| Titel: | Untersuchungen über den Chlorkalk; von J. Kolb, Director der chemischen Fabrik von Kühlmann und Comp in Amiens. | 
| Fundstelle: | Band 187, Jahrgang 1868, Nr. XIII., S. 55 | 
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                        XIII.
                        Untersuchungen über den Chlorkalk; von J. Kolb, Director der chemischen
                           Fabrik von Kühlmann und Comp
                           in Amiens.
                        Aus den Comptes rendus, t. LXV p. 530; September
                              1867.
                        Kolb, über den Chlorkalk.
                        
                     
                        
                           Hinsichtlich der chemischen Constitution der bleichenden Chlorverbindungen wurden
                              mehrere Theorien aufgestellt, welche größtentheils nur in Bezug auf die Art, wie man
                              die Elemente Chlor, Calcium und Sauerstoff gruppirt, von einander abweichen. So z.B.
                              ist der Chlorkalk betrachtet worden als Oxychlorid (CaO) Cl; als ein durch
                              Substitution  modificirtes Bioxyd  als Verbindung von
                              Wasserstoffsuperoxyd CaO, HO + Cl = CaCl + HO² endlich auch als die
                              Ozonverbindung CaO, Cl = CaCl + .
                           BalardPolytechn.
                                    Journal, 1835, Bd. LV S. 358. und Gay-LussacPolytechn. Journal, 1842, Bd. LXXXVI S. 105. sind durch ihre
                              schönen Arbeiten zur
                              Annahme der Formel 2 CaO, Cl = CaO, ClO für den Chlorkalk veranlaßt worden.
                           Alle diese Theorien stimmen in dem Punkte überein, daß die bleichenden
                              Chlorverbindungen in Berührung mit den schwächsten Säuren Chlor abgeben.
                           Ich will zunächst die analytischen Methoden kurz beschreiben, welche ich bei meinen
                              Untersuchungen befolgte.
                           Ist ein Chlorkalk rein und von jeder anderen Chlorverbindung frei, so läßt sich das
                              Chlor mittelst des Gay-Lussac'schen
                              chlorometrischen VerfahrensPolytechn. Journal, 1836, Bd. LX S. 128. sehr genau bestimmen. Man
                              kann das Chlor auch durch Silbersalze bestimmen, nachdem man den Chlorkalk durch
                              Ammoniak in Chlorcalcium verwandelt hat, entsprechend der Gleichung NH³ + 3
                              CaO, Cl = 3 CaCl + 3 HO + N.
                           Bei reinem Chlorkalk geben beide Methoden ganz übereinstimmende Resultate; enthält
                              der Chlorkalk aber Chlorcalcium beigemengt, d.h. enthält er unwirksames Chlor, so läßt sich letzteres durch das chlorometrische
                              Verfahren nicht, wohl aber durch Silberlösungen bestimmen. Die Differenz zwischen
                              den mittelst beider Methoden gefundenen Chlormengen entspricht dann dem Gehalte an
                              unwirksamen Chlor.
                           Der Gehalt an chlorsaurem Kalk läßt sich hier nach den gewöhnlichen Verfahrungsweisen
                              nicht bestimmen; ich habe aber in folgender von Fordos und Gelis
                              Polytechn. Journal, 1855, Bd. CXXXVIII S. 373. beobachteten
                              Reaction ein hierzu vortrefflich geeignetes Verfahren gefunden: „Durch Wasserstoff im Augenblicke des Freiwerdens wird die
                                    Chlorsäure zersetzt.“ Man braucht also nach Umwandlung des
                              Chlorkalks zu Chlorcalcium durch Ammoniak, nur die verdünnte Flüssigkeit mit Zink
                              und Schwefelsäure zu versetzen, um allen chlorsauren Kalk in Chlorcalcium zu
                              verwandeln und ihn in diesem Zustande bestimmen zu können.
                           Der reichhaltigste trockene Chlorkalk, welchen ich erhalten konnte, zeigt 123°
                              am Chlorometer und entspricht in seiner Zusammensetzung genau der Formel:
                           2 Cl, 3 (CaO, HO) = 2 (CaO, HO, Cl) + CaO, HO.
                           Hat sich diese Verbindung einmal gebildet, so kann man ihr weder das Wasser, noch das
                              Glied CaO, HO entziehen. Dieses letztere Glied versagt jede Absorption von
                              Chlor.
                           Bei gewöhnlicher Temperatur hat überschüssiges Chlor keine Wirkung auf den Chlorkalk;
                              demzufolge bildet ein Chlorüberschuß bei der Fabrication keine Ursache der
                              Umwandlung des Chlorkalks zu chlorsaurem Kalk.
                           
                           Trockener Chlorkalk wird durch Wasser gerade auf zersetzt:
                           
                              
                                 Aq + 2 Cl, 3 CaO, HO =
                                 CaO, HO (schlägt sich nieder)
                                 
                              
                                 +
                                 2 CaO, Cl (löst sich auf)
                                 
                              
                                 +
                                 Aq.
                                 
                              
                           Die wirkliche Constitution des flüssigen Chlorkalks hat Balard ganz richtig als die folgende angegeben: 2 CaO, Cl + CaO, ClO +
                              CaCl.
                           Denn haben wir reinen Chlorkalk, so erhalten wir durch Untersuchung seiner verdünnten
                              Lösung bei Anwendung beider oben angegebener analytischer Verfahren vollkommen
                              übereinstimmende Resultate. Ist der Chlorkalk bloß eine Verbindung von Kalk und
                              Chlor (CaO) Cl, und nimmt man anstatt einer verdünnten eine gesättigte Lösung, so
                              muß diese Uebereinstimmung stets stattfinden. Ist dagegen der Chlorkalk ein Gemenge
                              von unterchlorigsaurem Kalk und Chlorcalcium, so muß sich das Wasser mit jeder
                              dieser beiden Bestandtheile für sich sättigen, und da beide einen verschiedenen Grad
                              von Löslichkeit besitzen, so müssen die durch jede der beiden Methoden der Analyse
                              aufgefundenen Chlormengen von einander abweichen. Dieß ist auch wirklich der Fall;
                              die gesättigte Flüssigkeit enthält einen bedeutenden Ueberschuß von
                              Chlorcalcium.
                           Wenn die Zusammensetzung des flüssigen Chlorkalks durch
                              die Formel CaO, ClO + CaCl ausgedrückt werden muß, so darf man daraus nicht sogleich
                              folgern, daß dieß bezüglich des trockenen Chlorkalks
                              gleichfalls gilt. Es ist sehr möglich, daß letzterer eine Verbindung von Kalk und
                              Chlor ist, welche sich erst in Berührung mit Wasser spaltet. Dieser Vorgang hat in
                              der Chemie viele seines Gleichen und wir werden später sehen, daß die so
                              verschiedene Einwirkung der Kohlensäure auf den trockenen und auf den flüssigen
                              Chlorkalk diese letztere Annahme zu bestätigen scheint.
                           Das Chlor hat, wie bereits bemerkt, auf trockenen Chlorkalk bei gewöhnlicher
                              Temperatur keine Einwirkung; anders aber verhält es sich mit dem flüssigen
                              Chlorkalke. Bei diesem findet nachstehende Reaction statt:
                           (CaO, ClO + CaCl) + 2 Cl = 2 CaCl + 2 ClO.
                           Die frei gewordene Unterchlorigsäure bleibt in der Flüssigkeit gelöst zurück.
                           Durch Einwirkung der Wärme wird der trockene Chlorkalk in Chlorsäuresalz umgewandelt,
                              entsprechend der bekannten Gleichung:
                           6 CaO, Cl = 5 CaCl + CaO, ClO⁵.
                           Diese Reaction erfordert nicht nur Wärme zu ihrem Zustandekommen, sondern in ihrem
                              Gefolge entwickelt sich auch Wärme und daraus wird erklärlich, weßhalb sich die
                              Umwandlung von einem Molecül zum anderen durch die ganze Masse des Chlorkalks hindurch
                              fortpflanzt.
                           Der trockene Chlorkalk wird bei seiner Umwandlung zu Chlorsäuresalz teigartig; er
                              gibt Wasser ab, wahrscheinlich entsprechend der Gleichung:
                           6 CaO, HO, Cl = CaO, ClO⁵ + 5 CaCl, HO + HO.
                           Der flüssige Chlorkalk wird durch die Wärme weit weniger leicht zersetzt; oft kann
                              man ihn mehrere Stunden lang kochen, ohne daß er sich verändert.
                           Die Belichtung durch die Sonnenstrahlen ist von nur geringer Einwirkung auf trockenen
                              Chlorkalk; der flüssige hingegen wird in chlorigsauren Kalk umgeändert,
                              wahrscheinlich dem Ausdrucke entsprechend:
                           2(CaO, ClO + CaCl) = CaO, ClO³ + 3 CaCl.
                           Demnach ist es möglich, daß die Belichtung beim Bleichen der Gewebe auf letztere eine
                              ganz besondere Einwirkung ausübt.
                           Der allgemeinen Annahme nach wirken selbst die schwächsten Säuren so auf den
                              Chlorkalk, daß sie Chlor daraus frei machen.
                           Haben wir also 2 CO² + CaO, ClO + CaCl, so wird nach dieser Annahme:
                           CO² + CaO, ClO = ClO + CaO, CO²
                           CO² + CaCl + ClO + CaO, CO² = 2 CaO, CO² + 2
                              Cl.
                           Mit dieser Erklärung wird die Stabilität des Chlorcalciums vollständig preisgegeben
                              und angenommen, daß dasselbe durch ClO zersetzt wird zu CaO und Cl.
                           Um das Irrige dieser Hypothese zu zeigen, braucht man nur nachzuweisen, daß CaCl und
                              ClO neben einander bestehen können, ohne auf einander zu reagiren.
                           Einen ersten Beweis hierfür liefert das Verfahren von Williamson zur Darstellung von ClO, welches auf die nachstehende Gleichung
                              basirt ist:
                           CaO, CO² + 2 Cl + Aq = CO² + CaCl + ClO + Aq.
                           Die von mir beobachtete Reaction zwischen flüssigem Chlorkalk und Chlor liefert dafür
                              einen zweiten Beweis:
                           CaO, ClO + CaCl + 2 Cl + Aq = 2 CaCl + 2 ClO + Aq.
                           Die Einwirkung der Säuren auf Chlorkalk habe ich eingehend
                              studirt; ich fasse die Resultate meiner Untersuchungen in folgenden Sätzen
                              zusammen:
                           1) alle Säuren verdrängen im flüssigen Chlortalke die Unterchlorigsäure;
                           2) damit hört ihre Wirkung auf, wenn nicht die frei gewordene Unterchlorigsäure mit
                              Chlorwasserstoffsäure oder einer oxydirbaren Säure in Berührung kommt;
                           
                           3) trifft die frei gewordene Unterchlorigsäure mit Chlorwasserstoffsäure oder einer
                              oxydirbaren Säure zusammen, so erfolgt Entwickelung von Chlor;
                           4) in keinem Falle übt die Unterchlorigsäure eine Wirkung auf das Chlorcalcium
                              aus.
                           Vollständig ausgetrocknete Kohlensäure und vollkommen
                              trockener Chlorkalk geben:
                           2 (CaO, Cl) + 2 CO² = 2 CaO, CO² + 2 Cl.
                           An freier, also mehr oder weniger feuchter Luft verhält sich aber der trockene
                              Chlorkalk wie der flüssige Chlorkalk und entwickelt nur Unterchlorigsäure:
                           (CaO, CO² + CaCl) + 2 CO² = CO² + CaCl +
                              CaO, CO² + ClO.
                           Die oxydirbaren Salze oxydiren sich auf Kosten des Chlorkalks, indem sie ihn zu
                              Chlorcalcium umwandeln. Zum Beispiel:
                           CaS + 2 (CaO, ClO + CaCl) = CaO, SO³ + 4 CaCl.
                           Gespinnste und Gewebe können mit Chlorkalk in Folge einer analogen Reaction ohne
                              Beihülfe von Säure gebleicht werden. Der Chlorkalk oxydirt die harzige Substanz und
                              wandelt sich zu Chlorcalcium um. Die Operation gelingt in geschlossenen luftfreien
                              Gefäßen vollkommen, ohne daß irgend eine Gasentwickelung stattfindet.
                           In einer späteren Mittheilung werde ich die Resultate meiner Untersuchungen über die
                              Einwirkungen des für sich oder mit Säuren angewendeten Chlorkalks auf die Gespinnste
                              und Gewebe veröffentlichen.