| Titel: | Ueber die Beständigkeit der Schießbaumwolle; von Fr. A. Abel. | 
| Fundstelle: | Band 185, Jahrgang 1867, Nr. XLV., S. 157 | 
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                        XLV.
                        Ueber die Beständigkeit der Schießbaumwolle; von
                           Fr. A.
                              Abel.
                        Aus der Chemical News, vol. XV p. 203; April
                              1867.
                        Abel, über die Beständigkeit der Schießbaumwolle.
                        
                     
                        
                           In meiner früheren Mittheilung über die Schießbaumwolle habe ich nachgewiesen, daß
                              Modificationen in dem Verfahren zur Darstellung und Reinigung dieses Präparates,
                              welche auf den ersten Blick als unwesentlicher Art erscheinen, einen sehr
                              bedeutenden Einfluß auf die Zusammensetzung und die Reinheit des Productes
                              ausüben.
                           In den letztverflossenen vier Jahren sind in Woolwich sehr zahlreiche und ausgedehnte
                              Versuche und Beobachtungen sowohl mit kleinen als mit großen Quantitäten von
                              Schießbaumwolle angestellt worden, um die Bedingungen, unter welchen die Stabilität
                              dieser Substanz durch Einwirkung von Licht und Wärme beeinträchtigt wird,
                              vollständig zu ergründen, und zu ermitteln ob die neuerlich in Frankreich erhaltenen
                              Resultate auch für die in England fabricirte Schießbaumwolle Gültigkeit haben.
                           Durch die bei diesen Untersuchungen erzielten Ergebnisse wurden folgende Hauptpunkte
                              festgestellt:
                           1) Schießbaumwolle, welche aus gehörig gereinigter Baumwolle nach der Vorschrift von
                              General v. Lenk dargestellt worden, kann dem zerstreuten Lichte sowohl bei freiem Luftzutritte, als
                              auch in verschlossenen Gefäßen sehr lange Zeit ausgesetzt werden, ohne eine
                              Veränderung zu erleiden. Unter diesen Verhältnissen drei und ein halbes Jahr
                              aufbewahrte Schießbaumwolle hat sich vollkommen conservirt.
                           Wird das Lenk'sche Präparat bei gewöhnlichen
                              Trockenheitsverhältnissen längere Zeit hindurch der Einwirkung von starkem Tages- und Sonnenlichte ausgesetzt, so
                              geht in demselben sehr allmählich eine Veränderung vor sich, und die über die sehr
                              rasche Zersetzung der dem Einflüsse der Sonnenstrahlen ausgesetzten Schießbaumwolle
                              veröffentlichten Berichte können daher für die fast reine Trinitrocellulose, welche
                              bei strenger Befolgung des jetzt in England eingeführten Fabricationssystems
                              erhalten wird, keine Gültigkeit haben.
                           3) Wird nasse oder feuchte
                              Schießbaumwolle in verschlossenen Gefäßen längere Zeit hindurch der Einwirkung von
                              intensivem Tages- oder Sonnenlichte ausgesetzt, so wird sie dadurch etwas stärker angegriffen;
                              allein selbst unter diesen Umständen ist die durch eine mehrere Monate dauernde
                              Belichtung hervorgerufene Veränderung eine nur sehr unbedeutende.
                           
                           4) Schießbaumwolle, welche der Einwirkung des Sonnenlichtes ausgesetzt wird bis sie schwachsaure
                                 Reaction zeigt, und hernach in festverschlossene Gefäße verpackt wird,
                              erleidet dann bei längerer Aufbewahrung keine weitere Veränderung (bei dem
                              bezüglichen Versuche war das eine saure Reaction zeigende Präparat noch drei und ein halbes Jahr lang aufbewahrt worden).
                           5) An der nach dem erwähnten Verfahren dargestellten und gereinigten Schießbaumwolle
                              treten, wenn das Präparat unter gewöhnlichen Trockenheitsverhältnissen aufbewahrt
                              wird, außer einem schwachen, kurz nach ihrer Verpackung bemerkbaren, eigenthümlichen
                              Geruche, und der allmählich sich zeigenden Eigenschaft, ein mit ihr zusammen
                              verpacktes Lackmuspapier roth zu färben, weitere Zeichen von Veränderung oder
                              Zersetzung nicht auf.
                           6) Durch die längere Einwirkung von Temperaturgraden, welche bedeutend höher sind als
                              die in tropischen Klimaten herrschende Wärme, wird die Stabilität (Haltbarkeit)
                              einer Schießbaumwolle von derjenigen Durchschnittsqualität, welche durch strenge
                              Befolgung der v. Lenk'schen Vorschriften erhalten wird,
                              nur in unbedeutendem Grade beeinflußt (im Widerspruche mit den neuerlich auf dem
                              Continente veröffentlichten Resultaten bezüglich des Einflusses der Wärme auf
                              Schießbaumwolle), und diese Wirkung läßt sich durch Mittel sehr einfacher Art,
                              welche die wesentlichen Eigenschaften des Materials in keiner Weise beeinträchtigen,
                              so vollständig Paralysiren, daß die Magazinirung und der Transport der
                              Schießbaumwolle mit keiner größeren und unter manchen Umständen selbst mit noch weit
                              geringerer Gefahr von Unfällen verbunden ist als die Aufbewahrung und der Transport
                              von Schießpulver.
                           7) Ganz reine Schießbaumwolle (Trinitrocellulose)
                              widersteht den zersetzenden Einflüssen einer längeren Einwirkung höherer, selbst
                              beinahe + 100° C. erreichenden Temperaturen in merkwürdigem Grade. Die
                              niedrigeren Nitrirungsstufen der Cellulose (lösliche Schießbaumwolle,
                              Collodiumwolle) zeigen, wenn sie rein sind, ebenfalls keine größere Neigung sich zu
                              verändern (zersetzen). Demnach bedingt eine unvollständige Umwandlung der Baumwolle
                              in die explodirbarsten Producte keineswegs als nothwendiges Resultat die Entstehung
                              einer Verbindung, welche geringere Haltbarkeit besitzt als das durch die
                              vollkommenste Einwirkung des Säuregemisches auf Baumwolle erzeugte Präparat.
                           8) Die gewöhnlichen Schießbaumwollsorten enthalten aber sämmtlich kleine Mengen organischer (nitrirter) Unreinigkeiten von
                              verhältnismäßig sehr geringer Stabilität, welche in Folge der Einwirkung der
                              Salpetersäure auf die in der rohen Baumwollfaser zurückgebliebenen fremden
                              Substanzen entstanden und durch den gewöhnlichen, oder selbst durch einen sorgfältiger
                              ausgeführten Reinigungsproceß nicht vollständig beseitigt worden sind.
                           Die Gegenwart dieser Art von Verunreinigungen in der Schießbaumwolle gibt die nächste
                              Veranlassung zur Entwickelung von freier Säure, sobald das Präparat der Einwirkung
                              der Wärme ausgesetzt ist; diese Säure übt dann einen zerstörenden Einfluß auf die
                              Celluloseverbindungen aus und veranlaßt deren Zersetzung, welche durch Wärme sehr beschleunigt wird. Wenn die durch die
                              erwähnten fremdartigen Beimengungen entwickelte geringe Säuremenge bei ihrem
                              Auftreten sogleich neutralisirt wird, so vermag sie eine nachtheilige Einwirkung auf
                              die Schießbaumwolle nicht auszuüben und eine wesentliche Ursache der Zersetzung der
                              letzteren durch höhere Temperaturen wird dadurch entfernt. Dieß läßt sich ohne
                              Schwierigkeit bewerkstelligen, und zwar durch die gleichmäßige Vertheilung einer
                              geringen Menge eines Kohlensäuresalzes; zu diesem Zwecke ist eine Lösung von
                              kohlensaurem Natron am besten geeignet.Die durch längeres Eintauchen der Schießbaumwolle in fließendes Wasser oder
                                    durch Anwendung des von v. Lenk empfohlenen
                                    „Silicirungsprocesses“ vermittelte Ablagerung von
                                    kohlensaurem Kalk und kohlensaurer Magnesia auf die Faser übt auf dieselbe
                                    eine der oben erwähnten ähnliche schützende Wirkung aus, deren Dauer
                                    indessen sehr schwankend seyn muß, weil die Menge des in Folge dieser
                                    Behandlung von einer größeren Schießbaumwollmasse aufgenommenen
                                    Kohlensäuresalzes offenbar verschieden groß ist; überdieß nimmt auch diese
                                    Menge des gedachten Salzes, welches sich auf und zwischen die Fasern der
                                    Nitrocellulose nur locker abgelagert hat, bei jeder Manipulation, der das
                                    Präparat später unterworfen wird, immer mehr ab.
                              
                           9) Die Imprägnirung der fertigen Schießbaumwolle mit 1 Proc. kohlensaurem Natron
                              verleiht ihr die Fähigkeit, jeder eingreifenden Veränderung Widerstand zu leisten,
                              sogar wenn sie Temperaturgraden ausgesetzt wird, durch welche selbst vollkommen
                              reine Celluloseverbindungen einen gewissen Grad von Zersetzung erleiden würden. Jene
                              geringe Salzmenge schützt demnach die Schießbaumwolle gegen jede zerstörende Wirkung
                              der höchsten Temperaturen, denen dieß Präparat selbst unter ganz ausnahmsweisen
                              klimatischen Verhältnissen ausgesetzt seyn kann. Der einzige Einfluß, den dieser
                              Zusatz auf die explosiven Eigenschaften der Schießbaumwolle ausüben könnte, würde in
                              einer schwachen Vermehrung der bei ihrer Verbrennung sich entwickelnden,
                              unbedeutenden Rauchmenge und in einer geringen Verlangsamung des Explodirens
                              bestehen – Folgen, welche nicht als Beeinträchtigungen des sonstigen Werthes
                              des Materiales zu betrachten sind.
                           10) Wasser wirkt als vollkommenes Schutzmittel für
                              Schießbaumwolle (ausgenommen dann, wenn sie längere Zeit hindurch der Einwirkung des
                              intensiven Sonnenlichtes ausgesetzt wird) selbst bei sehr
                              
                              hohen Temperaturen. Eine mit Wasserdampf gesättigte
                              Atmosphäre ist hinreichend, um die Zersetzung der Schießbaumwolle bei hoher
                              Temperatur zu verhindern, und nasse oder feuchte Schießbaumwolle kann in
                              geschlossenen Räumen längere Zeit hindurch einer Hitze von + 100° C.
                              ausgesetzt werden, ohne daß sie eine Veränderung erleidet.
                           Wirkliches Eintauchen in Wasser ist zu einer vollkommen sicheren Aufbewahrung der
                              Schießbaumwolle nicht erforderlich; sobald sich dieselbe nur feucht anfühlt,
                              erleidet sie nicht die geringste Zersetzung, selbst wenn sie in großen Mengen dicht
                              verpackt wird. Auch die organischen Verunreinigungen, welche ohne Zweifel die
                              schwache Säureentwickelung veranlassen, die man bei der im trockenen Zustand dicht
                              verpackten Schießbaumwolle beobachtet, werden durch die Gegenwart von Wasser vor
                              Zersetzung geschützt; denn feuchte oder nasse, in diesem Zustande drei Jahre hindurch aufbewahrte Schießbaumwolle zeigte
                              bei der Untersuchung keine Spur von Säure. Wenn aus dem nassen Präparate durch den
                              Centrifugalapparat so viel Wasser, als es auf diese Weise möglich ist, entfernt
                              worden, so erhält man dasselbe in einem Zustande, in welchem es, obgleich es sich
                              nur feucht anfühlt, vollkommen unexplodirbar ist; das in ihm noch enthaltene Wasser
                              reicht zu seinem vollständigen Schutze, somit also zur Verhinderung jeder Gefahr
                              eines Unfalles, vollständig hin.
                           Demzufolge sollten alle Vorräthe von Schießbaumwolle in feuchtem Zustande aufbewahrt werden; unter gleichen Verhältnissen sollte
                              auch der Transport dieser Substanz nach entfernten
                              Plätzen stattfinden. Wird in dem Wasser, welches man zum Tränken der Schießbaumwolle
                              anwendet, um dieselbe unexplodirbar zu machen, eine angemessene Menge von
                              kohlensaurem Natron gelöst, so enthält das Präparat, wenn es zum Behufe seiner
                              Verwendung zu Patronen oder zu andern Zwecken getrocknet wird, das Schutzmittel,
                              wodurch in allen Klimaten seine gefahrlose Aufbewahrung und Benutzung im trockenen
                              Zustande gesichert wird.