweiter.