| Titel: | Ueber das Hefenpulver der Nordamerikaner; von Dr. Rudolph Wagner. | 
| Fundstelle: | Band 188, Jahrgang 1868, Nr. CII., S. 416 | 
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                        CII.
                        Ueber das Hefenpulver der Nordamerikaner; von Dr.
                           									Rudolph
                              								Wagner.
                        Wagner, über das Hefenpulver der Nordamerikaner.
                        
                     
                        
                           Das Gehen des Brodteiges durch Gährung (Oberhefe oder Sauerteig) nimmt von den
                              									Bestandtheilen des Mehles 2–4 Procent hinweg, die in Kohlensäuregas und in
                              									Alkohol zerfallen. Von letzterem werden durch den Backproceß ungeheure Mengen in die
                              									Luft gejagt, im Zollverein nach einer Schätzung, die sicherlich noch keineswegs das
                              									wahre Quantum erreicht, allein 40–50 Millionen Liter jährlich (20–25
                              									Millionen Gulden repräsentirend). Was Wunder, wenn man längst schon den Gedanken zu
                              									realisiren suchte, die Gährung auf Kosten werthvoller Mehlbestandtheile zu
                              									unterdrücken und das Auflockern des Teiges durch auf chemischem Wege dargestelltes
                              									Kohlensäuregas zu bewirken. Ohne Widerrede sind die Lebküchner die ersten, die von
                              									solcher Kohlensäure Gebrauch machten. Sie bereiten ihr Gas entweder aus stark
                              									milchsaurem Teig und Potasche oder aus saurer Milch und Soda inmitten der
                              									Lebkuchenmasse, die dadurch die gewünschte Beschaffenheit erhält. Später trat das
                              									Natronbicarbonat als Kohlensäurelieferer in erste Linie und als Säurezusätze theils
                              									die Salzsäure, theils der in Nordamerika (nach Horsford's
                              									Vorschlage) übliche saure phosphorsaure Kalk, theils die Weinsäure und der
                              									Cremortartari. In den Vereinigten Staaten setzen die chemischen Fabriken
                              									erstaunliche Mengen von Hefenpulver (yeast-powder), ein Gemenge von Weinsäure mit
                              									Natronbicarbonat und gewöhnlich mit Mehl und Kleie gemengt, ab. Der hohe Preis der
                              									Weinsäure ist zum großen Theil die Folge der allgemein verbreiteten Anwendung dieses
                              									Hefenpulvers in vielen amerikanischen Haushaltungen, namentlich in isolirter Lage.
                              									Die 1863 von Horsford eingeführten neuen Hefenpulver, aus
                              									einem Gemenge von Kalksuperphosphat (selbstverständlich nicht in agricolem Sinne),
                              									Mehl und Natronbicarbonat zusammengesetzt, haben sich nie recht Bahn brechen wollen.
                              									Will man im Teige selbst die Kohlensäure erzeugen, so entsprechen nach v. Liebig's warmer Empfehlung Natronbicarbonat und (völlig
                              									arsenfreie) Salzsäure in stöchiometrischen Verhältnissen angewendet am besten dem
                              									Zweck, da nebenbei sich Salz bildet, welches in Süddeutschland ja ohnehin dem
                              									Brodteige zugesetzt wird.
                           Für die fabrikmäßige Brodbereitung dürfte jedoch das von I. Dauglish in London eingeführte Verfahren der Bereitung von Luftbrod
                              									 (aërated bread) bei weitem den Vorzug verdienen. Das in gleicher Weise wie
                              									in den Mineralwasserfabriken dargestellte gereinigte Kohlensäuregas wird in einem
                              									Gasometer vorräthig gehalten und von da mittelst einer Compressionspumpe in ein
                              									Wasser haltendes Gefäß gepumpt. Das so dargestellte kohlensaure Wasser mischt man
                              									unter Druck mit dem Mehl zu einem Teig, der blasig wird und aufgeht, sobald der
                              									Druck nachläßt. Diese Luftbrodfabrication wurde schon 1858 durch L. Wimmer nach Wien verpflanzt und gehört in London zu den
                              									prosperirenden Industriezweigen. Der Geschmack des Luftbrodes der Aërated-Bread-Company sagt den meisten
                              									Leuten zu. Es ist frei von jeder Säure und würde vielleicht fade seyn, wenn nicht
                              									ein großer Salzzusatz dem Mangel entgegenwirkte. In diätetischer Hinsicht wird es
                              									fast allgemein empfohlen. Die Gegner desselben stützen sich auf die Ansicht, es sey
                              									für die Verdauung nothwendig, daß die Stärkekörner durch Gährung
                              										„aufgebrochen“ seyen, eine Ansicht, die wohl schwerlich
                              									jemals durch Versuche begründet worden ist. (Aus des Verfassers Ausstellungsbericht über die
                                    											Nahrungsmittel; Leipzig 1868, S. 108).