| Titel: | Ueber die Werthbestimmung der im Handel vorkommenden Pikrinsäure; von John Casthelaz. | 
| Fundstelle: | Band 185, Jahrgang 1867, Nr. CXIV., S. 394 | 
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                        CXIV.
                        Ueber die Werthbestimmung der im Handel
                           vorkommenden Pikrinsäure; von John
                              Casthelaz.
                        Aus der Chemical News, vol. XV p. 140; März
                              1867.
                        Casthelaz, über Werthbestimmung der Pikrinsäure des
                           Handels.
                        
                     
                        
                           Im Handel kommt Pikrinsäure von verschiedener Form und
                              Qualität vor; man unterscheidet: krystallisirte
                              Pikrinsäure Nr. 1 und Nr. 2, in krystallinischen Massen; ferner Pikrinsäure in Teigform Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3.
                           Zur Vermeidung von Irrthümern würde es wohl vorzuziehen seyn, nur zwei Sorten von Pikrinsäure, und diese beiden in so
                              reinem Zustande, als dieß bei einer fabrikmäßigen Erzeugung nur immer möglich ist,
                              darzustellen, nämlich reine krystallisirte und reine pulverförmige Pikrinsäure.
                           Ich habe diese beiden Sorten als Typen angenommen und in meiner Fabrik eingeführt;
                              andere Fabrikanten werden dasselbe thun und bevor lange Zeit vergeht, dürften diese
                              zwei Sorten allein im Handel vorkommen.
                           
                           Sowohl dem Fabrikanten als dem Consumenten muß es erwünscht seyn, einen kleinen
                              Apparat zu besitzen, mittelst dessen er im Stande ist, binnen wenigen Minuten den
                              Grad der Reinheit einer beliebigen Pikrinsäure kennen
                              zu lernen. Zu diesem Zwecke habe ich die dazu erforderlichen Geräthschaften
                              (graduirte Röhren, Reibschale mit Pistill etc.), Reagentien, Typen oder
                              Normalsäureproben u.s.f. in einem Etui zusammengestellt und dieses bildet mein Pikrinometer.
                           Reine Pikrinsäure. – Die Pikrinsäure gehört zu den
                              wichtigsten Abkömmlingen der Phenylsäure; ihr wissenschaftlicher Name Trinitrophenylsäure (Nitrophenissäure von Laurent) bezeichnet gleichzeitig ihre Entstehung und ihre
                              Zusammensetzung.
                           Der durch die Reaction von 3 Aequivalenten Salpetersäure auf 1 Aequivalent
                              Phenylsäure entstandenen Pikrinsäure kommt die Formel zu.
                           Sie besitzt, wie schon ihr Name angibt, einen fast unerträglich bittern Geschmack;
                              sie löst sich in heißem Wasser leichter oder reichlicher als in kaltem, und
                              krystallisirt in Blättchen oder kleinen rhomboidalen Prismen von schön hellgelber
                              Farbe. Beim Erhitzen schmilzt sie theilweise und sublimirt sich unverändert; bei
                              Luftzutritt vorsichtig erhitzt, entzündet sie sich ohne Detonation und verbrennt mit
                              Hinterlassung eines kohligen Rückstandes; bei rascherem Erhitzen detonirt sie.
                              Schwefelsäure, Salpeter- und Chlorwasserstoffsäure zeigen keine Wirkung auf
                              sie.
                           Die Pikrinsäure verbindet sich mit Basen zu gelbgefärbten, mehr oder weniger
                              löslichen Salzen; auf mehrere derselben werden wir bei der Erörterung unserer
                              Pikrinsäureprobe (auf nassem Wege) zurückkommen.
                           In Alkohol, Aether und Benzol ist die Pikrinsäure leicht löslich, und auf diese
                              Löslichkeit in Aether und Benzol ist die mittelst des Pikrinometers auszuführende
                              Pikrinsäureprobe gegründet.
                           Verunreinigungen der Pikrinsäure. – Die
                              Verunreinigungen der käuflichen Pikrinsäure sind von zweierlei Art: zufällige oder
                              absichtlich zugesetzte. Die ersteren rühren von Unvollkommenheiten des
                              Darstellungsprocesses her; die zweiten sind als Verfälschungen anzusehen.
                           
                        
                           a. Zufällige
                                 fremdartige Beimengungen.
                           Diese können von den zur Darstellung des Präparates verwendeten Rohstoffen, von
                              unvollständig erfolgten Reactionen oder anderen, im Nachstehenden näher erörterten
                              Umständen bedingt werden.
                           1) Wenn unreine, neutrale Oele enthaltende Phenylsäure angewendet wurde, so enthält
                              die aus letzterer dargestellte Pikrinsäure fremde, durch ihre Unlöslichkeit in Wasser erkennbare Nitroverbindungen.
                           
                           2) Wenn die Reaction der Salpetersäure auf die Phenylsäure nicht vollständig
                              stattgefunden hat, so kann die erhaltene Phenylsäure gleichfalls von in Wasser
                              unlöslichen Producten begleitet seyn, und sie kann auch Nitrophenylsäure und Binitrophenylsäure
                              enthalten, welche eine weniger klare und lebhafte Färbung ihrer Lösung bedingen, als
                              reine Pikrinsäure zeigt.
                           3) Wenn teigförmige Pikrinsäure nicht vollständig ausgewaschen oder nicht vollkommen
                              getrocknet ist, so kann sie Wasser und Salpetrigsäure enthalten.
                           4) Wenn die Reaction der Salpetersäure auf die Phenylsäure oder gewisse, diese
                              letztere begleitende Oele einen zu raschen Verlauf nahm oder durch hohe Temperatur
                              zu weit getrieben ward, so kann die erhaltene Pikrinsäure Oxalsäure enthalten. Dieser Fall kommt jedoch selten vor. Die in
                              krystallisirter Pikrinsäure zuweilen sich findende Oxalsäure kann auch eine
                              absichtlich zugesetzte Verunreinigung, also eine Verfälschung seyn.
                           Die in der käuflichen Pikrinsäure enthaltenen Spuren von Schwefelsäure und Chlorwasserstoffsäure lassen
                              sich durch Auswaschen (mit kaltem Wasser) entfernen und verdienen eine besondere
                              Beachtung nicht.
                           
                        
                           b. Absichtlich zugesetzte Verunreinigungen.
                           Wenn in einer aus Salpetersäure und Phenol (Phenylsäure) dargestellten Pikrinsäure
                              größere Mengen von schwefelsaurem Natron, salpetersaurem
                                 Natron, Chlornatrium, Alaun etc. aufgefunden werden, so ist es nicht sehr
                              wahrscheinlich, daß diese Beimengungen von der Fabrication selbst herrühren, es ist
                              vielmehr anzunehmen, daß dieselben absichtlich zugesetzt sind.
                           Principien, auf denen die Pikrinometerprobe beruht (Probe mit
                                 Aether). – Da reine Pikrinsäure in Aether- und Benzol sich
                              leicht löst, die genannten Verunreinigungen in beiden Lösungsmitteln aber nur wenig
                              oder gar nicht löslich sind, so ergibt sich aus diesem Verhalten eine einfache,
                              rasch und leicht auszuführende Methode zu ihrer Erkennung und Abscheidung. Behandelt
                              man Pikrinsäure mit dem Zwanzigfachen ihrer Gewichtsmenge von rectificirtem Aether,
                              oder mit überschüssigem Benzol, so wird die Pikrinsäure gelöst, während die
                              fremdartigen Beimengungen, wie Oxalsäure, Alaun, die vorhin genannten Natronsalze
                              etc. zurückbleiben.
                           Der zu dieser Untersuchung dienende Apparat besteht aus einer graduirten Glasröhre,
                              deren unterer geschlossener Theil verengt ist. Der oberhalb dieser Verengerung
                              befindliche Theil der Röhre ist in vier Theile getheilt, von denen ein jeder einen Raum einnimmt, welcher
                              genau 5 Grm. – im Ganzen also 20 Grm. – Aether aufzunehmen vermag. An
                              ihrem oberen Ende wird diese Meßröhre mittelst eines Stopfens verschlossen, um das
                              Verdunsten des Lösungsmittels während der Ausführung der Probe zu verhüten. Das
                              Verfahren zum Probiren der Pikrinsäure mittelst Aether ist an sich ganz einfach. Man
                              zieht eine möglichst gleichmäßige Durchschnittsprobe des zu prüfenden Präparates,
                              mengt sie gehörig durcheinander, verwandelt sie in feines Pulver, wägt 1 Grm. von
                              derselben ab, bringt sie in das Pikrinometer, gießt dann Aether bis zum vierten
                              Theilungsstriche – oder auch eine vorher abgewogene Menge von 20 Grm.
                              – hinein, verschließt die Röhre und schüttelt kurze Zeit. Ist die Pikrinsäure
                              rein, so löst sich die Probe im Aether vollständig; ist sie verfälscht, so setzen
                              sich die ungelöst gebliebenen Beimengungen im unteren Theile der Röhre ab und lassen
                              sich ihrer Menge nach bei einiger Uebung leicht abschätzen.
                           Sollte eine größere Genauigkeit gewünscht werden, so muß man das Gewicht dieses
                              Rückstandes bestimmen; zu diesem Behufe wird derselbe mit 5 Grm. Aether ausgewaschen
                              und dieses Auswaschen dann noch einmal wiederholt, um die letzten Spuren von
                              Pikrinsäure zu entfernen. Die Beschaffenheit des Rückstandes läßt sich dann mittelst
                              des gewöhnlichen analytischen Verfahrens näher bestimmen.
                           Pikrinsäureprobe mit Benzol. – Depouilly, dem ich mein Probirverfahren mit Aether
                              mitgetheilt hatte, empfiehlt die Anwendung von Benzol zu diesem Zwecke für die
                              nachstehenden beiden Fälle:
                           1) wenn die Gegenwart von Wasser, von flüssigen Mineralsäuren (namentlich von Salpetersäure) oder von einem wasserhaltigen Salze in der zu prüfenden Pikrinsäure nachgewiesen werden
                              soll;
                           2) wenn die Menge der vorhandenen Oxalsäure genauer
                              bestimmt werden soll.
                           Die Oxalsäure wird zwar von Aether in geringer Menge
                              gelöst, ist aber in Benzol vollkommen unlöslich. Da auch die oben erwähnten Natronsalze und Alaun in
                              diesem Kohlenwasserstoff unlöslich sind, so bleiben dieselben wie bei der Behandlung
                              mit Aether, zurück. Das Benzol ist jedoch für Pikrinsäure ein weniger gutes
                              Lösungsmittel als Aether, daher man zur Erleichterung der Lösung gelinde erwärmen
                              muß. Unter diesen Umständen ist es zu empfehlen, nur einen halben Gramm von dem zu
                              prüfenden Präparate zur Untersuchung zu nehmen und das Pikrinometer zur
                              Beschleunigung der Lösung in warmes Wasser zu stellen.
                           Pikrinsäureprobe auf nassem Wege. – Die
                              Pikrinsäuresalze sind
                              zum größten Theile sehr leicht löslich; so namentlich das pikrinsaure Natron, der pikrinsaure Kalk
                              und Baryt, das pikrinsaure Eisenoxydul, das pikrinsaure
                              Quecksilberoxyd und pikrinsaure Silberoxyd; am wenigsten löslich sind pikrinsaures Bleioxyd, pikrinsaures Quecksilberoxydul und
                              pikrinsaures Kali.
                           Der Unterschied in der Löslichkeit des pikrinsauren Kalis und
                                 des pikrinsauren Natrons bietet ein vortreffliches Mittel zur Unterscheidung der
                                 Kalisalze von Natronsalzen dar.
                           Wird die Lösung eines Kalisalzes mit einer Pikrinsäurelösung versetzt, so entsteht
                              sofort ein gelber Niederschlag von pikrinsaurem Kali.
                           EinePikrinsäurelösungPitrinsäurelösungläßt sich auf die Gegenwart von Schwefelsäure,
                                 Chlorwasserstoffsäure und Oxalsäure durch Zusatz
                              einer Lösung von pikrinsaurem Baryt, bezüglich pikrinsaurem
                                 Silberoxyd und pikrinsaurem Kalk leicht
                              prüfen.
                           Eine mittelst dieser Reagentien als rein befundene Pikrinsäure kann allerdings noch
                              Salpetersäuresalze enthalten; dieselben lassen sich
                              indessen durch das Pikrinometer, mittelst der Aetherprobe, und die darauf folgende
                              nähere Prüfung des vom Aether zurückgelassenen Rückstandes ohne Schwierigkeit
                              nachweisen.
                           Die in dieser Weise auf nassem Wege erhaltenen Resultate lassen sich zweckmäßig zum
                              Controliren der Angaben des Pikrinometers benutzen, und wenn diese
                              Untersuchungsmethoden in weiteren Kreisen eingeführt seyn werden, so wird die im
                              Handel vorkommende Pikrinsäure derartigen fremdartigen Beimengungen und
                              Verfälschungen nicht länger ausgesetzt seyn können.