| Titel: | Ueber Opiumgewinnung in der Umgegend Berlins; von Dr. C. O. Harz. | 
| Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. LXVIII., S. 244 | 
| Download: | XML | 
                     
                        LXVIII.
                        Ueber Opiumgewinnung in der Umgegend Berlins; von
                           Dr. C. O. Harz.Aus Wittstein's Vierteljahresschrift für praktische
                                       Pharmacie vom Verf. Mitgetheilt.
                        Harz, über Opiumgewinnung in der Umgegend Berlins.
                        
                     
                        
                           Obgleich die Opiumgewinnung in Deutschland schon vor 40 Jahren von Engerer, Geiger, Biltz u. A. mit bestem Erfolge versucht worden war, so
                              hatte sie dennoch bis jetzt in Deutschland keine Nachahmung gefunden. Herrn
                              Professor H. Karsten gebührt das Verdienst, diesen
                              Culturzweig neuerdings und zu wiederholten Malen in Anregung gebracht zu haben,H. Karsten: über Opiumgewinnung, in der
                                    Zeitschrift für Acclimatisation, Berlin 1864; über Mohnbau und
                                    Opiumgewinnung, in den Annalen der Landwirthschaft, Wochenblatt 11, Berlin
                                    1865. indem er in seinen Schriften u. a. auf die großen Vortheile
                              hinwies, welche die Opiumgewinnung neben dem Samenertrage bei dem Mohnbau darbietet.
                              Das aus dem Samen erhaltene Oel übertrifft an Wohlgeschmack jedes Speiseöl, wie es
                              ja auch in Süddeutschland, wo der Mohn fast allgemein gebaut wird — beinahe
                              ausschließlich als solches im Haushalte angewendet wird.
                           Nachdem sich bei früheren Versuchen über Mohnbau auf dem Berliner  Acclimatisationsfelde die unter
                              dem Namen Riesenmohn bekannte Mohnvarietät als samenergiebigste erwiesen hatte, und
                              dieser der sog. blaue und der weiße Mohn hierin wenig nachstanden, wurden sie auf
                              Professor Karsten's Vorschlag im Jahre 1864 behufs
                              Opiumgewinnung auf dem Acclimatisationsfelde wieder gebaut. Die Pflanzen gediehen
                              auf dem sehr dürren aber stark gedüngten Sandboden recht gut. Die dabei erhaltenen
                              Opiumproben zeigten alle äußeren Eigenschaften eines guten Smyrnaer Opiums und
                              erwiesen sich nach Hrn. Apotheker Marggraff's
                              Untersuchung folgendermaßen:
                           
                              
                                 
                                 lösl. Bestandtheile
                                 organ. Basen,
                                 wovon Morphin
                                 
                              
                                 Riesenmohn
                                 66,3
                                 Proc.
                                 13,6
                                 Proc.
                                 9,3
                                 Proc.
                                 
                              
                                 blauer Mohn
                                 70,1
                                 Proc.
                                 10,7
                                 Proc.
                                 8,0
                                 Proc.
                                 
                              
                                 weißer Mohn
                                 69,6
                                 Proc.
                                 8,0
                                 Proc.
                                 
                                 
                                 
                              
                           Die beiden letzten Proben waren zu gering, um genaue Resultate liefern zu können, sie
                              übertrafen an Intensität des Geruches das aus dem Riesenmohn gewonnene Opium und
                              würden bei größerer Menge nach Marggraff's Vermuthung
                              sicher denselben Morphinprocentgehalt gezeigt haben.
                           Im Jahre 1866 wurden an mehreren Orten bei Berlin zugleich Versuche zur
                              Opiumgewinnung gemacht.Zeitschrift für Acclimatisation, 1866 und 1867.
                           Zunächst hatte sich Hr. Professor H. Karsten selbst in
                              Charlottenburg ein Feld mit Mohn bestellt. Der Mohnsame wurde auf dem altgedüngten
                              Sandboden reihenweise in der Art gesäet, daß je zwei Reihen 6″ von einander
                              entfernt durch einen Zwischenraum von 2′ von den nächsten Reibenpaaren
                              getrennt waren. Nachdem die Pflanzen schön aufgegangen waren, wurden sie auf
                              4″ Abstand versetzt; sie blühten schön auf und wurden etwa 8 Tage nachher,
                              als die Kapseln Wallnußgröße erreicht hatten, in einem von der Basis nach der Spitze
                              rings herumlaufenden Spiralschnitte mit der Vorsicht angesetzt, daß die Kapselwand
                              nicht durchschnitten wurde.
                           Nach vielfältigen Versuchen des Hrn. Prof. Karsten hatte
                              sich der angeführte Spiralschnitt als der meist ergiebigste erwiesen — ein
                              einfacher Querschnitt in etwa ⅓ der Basalhöhe der Kapsel rings herum geführt
                              gibt beinahe dieselbe Milchsaftmenge; gar nicht zu empfehlen sind indeß zahlreiche
                              von unten nach oben geführte Parallelschnitte.
                           Es ist sehr wesentlich, daß die Kapselwandungen ungeritzt und nicht durchschnitten
                              werden, da man hierdurch einerseits durch Saftverlust,  andererseits durch das darnach
                              erfolgende Austrocknen der Kapseln im Opium- und Samenertrage bedeutende
                              Verluste erleiden würde; während bei vorsichtiger Manipulation der Samenertrag in
                              keiner Weise benachtheiligt wird. Um das Einschneiden der Kapseln mit Schnelligkeit
                              und Sicherheit in der gewünschten Weise vornehmen zu können, unterband H. Karsten die Spitze eines gewöhnlichen Gartenmessers
                              mittelst Bindfadens oder eines Leinwandläppchens so, daß ein so tiefes Eindringen
                              der Messerklinge unmöglich wurde. Die Operation gieng so äußerst rasch vor sich und
                              wurde der sofort herausgetretene Milchsaft nach wenigen Minuten und ehe er noch fest
                              geworden mit dem Finger abgenommen und in ein bereit gehaltenes Gefäß gewischt. Ein
                              zweimaliges Einritzen der Kapseln, etwa nach ein paar Tagen, hatte sich als
                              erfolglos erwiesen. Der gewonnene Milchsaft wurde bei gelinder Wasserbadwärme
                              eingetrocknet und lieferte ein Opium von vorzüglichen äußeren Eigenschaften, es
                              löste sich in destillirtem Wasser zu ⅔ auf und enthielt nach H. Karsten's Untersuchung 10 Proc. Morphin.
                           Zu derselben Zeit sammelte Karsten von einem durch Hrn.
                              Hermes zu Hermsdorf gebauten Mohn Opium. (Es war ein
                              Riesenmohn, der auf gutem Gartenboden nach H. Karsten's
                              Anweisung wie oben gepflanzt worden war.) Das Anritzen geschah ebenso, das erhaltene
                              Opium löste sich gleichfalls zu ⅔ in destillirtem Wasser auf und enthielt 10
                              Proc Morphin.
                           Im gleichen Jahre hatte auch Hr. Lehrer R. Schulze in
                              Pankow Opium zu gewinnen versucht. Der Mohnbau war auf altgedüngtem Sandboden
                              gleichfalls nach oben erwähnter Methode geschehen. Beim Anritzen der Kapseln wurde
                              indeß nicht die nöthige Sorgfalt verwendet und viele Kapseln giengen in Folge der
                              eingetretenen Vertrocknung zu Grunde.
                           Trotzdem wurden auf den dazu verwendeten 27½ Quadratruthen noch 8 Metzen guten
                              Mohnsamens und ¼ Pfund Opium erhalten.
                           Dieses löste sich zu ½ in destillirtem Wasser und enthielt nach H. Karsten's Untersuchung gleichfalls 10 Proc. Morphin.
                           Im letzten Jahre (1867) bebaute derselbe Herr zu Pankow das gleiche Feld mit Mohn.
                              Die Manipulationen waren in ähnlicher Weise geschehen, aber mit mehr Vorsicht als
                              srüher. Das sofortige Abnehmen des noch flüssigen Milchsaftes mit dem Finger erwies
                              sich wiederum als für unser Klima am geeignetsten; da einerseits die Sonnenwärme
                              meist nicht hinreicht, um denselben bis zum Abend trocken zu machen, daß er gegen
                              den Nachtthau geschützt wäre — andererseits aber der große Vortheil geboten
                              wird, selbst bei anhaltender Regenzeit sich nach Belieben eine gute Stunde zu jeder
                              Tageszeit aussuchen zu können.
                           
                           Durch Hrn. Prof. H. Karsten's gütige Vermittelung war mir
                              das dabei gewonnene Opium zur Untersuchung übergeben worden. Nachdem es schon längst
                              in einer Pappschachtel aufbewahrt gewesen, zeigte es folgende Eigenschaften: Es war
                              sehr hart, zähe, von Farbe graubraun, dem Lactucarium
                                 germ. ähnlich, bildete eine von Linsen- bis Erbsen-großen
                              Thränen durchsetzte etwas glänzende Masse, die sich schwer zu einem fast hellgrauen
                              Pulver zerreiben ließ. Der Geruch war intensiv, stärker als beim Smyrnaer Opium,
                              doch ebenso angenehm — er erinnerte gleich der Farbe etwas an Lactucarium,
                              — der Geschmack war dem des besten Opiums durchaus ähnlich. Die im Verhältniß
                              der Pharmacopoe bereitete Tinctur war indeß kaum ⅓ so dunkel gefärbt, als die
                              aus Smyrnaer Opium bereitete. 15 Grm. dieses Opiums gaben an kaltes destillirtes
                              Wasser 7,41 Grm. = 49 Proc. lösliche Bestandtheile ab; aus der wässerigen Lösung
                              wurden durch Alkohol von 80 Proc. 1,41 Grm. = 9,4 Proc. gummiartige Stoffe und Salze
                              abgeschieden. Das Filtrat lieferte mit Ammoniak nach 10tägigem Stehen 1,63 Grm. =
                              10,9 Proc. Morphinkrystalle. Die in Wasser unlöslichen 7,59 Grm. gaben an Alkohol
                              von 80 Proc. 1,16 Grm. = 7 Proc. harzartiger Masse ab. Der Rest mit Chloroform
                              ausgezogen lieferte nach dem Abfiltriren und Verdampfen des Chloroforms 2,15 Grm. =
                              14 Proc. einer nicht fest werdenden braunen, zähen, sich sonst wie Kautschuk
                              verhaltenden Masse.
                           Die bei uns bis jetzt angestellten Versuche haben demnach durchaus befriedigende
                              Resultate geliefert; indeß läßt sich mit Bestimmtheit annehmen, daß durch
                              fortgesetzte Versuche und die hierbei noch zu gewinnenden praktischen und
                              theoretischen Erfahrungen die Ausbeuten an noch morphinreicherem Opium sich
                              bedeutend mehren werden. Wie ja auch durch rationelle Cultur der Cinchonen durch die
                              Engländer in Ostindien Rinden erhalten werden, die viel reicher an Alkaloid resp.
                              Chinin sind, als die amerikanischen.
                           In Frankreich haben die ersten Versuche schon längst eifrige Nachahmung gefunden und
                              hat sich die Opiumgewinnung neben der Mohnsamenernte so ergiebig gezeigt, daß schon
                              vor mehreren Jahren im Departement Somme 50,000 Morgen Land mit Mohnsamen bestellt
                              waren, welche 255,000 Scheffel Mohnsamen (1,194,160 Thaler entsprechend) und für
                              508,000 Thaler Opium lieferten.
                           Nach Hrn. Merck in Darmstadt werden in Deutschland
                              jährlich für 300,000 bis 400,000 Thaler Opium eingeführt, ebenso gehen für Speiseöl
                              gewiß gegen 2 Millionen Thaler jährlich in's Ausland, welche großen Snmmen dem Lande
                              erhalten bleiben könnten.
                           Die Opiumgewinnung eignet sich besonders für den kleinen Landbebauer,  welcher sich auf diese Weise
                              ein feinschmeckendes Speiseöl, den Erlös aus dem Ueberschuß desselben und des Opiums
                              zu Nutze machen kann. Die Arbeitspreise behufs Einsammlung des Opiums sind kaum für
                              ihn in Anrechnung zu bringen. Frauen und Kinder können diese Arbeit verrichten und
                              sich dazu irgend eine beliebige Stunde zu jeder Tageszeit auswählen. Die Bitterkeit
                              des Opiums wird keine der dabei beschäftigten Personen zum Kosten desselben
                              verleiten lassen, wie ja auch im Oriente die Opiumgewinnung stets von solchen Leuten
                              geschieht, ohne daß je irgend der leiseste Unfall dabei entsteht.
                           Damit die Versuche zur Opiumgewinnung in geeigneter zweckentsprechender Weise von den
                              Landleuten angestellt werden können, ist es nöthig und wünschenswerth, daß Apotheker
                              und Ackerbauschulen diesen mit Rath und That zur Seite stehen, um diesen für den
                              einzelnen Landmann wie für den Staat gleich wichtigen Culturzweig auch bei uns, wie
                              in Frankreich schon längst mit großem Erfolge geschehen, in Aufschwung zu
                              bringen.
                           Der bis jetzt bei unserem Opium weniger vorhandene dunkle Farbstoff ist zur
                              Reindarstellung des Morphins, worauf doch alles ankommt, nur vortheilhaft und kann
                              das über 10 Proc. Morphin enthaltende Opium durch aus der Mohnpflanze dargestelltes
                              Extract dem Smyrnaer gleichaussehend gemacht werden, wie ja in der Türkei selbst mit
                              solchem morphinreichem Opium verfahren wird.
                           Heut zu Tage, wo Opium selbst fast nur noch von veralteten Aerzten als Medicament
                              verordnet wird, kann die Farbe des Opiums nicht mehr in Betracht kommen, und mögen
                              die paar Pfunde, welche man in Deutschland noch gebraucht, immerhin aus dem Oriente
                              bezogen werden. Die preußische Pharmacopoe verlangt indeß nicht mehr das türkische
                              Opium, sondern macht die Güte des officinellen allein von dem Morphingehalte, der 10
                              Proc. betragen soll, abhängig.
                           Möge der von H. Karsten gemachte, aber bis jetzt noch kaum
                              beachtete Vorschlag zur Opiumgewinnung Seitens der Apotheker und
                              landwirtschaftlichen Anstalten reichliche Unterstützung finden, damit durch deren
                              Mithülfe der Mohnbau und die Opiumgewinnung unter dem Landvolke angeregt und
                              verbreitet werde.