| Titel: | Ueber die Entfernung und Verwerthung der Düngstoffe in den Städten; von Prof. E. Reichardt in Jena. | 
| Autor: | Eduard Reichardt [GND] | 
| Fundstelle: | Band 188, Jahrgang 1868, Nr. XLVI., S. 145 | 
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                        XLVI.
                        Ueber die Entfernung und Verwerthung der
                           								Düngstoffe in den Städten; von Prof. E.
                              									Reichardt in Jena.
                        Reichardt, über Entfernung und Verwerthung der Düngstoffe in den
                           								Städten.
                        
                     
                        
                           In Bd. CLXXXVII S. 312 (zweites Februarheft 1868) dieses
                              									Journals ist ein Artikel über den hier angedeuteten Gegenstand enthalten unter der
                              									Ueberschrift „über Entwässerung von Städten.“ Die Frage ist
                              									eine so wichtige und immer mehr zu beachtende, daß jeder Denkende mit Interesse
                              									folgen wird, um so mehr, wer der Sache durch seinen Wirkungskreis näher getreten
                              									ist. In meiner im vorigen Jahre veröffentlichten Broschüre: „ Desinfection und desinficirende
                                    											Mittel,“ sprach ich mich S. 20 folgendermaßen aus:
                           
                              „Der Landmann, welcher direct die Ernährung von Pflanze und Thier in
                                 										größtem Maaßstabe treibt, kennt in intelligenteren Gegenden jetzt genau den
                                 										Werth des Düngers und widmet der Bereitung desselben die gebührende
                                 										Aufmerksamkeit. Ein Verlust an Dünger ist ein Verlust an Capital, welcher nur
                                 										durch neuen Ankauf wirklichen Ersatz erhalten kann.“
                              
                           
                              „Die Bewohner der größeren Städte legen leider den Düngerabfällen nicht
                                 										diesen Werth bei, und äußerst vielfach ist man bestrebt gewesen, sich des
                                 										Düngers zu entledigen, wenn auch mit gänzlichem Verluste  für die Ernährung der
                                 										Culturpflanzen. Eine solche Verwendung (Vergeudung) kann von keiner Seite
                                 										gerechtfertigt werden, und ist vollständig zu verwerfen; jede Entäußerung von
                                 										Dünger, wenn auch nur local, führt zu einer entsprechenden Verminderung der
                                 										Ernährung der Pflanzen, der Erzeugung von Brod und Fleisch. Je näher diese
                                 										Nahrungsfragen der Bevölkerung treten, je mehr die Beschaffung der menschlichen
                                 										Nahrungsmittel Wichtigkeit erhält, um so größer muß auch die Aufmerksamkeit auf
                                 										Erhaltung und Verwerthung des Düngers für die Pflanzenernährung werden. Die
                                 										Forderung der Erhaltung des Düngers für die Cultur ist daher eine allgemeine,
                                 										gar nicht zu beseitigende. Die augenblickliche Entführung und unter Umständen
                                 										auch billigste Entfernung der Excremente hat in einigen der größten Städte Anlaß
                                 										gegeben, derartige Einrichtungen zu treffen. Das größte und abschreckendste
                                 										Beispiel der Neuzeit gewährt London, wo durch Canalisirung und Anwendung
                                 										gewaltiger Wassermassen die sämmtlichen Abfälle der riesenhaften Hauptstadt
                                 										unterhalb derselben in die Themse getrieben werden. Kaum ist die glänzende
                                 										Ausführung dieser Anlage mit dem Aufwande vieler Millionen beendet, so erkennt
                                 										man auch schon die Ungehörigkeit und Unzulänglichkeit derselben, und ist darauf
                                 										bedacht, andere Verwendungen zu treffen. Die Excremente — flüssige und
                                 										feste — eines erwachsenen Menschen haben für die Cultur einen
                                 										Nominalwerth von einigen Thalern pro Jahr, wie viele
                                 										Millionen vergeudet London? Die gewaltigen Massen fauliger Substanzen gelangen
                                 										in die allerdings auch wasserreiche Themse, aber sie verpesten dennoch,
                                 										namentlich in der heißen Jahreszeit, diesen Fluß und vertreiben die sonst so
                                 										häufigen Fische aus der Nähe von London, entfernen dadurch wichtige menschliche
                                 										Nahrungsmittel. Ja, das Wasser der Themse geht theilweise an ruhigen Stellen in
                                 										Fäulniß über, und wird der ganzen Umgebung ein Gift aushauchender Pfuhl. Die
                                 										Millionen, welche die Hauptstadt Großbritanniens darauf verwendete, bezeugen
                                 										nicht allein die Wichtigkeit des Gegenstandes, sie gewähren jetzt auch das
                                 										lehrreiche Beispiel, daß eine solche Entfernung der Düngerstoffe ganz ungehörig
                                 										sey. Kein vernünftiger Mensch kann für diese Art der Behandlung der Düngstoffe
                                 										stimmen, sowohl wegen der unverantwortlichen Vergeudung, wie wegen der
                                 										Verunreinigung des Wassers, bei welchem überhaupt der Grundsatz gelten sollte,
                                 										durch möglichste Reinheit die ausgebreitetste Verwendung zu erhalten, sowohl für
                                 										die Industrie, wie namentlich auch für das Leben der Fische.“
                              
                           
                              „Die bisher gebräuchliche, die Verwendung gestattende Aufbewahrung der
                                 										Düngstoffe geschieht in den Häusern in Senkgruben, deren Einrichtung und
                                 										namentlich Aufbesserung durch Luftzug und Zusatz fester Materialien  schon betrachtet wurde; auch sie sind zu verwerfen und jedenfalls mit der Zeit zu
                                    											beseitigen.“
                              
                           
                              „Die großen Nachtheile der Senkgruben treten bei den Städten sehr
                                 										augenscheinlich hervor, und haben dadurch Anlaß gegeben, anderen, zweckmäßigeren
                                 										Einrichtungen nachzudenken. Je größer, volkreicher und älter die Stadt, desto
                                 										schädlicher wirken jetzt diese Anhäufungen vou Düngstoffen. Trotz der
                                 										sorgfältigsten Aufmauerung dringen mit der Zeit Materien in die Umgebung ein,
                                 										und verbreiten sich in dem Boden; schließlich gelangen sie auch in die
                                 										gegrabenen Brunnen, und verschlechtern das Trinkwasser derart, daß bei
                                 										eintretenden epidemischen Krankheiten sehr oft die Verbreitung der Ansteckung
                                 										hier zu suchen ist. Wenn auch sehr verschieden, nach den Bodenverhältnissen und
                                 										nach der Güte der Vorkehrungen, so liegt die Zeit doch nicht mehr ferne, ist in
                                 										großen Städten (New-York) eigentlich schon erreicht, daß der Genuß von
                                 										Wasser stehender Brunnen geradezu untersagt werden muß. Der Boden, welchem das
                                 										Wasser entquillt, ist örtlich verunreinigt und wirkt so auf das wichtigste
                                 										Nahrungsmittel verderbend ein. Die großartigen Wasserleitungen der Neuzeit sind
                                 										genügender Beweis von der erkannten Gefahr der weiteren Benutzung der stehenden
                                 										Brunnen.“
                              
                           
                              „Die Senkgruben sind aber ferner äußerst nachtheilig für das Gebäude, in
                                 										welchem sie sich befinden. Von hier aus verbreiten sich, selbst bei größter
                                 										Reinlichkeit und guter Einrichtung, Feuchtigkeit, Fäulniß, schädliche Gase und
                                 										wirken zerstörend für die Gesundheit der Bewohner, wie für die Baulichkeiten
                                 										selbst. Um so größer ist die Gefahr bei Unreinlichkeit, unzweckmäßiger
                                 										Einrichtung und zusammengedrängten Menschenmassen in großen Gebäuden und
                                 										Städten. Die Mauern, und in höherem Grade noch von Holz aufgeführte
                                 										Baulichkeiten werden von der in und an den Senkgruben gebotenen Feuchtigkeit und
                                 										namentlich den gleichzeitig vorhandenen Salzen angegriffen und zerstört und
                                 										vermehren, so weit die Zerstörung vorgeschritten ist, die Uebelstände. Man hat
                                 										daher alle Ursache, auf die Entfernung der ganzen Einrichtung der Senkgruben zu
                                 										denken, sie außerhalb der Stadt oder der Wohnung anzubringen, oder überhaupt
                                 										reinlichere, der Gesundheit unschädliche Vorrichtungen zu treffen.“
                              
                           
                              „Wie es polizeilich verboten ist, feuergefährliche Dachungen und
                                 										Feuerleitungen anzulegen oder auch nur zu erneuen, so müßte sanitätspolizeilich
                                 										die Einrichtung von Senkgruben in den Häusern bestraft und für die allmähliche
                                 										Verdrängung der vorhandenen Sorge getragen werden.“
                              
                           
                              „Die für jetzt als zweckmäßig erkannte Form der anderweitigen Entfernung
                                 										und Verwerthung der Düngstoffe ist leichter zu bewerkstelligen  als die bisherigen Anlagen
                                 										es waren, und gebraucht namentlich eher weniger, als mehr Raum, läßt aber
                                 										Reinlichkeit und Ordnung nach Gebühr ausüben.“
                              
                           
                              „An die Stelle der Senkgruben treten große, durch Räder oder Schlitten
                                 										bewegliche Fässer, in welche die von den oberen Oeffnungen herabgehenden Röhren
                                 										einmünden. Sehr leicht und vollständig ist hier die Desinfection mit
                                 										Eisenvitriol u. s. w. zu erreichen, da die zu desinficirenden Massen nicht
                                 										bedeutend sind, und sobald das Faß ziemlich gefüllt ist, wird es entfernt und
                                 										durch ein zweites, für den Wechsel bestimmtes, ersetzt. Das erfüllte Faß wird
                                 										mit möglichst einfachem, übergreifendem Schluß ganz dicht verstopft und sodann
                                 										in die außer dem Hause befindliche Senkgrube entleert, oder noch geeigneter zur
                                 										Düngung oder Fabrication von Düngungspräparaten abgefahren. Jedes Stockwerk
                                 										bedarf unten ein derartiges FaßIst auch sehr leicht noch einfacher herzurichten. und sodann
                                 										noch ein gleiches zum Wechsel; die Zeit der Füllung wird bei gleichmäßigem
                                 										Gebrauche sehr bald festgestellt seyn. Wird die Desinfection aufmerksam
                                 										ausgeführt, so ist ein Zusatz von Erde oder Stroh ganz unnöthig und bei der
                                 										kurzen Zeit der Erneuerung sind die Massen leicht ohne allen Geruch zu
                                 										erhalten.“
                              
                           
                              „Die Vortheile einer so geänderten Aufsammlung der Düngstoffe sind nach
                                 										vorhergegangenen Erörterungen leicht erkennbar und die Kosten, welche durch den
                                 										Wechsel der Gefäße entstehen, sind gar nicht erwähnenswerth gegenüber den
                                 										dadurch erwachsenden Vorzügen. Abgesehen von der Reinlichkeit und der so
                                 										leichten gänzlichen Entfernung fauliger Materien aus der Wohnung, ist namentlich
                                 										auch die vollständig aufgehobene Einwirkung auf das Gebäude in Betracht zu
                                 										ziehen. Bei aufmerksamer Beurtheilung der Lage, von Seite des Einzelnen, wie
                                 										namentlich auch der Behörden, ist es sicher nicht
                                 										schwer, in größeren Städten Düngerfabriken einzurichten, welche die Abfuhr
                                 										geschäftsmäßig und fast ohne Kosten übernehmen. In kleineren Orten werden sich
                                 										sehr bald intelligente Landwirthe finden lassen, welche das gleiche Geschäft zur
                                 										Errichtung von Compost gebrauchen, und so den Dünger äußerst praktisch für die
                                 										Cultur verwerthen.“
                              
                           
                              „Als empfehlenswerth bei solchen Aenderungen ist ferner anzugeben, an
                                 										Stelle der hölzernen Röhren, von oben nach unten, solche von gebranntem Thon
                                 										anzuwenden, welche jetzt möglichst billig und genügend zu haben sind. Durch die
                                 										Vermeidung von Holz wird natürlich nicht  allein die Haltbarkeit, sondern auch die Reinlichkeit
                                 										dieser Verbindungsöffnungen wesentlich erhöht.“
                              
                           Der Standpunkt der Frage ist meines Erachtens keineswegs ein geänderter, und weder
                              									durch den Vortrag des Hrn. Veit-Meyer, noch die
                              									Angaben des Hrn. Dr. Varrentrapp, so weit sie mir bekannt, in ein anderes Licht gestellt
                              									worden; es fragt sich dabei nur, ob man eine einseitige oder mehrseitige
                              									Beurtheilung verfolgen will. In sanitätspolizeilicher Hinsicht ist die möglichst
                              									rasche Entfernung aller faulenden, namentlich fäcalen Massen aus der Nähe
                              									menschlicher Wohnungen zu verlangen, und es kann leicht vorkommen, daß dazu die
                              									Entführung durch große Wassermassen benutzt werden kann. Eine so großartige, sehr
                              									kostspielige Canalisirung für diesen Zweck betrifft aber nicht nur die Gegenwart,
                              									sondern namentlich auch die Zukunft, und bedarf daher der vielseitigsten
                              									Betrachtung, so daß der Einwurf von Varrentrapp, daß
                              									jetzt der Werth dieser Düngstoffe noch nicht so groß und genügend Guano vorhanden
                              									sey, durchaus nichts besagt. Es handelt sich bei dieser Frage überhaupt nicht um
                              									Berlin und die Spree, oder um München, Frankfurt und Umgebung, sondern auch um
                              									kleinere Existenzen, deren Gesundheitspflege örtlich eben so hoch angeschlagen wird,
                              									und wo sehr oft weder Geldmittel genügend aufgewendet werden können, noch überhaupt die Wassermenge in geeigneter Weise zu Gebote
                              									steht. Soll z. B. Leipzig diese faulenden Massen der Pleiße oder Elster
                              									zuführen?
                           Die Canalisirung.
                           Es ist nicht zu bezweifeln, daß durch geeignete, rasche Wirkung von schnell
                              									fließendem Wasser die größte Reinlichkeit und sofortige Entfernung aller hier im
                              									Auge zu behaltenden Verunreinigungen erlangt werden kann, namentlich da, wo der
                              									Reinlichkeitssinn an und für sich gehoben ist. Ebenso sicher ist es aber auch
                              									bekannt, daß eine große Zahl von Menschen den Begriff der Reinlichkeit keineswegs
                              									weit auszudehnen pflegt, und daß größere Mengen von Wasser in Leitungen, Canälen u.
                              									s. w. bei denselben mehr Gefahren hervorrufen, als früher vorlagen. Wenn auch die
                              									Leitungen sehr solid und brauchbar ausgeführt werden, Reparaturen gibt es der Menge,
                              									namentlich innerhalb der Häuser bei einer gewissen Sorglosigkeit, und sowohl an
                              									öffentlichen Orten, wie besonders in dicht bevölkerten Häusern, wo zufällig keine
                              									streng befehlende Aufsicht vorhanden ist oder nicht ausgeführt werden kann,
                              									charakterisiren sich die Communicationen mit der Wasserleitung durch Massen von
                              									Feuchtigkeit. Gewöhnlich sucht man durch Rinnsteine, Steinplatten, Cement,
                              									Metallblech Schutz zu schaffen, aber die Locale bleiben durch und durch feucht  und repräsentiren unter
                              									günstigen Umständen erst recht die Herde für Fäulniß, nicht auf die unterirdischen
                              									Räume allein beschränkt, wie früher. Soll eine vielleicht neu zu gründende
                              									Wasserpolizei — Arbeit wird ein großes Personal genug finden — jeden
                              									Hausbewohner in den innersten Räumen überwachen und die Reinlichkeit lehren, die
                              									Reparaturen aufsuchen?
                           Hierbei ist noch außer Acht gelassen, daß bei den, der Reinlichkeit bedürftigsten,
                              									armen Städtebewohnern wahrscheinlich die ganze innere Anlage der Wasserleitung auf
                              									öffentliche Kosten geschehen müßte, da selbst polizeilicher Zwang an der
                              									Unmöglichkeit der Beschaffung der Geldmittel scheitern dürfte.
                           So unentbehrlich Canäle zur Entwässerung der Städte,
                              									Ableitung des Regens u. s. w. sind, so ist gerade von sanitätspolizeilichem
                              									Gesichtspunkte darauf zu sehen, dieselben möglichst frei von faulenden Materien zu
                              									halten, weil überall, wo nicht sehr große Massen rasch fließenden Wassers zu Gebote
                              									stehen, Fäulniß eintreten wird, sey es in der weniger beweglichen Masse oder an den
                              									Wandungen der Canäle. Die Canäle mit faulenden Substanzen sind die gefährlichsten
                              									Verbreiter und Erreger von Epidemien, wie es an vielen Orten in früherer und
                              									jetziger Zeit unläugbar festgestellt ist. Um die Londoner Canäle von übelriechenden
                              									Gasen zu befreien, müssen ununterbrochen eine Menge Arbeitskräfte in Thätigkeit
                              									gehalten werden.Man vergleiche die ausgezeichneten Arbeiten über diesen Gegenstand von Eichhorn und Röder
                                    											(Annalen der Landwirthschaft 1863) und das Gutachten der königl. Commission,
                                    											v. Salviati, Röder und
                                    												Eichhorn (Berlin, bei Wiegandt und Hempel
                                    									1865).
                           Die Hauptcanäle müssen sich verzweigen bis in die ärmsten, unreinlichsten Theile der
                              									Stadt; wer ein einzigesmal Gelegenheit gehabt hat, in solchen Theilen den Zustand
                              									der Wasserleitungen in den Häusern zu betrachten, wird sicher zugestehen, daß gerade
                              									hier, wo die dringendste Hülfe nothwendig ist, die Canäle, man möchte sagen durch
                              									absichtliche Unreinlichkeit und Liederlichkeit, zu Pesthöhlen werden, trotzend den
                              									möglichsten Nachforschungen und polizeilichen Maßregeln. Die Wasserzufuhrleitung in
                              									die Häuser und Einrichtung der Waterclosets sind große Annehmlichkeiten für
                              									diejenigen Bewohner, welche sie dazu benutzen, die gewohnte Reinlichkeit zu
                              									verstärken und die Sauberkeit des Hauses in jeder Hinsicht zu erlangen; leicht
                              									entsteht aber die bedenklichste Quelle von Uebelständen, wo die gewohnte
                              									Liederlichkeit fortwaltet oder Mangel an Arbeitskraft und Mitteln hindert,
                              									eingetretene Schäden sofort wieder zu  heben. Mit der jedenfalls größten Annehmlichkeit ist bei
                              									unvollständiger Benutzung auch die größte Gefahr verknüpft und namentlich wird
                              									gerade da nicht geholfen, wo die Hülfe und Besserung am nöthigsten ist. Die dicht
                              									bevölkerten, ärmsten und gewöhnlich auch unreinlichsten Stadttheile werden sich der
                              									Kosten wegen die Wohlthat erst sehr spät oder gar nicht verschaffen, und bei
                              									liederlicher Führung wird die Wohlthat zur Plage.
                           Sehr richtig geben Eichhorn und Röder an, daß in das Canalwasser oder in die Siele nur Regen-,
                              									Haus-, Wasch- und Küchenwasser gelangen dürfen, dagegen müssen Dünger,
                              									fest und flüssig in jeder Form, Kehricht von Haus und Straße, Aschen, Knochen und
                              									Schlachtabfälle, Abfälle von chemischen Fabriken u. s. w. auf andere Weise entfernt
                              									werden.
                           Die Canäle münden schließlich in einen nicht zu fern gelegenen, möglichst großen und
                              										rasch fließenden Fluß; je größer die so zu reinigende
                              									Stadt, um so bedenklicher die Lage, wenn nicht zufällig die günstigsten Verhältnisse
                              									geboten werden, wie bei Hamburg, welches der Mündung eines sehr bedeutenden Flusses
                              									so nahe liegt, daß das Meer für jetzt noch alle Ungleichheiten heben kann; wie
                              									lange, ist Frage der Zeit. Es ist wichtig, daß die natürlichen Verhältnisse
                              									fließender oder stehender Wässer so sind, daß die mannichfachsten Verunreinigungen,
                              									namentlich sogen. organische, in kürzester Zeit sich abscheiden und in einem
                              									momentan unlöslichen Zustande ablagern. Befreit wird aber weder der Fluß, noch der
                              									See davon, sondern an ruhiger gelegenen Stellen beobachtet man überall die
                              									Anlagerung, Anschwemmung dieser fäulnißgeeignetsten Stoffe und namentlich in der
                              									heißen, den Epidemien günstigen Jahreszeit entwickeln sich die eben so giftigen wie
                              									unangenehmen Gase, welche im günstigsten Falle nicht die Ausflußstadt, sicher aber
                              									nahe gelegene Districte treffen.
                           Durch die Bewegung und fortwährende Erneuerung des fließenden Wassers wird die
                              									Fäulniß selbst dieser fäcalen Stoffe erschwert, aufgehoben ist dieselbe aber nie,
                              									wie der Geruch der Canäle fast immer ergibt. Dem Flußwasser wird der darin gelöste
                              									Sauerstoff entzogen, um eine theilweise Verwesung der organischen Massen
                              									herbeizuführen; regelmäßig verschlechtert sich das Wasser so, daß die Fische sich
                              									entfernen und ihre Vermehrung überhaupt beeinträchtigt wird. Wenn nicht zufällig in
                              									den Abfällen eigentliche thierische Nahrungsmittel enthalten sind, die excrementalen
                              									Substanzen sind für die Fische keine, wohl aber für die Pflanzen, oder sie gehen
                              									sehr bald in die für letztere brauchbare Form über. Bei stehendem Wasser bewirken
                              									deßhalb die davon lebenden Pflanzen die wichtigste Reinigung und Regenerirung in den
                              									brauchbaren Zustand. Die Cultur der Wasserpflanzen müßte für diese Fälle besonders
                              									im Auge  behalten
                              										werden,Man vergleiche Altenburger Zeitung für Stadt und Land, 1866 S.
                                    										878. sie entnehmen dem Thierleben feindliche Stoffe und liefern von
                              									Nenem den unentbehrlichen Sauerstoff. Diese wichtige Aufbesserung des Wassers durch
                              									Pflanzen fehlt den Flüssen entweder ganz oder findet nur an den Uferrändern in sehr
                              									schwachem Maaße statt.
                           Einmal beschränkt sich die Anwendung der Canalisirung zur Fortschaffung der
                              									excrementalen Stoffe auf diejenigen Orte, welche in der glücklichen Lage sind,
                              									verhältnißmäßig bedeutende Wassermassen für diesen Zweck in Bewegung setzen zu
                              									können und denen gleichzeitig ein möglichst rasch sich bewegender Fluß zu Gebote
                              									steht; Fälle, welche nicht gerade zu den häufigsten gezählt werden dürften. Ferner
                              									lagern sich aber trotz alledem die so beförderten Massen sehr bald ab und müssen
                              									später auf mechanische Weise, durch Baggerung etc., entfernt werden, wenn sie nicht
                              									zufällig in das große Meerreservoir gelangen. Sind aber alle diese Umstände nicht
                              									ganz besonders günstig vereint, so werden die fäulnißgeeigneten Massen an ruhigen
                              									Stellen des Flusses faulen und nachtheilig nach allen Richtungen wirken.
                           Längst ist das Bedürfniß erkannt, zu sorgen, wenn nöthig mit aller Macht, daß das
                              									fließende Wasser von außen möglichst wenig verunreinigt werde, um eine günstige
                              									Beschaffenheit für alle Zwecke und besonders für die Fischzucht zu erhalten.
                           Zuletzt mag die Vergeudung des Düngematerials Erwähnung finden. Vom
                              									nationalökonomischen und agriculturchemischen Gesichtspunkte aus ist unter allen
                              									Verhältnissen die Verwerthung jedes Düngematerials für die Pflanzenernährung zu
                              									beanspruchen. Die Vergleiche Varrentrapp's mit zu tief
                              									liegendem Erze oder Kohlen, oder dem unbedeutenden Werth rohen Marmors gehören gar
                              									nicht hierher, da es sich lediglich um eine Vergeudung eines in die Hand gegebenen
                              									brauchbarsten Materiales handelt. Mag für jetzt die Abfuhr des Düngers in den
                              									Städten nicht billiger wie früher und nicht geeigneter möglich seyn, obgleich sehr
                              									wichtige Fortschritte bereits vorliegen, so ist das Augenmerk auf zweckentsprechende
                              									Verbesserung zu richten und nöthigenfalls selbst Geldunterstützung zu verwilligen.
                              									Die Schwierigkeiten sind aber jetzt schon als überwunden anzusehen, da das sogen.
                              									Tonnensystem eine in jeder Beziehung brauchbare Grundlage bietet.
                           Die bekannte Jdee, die Londoner Cloaken auf frei gelegene Felder zu schaffen, damit
                              									dort das unfruchtbare Feld fruchtbar werde und die brauchbaren Stoffe der verdünnten
                              									flüssigen Masse entziehe, beweist, daß  man sich in London mit der großartigsten Canalisirung
                              									nicht befriedigt und die Vergeudung des Stoffes gebührend erkannt hat. So unläugbar
                              									die Absorptionsfähigkeit des Bodens für gelöste Substanzen erwiesen ist, so wenig
                              									kann man derartigen Projecten günstige Aussicht stellen oder auf diese erst zu
                              									bewerkstelligenden Versuche die Ausführbarkeit anderer Canalprojecte stützen. Die
                              									Versuche sind natürlich wünschenswerth, allein auch ich glaube, daß sie ungünstige
                              									Resultate ergeben werden. Die Verdünnung der Massen ist eine zu bedeutende, und in
                              									kurzer Zeit wird der Boden mit den aufzunehmenden Stoffen gesättigt seyn, während
                              									die auflagernden festen Substanzen bei geeigneter Jahreszeit unmittelbar faul werden
                              									und die bekannten nachtheiligen Producte in die Umgebung reichlich aussenden.
                           In England glaubt man jetzt schon in dem Canalisirungssystem für diese Zwecke eine
                              									große Gefahr zu finden (Bericht der königl. Commission in Berlin S. 108). Die Stadt
                              									Sheffield beantragt, bestimmte Strafen auf die Verunreinigung von Wasser zu legen
                              									und Ueberwachungsbehörden zu gründen; ähnlich in Birmingham. Die von dem Parlament
                              									1864 niedergesetzte Commission unter Lord Montague stellt
                              									fest, „daß, wenn selbst die Annahme, daß eine Verwendung des
                                 										Cloakenwassers (Sewage) der Städte mit finanziellem
                                 											Gewinne zum Nutzen des Ackerbaues möglich sey, eine irrige wäre,
                                    											die Ortsbehörden doch nicht davon dispensirt werden könnten, Maßregeln zu
                                    											treffen, um die Flüsse vor Verunreinigung zu schützen.“
                           
                              „Vielfach hört nicht nur die Fischerei auf, sondern es müssen auch Häuser
                                 										und Landsitze an den Ufern verlassen werden. Nach dem „ Sewage Committee“ in London soll das
                                 										Bett mancher Flüsse durch den Niederschlag der Cloaken etc. um 10 Fuß oder gar
                                 										15 Fuß erhöht seyn und z. B. der Fluß Tame mehr Cloakeninhalt als Wasser
                                 										enthalten. In ihn gelangen, noch bevor er Birmingham erreicht, die
                                 										Auswurfsstoffe von 270,000 Menschen, die Abfälle vieler Gasanstalten und
                                 										chemischer Fabriken, das Pumpenwasser aus den Kohlenbergwerken u. s.
                                 										w.“
                              
                           „Der Medlock sey mit so dickem Schlamme bedeckt, daß Vögel hinüber gehen
                                 										können und vom Bridgewatercanal wird behauptet, das Cloakenwasser verbinde sich
                                 										mit dem Untergrunde, Fäulniß finde statt, man sehe Gase in Blasen aufsteigen und
                                 										mit denselben Massen von Schlamm, welcher sich in kochender Bewegung
                                 										befinde“. Ebenso geht es mit der Aire, dem Clyde in Greenock; in
                              									letzterem „müssen jährlich 8000 Pfd. Sterling zur Ausbaggerung der
                                 										hauptsächlich durch die Auswurfsstoffe hineingerathenen Schlammmassen ausgegeben
                                 										werden! In der Nähe von Bath sind diese Massen ebenfalls der Schifffahrt
                                 										hinderlich.“
                           
                           Genug der sprechenden Beispiele; ich führe die Zahlen nicht vor, den Verlust an
                              									Düngematerial hervorzuheben u. s. w. Die Uebertragung der Cloakenwässer an die
                              									Flüsse ist gänzlich zu verwerfen, sie vergeudet nicht nur die Düngstoffe, sondern
                              									schadet dem Leben der Fische, dem Leben der Menschen und Thiere in der näheren oder
                              									ferneren Umgegend; sie vergeudet pflanzliche Nährstoffe, wie auch menschliche durch
                              									die Entfernung und Vertilgung der Fische, und ist sogar und hauptsächlich in
                              									sanitätspolizeilicher Hinsicht nicht zu gestatten. Die gefährlichen Fäulnißstoffe
                              									werden im günstigsten Falle von der großen Stadt etwas entfernt abgelagert, und hier
                              									üben sie dann alle die bekannten Nachtheile aus.
                           Das wegen der Nähe des Meeres so günstig gelegene Hamburg kann durchaus nicht als
                              									mustergültig dastehen; in London sind die Uebelstände offenbar, und würden dieselben
                              									auch in Hamburg fühlbar werden, wenn nahe gelegene große Städte die gleichen
                              									Verunreinigungen schon den Flüssen gespendet hätten. Wenn auch eine besser erkannte
                              									und ausgeführte Canalisirung die Nachtheile heben kann, so beseitigt sie keineswegs
                              									die Stoffe, vielleicht werden sie etwas weiter transportirt; die Verwendung der
                              									verdünnten Cloakenmassen zur directen Düngung läßt von vornherein bei so gewaltigen
                              									Massen die erheblichsten Bedenken aussprechen.
                           Das Tonnensystem.
                           Es scheint mir, als ob die Frage oder der Unterschied zwischen Canalisirung behufs
                              									der Fortschaffung der fäcalen Massen und Entwässerung der Städte, und andererseits
                              									der sonstigen Entfernung der oft genannten Abwurfsstoffe vielfach verkannt werde,
                              									absichtlich oder unabsichtlich. Die Befürwortenden des Abfuhrsystemes oder richtiger
                              									speciell ausgedrückt des Tonnensystemes verurtheilen mit
                              									der völlig gleichen Bestimmtheit die bis jetzt vorhandenen Senkgruben der Häuser.
                              									Gewiß kann die Schädlichkeit und Verurtheilung nicht schärfer ausgesprochen werden,
                              									als in dem oben angegebenen Citate aus meiner Brochüre über Desinfection, noch dazu,
                              									wenn, wie in einigen Orten Norddeutschlands, permanente, große Gruben, für Jahre
                              									Füllung aufnehmend, eingerichtet wurden. Die Städte und Häuser
                                 										sind so bald als möglich von diesen gemeinschädlichen Füllorten zu
                                 									befreien; die Canalisirung ist zur Entwässerung der Städte ein unabweisliches Bedürfniß,
                              									nicht aber zur Entfernung der Abwurfsstoffe, im Gegentheil ist das Canalwasser vor
                              									allen ähnlichen Beimischungen zu bewahren.
                           Das Tonnensystem schließt sich den üblichen Einrichtungen der  Aborte unmittelbar an und
                              									ersetzt nur die Senkgruben durch möglichst leicht bewegliche Fässer oder Tonnen,
                              									welche nach theilweiser oder gänzlicher Füllung durch neue, leere, zu ersetzen sind.
                              									(Man vergl. die sehr guten Einrichtungen in Graz, welche in diesem Journal Bd. CLXXXIII S.
                                 										481 nach beigegebenen Abbildungen beschrieben sind.) Die gefüllten Fässer
                              									werden rasch gut verschlossen entfernt und der Inhalt entweder in eine entlegene
                              									Dünggrube entleert oder besser direct zur Düngung verwendet, oder in Düngerfabriken
                              									abgeliefert, um so ohne zu starke Verdünnung der Pflanze zur Nahrung zu dienen. Der
                              									Raum, welchen derartige Fässer beanspruchen, beträgt wenig und kann ebenso
                              									zweckmäßig im Parterre, wie im Souterrain gelegen seyn, oder nöthigenfalls in höhere
                              									Stockwerke verlegt werden (Nachteimer, Kübel etc.) wo dann nur einige umständlichere
                              									Vorrichtungen zur Fortschaffung nöthig werden. Diese Fässer können stets und sehr
                              									leicht desinficirt und im schlimmsten Falle täglich entfernt werden, so daß die
                              									Steigerung der Reinlichkeit und die Entfernung der Gefahr der Fäulniß ganz in der
                              									Hand der Hausbewohner liegt. Einrichtungen der Art, welche mir in Krankenhäusern wie
                              									Privathäusern, im Großen wie im Kleinen zu Gesicht kamen, übertrafen meine nicht
                              									geringen Erwartungen. Sollte Gefahr vorhanden seyn, so kann jeder, auch nicht
                              									besonders befähigte Laie beauftragt werden, die öftere Abfuhr und Desinfection zu
                              									überwachen, kann die Abfuhr schließlich durch die Ortspolizei selbst geschehen. Das
                              									Tonnensystem ist ungemein leicht und ohne große Kosten ausführbar, in den größten
                              									Städten wie in dem einzelnen Hause, und gänzlich unabhängig von der Canalleitung und
                              									dem Bedürfnisse größerer Wassermengen u. s. w. Wie in den kleinsten Orten jeder
                              									Hauseigenthümer für die Abfuhr der Düngstoffe selbst sorgt, so kann es hier auch
                              									bleiben; in einem entlegenen Theile des Hofes befindet sich vielleicht der
                              									Düngerhaufen mit Stroh u. dgl. reichlich versehen und hier werden die Fässer
                              									entleert. In größeren Orten sind auch diese Düngerstätten zu beseitigen, gewöhnlich
                              									durch Mangel an Raum von selbst unmöglich; dann kann nöthigenfalls eine behördliche
                              									Abfuhr in irgend welcher Art eingerichtet werden, wie bei Straßenschmutz, Asche u.
                              									s. w. längst in Praxis. Sehr bald werden sich Landwirthe der Umgegend finden, welche
                              									zu eigenem Nutzen das Material verwenden; erst müssen diese Leute vielleicht
                              									unterstützt und bezahlt werden, ist der Vortheil einmal erkannt, so bezahlt dann der
                              									Abnehmer selbst. So sich umgestaltende, das Abfuhrsystem wesentlich erleichternde
                              									Verhältnisse liegen schon zahlreich vor und sind einige derselben in dem erwähnten
                              									Berichte der königl. preuß. Commission S. 104 zusammengestellt.
                           
                           Sollten local die Senkgruben nicht in kurzer Zeit beseitigt werden können, was
                              									namentlich in großen Städten vorkommt und oft in den Schwierigkeiten der baulichen
                              									Aenderungen begründet ist, so müßte jedenfalls die Vorschrift gesetzlich gegeben
                              									werden, daß bei Neubauten und größeren baulichen Eingriffen Senkgruben beseitigt
                              									werden müssen oder nicht mehr neu angelegt werden dürften. Bis dahin ist aber dafür
                              									zu sorgen, daß durch städtische oder private Thätigkeit, letztere ist unbedingt
                              									annehmbarer, die Abfuhr des Inhaltes der Senkgruben in möglichst geeigneter Weise
                              									geschehe. Diese einstweiligen Aushülfsmittel werden für
                              									größere und größte Städte in den Saug- und Pumpenapparaten geboten, wie sie
                              									in neuester Zeit so vielfach construirt und verbessert vorliegen und deren
                              									Besprechung hier unterbleiben mag. So gut, wie die allergrößten und bevölkertsten
                              									Städte für die Einfuhr aller zur Nahrung, Kleidung, Heizung u. s. w. nothwendigen
                              									Materialien sorgen können, wird die Abfuhr der Düngstoffe auch nicht zu den
                              									Unmöglichkeiten gehören und nach allen Seiten erwogen ist es wohl außer Frage, daß
                              									die Hauptaufgabe darin liegt, die Senkgruben zu beseitigen und gleichzeitig die
                              									baldige Abfuhr und Verwerthung der Düngermaterialien in
                              									möglichst günstiger und billiger Weise einzurichten. Letztere Anforderung kann local
                              									vielleicht noch nicht geeignet erledigt werden, der Weg ist aber gebahnt und nur
                              									energischer zu verfolgen.