| Titel: | Ueber die Wirkung des Horizontaldruckes des Wassers bei See-Senkungen; von Rud. Stänz, Ingenieur in Aarau. | 
| Autor: | Rud. Stänz | 
| Fundstelle: | Band 187, Jahrgang 1868, Nr. LXIV., S. 284 | 
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                        LXIV.
                        Ueber die Wirkung des Horizontaldruckes des
                           Wassers bei See-Senkungen; von Rud.
                              Stänz, Ingenieur in Aarau.
                        Stänz, über Tieferlegen der Seen.
                        
                     
                        
                           In den Hochlanden, und hauptsächlich in der Schweiz, nehmen die natürlichen
                              Wassersammler, die Seen, einen bedeutenden Theil der Niederungen ein und beschränken
                              deßhalb in vielen Thälern das culturfähige Land auf ein Minimum. Auch die Ausflüsse
                              der Seen sind manchmal derart gestaltet, daß das umliegende Land auf große Strecken
                              einer besseren Cultur entzogen bleibt, weil es aus Sumpf und Moor besteht.
                           Diesen Uebelständen suchte man schon in früheren Zeiten an mehreren Orten abzuhelfen,
                              und hauptsächlich zwei größere Unternehmen dieser Art haben dem Lande einen
                              anhaltenden Nutzen gebracht und außerhalb der Schweiz die verdiente Beachtung
                              gefunden. Ich meine das Linthcanal-Unternehmen und das Tieferlegen des
                              Lungern-Sees.
                           Solche Unternehmungen sind immer von sehr hoher nationalökonomischer Bedeutung und
                              können nicht genug nachgeahmt werden, bedürfen aber immer einer umsichtigen
                              Ausführung, wenn sie ohne Mißgeschick gelingen sollen. Das letztere Unternehmen, das
                              Tieferlegen des Lungern-Sees beweist dieses genugsam, wo an den Ufern,
                              nachdem das Niveau des Sees kaum 14 Fuß gesenkt war, bedeutende Risse entstunden und
                              große Erdmassen in den See stürzten. Sogar in der Nähe des Dorfes Lungern zeigte
                              sich eine Spalte, die mehrere Jucharte Landes und ein Haus umschloß. Kaum war das
                              Haus abgetragen, so vergrößerte sich die Kluft und die ganze Erdmasse glitt in den
                              See.
                           Wir wollen im Nachfolgenden die Ursachen dieser Vorfälle aufsuchen und die Mittel,
                              welche bei zukünftigen ähnlichen Unternehmungen zu größerer Sicherheit zu beachten
                              wären.
                           Nicht selten, namentlich bei anhaltenden Gewittern oder mehrtägigem Landregen, treten
                              in den Gebirgen Erdschlüpfe ein, hauptsächlich an Stellen, wo die Alluvial-
                              und Diluvialablagerungen oder die Mergelschichten auf schiefen, festen,
                              wasserdichten Bänken ruhen oder sich an einen Bergrücken anlehnen. Die Ursache
                              dieser manchmal sehr großen Verheerungen liegt nun stets darin, daß ein starker
                              Niederschlag die ganze Erdschicht nach und nach sättigt, sie bedeutend an Gewicht
                              vermehrt und zuletzt flüssig macht. Die Bewegung kann dann unter solchen Umständen
                              unmöglich ausbleiben und findet selbst noch auf ebener Bahn statt. Ich habe im Jura
                              die Wahrnehmung gemacht, daß solche Erdströme sich Viertelstunden weit bewegen und
                              alle Gegenstände, denen sie begegnen, niederdrücken.
                           Aehnliche Vorgänge bewirkten nun auch die Uferabbrüche am Lungernsee. Grund und Boden
                              vom höchsten Niveau abwärts waren durchnäßt und als die Senkung zunahm, ward in
                              Folge Abnahme des Horizontaldruckes des Wassers der Erddruck für die steilen Ufer zu
                              groß, als daß sie sich in ihrem durchnäßten Zustande zu halten vermochten. Dieser
                              Umstand war offenbar bei dem Unternehmen außer Acht gelassen worden, denn sonst
                              hätte man es nicht wagen dürfen, den Seespiegel in der kurzen Zeit von circa 40 Tagen um 132 Schweizer Fuß zu senken. Zum
                              großen Glück für das Dorf Lungern hatten die tieferliegenden Uferböschungen eine
                              solche Consistenz, daß sie die schnelle Abnahme des Horizontaldruckes ertragen
                              konnten. Wenn aber, wie es sehr oft vorkommt, wo das Seebecken in Folge von
                              Anschwemmungen gebildet wurde, der Seegrund oder die Ufer aus einer harten Masse von
                              Sand oder Lehm bestanden hätten, welche eine vollständige Sättigung durch Wasser
                              zuläßt und den sogenannten Schlammsand bildet, so hätte diese Masse ebenfalls
                              abfließen und die größte Gefahr bringen müssen.
                           Wollen wir nun ermitteln, welchen Horizontaldruck eine abzulassende Wasserschicht auf
                              eine gegebene Fläche des Ufers in der Verticalprojection ausübt, so kennen wir aus
                              der Statik flüssiger Körper folgenden Ausdruck:
                           H = 1/2
                              h²lv,
                           wo h die Höhe der abzulassenden
                              Wasserschicht, l die Länge der Uferfläche und v die Dichtigkeit des Wassers bedeutet. Es wächst
                              demnach der Horizontaldruck wie die Länge und das Quadrat der Höhe der gedrückten
                              Uferböschung.
                           Setzen wir nun den Fall, ein Seespiegel sey innerhalb einigen Stunden zwei Fuß tief
                              gefallen, und betrachten wir auf diese Höhe ein gedrücktes Flächenelement von zwei
                              Fuß Seitenlänge, so beträgt für dieses Element der zurückgetretene Horizontaldruck
                              des Wassers
                           H = 1/2 . 2² . 2 . 54 = 216
                              Pfd.
                           Als der Seespiegel in Lungern sich um 14 Fuß gesenkt hatte, zeigten sich bereits
                              bedeutende Risse und die Uferabbrüche nahmen eine große Ausdehnung an, was auf sehr
                              große Ursachen deutet, und wir werden sehen, daß sich diese Annahme bestätigt, denn
                              der Horizontaldruck, welcher bei der Höhe von 14 Fuß auf eine Uferfläche von 14 Fuß
                              Länge zurückgetreten war, betrug
                           H = 1/2 . 14³ . 54 = 74,088
                              Pfd.
                           Man sieht also, welche große Kraft schon auf die geringe Tiefe von 14 Fuß gegen die
                              Ufer wirkte und diese in ihrer Lage erhielt, und daß die Gefahr mit jedem Fuß der
                              Senkung enorm zunahm. Diese Gefahr wurde ferner noch durch den Umstand vermehrt, daß
                              mit dem schnellen Ablassen des Wassers, das im Ufergrund und tiefer im Berge
                              versessene Wasser ein sehr großes Gefälle erhielt, welches hauptsächlich die
                              Erdablösungen unterstützte.
                           Wollen wir dieses Gefälle und die damit verbundenen Gefahren vermindern, so darf die
                              Seesenkung nur langsam vor sich gehen, so daß das verborgene Wasser Zeit findet mit
                              der auf gleicher Höhe stehenden Seewasserschicht abzuziehen. Es wäre das ein
                              Sichsetzenlassen des Wassers im Ufergrund, womit gleichzeitig auch weiche, sandige
                              oder schlammige Erdmassen sich zu festen Schichten gestalten würden. Dadurch würde
                              dann auch die Wirkung des Horizontaldruckes bei seinem Zurücktreten auf die
                              Uferflächen bedeutend reducirt und, wenn die Senkung des Seespiegels auf mehrere
                              Jahre vertheilt würde, beinahe ganz aufgehoben. Hierauf gestützt, läßt sich nun die
                              Regel aufstellen: daß die Zeitdauer für das Ablassen einer
                                 Wasserschichte im gleichen Verhältnisse zunehmen muß wie das Quadrat der Höhe
                                 dieser Schicht.
                           Es ist wohl selbstverständlich, daß für jeden einzelnen Fall die geologischen
                              Verhältnisse der Ufer stets maaßgebend seyn werden, mit welcher Einheit obiger Satz
                              zur Anwendung kommen soll.