| Titel: | Die chemische Industrie Staßfurt's; von F. Michels. | 
| Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. LXXX., S. 282 | 
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                        LXXX.
                        Die chemische Industrie Staßfurt's; von F. Michels.
                        Aus der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure,
                              1868, Bd. XII S. 569.
                        Michels, über die chemische Industrie Staßfurt's.
                        
                     
                        
                           Aus den Acten der königlichen Salzwerksverwaltung in Staßfurt ist nicht recht zu
                              ersehen, wer zuerst auf die Wichtigkeit der Kalisalze für Industrie und
                              Landwirthschaft aufmerksam gemacht hat.
                           Die erste wissenschaftliche Beschreibung des Staßfurter Lagers und der in demselben
                              vorkommenden Salze ist von Dr. E. Reichardt in Jena (Anfang 1860). Dieselbe wurde vervollständigt durch ein
                              Werkchen von F. Bischof (1864).
                           Im Jahre 1860 wurden von der königl. Bergbehörde Proben der Kalisalze an eine größere
                              Menge inländischer chemischer Fabriken gesandt und zur Verwerthung des Materiales
                              aufgefordert; doch wurden in diesem Jahre im Ganzen nur 1512 Ctr. an chemische
                              Fabriken (Sigrist in Buckau und C. Kulmitz in Saarau) abgegeben. Im folgenden Jahre erhöhte sich der Absatz
                              an chemische Fabriken bereits auf 20,497 Ctr., welche von C. Lieber in Charlottenburg, Fikentscher in
                              Zwickau, Sigrist in Buckau, Kunheim und Comp. in Berlin, Fölsche und Comp. in Sudenburg
                              bei Magdeburg, Vorster und Grüneberg in Kalk bei Deutz und A. Frank in
                              Staßfurt bezogen wurden.
                           Die ersten Fabriken in Staßfurt selbst wurden in der Mitte des Jahres von A. Frank und von Vorster und Grüneberg angelegt. Die Fabrik des ersteren, auf eine
                              Verarbeitung von täglich etwa 20 Ctr. Abraumsalz eingerichtet, kam im October 1861
                              in Betrieb, reussirte aber Anfangs nicht in der Darstellung von Chlorkalium; die
                              Fabrik von Vorster und Grüneberg hatte schon die Bewältigung von täglich 200 Ctr. im Auge,
                              eröffnete aber erst im December desselben Jahres die Arbeit.Aus dem zufälligen Umstande, daß A. Frank die
                                    erste Fabrik in Staßfurt selbst eröffnete, ist wohl der auch in einige
                                    technische Lehrbücher übergegangene Irrthum entstanden, als habe derselbe
                                    hervorragende Verdienste um Begründung der Kaliindustrie, oder sey gar
                                    „Entdecker der Kalisalze“ Die obigen actenmäßigen Thatsachen widerlegen diesen
                                    Irrthum. Die jetzt noch gebräuchlichen Methoden der Darstellung des
                                    Chlorkaliums aus den Abraumsalzen rühren von Fölsche und Comp., Vorster und Grüneberg und Leisler
                                    und Townsend her, welche drei Fabriken unabhängig
                                    von einander ungefähr zu demselben Resultate gekommen sind, während alle anderen Fabriken, die sich jetzt noch mit
                                    dieser Fabrication beschäftigeu, eine oder die andere Fabrik copirt
                                    haben.
                           
                           Im folgenden Jahre wurden weitere Fabriken gegründet (Leisler und Townsend, N. F. Loefaß), und als in den von der herzogl. anhaltinischen
                              Regierung zu Leopoldshall, hart an der preußischen Grenze, in Angriff genommenen
                              Bauen ein reichhaltiges Lager nachgewiesen war, lagerten sich dort (1863) in die
                              Nähe der Schächte eine Reihe von Fabriken. Dieselben wurden, angelockt durch den
                              guten Gewinn der bestehenden preußischen Fabriken, mit überstürzender Hast gegründet
                              und lediglich zur Darstellung von Chlorkalium eingerichtet. Das bisher erzeugte
                              Chlorkalium hatte zu guten Preisen reichlichen Absatz gefunden und zwar fast
                              ausschließlich zur Fabrication von Kalisalpeter mittelst Natronsalpeter. Durch die
                              so erheblich und plötzlich erhöhte Production, welche weit über das Bedürfniß hinaus
                              gieng, wurde eine Krisis hervorgerufen, und der jungen, des Schutzes noch sehr
                              bedürftigen Industrie ein arger Stoß versetzt. Von den Ende 1864 bestehenden
                              sechzehn Fabriken giengen fünf zu Grunde oder in andere Hände über, während die
                              günstiger situirten und besser geleiteten Fabriken die Verwerthung der bis dahin
                              nicht benutzten anderweiten Bestandtheile der Abraumsalze in's Auge faßten.
                              Hauptsächlich die starke Concurrenz der Fabriken untereinander zwang die rationellen
                              Fabriken, diese Industrie, welche auf Verwerthung der Abraumsalze basirte, immer
                              weiter auszubilden, sowohl nach chemischer, als auch nach mechanischer Seite, in
                              Bezug auf billigste Herstellung der einzelnen Stoffe so gut wie auf größte
                              Ausdehnung des Absatzgebietes. In der verhältnißmäßig kurzen Zeit von sieben Jahren
                              hat sich dann eine mannichfaltige Industrie ausgebildet, welche durch diese
                              Mannichfaltigkeit die Gewähr einer weiteren Entwickelung für die Zukunft in sich
                              birgt.
                           Es werden jetzt in Staßfurt hergestellt: Chlorkalium (Kalisalpeter), schwefelsaures
                              Kali, Potasche, schwefelsaures Natron (calcinirtes und krystallisirtes Glaubersalz),
                              schwefelsaure Magnesia (calcinirtes und krystallisirtes Bittersalz), Chlormagnesium,
                              Brom, Borsäure und Düngesalze.
                           Kochsalz (Siedesalz) zum Speisegebrauch wird zur Zeit trotz Aufhebung des
                              Salzmonopols nicht dargestellt, hauptsächlich weil die in der  Nähe befindlichen fiscalischen
                              Salzwerke (Schönebeck, Halle, Dürrenberg) unter so günstigen Verhältnissen arbeiten,
                              daß eine erfolgreiche Concurrenz einen Gewinn nicht erhoffen läßt. Auch die
                              Verarbeitung von Kochsalz mittelst Schwefelsäure zu Glaubersalz und Soda hat bisher
                              in Staßfurt nicht Platz gegriffen.
                           Die Grundlage der Staßfurter Industrie ist noch immer die Chlorkaliumfabrication.
                           Die Kalisalze, auch Abraum- oder Carnallitsalze genannt, werden theils in der
                              Grube, theils zu Tage einer Handscheidung unterworfen und enthalten dann im
                              Durchschnitt 15 bis 17 Procent Chlorkalium, indem sie ein Gemenge bilden aus:
                           
                              
                                 etwa
                                 55
                                 bis
                                 60
                                 Proc.
                                 Carnallit (KCl + 2 MgCl + 6 HO),
                                 
                              
                                 etwa
                                 12
                                 bis
                                 15
                                 Proc.
                                 Kieserit (MgO, SO3 + HO),
                                 
                              
                                 etwa
                                 25
                                 bis
                                 30
                                 Proc.
                                 Steinsalz (NaCl),
                                 
                              
                           der Rest ist Anhydrit, Thon etc.
                           Dieses Salzgemenge wird von einigen Fabriken als „Stücksalze,“
                              von anderen im gemahlenen Zustande verarbeitet. Die Extraction des Chlorkaliums aus
                              diesem Salze beruht auf der Beobachtung, daß der Carnallit erheblich leichter
                              löslich im Wasser ist, als Kieserit und Steinsalz; wenn man also unter Anwendung von
                              Wärme diese Salze mit weniger Wasser in Berührung bringt, als zum vollständigen
                              Auflösen erforderlich ist, so löst sich vorwiegend Carnallit, während der größte
                              Theil des Steinsalzes und Kieserites ungelöst bleibt. Die concentrirte
                              Carnallitlösung läßt beim Erkalten Chlorkalium und Kochsalz auskrystallisiren,
                              während die Mutterlauge durch Eindampfen concentrirt wird. Dabei scheiden sich das
                              in der Lösung befindliche Chlornatrium und die schwefelsaure Magnesia aus, letztere
                              in chemischer Verbindung mit schwefelsaurem Kali. Die eingedampfte Lauge läßt dann
                              je nach dem Grade ihrer Concentration Chlorkalium auskrystallisiren oder künstlichen
                              Carnallit (KCl + 2 MgCl + 12 HO); im ersten Falle wird
                              die so erhaltene kalte Mutterlauge nochmals concentrirt; aus dieser zum zweiten Male
                              eingedampften Lauge scheidet sich dann ebenfalls Carnallit aus, der, bei gleicher
                              Behandlung wie der natürliche Carnallit, Chlorkalium in großer Reinheit liefert.
                              Wenn diese gehörig concentrirte Lauge auf 18 bis 20° C. erkaltet, so ist sie
                              fast frei von Chlorkalium und enthält im Wesentlichen nur Chlormagnesium und
                              Brommagnesium. Sie bildet das Rohmaterial zur Herstellung von gereinigtem
                              Chlormagnesium und Brom
                           Bei der technischen Ausführung der Chlorkaliumdarstellung unterscheiden sich die
                              verschiedenen Fabriken wesentlich. Einige lösen in  schmiedeeisernen Kesseln mit
                              Siebböden durch Einleiten von Dampf und bearbeiten mit der Hand, andere nehmen diese
                              Operation in sehr großen 200 bis 400 Ctr. fassenden geschlossenen Gefäßen, welche
                              mit mechanischen Rührwerken versehen sind, vor; wieder in anderen Fabriken löst man
                              bei freiem Feuer und rührt mit der Hand in stachen Pfannen.
                           Die bedeutendste Anlage zur Gewinnung des Chlorkaliums ist jetzt die von Leisler und Townsend, die sich
                              durch mechanische Einrichtungen auszeichnet. Die großen Lösegefäße fassen 400 Ctr.
                              gemahlener Salze und werden durch Elevatoren gefüllt. Das Erkalten der Lauge
                              geschieht in großen flachen, frei stehenden eisernen Bassins von je 2000 bis 2500
                              Kubikfuß (60 bis 75 Kubikmeter) Inhalt, die mit mechanischen Rührwerken versehen
                              sind. Das auskrystallisirte Chlorkalium wird durch Schleudern in Centrifugen
                              gereinigt und getrocknet.
                           Alle verschiedenen Methoden sind nicht frei von Vortheilen und Nachtheilen, die sich
                              indessen so weit aufheben, daß bei sonst rationeller Leitung die Herstellungskosten
                              ziemlich dieselben sind. Das Chlorkalium, welches durch krystallisiren gewonnen ist,
                              wird durch Ueberlaugen mit Wasser von der anhängenden Mutterlauge und von einem
                              großen Theile des mitauskrystallisirten Chlornatriums befreit und in Flammöfen, auf
                              Darren oder durch Centrifugen getrocknet. Es enthält alsdann 80 bis 90 Proc.
                              Chlorkalium und 10 bis 20 Proc. Kochsalz, stärkere Waare (95 bis 98 Proc.) wird
                              durch nochmalige Umsiedlung der ersteren gewonnen und jetzt in einigen Fabriken in
                              größeren Mengen dargestellt.
                           Abweichend von dieser Gewinnungsmethode hat eine Fabrik (Vorster und Grüneberg) seit drei Jahren vor der
                              chemischen Verarbeitung eine mechanische Scheidung der drei wesentlichen
                              Bestandtheile der Rohsalze eintreten lassen. Carnallit, Kieserit und Steinsalz
                              unterscheiden sich durch ihr specifisches Gewicht: man kann dieselben also durch
                              mechanische Einrichtungen ebenso scheiden, wie Erze vom Nebengestein geschieden
                              werden. Da aber durch Wasser die Salze theilweise gelöst werden würden, hat man
                              statt desselben eine kalt gesättigte Chlormagnesiumlösung in Anwendung gebracht. Das
                              gemahlene Salzgemenge wird nach verschiedenen Korngrößen durch Siebtrommeln getrennt
                              und dann in Setzmaschinen geschieden. Man erhält einen sehr reinen Carnallit,
                              welcher sich viel leichter verarbeitet und ein hochgrädiges Chlorkalium liefert, das
                              sonst schwieriger herzustellen ist.
                           Das bei der gewöhnlichen Verarbeitung der Carnallitsalze beim Lösen zurückbleibende
                              Gemenge von Steinsalz und Kieserit, Anhydrit und Thonschlamm sammelte sich bei der
                              ausgebreiteten Fabrication in großen Mengen an. Theils der Wunsch, diesen Ballast
                              „die Rückstände“ los  zu werden, theils die geringe Rentabilität der
                              Chlorkaliumfabrication, zwang Ausgang des Jahres 1864 die Fabrikanten, an eine
                              Verwerthung dieses Materiales zu denken. Die Verarbeitung des Pfannensteines der
                              Schönebecker Saline in der Herrmann'schen Fabrik zeigte
                              den Weg, auf welchem dieß möglich war. Chlornatrium und schwefelsaure Magnesia in
                              Lösung gebracht, zersetzen sich schon bei 5° C. in gewässertes schwefelsaures
                              Natron (Glaubersalz) und Chlormagnesium. Man löst im Winter die durch längeres
                              Lagern an der Luft löslicher gewordenen Rückstände in warmem Wasser zu bestimmter
                              Concentration und setzt die erhaltene Lauge in großen flachen Gefäßen aus Holz oder
                              Stein der Frostkälte aus. Das gewonnene rohe Glaubersalz, welches in nadelförmigen
                              Krystallen sich ausscheidet, enthält immer noch Kochsalz und Chlormagnesium und wird
                              entweder zu „krystallisirtem“ Glaubersalz umraffinirt oder zu
                              „calcinirtem“ Glaubersalz entwässert. Eine Fabrik (Ziervogel und Comp.) hat eine
                              bedeutende Anlage dieser Fabrication gewidmet, während die übrigen Fabriken die
                              Darstellung des Glaubersalzes nebenbei betreiben. In der erwähnten Fabrik wird im
                              Sommer der Rückstand in Wasser von Lufttemperatur gelöst, die Lauge in große
                              Reservoirs von 100,000 bis 150,000 Kubikfuß (3000 bis 4000 Kubikmeter) Inhalt
                              abgelassen und im Winter mittelst Centrifugalpumpen auf die Krystallisirfläche
                              gepumpt. Mittelst dieser Einrichtung gelingt es in einer Frostnacht 1500 bis 2000
                              Ctr. rohes Glaubersalz zu erhalten.
                           Die an diese Fabrication geknüpften bedeutenden Erwartungen (Zeitschrift für das
                              Berg-, Hütten- und Salinenwesen in Preußen, XII. S. 106 und XIII. S. 2) sind nicht in
                              Erfüllung gegangen; auch hat eine Anwendung von Eismaschinen — wie in
                              Südfrankreich zu gleichem Zwecke — nicht stattgefunden. Im Gegentheil hat die
                              Glaubersalzfabrication in neuerer Zeit um so mehr verloren, als man seit drei Jahren
                              (zuerst und hauptsächlich in den Fabriken von Vorster und
                              Grüneberg) begonnen hat, die schwefelsaure Magnesia
                              der Rückstände zur Darstellung von schwefelsaurem Kali und von krystallisirtem
                              Bittersalz zu verarbeiten.Man s. die Mittheilung von Dr. Grüneberg im polytechn Journal Bd. CLXXXIX S.
                                       238 (erstes Augustheft 1868). Während man zur
                              Fabrication von Glaubersalz nur die alten Rückstände verwenden konnte, bei denen der
                              Kieserit durch allmähliche Wasseraufnahme löslich geworden ist, dienen zur Bittersalzfabrication die „frischen“
                              Rückstände, wie sie bei der Chlorkaliumfabrication abfallen. Der Kieserit hat die
                              Eigenschaft, daß er in frischem  Zustande in kaltem Wasser fast unlöslich ist, aber unter
                              Wasser in ein feines Pulver zerfällt. Wirft man nun diese
                              „frischen“ Rückstände auf ein feines Sieb unter Zuströmen
                              von Wasser, so löst sich Steinsalz auf, der Kieserit zerfällt und das feine
                              Kieseritmehl geht durch die Maschen des Siebes, während der größte Theil des
                              Anhydrites mit dem ungelösten Steinsalz auf dem Siebe zurückbleibt. Läßt man nun das
                              feine Kieseritmehl unter einem Strome von kaltem Wasser durch eine lange Rinne
                              fließen, so setzt sich zuerst der schwere Anhydrit ab, dann erst Kieserit, während
                              ein feiner, etwas Boracit enthaltender Thonschlamm durch das Wasser mit fortgerissen
                              wird. Nachdem sämmtliches Wasser abgeflossen ist, wird das Kieseritmehl mit
                              möglichster Rücklassung des Anhydrites in etwas conische hölzerne Formen gethan und
                              erhärtet zu einer steinharten, cementartigen Masse, indem die schwefelsaure Magnesia
                              theilweise Wasser aufnimmt, krystallisirt und dabei das Kieseritmehl zusammenkittet.
                              Das Erhärten geschieht unter sehr bedeutender Wärmeentwickelung, ein Zeichen, daß
                              eine chemische Bindung des Wassers stattfindet. Die so erhaltenen
                              „Kieseritsteine“ geben geglüht und gemahlen eine
                              schwefelsaure Magnesia von 80 bis 90 Proc. mit nur 1 bis 2 Proc. Kochsalz und bilden
                              im rohen Zustande das Material für die Bittersalzfabrication. Die möglichst
                              verwitterten, d. h. durch Liegen an der Luft und Aufnahme von Wasser löslicher
                              gewordenen Steine löst man in eisernen mit Siebböden versehenen Kesseln unter
                              Einströmen von freiem Dampfe auf. Die Laugen werden in Holzbottichen geklärt und
                              geben beim Erkalten in flachen eisernen Gefäßen reichliche Anschüsse von
                              siebenfach-gewässerter schwefelsaurer Magnesia (Bittersalz). Man wäscht die
                              feinnadeligen Krystalle mit reinem Wasser zur Entfernung der Mutterlauge und bringt
                              dieß gut abgetropfte Salz in eine mit Dampf geheizte Trockenstube. Die Temperatur in
                              derselben darf 30° C. nicht übersteigen, da sonst die Krystalle verwittern
                              und an Ansehen verlieren. In dieser Weise werden jetzt jährlich circa 50,000 bis 60,000 Ctr. krystallisirtes Bittersalz
                              in Staßfurt hergestellt. Der größte Theil dieses Bittersalzes geht nach England, wo
                              es zur Appretur leichter baumwollener Gewebe verwendet wird. In neuester Zeit hat
                              man die schwefelsaure Magnesia zur Scheidung der Säfte in der Rübenzuckerfabrication
                              angewendet (Verfahren von Morgenstern), und auch in
                              anderen Zweigen der Technik scheint sich allmählich für dieß in Staßfurt in sehr
                              großen Mengen herzustellende Material Verwendung zu finden. Die schwefelsaure
                              Magnesia, welche bis dahin in der Technik nicht in solchen Massen und zu so billigem
                              Preise geliefert werden konnte, verdient die Beachtung der Technik in hohem
                              Grade.
                           
                           In Staßfurt selbst wird der gereinigte Kieserit — die rohe schwefelsaure
                              Magnesia — noch zur Darstellung von schwefelsaurem
                                 Kali mittelst Chlorkalium angewendet. Diese Fabrication, welche
                              mannichfaltige Schwierigkeiten darbietet, geschieht nur in einer Fabrik (Vorster und Grüneberg) nach
                              einem patentirten Verfahren. Nach Auffindung des Kainites (1865) im herzogl,
                              anhaltinischen Werke wurde dieses Material, welches in reinem Zustande aus KO, SO3 + MgO, SO3 + MgCl + 6 HO besteht,
                              vorwiegend zur Gewinnung von schwefelsaurem Kali und reiner schwefelsaurer
                              Kalimagnesia (KO, SO3
                              + MgO, SO3 + 9 HO) verwendet. Das im Großen geförderte Material ist
                              innig mit Steinsalz durchwachsen, so daß das in den Fabriken verarbeitete Kainitsalz
                              nicht mehr als 22 bis 25 Proc. schwefelsaures Kali neben 25 bis 30 Proc. Steinsalz
                              enthält, wodurch die Verarbeitung sehr umständlich wird. Das gewonnene schwefelsaure
                              Kali wird zum Theil zur Fabrication von Potasche durch
                              Schmelzen mit Kalk und Kohle wie beim Sodaproceß verwendet (Vorster und Grüneberg), theils ebenso wie die
                              schwefelsaure Kalimagnesia an die Landwirthschaft abgegeben (Vorster und Grüneberg, Fr. Müller, H. Douglas).
                           Ebenso wie die schwefelsaure Magnesia gieng auch im Anfange der Staßfurter
                              Fabrication das in den Abraumsalzen erhaltene Chlormagnesium nutzlos verloren, indem man es in die durch Staßfurt
                              fließende Bode abführte. Dasselbe findet jetzt schon mehrfache Anwendung in der
                              Technik und wird sicher, da es ebenfalls billig und in sehr bedeutenden Quantitäten
                              geliefert werden kann, sich zu noch ausgedehnterer Verwendung fähig erweisen. Es
                              wird bis jetzt benutzt: zum Schlichten baumwollener Gewebe (Patent von I. Townsend 1866), zur Desinfection von Schmutzwässern nach
                              dem Verfahren von Süvern, zur Darstellung eines
                              Magnesiacementes nach Sorel; es ist ein sehr gutes
                              Feuerlöschmittel und wurde zweckmäßig verwendet zum Tränken von Holz in
                              feuergefährlichen Gebäuden (Mühlen:etc.); auch zur Fabrication künstlicher Steine
                              mittelst Sand und Wasserglas ist es vorgeschlagen, sowie zum Besprengen von Straßen,
                              um dieselben feucht zu erhalten.
                           Man stellt das Chlormagnesium dar, indem man die bei dem Chlorkalium erwähnten
                              letzten Mutterlaugen nochmals bis circa 40° Baumé
                              eindampft. Es krystallisirt alsdann beim Erkalten in großen Massen
                              sechsfach-gewässertes Chlormagnesium (MgCl + 6
                              HO) heraus, welches in dieser krystallisirten Form
                              oder theilweise entwässert in den Handel gebracht wird. Die geringe Menge
                              Mutterlauge, eine dickflüssige gelbbraune Flüssigkeit, enthält alles Brom, welches in den Abraumsalzen  enthalten war, und dient zur
                              Gewinnung desselben. Man zersetzt diese Lauge, welche 0,3 bis 0,5 Proc. Brom
                              enthält, in einem Sandsteinapparate mittelst der äquivalenten Menge Braunstein und
                              Schwefelsäure unter directer Einleitung von Dampf, ähnlich wie bei der
                              Chlorbereitung aus Kochsalz. Es beginnt sehr bald eine lebhafte Entwickelung von
                              rothen Dämpfen, welche durch ein in einem Kühlfasse liegendes Bleirohr streichend,
                              leicht condensirt werden und als flüssiges Brom in vorgeschlagene Woolf'sche Flaschen überfließen. Dieses stets noch etwas
                              unreine Brom wird zu seiner Reinigung nochmals in gläsernen Retorten, welche in
                              einem eisernen mit Dampf geheizten Sandbade liegen, destillirt.
                           Bei dem verhältnißmäßig geringen Verbrauche des Broms in der Technik hat diese
                              Fabrication nur eine untergeordnete Bedeutung behalten und ist auch nur in zwei
                              Fabriken (Frank und Vorster,
                              und Grüneberg) betrieben worden. Sollte die Technik
                              größere Mengen Brom erfordern, so können in Staßfurt beträchtliche Quantitäten
                              geliefert werden. Auch Bromsalze werden in einer Fabrik dargestellt (A. Frank). Erwähnt zu werden verdient noch, daß auch die
                              Mutterlaugen der Kainitsalze Brom enthalten.
                           Von erheblicher Bedeutung für die Zukunft Staßfurt's ist die Fabrication der Düngesalze. Bald nach Erschließung der
                              Kalisalzlagerstätten erkannte die preußische Regierung die Wichtigkeit dieser
                              Kaliquelle für die Landwirthschaft und veranlaßte die Anstellung mannichfacher
                              Düngungsversuche mit den Abraumsalzen. Bereits im Frühjahre 1860 berichtete in den
                              „Annalen der Landwirthschaft“ der Oekonomierath Ockel auf Frankenfelde über theilweise günstig
                              ausgefallene Düngungsversuche. In demselben Jahre wurden größere Versuche angestellt von Geheimrath Renning, Dr. Grouven, Commercienrath Culmitz u. a. m. Die
                              Ungleichmäßigkeit in der Zusammensetzung der Salze, der große Gehalt an
                              Chlormagnesium und die dadurch bedingte Zerfließlichkeit stellten sich der Anwendung
                              dieser rohen Salze hindernd in den Weg, obgleich theilweise recht günstige Resultate
                              erzielt wurden, besonders auf Moorboden und bei Wiesen. Im Jahre 1860 wurden 3718
                              Ctr., im Jahre 1861 bereits 25,063 Ctr. gemahlene Abraumsalze an Landwirthe
                              abgesetzt und es stieg der Absatz in den folgenden Jahren erheblich, verminderte
                              sich dann aber wieder, als von den chemischen Fabriken billige Kalisalze in den
                              Handel gebracht wurden, welche frei von den oben gerügten Nachtheilen der
                              Abraumsalze waren. Die ersten guten Jahre der Chlorkaliumindustrie hatten den
                              Fabriken keine Zeit gelassen, den Wünschen der Landwirthschaft gerecht zu werden,
                              erst die beginnende Concurrenz und die in Frage gestellte Rentabilität der
                              Chlorkaliumfabrication verursachten  (1863), daß die älteren Fabriken sich mit dem
                              landwirthschaftlichen Absatze eingehender beschäftigten. Das bei dem Eindampfen der
                              Chlorkaliummutterlaugen ausfallende Salzgemenge von schwefelsaurem Kali,
                              schwefelsaurer Magnesia und Kochsalz, aus dem sich Chlorkalium nicht gewinnen ließ
                              und das sich allmählich in sehr bedeutender Menge anhäufte, gab nach dem Calciniren
                              und Mahlen ein gut verwendbares Düngesalz, welches 18 bis 20 Proc. schwefelsaures
                              Kali, neben 25 bis 30 Proc. schwefelsaurer Magnesia und 50 bis 55 Proc. Kochsalz
                              enthielt, und unter verschiedenen Bezeichnungen (Kalidünger, Kalisalz, rohes
                              schwefelsaures Kali) von mehreren Fabriken (zuerst von Vorster und Grüneberg, und A. Frank) in die Landwirthschaft eingeführt wurde. Die
                              intensive Landwirthschaft der Provinz Sachsen und besonders der dem Boden viel Kali
                              entziehende Rübenbau, welchen Liebig wegen dieses
                              „frevelhaften Raubes“ in der Vorrede zur 7. Auflage seiner
                              Agriculturchemie (1862) so wirksam angreift, sicherte den Bestrebungen der
                              Fabrikanten von vornherein eine günstige Aufnahme. Allmählich suchte man auch
                              hochgrädigere Kalisalze herzustellen, und es werden jetzt sehr verschieden
                              zusammengesetzte Salzgemenge, theils Chlorkalium, theils schwefelsaures Kali, theils
                              Gemenge beider mit schwefelsaurer Magnesia enthaltend, vertrieben. Seit Entdeckung
                              des Kainites (1865) wird auch dieser in calcinirtem und fein gemahlenem Zustande mit
                              circa 30 Proc. schwefelsaurem Kali und circa 30 Proc. schwefelsaurer Magnesia vielfach
                              angewendet. Ueber die zweckmäßigste Form, in welcher das Kali bei den verschiedenen
                              Fruchtgattungen und den verschiedenen Bodenarten anzuwenden ist, gehen die Meinungen
                              noch sehr auseinander. Für humosen, leichten Sandboden, für Moorboden und für Wiesen
                              hat sich das billige kochsalzreiche, aus den Abfällen der Chlorkaliumfabrication
                              dargestellte Salzgemenge (Kalidünger, rohes schwefelsaures Kali) überall und
                              andauernd bewährt; während die Rübencultur reichhaltigere kochsalzfreie Kalisalze in
                              schwefelsaurer Verbindung beansprucht und auf schwerem, thonigem Boden die
                              kochsalzreichen Producte überhaupt erfolglos gewesen zu seyn scheinen. Daß im
                              Allgemeinen die Landwirthschaft schon jetzt reichlichen Nutzen bei Anwendung der
                              Staßfurter Kalidüngefabricate findet, beweist der jährlich steigende und sich
                              allmählich auch nach dem Auslande (England, Frankreich, Belgien, Spanien, Schweden,
                              Rußland, Amerika) ausbreitende Absatz. Im Jahre 1867 mögen an verschiedenen
                              Kalidüngesalzen von Staßfurt aus circa 300,000 Ctr. in
                              den Handel gebracht worden seyn.
                           Der Absatz von Kalisalzen betrug auf dem preußischen Werke im Jahre 1866 gegen
                              1,300,000 Ctr., welche fast lediglich zur Darstellung  Von Chlorkalium verwendet
                              wurden. Das anhaltinische Werk lieferte für diesen Zweck gegen 1,470,000 Ctr.
                              Kalisalze (Carnallite), außerdem zur Gewinnung von schwefelsaurem Kali 97,000 Ctr.
                              Kainit, 24,000 Ctr. „feste Salze“ und 7000 Ctr. Kieserit.
                           Im Jahre 1867 wurden abgesetzt vom preußischen Salzwerke:
                           
                              
                                 1,430,000
                                 Ctr.
                                 Kalisalze,
                                 
                              
                                 33,000
                                 Ctr.
                                 Abfallsalze,
                                 
                              
                                 2,000
                                 Ctr.
                                 Kainit.
                                 
                              
                           Juli, 1868.