| Titel: | Technische Reisenotizen von Max Eyth. | 
| Fundstelle: | Band 188, Jahrgang 1868, Nr. CVI., S. 441 | 
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                        CVI.
                        Technische Reisenotizen von Max Eyth.
                        I.Die Modellsammlung
                              									des Patent Office zu
                              								Washington.
                        (Schluß von S. 372 des vorhergehenden
                           								Heftes.)
                        Eyth über die Modellsammlung des Patentamts zu
                           								Washington.
                        
                     
                        
                           Im eilften Schrank dieser Reihe finden wir Windmühlen und
                              										Ventilatoren. Die ersteren haben hier nirgends eine
                              									wesentliche Bedeutung gewonnen, oder richtiger, sie sind durch die Dampfmaschinen
                              									vollständig verdrängt worden. Dieß ist jedoch ein Gebiet, in welchem  sich überall der technische
                              									Dilettantismus breit macht; so finden wir es auch hier überraschend reichlich
                              									vertreten.
                           Die nächsten sechs Schränke sind der Hydraulik gewidmet:
                              									Hähne, Abschlußschieber, Ventile und Klappen, Röhren und Röhrenverbindüngen sind in
                              									großer Mannichfaltigkeit vertreten. In überraschender Anzahl finden wir dann
                              									primitive Vorrichtungen für Ziehbrunnen und Schöpfwerke. Auch das Gebiet von Pumpen
                              									und Spritzen, von denen die Dampffeuerspritze bekanntlich eine Lieblingsschöpfung
                              									der Amerikaner ist, ist erstaunlich reich an originellen Gedanken und Formen.
                              									Weniger entwickelt jedoch finden wir das Gebiet hydraulischer Motoren in Form von
                              									Wasserrädern, Turbinen und Cylindermaschinen. In den letzten 20 Jahren war dasselbe
                              									auf dem europäischen Continent eines der Steckenpferde theoretischer Techniker. Die
                              									hierher gehörigen Apparate haben deßhalb dort einen Grad von Vollkommenheit
                              									erreicht, von dem sie hier offenbar weit entfernt sind. Turbinenformen, die sich im
                              									Princip an die schottischen anschließen, sind die hier gebräuchlichsten.
                           Details in Anordnungen von sogenannten Elevatoren füllen
                              									den nächsten Schrank: Fruchtwaagen, Hebemaschinen und Paternoster, wie sie in den
                              									colossalen Fruchtmagazinen der nördlichen Verkehrsplätze und in den eigenthümlichen
                              									schwimmenden Thürmen in den östlichen Seehäfen gebraucht werden, die zum
                              									Aufspeichern und Umladen von Körnerfrüchten dienen, das Ganze ein in Europa fast
                              									unbekanntes Gebiet.
                           In den folgenden zwei Schränken finden wir Pressen für Heu
                              									und Baumwolle, Oelsamen und Trauben, bei welchen die hydraulische Presse in
                              									auffallender Weise vernachlässigt scheint. Kniehebel- und Schraubenpressen,
                              									und ihre Bewegung durch Pferdekraft ist der leitende Gedanke der meisten dieser
                              									Patente.
                           Die letzten zwei Schränke in dieser Reihe endlich sind mit hebemaschinen, Winden und Krahnen, und Details von Transmissionen gefüllt.
                           Dieses Capitel setzt sich im ersten Schranke der zweiten Reihe der Gallerie des
                              									Nordsaales fort: Frictionsräder, Universalgelenke und verschiedene
                              									Bewegungsübertragungen von eigenthümlicher Form, die mehr den Eindruck von
                              									Curiositäten machen und so beschaffen sind, wie wir sie gelegentlich wohl auch in
                              									alten Büchern des 16ten und 17ten Jahrhunderts fisden.
                           Dann folgen über 600 Formen von Pferdegöpeln — ein
                              									Apparat, der hier, in Millionen arbeitend, endlich wohl die vollkommenste Form
                              									gefunden hat, deren er fähig ist.
                           Die vier folgenden Schränke enthalten Mahlmühlen, mit
                              									Quarz- und 
                              									Farbenreibapparaten beginnend, und mit zwei Schränken voll Mehlmühlen, Mehlpack- und Sortirapparaten schließend.
                           Ein Gebiet, in welchem Amerika einzig dasteht, ist in den zwölf nächsten Schränken
                              									repräsentirt, welche Holzbearbeitungsmaschinen enthalten.
                              									Der hier gebotene Reichthum des Rohmaterials und das Bedürfniß seiner Producte in
                              									den plötzlich aus dem Nichts entstehenden Städten des Landes hat diesen Zweig der
                              									Technik in einer Weise entfaltet, wie vielleicht keinen anderen. Die Masse des
                              									Gebotenen ist jedoch so überwältigend, daß wir auf jedes nähere Eingehen verzichten
                              									müssen und nur rasch an den überfüllten Behältern vorübergehen.
                           Die Sammlung, wenn sie geordnet wäre, könnte mit den eigenthümlichen hier
                              									gebräuchlichen Axt- und Beilformen, und mit den Waldsägen zum Fällen und Zerschneiden der Bäume beginnen. Eines der
                              									neuesten Patente in dieser Abtheilung charakterisirt die Yankeegenialität. Der
                              									Erfinder stellt einen transportablen Dampfkessel in den Wald und versieht ihn mit
                              									einem etliche 100′ langen Dampfrohr aus Kautschuk. Am Ende desselben befindet
                              									sich ein kleines Dampfcylinderchen mit Stoßsteuerung, dessen Kolbenstange sich in
                              									eine gewöhnliche Säge verlängert. Der Cylinder ist mit eigenthümlichen Klauen
                              									versehen, mittelst denen er an den Ast oder Stamm angehakt wird, der umzusägen ist.
                              									Der Arbeiter öffnet dann den Dampfhahn und der Baum fällt um. Sind sämmtliche Bäume
                              									im Bereich des Kautschukschlauches gefällt, so schiebt man den Kessel weiter.
                           Auf Handsägen und Sägeböcke folgen die einfachen verticalen und horizontalen Gattersägen und die großen Dampfgattersägen mit ihren mannichfachen Details. Dann das Capitel der
                              									Kreissägen, m welchem die Aufgabe, die Zähne getrennt in die Scheibe einzusetzen, zu
                              									werthvollen Patenten Veranlassung gab, darauf die hier weniger gebräuchlichen
                              									Bandsägen und die an ihrer Stelle eingeführten Bänder mit alternirender Bewegung.
                              									Dann kommen Hobel-, Fräs- und Stoßmaschinen, gewöhnliche
                              									Rund-Drehbänke und Bohrmaschinen, etliche 600 verschiedene Drehbänke zur
                              									Darstellung unregelmäßiger Formen, Maschinen zum Holzschnitzen nach gegebenen
                              									Modellen in vergrößertem oder verkleinertem Maaßstabe; dann Maschinen zum Dehnen,
                              									Biegen und Brechen des Holzes, Holzspaltmaschinen und schließlich die nicht enden
                              									wollende Reihe von Maschinen zu bestimmten Zwecken—zur Darstellung von
                              									Fässern, Stuhllehnen, Tischbeinen, Thüren und Fensterrahmen, Kisten,
                              									Schusterleisten, Zapfen, Holzschrauben, Pfröpfen, Schuhnägeln, Zündhölzchen,
                              									Bleistiften u. s. w. bis der letzte Schrank mit etlichen 400 Maschinen zur
                              									Darstellung von Schindeln diese Abtheilung beschließt.
                           
                           Die nächste, obgleich nur zwei Schränke umfassende Classe, steht nichts desto weniger
                              									auf der Höhe ihrer Entwickelung. Sie enthält Maschinen zur
                                 										Darstellung von Ziegeln und Backsteinen, in welchen neuerdings die Apparate
                              									zur Fabrication aus trockenem, staubförmigem Lehm eine praktische Rolle zu spielen
                              									anfangen.
                           Hiermit haben wir den Nordsaal beendet. Bei der Unmöglichkeit, irgend welche
                              									sachliche Ordnung in der Reihenfolge der Classen zu entdecken, setzen wir unsere
                              									Wanderung in dem südlichen Ende des Ostsaales fort.
                           Die beiden Eckschränke enthalten eine offenbar sehr vernachlässigte Sammlung von Uhren, Uhrgehäusen und Glocken, ein Gebiet
                              									repräsentirend, welches erst in neuester Zeit, seit jeder Theil der Uhr
                              									maschinenmäßig dargestellt wird, hier Boden zu gewinnen scheint.
                           In ähnlichem verwirrtem Zustande finden wir im ersten Schrank der Reihe rechts
                              									astronomische und physikalische Instrumente, während im zweiten das elektrische
                              									Telegraphenwesen, namentlich in neueren, meist ausländischen Patenten vollständiger
                              									vertreten ist.
                           Der folgende Schrank mit Signal- und Allarmapparaten bot dem praktischen
                              									Scharfsinn der Yankees ein günstigeres Feld. Doch sind die meisten der hierher
                              									gehörigen Patente alt und von dem elektrischen Funken längst verdrängt.
                           Eine der interessantesten Partien der Sammlung bietet sich in den nächsten sechs
                              									Schränken dar, die das Seewesen umfassen. Ohne auf die
                              									reichlich vertretenen Segel- und Takelwerke, auf die hundert Arten
                              									einzugehen, wie ein Steuerruder regiert werden kann, ohne die Fischapparate von der
                              									Harpunkanone bis zur zartesten Angel zu berücksichtigen, werfen wir einen raschen
                              									Blick auf den Stolz der Amerikaner, die Dampfschifffahrt.
                           Die ersten Modelle in diesem Gebiet scheinen um das Jahr 30 und 31 eingegangen zu
                              									seyn. Aus dieser Zeit finden wir ein Schiff mit zwei horizontalen, im Wasser
                              									versenkten und über die Hälfte in die Schiffswandungen eingelassenen Rädern, so daß
                              									nur die über dieselben hervorstehenden Schaufeln das Schiff vorwärts treiben. Im
                              									Jahr 37 erscheint bereits ein Schaufelrad mit excentrischer Verticalstellung der
                              									eingetauchten Schaufeln. Um's Jahr 38 tauchen die ersten Schrauben auf. Die
                              									Anwendung von unter sich unabhängigen Doppelschrauben, welche erst neuerdings in
                              									England zur Geltung kam, stammt hier aus dem Jahr 42 und ist seit Jahrzehnten auf
                              									den Inlandseen des Lorenzo eine ganz gewöhnliche Erscheinung. Die Schraube geht von
                              									der Form eines Holzbohrers bald in ihre jetzige drei- oder vierflügelige
                              									Gestalt  über, die
                              									Flügel in neueren Patenten verstellbar gemacht. Die Form der Schaufelräder geht
                              									durch alle erdenklichen Metamorphosen, indem die Schaufeln bald im Zickzack bald in
                              									Schlangenlinien, bald fächer- und zellenförmig sich durchkreuzend, bald in
                              									Hyperboloidenform gestellt vorgeschlagen werden. Alle diese Constructionen sind
                              									darauf berechnet, der Schaufel einen kräftigeren und stetigeren Halt im Wasser zu
                              									gewähren. Um ihre senkrechte Stellung im Wasser zu erhalten, erscheinen neben dem
                              									bekannten Excenter einige höchst sinnreiche Vorrichtungen in den 40er Jahren. Daran
                              									schließen sich um dieselbe Zeit die Kettenschaufeln, bei denen eine endlose Kette
                              									über zwei Räder laufend, mit Schaufeln versehen, an der ganzen Langseite des
                              									Schiffes hinläuft. An einer Reihe der wunderlichsten Ideen fehlt es diesem Gebiete
                              									nicht. Die Nachahmung des Entenfußes, am Hintertheile des Schiffes angebracht und
                              									von der Kolbenstange des Dampfcylinders direct in Bewegung gesetzt, ist keiner der
                              									schlimmsten und ein vielbehandelter Gedanke. Sinnreich ist, wie dieser Fuß eine
                              									verlängerte Bewegung erhält, indem die Kolbenstange auf eine jener Scheren wirkt,
                              									wie sie in Carnevalsscenen und Kinderspielzeugen zu sehen sind. Die Art des
                              									Auf- und Zuklappens des Fußes veranlaßte noch im Jahr 48–50 mehrere
                              									Patente. Sinnreiche Schraubenbewegungen von Rudern und einfache mechanische
                              									Ruderbewegungen mittelst Excenter und Hebel sind in den 50er Jahren Gegenstand
                              									reichlich productiven Interesses. Im Jahre 43 patentirt ein Erfinder ein Schiff, das
                              									er mittelst Blasens auf das Wasser in Bewegung zu setzen droht. Im Jahr 45 erscheint
                              									das erste Patent der neuerdings mit so vielem Interesse aufgenommenen Idee der
                              									Rückwirkung eines ausgeschleuderten Wasser- oder Dampfstrahles. Hierauf
                              									beziehen sich denn auch die meisten neuesten Patente. — Einen eigenthümlichen
                              									und interessanten Zweig bilden die Patente für die Bewegung von Canalbooten, welche
                              									bekanntlich bis heute noch zu keinem das Problem vollständig lösenden Resultat
                              									geführt haben.
                           Von der hohen See treten wir plötzlich in die Mitte der Häuslichkeit. Zwei Schränke
                              									mit Gasbrennern und Candelabern, Leuchtern, Lampen und Lichtern führen uns weiter in
                              									ein erschreckendes Gebiet von neuen Schränken mit Oefen, Heizapparaten und
                              									Kochherden. Ihre Zahl ist Legion. Kohksöfen, Maschinen zur Darstellung künstlichen
                              									Brennmaterials, Zugregulatoren, Kamine, Korn- und Getreidetrockner
                              									unterbrechen wenigstens momentan dieses umfangreiche Gebiet.
                           Uebrigens darf hier nicht unerwähnt bleiben, daß der Comfort eines amerikanischen
                              									Hauses in allen durch mechanische Mittel erreichbaren Details selbst das englische
                              									hinter sich läßt. Unsere Abneigung gegen  das Hierhergehörige ist deßhalb keineswegs berechtigt.
                              									Aber wo beginnen, wenn 4000 verschiedene Kochöfen unsere Aufmerksamkeit zu fesseln
                              									suchen?
                           Es folgen nun drei Schränke und später ein vierter mit Nähmaschinen. Hier ist wieder ein echt amerikanisches Product vor uns, das
                              									den schöpferischen sowohl als den praktisch beobachtenden Zug im Erfindungsgeist der
                              									Yankees charakterisirt. Wir übergehen die hundert verschiedenen Detailpatente,
                              									welche dieser scheinbar einfache Apparat hervorrief. Neben den eigentlichen
                              									Nähmaschinen finden wir hier natürlich auch die größeren Apparate, welche zum
                              									Ledernähen und zu ähnlichen Verrichtungen bestimmt sind.
                           Um das nördliche Ende des Saales biegend und an der linken Schrankreihe
                              									hinuntergehend, finden wir in bunter Verwirrung die Maschinen
                                 										zur Bearbeitung der Pflanzenfaser. Zuerst vorbei an zwei Ständen mit
                              									Jacquardstühlen, berühren wir die in sehr untergeordneter Weise vertretene
                              									Fabrication des Papieres aus Lumpen, Holz und Stroh. Auf diese folgt ein Stand mit
                              									Strickmaschinen und Rundwebstühlen; darauf Filz- und Hutfabrication; dann die
                              									Darstellung und Färberei des Tuches. In den hierauf folgenden neun Schränken folgen
                              									sich Baumwollengins, Flachs- und Hanfbrecher, Streckstühle, Carden,
                              									Spinnmaschinen und Hand- und Dampfwebstühle. Das Gewirre wird zum Chaos in
                              									den folgenden drei Schränken, in welchen sich Regen- und Sonnenschirme,
                              									Knöpfe, Haften, Kappen und Mützen, Zahnbürsten und Toiletteseifen, chirurgische
                              									Instrumente, Bandagen und Crinolinen drängen.
                           Die vier Schränke am Schlusse dieser Reihe sind dem Kriege
                              									gewidmet, der zum Glück und zur Ehre des Landes einen verhältnißmäßig geringen Raum
                              									beansprucht. Fast sämmtliche hierher gehörige Patente stammen natürlich aus dem
                              									gegenwärtigen Jahrzehnt. Militärisches Lederzeug, Säbel und Trommeln füllen den
                              									ersten, Pistolen, Flinten und Kanonen die drei anderen Schränke. Das Princip des
                              									Hinterladers, und vor Allem des Revolvers, ist die beliebteste Idee dieses Gebietes
                              									und in den neueren Patenten ist namentlich das letztere in seiner Anwendung auf
                              									Kanonen vielfach behandelt. Echt amerikanisch ist eines der neuesten Patente, eine
                              									Waffe für Infanterie in Form einer Drehorgel, bei derem Aufspielen ganze Bataillone
                              									vernichtet werden sollen. Die große weltbewegende Frage der Kanonen und
                              									Panzerplatten, welche durchaus dem Gebiet praktischer Experimente angehört, ist
                              									selbstverständlich hier weniger in die Augen fallend.
                           Auf die Gallerie dieses Saales tretend, finden wir zunächst in acht Schränken die
                              									eigentliche Dampfmaschine in ihren hundert verschiedenen
                              									Anordnungen und tausend Detailvorrichtungen; der Drang, die hin- und  hergehende Bewegung der
                              									Haupttheile der gewöhnlichen Dampfmaschine durch eine rotirende oder wenigstens
                              									oscillirende zu ersetzen, ist der augenscheinliche Charakterzug fast sämmtlicher
                              									neueren Erfindungen. Ein einziger Schrank ist vollständig mit gegen 500 rotirenden
                              									Dampfmaschinen gefüllt, von denen wir vielleicht 4 oder 5 gelegentlich außerhalb des
                              									Patentamtes begegnen. Der in Europa als Landmaschine fast verschwundene oscillirende
                              									Cylinder ist hier noch in voller Gunst, und die Vortheile einer einfachen Steuerung,
                              									die er gewährt, sind in mannichfachster Weise ausgebeutet. Das Capitel der
                              									Schiebersteuerungen ist eines der vielbehandeltsten und das einzige bei welchem die
                              									Patentcommission offenbar die Geduld verlor, indem der dafür bestimmte Doppelschrank
                              									buchstäblich vollgepfropft ist, und die scharfsinnigsten Gedanken in einem wilden
                              									Gewirr von Hebeln, Excentern, Kämmen, Cylindern und Wellen begraben liegen. Auch
                              									Ventil- und Stoßsteuerungen sind vollständig vertreten und in der Praxis
                              									häufiger angewendet als in Europa. Offenbar ist dem Capitel der Expansion und
                              									namentlich ihrer Verstellung durch den Regulator größere Aufmerksamkeit geschenkt
                              									als in England, während Deutschland und Frankreich in der Mannichfaltigkeit der für
                              									diesen Zweck vorgeschlagenen Mittel übertroffen werden.— In allen diesen
                              									Vorrichtungen und Anordnungen zeigt sich ein fast phantastischer Sinn für das
                              									Ungewöhnliche und scheinbar Complicirte, eine kecke Verachtung des Hergebrachten und
                              									ein erstaunlicher Grad praktischen Gefühls. Freilich fehlt es am Tollen und
                              									Unsinnigen nicht und in der Mehrzahl der Fälle ist zur Vermeidung eines Uebelstandes
                              									nach Hülfsmitteln gegriffen, die ein halbes Dutzend andere Nachtheile
                              									hervorrufen.
                           Auch die calorische Maschine ist hier in allen ihren
                              									ersten Verirrungen zu studiren, und die wenigen Glücklichen, welche zu einem
                              									praktischen Resultat gelangten, wie Ericsson, Wilcox und andere, sind von ihren ersten Anfängen in
                              									diesem verführerischen Gebiete zu verfolgen.
                           Dagegen ist die in Europa vielseitig gerühmte Gasmaschine
                              									stiefmütterlich behandelt.
                           Zwei Schränke mit Schienen und Weichen, atmosphärischen Eisenbahnen u. dgl. führen
                              									uns einem Theile der Sammlung zu, in welchem es mit jedem Schritt schwieriger wird,
                              									aus der Mannichfaltigkeit und Masse das Bedeutendere herauszufinden.
                           Auf zwei Schränke mit Garten- und Feldzäunen aus Holz und Eisen, und Maschinen
                              									dieselben darzustellen, folgen zwei Schränke mit Häusern und deren
                              									Details—Treppen, Thüren, Fenstern, Fensterläden  —in denen sich der
                              									praktische Sinn des Landes in seiner ganzen Blüthe zeigt. Dagegen ist das nun
                              									folgende Gebiet der Brücken unentwickelt. Der artistische
                              									Sinn und die wissenschaftliche Bildung, welche in Europa den Brückenbau entfalteten,
                              									sind beide hier in ihrer Kindheit. Auch war das durch die natürlichen Verhältnisse
                              									gebotene Material — das Holz — aus dem fast sämmtliche, selbst die
                              									großen amerikanischen Brücken construirt sind, nicht günstig. So finden wir mit
                              									Ausnahme der großen Drahtseilbrücken, welche durch einen Deutschen zur
                              									amerikanischen Specialität geworden sind, nichts Interessantes. Auch die hier
                              									eingeschalteten Docks übertreffen die englischen Ideen in diesem Gebiete
                              									keineswegs.
                           In den drei folgenden Schränken finden wir Apparate, welche das Graben, Brechen Durchbohren und Bewegen von Erde und Stein zum Zweck
                              									haben, vor allem „Maulwurspflüge“ zur Darstellung von
                              									Drainageröhren, Excavatoren und Baggermaschinen. Die ersteren, welche hier noch
                              									nicht, wie in England, mittelst Dampfkraft in Bewegung gesetzt werden, sind deßhalb
                              									weniger vollkommen als dort. Die Grabapparate in trockener Erde, zur Darstellung von
                              									Dämmen und Canälen, beschränken sich ausschließlich auf das pflugartige Aufschürfen
                              									des Bodens, der über ein endloses Band seitlich abgeworfen wird, und in den
                              									Baggermaschinen scheint die Idee eines continuirlich grabenden Werkzeuges, nach Art
                              									eines Kübelrades oder Paternosterwerkes, mit dem neuerdings in Frankreich wieder
                              									Versuche angestellt wurden, verlassen zu werden und ausschließlich den krahnenartig
                              									bewegten Kästen Platz zu machen. Von den in diesen Schränken eingereihten Steinbohr- und Brechmaschinen stammen die besten
                              									vom Mont-Cenis und aus den Kohlenbergwerken Englands.
                           Am Ende dieser Reihe angelangt, gehen wir an einem Dutzend Schränken vorüber, welche
                              									Patentsärge, Registrirmaschinen, Schlittschuhe, Tabakspfeifen, Fliegenfänger und
                              									Flohfangapparate, Pianofortes und musikalische Instrumente, Stiefelwichsmaschinen
                              									und Mausfallen in wilder Confusion enthalten. Dann folgt ein interessanter Schrank
                              									mit Briefcouvert-, Stempel-, Linir- und Falzmaschinen und eine
                              									Reihe von Schränken, unterbrochen von einem der Photograhie gewidmeten Schrank,
                              									welche der Druckerei, vom Gießen der Lettern bis zum bunten Farbendruck, gewidmet
                              									sind.
                           Die nächsten acht Schränke enthalten Haushaltungsgegenstände: Tische, Stühle, Betten und Bettstellen, letztere
                              									zwei volle Schränke einnehmend, Apfelschäler, Krautschneider, Kühlapparate,
                              									Theekessel und vor Allem — ein speciell amerikanisches Capitel — zwei
                              									Schränke einnehmend über 1000 Waschmaschinen.
                           
                           Das Ganze schließt mit sieben Schränken, die sich auf die Bearbeitung des Leders und seine Verwendung zu verschiedenen Zwecken
                              									beziehen. Zu den sinnreichsten Producten der neuesten Zeit gehören die hier
                              									eingereihten Maschinen zur Darstellung von Schuhen und Stiefeln, während Koffer und
                              									Etuiarbeiten und namentlich Pferdegeschirre reichliche Veranlassung zu den
                              									verschiedenartigsten Patenten boten.
                           Wir haben hiermit unseren Gang durch die zwei Säle beendet, welche Modelle von ertheilten Patenten enthalten. Der dritte, äußerlich von
                              									jenen nicht zu unterscheiden, kann selbstverständlich nur für eingehende
                              									Specialstudien von Interesse seyn und enthält in den meisten Fällen Patente, die
                              									sich mit früherem Datum und vielleicht etwas modificirt, bereits in den ersten Sälen
                              									befinden, oder die wegen ihrer früheren nicht patentirten Anwendung nicht
                              									patentfähig waren, oder endlich solche, die den Stempel der praktischen
                              									Unmöglichkeit gar zu ausgeprägt auf der Stirne tragen. Die Ordnung, in der sich die
                              									Abtheilungen in diesem Saale folgen, ist dieselbe wie in den beiden anderen. Ein
                              									rascher Gang, vorüber an Bekanntem und da und dort an einer absonderlich barocken
                              									Erscheinung, welche uns selbst in diesem Leichensaale todtgeborener Ideen ein
                              									Lächeln entlockt, bringt uns an das schließliche Ende einer Wanderung durch das
                              									gewaltige Gebiet menschlichen Strebens in seinem ewigen, rastlosen Ringen mit der
                              									Materie, wie es sich auf dieser Halbkugel der Erde entfaltet hat.
                           Es ist uns selbstverständlich nicht gelungen, bei dem raschen Ueberblick über die
                              									erdrückende Mannichfaltigkeit ein allgemeines Bild des Ganzen zu gewinnen. Es ist
                              									dieß eine physische Unmöglichkeit und kaum von großem Werth. Noch ist das Gebäude,
                              									welches für die Sammlung und ihren anschwellenden Reichthum bestimmt ist, nicht
                              									vollendet, kaum ist der letzte der Schränke mit Glasthüren versehen und bereits ist
                              									jeder Quadratzoll des Raumes, der für dieses Jahrhundert ausreichen sollte, gefüllt.
                              									Die wöchentliche Anzahl gewährter Patente schwankt in diesem Jahre zwischen 150 und
                              									300, und ist in fortwährendem Wachsen begriffen; 15 Jahre werden 3 weitere Säle
                              									füllen. Wenn auch da und dort in seltenen Fällen das Beginnen und Auftauchen einer
                              									Idee deutlich ersichtlich ist, ein Abschluß ist nirgends mit Bestimmtheit zu
                              									bemerken. Das Bild demnach, welches wir uns heute machen, ist morgen in allen seinen
                              									Einzelheiten fast werthlos.
                           Doch bleibt uns der allgemeine Eindruck, daß der Erfindungsgeist des Amerikaners ein
                              									wesentlich verschiedener ist von dem, der in der alten Welt schafft.
                           
                           Nur die Noth macht erfinderisch. Wenn auch da und dort ein Gedanke wie vom Himmel
                              									gefallen scheint, er bleibt Jahrzehnte, Jahrhunderte ein unfruchtbares Nichts, bis
                              									das Bedürfniß ihm die nöthige Gestalt verleiht. Die materielle Nothwendigkeit gibt
                              									deßhalb diesem scheinbar geistigsten, uncontrolirbarsten Bewegungsprincip, speciell
                              									unserer Zeit, seine bestimmte Richtung.
                           Wir werden deßhalb in den eigenthümlichen Grundbedingungen des amerikanischen Lebens
                              									die Ursachen und die Definition der bemerkten Verschiedenheit entdecken.
                           Der Mensch, mit den Bedürfnissen der Civilisation der alten Welt, tritt hier in
                              									unmittelbare Berührung mit der materiellen Welt in ihrer ursprünglichsten Form. Der
                              									Urwald und die Prairie müssen noch täglich dem Indianer und der einsam herrschenden
                              									Natur abgerungen werden. Das Leben des 19ten Jahrhunderts stoßt gewaltsam auf die
                              									Verhältnisse des ersten. Selbst in Städten, wie die Handelsplätze des Ostens, welche
                              									äußerlich den prachtvollsten der alten Welt nichts nachgeben, fühlen wir auf jedem
                              									Schritt diesen Zusammenstoß und den Einfluß des ungeheuern Westens der mit seinen
                              									Bedürfnissen und Hülfsmitteln in diesem Kampfe steht. Die erste Anfgabe der
                              									amerikanischen Technik ist, ihm die wirksamsten Waffen hierfür in die Hand zu
                              									geben.
                           Theilweise auf dieser breiten Basis entwickelt sich ein anderes Motiv. Es ist die
                              									absolut freie Art, in der sich jeder Amerikaner jeder Aufgabe des Lebens gegenüber
                              									fühlt. Der Schneider von gestern ist heute Präsident der Vereinigten Staaten, der
                              									Metzger Doctor der Medicin, der Schuhmacher Ingenieur. Im Felde der Technik bietet
                              									aber diese Freiheit, welche in anderen Gebieten der Mittelmäßigkeit und dem
                              									Schwindel Thür und Riegel öffnet, weniger Gefahren. Schnitzer gegen die
                              									Nationalökonomie können ein Land ruiniren, ehe sie erkannt werden; Quacksalber und
                              									Winkeladvocaten ein Gemeinwesen physisch und moralisch zu Grunde richten und in
                              									Ehren zu Grabe gehen. Eine Sünde gegen die Hydraulik straft sich hingegen rasch und
                              									ein Verbrechen gegen die Festigkeitslehre schlägt den Missethäter todt, ehe es
                              									vollständig begangen ist. So bleibt in dieser Hinsicht für die erfindende Technik
                              									der Gewinn, die praktische Erfahrung in allen Gewerbszweigen, welche dem
                              									europäischen Ingenieur mehr oder weniger fremd sind, in ihrem Dienste thätig zu
                              									sehen. Ein kecker, durch nichts Hergebrachtes gebundener Muth und eine in's
                              									Unendliche sich verzweigende Mannichfaltigkeit charakterisiren deßhalb vor Allem den
                              									Erfindungsgeist der Yankees.
                           Sodann sind es, wie in jedem anderen Lande, eigenthümliche Richtungen,  welche die Technik mit Vorliebe
                              									verfolgt, die sich aus physischen oder socialen Verhältnissen ergeben.
                           Das colossale und durchaus eigenthümliche Verkehrsleben auf dem amerikanischen
                              									Continent entwickelte die amerikanischen Dampfschiffe und Eisenbahnen in der ihnen
                              									eigenen von den entsprechenden europäischen Verkehrsmitteln grundverschiedenen
                              									Form.
                           Der Mangel an Arbeitskräften für das enorme Gebiet der Landwirthschaft schuf die
                              									Mähmaschine und entwickelte das ganze Gebiet der landwirtschaftlichen Technik zu
                              									überraschender Vollkommenheit.
                           Die in den socialen Verhältnissen liegende Schwierigkeit, weibliche Arbeit in
                              									genügendem Grade zu erhalten, führte auf die Nähmaschine, die Waschmaschine, und die
                              									hundert kleinen Vorrichtungen, welche in Küche, Haus und Keller die härteren
                              									Arbeiten erleichtern und reduciren.
                           Das rasche Entstehen der Städte und das durch die Natur reichlich gebotene Material
                              									entwickelte die Holzbearbeitungsmaschinen u. s. f.
                           Auf der anderen Seite drängt der unendliche Reichthum des Landes nicht, wie in
                              									Europa, zu der concentrirten Anstrengung, zu der auf die höchste Stufe getriebenen
                              									Vervollkommnung der Hülfsmittel, und vor Allem fehlt dem Amerikaner die
                              									wissenschaftliche Basis, mittelst deren allein diese Vollkommenheit erreicht werden
                              									kann.
                           Deßhalb zu entscheiden, auf welcher Seite des atlantischen Oceans die Erfindungskraft
                              									thätiger arbeitet, ist ein schwieriger Versuch. Was die Primitivität großer Ideen
                              									betrifft, so kommt Amerika bei näheren Forschungen gewöhnlich schlecht weg, denn
                              									jede große Idee taucht im Laufe der Zeit zehnmal auf, ehe sie zur Erfindung wird;
                              									Amerika ist aber zu jung, um sich mit der alten Welt messen zu können. Wer das erste
                              									Dampfschiff, die erste Mähmaschine erdachte, das sind selbst in der alten Welt nie
                              									ganz zu entscheidende Fragen.
                           Während hier der Geist des Erfindens mehr in's Breite, Mannichfaltige arbeitet,
                              									erscheint er drüben concentrirter; ist er hier vielleicht schöpferischer, so ist er
                              									in Europa entwickelnder. Jedenfalls ist er hier wie dort kein Maaßstab für das
                              									Geleistete. Der Gedanke ist nur ein Theil der Erfindung, ein viel unbedeutenderer,
                              									vom praktischen Standpunkte aus, als man gewöhnlich annimmt. Auf dem Millionen
                              									Meilen umfassenden Gebiete der Vereinigten Staaten haben wir zu suchen, was dieser
                              									Geist, dessen Geburtsstätte wir in den drei Sälen des Patentamtes betrachteten,
                              									wirklich zu schaffen im Stande war, wenn wir uns ein richtiges Bild von der
                              									amerikanischen Technik, verglichen mit derjenigen der alten Welt, machen wollen.