| Titel: | Ueber das Martin'sche und Berard'sche Verfahren zur Fabrication von Bessemerstahl; von Vincent Day. | 
| Fundstelle: | Band 187, Jahrgang 1868, Nr. LI., S. 226 | 
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                        LI.
                        Ueber das Martin'sche und Berard'sche Verfahren zur Fabrication von
                           Bessemerstahl; von Vincent
                              Day.
                        Aus dem Practical Mechanic's Journal, November 1867, S.
                              235.
                        Day, über Martin's und Berard's Verfahren zur
                           Stahlfabrication.
                        
                     
                        
                           Der erste von den Processen, welche in neuester Zeit in Frankreich zur Ueberwindung
                              der mit dem Bessemern noch verbundenen Schwierigkeiten, namentlich zur Beseitigung
                              des Schwefels und Phosphors, in Aufnahme kamen, ist der von den HHrn. Emil und Peter
                              Martin angewendete. Nach diesem Verfahren wird eine
                              Roheisencharge in einem mit muldenförmiger Sohle versehenen Siemens'schen Ofen oder auch zunächst in einem Kupolofen eingeschmolzen
                              und hernach in den Siemens'-Ofen abgestochen; dann
                              unterwirft man das Roheisen ungefähr dreißig Minuten lang der Einwirkung einer hohen
                              Temperatur und setzt hierauf ein gewisses Quantum Stabeisen, Bruchstahl, altes
                              Schmiedeeisen, Eisenstein oder ein Gemenge von allen oder nur einigen dieser
                              Substanzen zu, nachdem dieselben vorher zum Rothglühen erhitzt worden sind, damit
                              der Ofen sich nicht zu stark abkühlt. Dieser Zusatz wird in Chargen von etwa 2
                              Centnern in Zwischenräumen gemacht, welche von der Dauer einer halben Stunde an bis
                              zu der von ungefähr sechs Stunden variiren; gegen Ende wird die Temperatur so hoch
                              getrieben, als der Ofen es gestattet.
                           Aus dieser kurzen Beschreibung ergibt sich, daß das Verfahren in theoretischer
                              Beziehung dem Bessemerprocesse entspricht; doch wird zur Umwandlung in Stahl ein
                              anderes System befolgt. Bessemer entkohlt zunächst das
                              Eisen vollständig und sehr rasch, und kohlt es dann wieder durch Zusatz der
                              hinreichenden Menge Spiegeleisen, um Stahl von der gewünschten Qualität zu erzeugen.
                              Ungeachtet aller Vorzüge jedoch, welche dem Bessemerverfahren eigen sind, ist es bis
                              jetzt noch nicht gelungen, bei demselben Schmiedeeisenabfälle in der Birne (dem
                              Umwandlungsgefäß) in entsprechender Menge verwenden zu können. Wenn wir in Erwägung
                              ziehen, daß unsere großen Eisenbahnlinien ihre alten gewalzten Eisenschienen durch
                              solche aus Bessemerstahl ersetzen; daß ferner unsere Maschinenbauer jetzt zu allen
                              wichtigeren Theilen der Maschinen Stahl anwenden und die aus Schmiedeeisen
                              angefertigten Theile älterer Maschinen durch solche aus Bessemerstahl bestehende
                              ersetzen, so können wir uns eine ungefähre Vorstellung machen, zu welcher mächtigen
                              Größe die Vorräthe an altem Schmiedeeisen sich rasch anhäufen werden, wenn nicht bald Mittel zur
                              Benutzung entsprechender Mengen dieses Materials in der Bessemer'schen Birne aufgefunden werden. Denn es ist für uns in der That
                              nöthig, mit den vorhandenen, aus Stabeisen angefertigten Stücken unmittelbar
                              Bessemermetall darstellen zu können, ohne dieses Stabeisen erst wieder in Gußeisen
                              verwandeln zu müssen.
                           Unseres Wissens sind der Charge in der Birne niemals über 30 Proc.
                              Schmiedeeisenabfälle zugesetzt worden, und selbst dieß war immer nur schwierig
                              auszuführen, und würde überhaupt gar nicht ausführbar gewesen seyn, wenn nicht die
                              Abfälle (oder alten Schienen) vorher erst zur Schweißhitze erhitzt worden wären. In
                              derartigen Fällen brachte man die weißglühenden alten Schienen in die Birne und
                              stach sofort die Roheisencharge (dunkelgraues, aus Hämatit erblasenes Roheisen) ab,
                              so daß sie auf die Schienen floß. Bei dem Martin'schen
                              Processe dagegen, welcher sich als ein langsam auszuführendes
                              Bessemer-Verfahren charakterisiren läßt, kann man nach Angabe der Erfinder
                              mit Leichtigkeit 66,6 Proc. alte Schienen zu 33,3 Proc. Roheisen hinzusetzen.
                           Aus dem Vorstehenden folgt, daß mittelst des Martin'schen
                              Verfahrens durch zweckmäßige Abänderung der Mengen des dem Roheisen zuzusetzenden
                              Schmiedeeisens ebenso mannichfaltige Metallsorten erzeugt werden können, als
                              mittelst des Bessemerprocesses. Die HHrn. Martin haben
                              auch wirklich dieselben Reihen von Stahlsorten mit verschiedenem Kohlenstoffgehalte
                              mittelst des von ihnen erfundenen Verfahrens erzeugt, ebenso auch Werkzeugstahl von
                              ausgezeichneter Qualität, ferner weichen Stahl (homogeneous
                                 metal) und die weichsten Sorten von entkohltem Eisen (hämmerbares Gußeisen,
                              fer fondu). Außerdem liefern sie ein
                              „gemischtes Metall,“ halb Gußeisen, halb Stahl, dem von Bessemer zu Hammer- und Amboßhahnen verwendeten
                              Producte entsprechend.
                           Um den Zeitpunkt, in welchem das im Ofen befindliche Metall die erforderliche
                              Beschaffenheit erlangt hat, richtig erfassen zu können, muß es von Zeit zu Zeit
                              einer sorgfältigen mechanischen Probe unterworfen werden, indem man kleine Mengen
                              desselben ausschöpft, in Zainformen gießt und die erhaltenen Zaine nach dem Erkalten
                              unter dem Hammer prüft.
                           Das Martin'sche Verfahren ist gegenwärtig außer auf dem
                              den Erfindern gehörenden Werke zu Sireuil, auch in Creusot, auf der Hütte der HHrn.
                              Verdiet zu Firmini im Loire-Departement, sowie
                              auf mehreren anderen Werken des Festlandes in Anwendung; die mittelst desselben
                              erzielten Resultate werden dort als sehr vortheilhaft betrachtet, sowohl in Bezug
                              auf Qualität des Stahles, als auf Wohlfeilheit des Processes.
                           
                           Wir müssen noch bemerken, daß ein von den Erfindern angestrebtes Ziel auch das war,
                              den Bessemerproceß durch vollständige Entfernung des Schwefels, Phosphors etc. noch
                              zu übertreffen; doch ist ihnen dieß vollständig mißlungen und sie werden das
                              erwähnte Ziel unserer Ansicht nach auch nicht erreichen, wenn sie nicht ähnliche
                              Mittel wie die beim Richardson'schen Puddelverfahren
                              angewendeten benutzen.
                           Das zweite Verfahren, über welches uns Mittheilungen zugegangen sind, ist der von Berard in Paris erfundene und von ihm zu Montataire
                              praktisch ausgeführte Proceß. Leider können wir kein günstiges Urtheil über dieses
                              Verfahren aussprechen; denn allem Anscheine nach ist dasselbe derzeit in Folge
                              seines ganzen Wesens mit ernstlichen praktischen Schwierigkeiten verknüpft, welche
                              sich wohl nur durch bedeutende Abänderungen in seiner Ausführung beseitigen lassen
                              werden. Dasselbe besteht in einem successiven Entkohlen und Wiederkohlen des
                              geschmolzenen Roheisens im Siemens'schen Ofen, was durch
                              eine Theilung des Schmelzraumes mittelst einer in der Mitte des letzteren aus
                              feuerfesten Steinen construirten Brücke bewerkstelligt wird. In Folge dieser
                              Einrichtung enthält der Ofen zwei gesonderte Chargen von flüssigem Metall und
                              gleichzeitig wird es durch dieselbe ermöglicht, die Flamme auf beide Enden des
                              Schmelzraumes abwechselnd, d. i. von rechts nach links und von links nach rechts
                              wirken zu lassen. Angenommmen, sie solle in der Richtung von rechts nach links
                              wirken, so muß sie offenbar zuerst über die in der zunächst gelegenen Abtheilung des
                              Schmelzraumes befindliche Charge hinstreichen, bevor sie die Brücke und dann die
                              Charge der zweiten Kammer ereicht. Wenn nun die Flamme über die ihr zunächst
                              befindliche Charge hinwegstreift, so enthält sie eine bedeutende Sauerstoffmenge,
                              deren Ueberschuß auf den Kohlenstoff und andere wegzuschaffende Beimengungen
                              einwirkt, so daß sie aus einer Oxydationsflamme zu einer Reductionsflamme
                              umgewandelt wird, dann in die zweite Kammer tritt, welche ein in der ersten Kammer
                              bereits in gewissem Grade gefeintes Roheisen enthält, und an dieses Eisen
                              Kohlenstoff abgibt. Die kohlende Wirkung der Flamme wird, bevor sie die zweite
                              Charge von flüssigem Metall erreicht, erforderlichen Falles dadurch verstärkt, daß
                              man Kohlenstoff in Form von lockeren Kohks oder Holzkohlen auf die Feuerbrücke
                              bringt; in diesem Falle streicht die Flamme zuerst über geschmolzenes, noch nicht
                              gefeintes Roheisen hinweg, kommt aber dann mit der entkohlten Metallmasse in
                              Berührung, gibt an dieselbe Kohlenstoff ab und wandelt sie zu Stahl um.
                           Gibt man der Flamme eine entgegengesetzte Richtung, so muß sie, wenn sie in ihrem
                              oxydirenden Zustande über den Theil des Metalles hinwegstreicht, welcher eben
                              zuvor gekohlt worden war, diesen letzteren wieder entkohlen, folglich an die in der
                              nebenan liegenden Kammer befindliche Charge wiederum Kohlenstoff abgeben. Mittelst
                              dieser abwechselnden Entkohlungs- und Kohlungsprocesse durch eine in ihrem
                              ursprünglichen Zustande oxydirend wirkende Flamme entfernt Berard den vorhandenen Kohlenstoff allmählich und bringt das Metall in den
                              Zustand eines im Sinne der Praxis rein zu nennenden flüssigen Eisens. Zur Umwandlung
                              desselben in Stahl wendet er eine stark mit Kohlenwasserstoff beladene Flamme an,
                              welche einen Theil ihres Kohlenstoffes an das flüssige Metall abgibt und es auf
                              diese Weise nach und nach in Stahl von der gewünschten Beschaffenheit umändert. Das
                              Verfahren wird nun in der Art geleitet, daß die eine Kammer des Schmelzraumes ein
                              fast vollständig entkohltes Metall, die andere hingegen flüssiges Roheisen enthält,
                              und daß die Flamme, indem sie zuerst mit dem letzteren in Berührung tritt, sich mit
                              Kohlenstoff beladet, von welchem sie an das in der zweiten Kammer befindliche,
                              bereits in gewissem Grade gefeinte Eisen einen größeren oder geringeren Antheil
                              abgibt und es in Stahl verwandelt. In dieser Weise wird die Umwandlung einfach durch
                              Umkehrung der Richtung der Flamme bewirkt.
                           Für den praktischen Hüttenmann bedarf es keiner weiteren Erläuterung, daß die zur
                              Umwandlung des Roheisens in Stahl erforderliche Zeit in einer dem Gehalte der Flamme
                              oder des brennenden Gasstromes an überschüssigem Sauerstoff entsprechenden Weise
                              abgekürzt oder verlängert werden kann. Nach Berard's
                              Annahme ist man im Stande, durch Verlängerung dieser Zeit das Eisen vom Schwefel und
                              Phosphor in vollständigerem Grade zu befreien, als dieß während der kurzen Dauer des
                              Bessemerns möglich ist. Wir haben keine zuverlässige Nachricht darüber erhalten
                              können, welchen Erfolg nach dieser Richtung hin der Erfinder erzielt hat.
                           Wie uns mitgetheilt wurde, ist Berard's Verfahren noch
                              weit davon entfernt, zur Darstellung von Stahl im Großen angewendet werden zu
                              können; durch sämmtliche mit demselben abgeführte Versuche ist eine verhältnißmäßig
                              nur geringe Menge von gutem Stahl producirt worden.
                           Eine andere neue Methode zur Stahlerzeugung rührt von C. W. Siemens in London her. Das Eigenthümliche derselben besteht in einer
                              unmittelbaren Abscheidung des Eisens aus seinen Erzen durch die Wirkung einer
                              Reductionsflamme; diese Abscheidung wird nämlich durch den zu einer sehr hohen
                              Temperatur erhitzten überschüssigen Kohlenstoff vermittelt, welcher sich bei der
                              theilweisen Verbrennnung der die Flamme bildenden Gase abscheidet. Dieser
                              Kohlenstoff der Flamme verbindet sich mit dem Sauerstoff und anderen Bestandtheilen der Erze,
                              wobei sich eine zum Schmelzen des Metalles hinreichend hohe Temperatur entwickelt.
                              Dieses Eisen besitzt dann eine dem des Roheisens vollkommen entsprechende
                              Beschaffenheit und kann in diesem Zustande abgestochen werden. Ist der Gehalt des
                              Metalles an gebundenem Kohlenstoff geringer, d.h. besitzt es stahlartige
                              Beschaffenheit, so kann es gleichfalls sofort abgestochen werden. Es leuchtet ein,
                              daß mittelst dieses Verfahrens Eisen oder Stahl aus den Erzen direct dargestellt
                              werden kann; es bedarf nur der allerdings im richtigen Momente bewirkten Erzeugung
                              einer Reductions-, beziehungsweise Oxydationsflamme, um die gewünschte
                              Eisen-, beziehungsweise Stahlsorte zu produciren. Dieser Proceß ist über das
                              Stadium des Versuches im Kleinen noch nicht hinausgediehen; indeß sind mittelst
                              desselben auf den Siemens'schen Musterwerken in
                              Birmingham doch bereits kleinere Quantitäten Stahl erzeugt worden, von welchem eine
                              Probe in Paris ausgestellt wurde. Auf den Barrow-Stahlwerken werden jetzt
                              Versuche in größerem Maaßstabe abgeführt; zu diesem Zwecke ist ein besonderer großer
                              Ofen gebaut worden, in welchem Stahl zunächst aus dem wohlbekannten Hämatit erzeugt
                              werden soll.
                           Wenn die Resultate des Siemens'schen Processes sich als
                              constant und zuverlässig erweisen, so werden sie viel zur billigen Erzeugung von
                              Stahl beitragen; sie liefern auch den Beweis, daß zu diesem Zwecke gasförmiges
                              Brennmaterial ganz geeignet ist, und daß wir dadurch aller Wahrscheinlichkeit nach
                              von den für das erzielte Product so nachtheiligen Eigenschaften mancher schlechten
                              Brennstoffe unabhängig werden, insofern die geringsten Sorten derselben im
                              gasförmigen Zustande unschwer gereinigt werden können, bevor sie ihre Einwirkung auf
                              die Erze zu entwickeln beginnen.