| Titel: | Eine neue galvanische Kette, respective Batterie für Aerzte und Physiker; vom Kreisphysicus Dr. Pincus in Insterburg. | 
| Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. CI., S. 379 | 
| Download: | XML | 
                     
                        CI.
                        Eine neue galvanische Kette, respective Batterie
                           für Aerzte und Physiker; vom Kreisphysicus Dr. Pincus in Insterburg.
                        Aus Poggendorff's Annalen der Physik, 1868, Bd. CXXXV S.
                              167.
                        Pincus, neue galvanische Batterie für Aerzte und
                           Physiker.
                        
                     
                        
                           Die immer größere Beachtung, welche der constante galvanische Strom in der Therapie
                              findet, in Verbindung mit der Kostspieligkeit und Unbequemlichkeit, welche eine
                              Batterie von einem der jetzt gebräuchlichen  Elemente, Daniell, Meidinger,
                              oder gar Grove, Bunsen componirt, bei ihrer Anwendung und
                              Unterhaltung mit sich führt, hatte schon längst bei vielen Aerzten und auch bei mir
                              den Wunsch nach einer bequemeren und compendiöseren Form der Batterie bei gleicher
                              Wirksamkeit rege gemacht.
                           Nach vielen mit verschiedenen Stoffen unternommenen Versuchen, wobei ich ebenso eine
                              bedeutende elektromotorische Kraft und Constanz, wie Compendiosität und möglichste
                              Befreiung von den mannichfachen Uebelständen im Auge hatte, die den bereits
                              bekannten Ketten anhängen, bin ich zu einem Resultate gelangt, das mich wie Alle,
                              die ich bisher mit derselben vertraut machte, zu dem Glauben veranlaßte, daß die
                              neue von mir construirte Kette nicht nur den ursprünglich erstrebten medicinischen
                              Zwecken auf's Vollkommenste genügt, sondern daß das Princip für alle anderen Zwecke
                              sich brauchbar erweisen wird.
                           Um diesem Aufsatze im allgemeinen Interesse von vornherein bei Physikern und Aerzten
                              einige Aufmerksamkeit zu sichern, sey es mir vergönnt, vorgreifend zu erwähnen, daß
                              der Mechaniker Carogatti in Königsberg nach meinen
                              Angaben eine Batterie construirt hat, die bei einer aus Reagirgläschen bestehenden Elementenzahl von 40 Stück noch keinen halben Kubikfuß Raum einnimmt, daß schon vier dieser Elemente zur Wasserzersetzung und zum
                              Telegraphiren von Insterburg nach Königsberg auf eine Strecke von 12 Meilen mit einem Morse ohne Relais ausreichten. Ferner, daß unter den Aerzten und
                              Naturforschern, die sich von der Wirksamkeit und Constanz meiner Batterie überzeugt
                              und sie der größten Beachtung werth finden, Namen wie Waagner, v. Wittich, Burow, Moser in
                              Königsberg, Poggendorff, v. Horn in Berlin, v. Liebig, Wöhler u. A. vorkommen.
                           Das Princip ist so einfach und naheliegend, es bietet so viele, längst bei der
                              constanten Kette erstrebte Vortheile, daß es fast unbegreiflich erscheint, daß man
                              nicht schon längst darauf gekommen. Es besteht einfach in der Anwendung von Chlorsilber an der negativen
                              Elektrode zur Verhütung der Polarisation, also zur
                              Oxydation des freiwerdenden Wasserstoffes in einem einfachen Volta'schen Element. Die leichte Zersetzbarkeit aller Silbersalze, also
                              auch des Chlorsilbers, durch den galvanischen Strom verhindert, wenn sich
                              Chlorsilber mit der negativen Elektrode, also Silber, Platin,
                                 Kohle in der Kette in Berührung findet, so
                              leicht und vollständig jede Polarisation durch Oxydation des freiwerdenden
                              Wasserstoffes, daß die Constanz vollkommener ist, wie bei irgend einem anderen
                              Element und so lange vorhält, als  sich noch eine Spur von unzersetztem Silbersalz
                              vorfindet, wobei die elektromotorische Kraft, welche der drei oben genannten Stoffe
                              man auch dem Zink als Kathode gegenüberstellt, zum mindesten der zwischen Silber und Zink, zu einem einfachen Element verbunden,
                              gleichkommen muß. Nach diesen einleitenden Bemerkungen über das Princip wird die
                              Beschreibung der einfachen Zelle und der Batterie, wie ich sie bis jetzt construirt,
                              am Platze seyn.
                           In einem Reagirgläschen von 7 bis 8 Zoll Länge und ⅓ Zoll Weite, welches mit
                              verdünnter Schwefelsäure oder einer Chlornatriumlösung bis auf 4/5 gefüllt ist,
                              taucht bis zum Boden des Gläschens ein fingerhutartiges kleines Gefäß von dünnem,
                              chemisch reinem Silberblech, das etwa einen Quadratzoll
                              (!) Oberfläche bietet und eine beliebige Quantität Chlorsilber enthält. Ein durch
                              Glas oder Gutta percha isolirter Leitungsdraht ist an das Silber gelöthet und ragt
                              aus dem Gläschen hervor. Das Glas ist mit einem Kork geschlossen. Ein Stückchen
                              reines amalgamirtes Zink von beliebiger Form und von etwa einem Quadratzoll
                              Oberfläche, an welchem ein durch eine Glasröhre sorgfältig isolirter Leitungsdraht
                              von Kupfer angelöthet ist, taucht in die Erregungsflüssigkeit und läßt sich, da sein
                              Leitungsdraht in dem durchbohrten Kork verschiebbar ist, leicht und beliebig dem
                              Silber nähern und von ihm entfernen, und auch bis über die Oberfläche der
                              Flüssigkeit in die Höhe ziehen. Eine beliebige Anzahl solcher hintereinander
                              verbundenen Elemente in einem passenden Gestelle von Holz, bildet die Batterie,
                              deren Intensität wie natürlich mit der Anzahl der Elemente steigt und fällt. Diese
                              Kette hat, so weit ich dieß bis jetzt habe feststellen können, folgende
                              Eigenschaften:
                           Beim Schließen der Kette wird unter Erzeugung eines kräftigen Stromes Chlorsilber zu
                              pulverförmigem Silber reducirt, wobei es gleichgültig ist, ob das Silbersalz in geschmolzenem Zustande angewendet war oder nicht. Auf ein
                              Aequivalent reducirtes Silber wird ein Aequivalent Zink in Zinkchlorid umgewandelt,
                              ohne daß eine Spur von Wasserstoff, wie schon erwähnt, an irgend einem Punkte der
                              Kathode auftritt, während die vollendete Zersetzung alles
                                 vorhanden gewesenen Chlorsilbers sich durch lebhafte
                              Wasserstoffentwickelung am Silber deutlich markirt. Die Unlöslichkeit und
                              specifische Schwere des Chlorsilbers macht eine Thonzelle überflüssig und verhindert
                              selbst bei unsanften Bewegungen die Berührung des Elektrolyten mit dem Zink, so daß
                              eine solche Batterie ohne alle Gefahr von einem Orte zum anderen transportirt werden
                              kann, und auch ziemlich bedeutender Temperaturwechsel ganz unschädlich ist. Meine
                              kleine Probebatterie ist demnach  auch im gefüllten Zustande, ohne merkliche Störung, von
                              München nach Stuttgart,
                              von dort nach Ems gebracht worden.
                           Der durch Schließen der Miniaturkette, resp. Batterie erzeugte Strom ist so kräftig,
                              daß schon ein Element die Nadel eines wenig empfindlichen
                              Galvanometers bedeutend und dauernd ablenkt, daß drei bis vier
                                 Elemente hintereinander verbunden Wasser zersetzen und daß, wie schon
                              erwähnt, mit einer gleichen Zahl von der Station Insterburg nach Königsberg mit
                              Hülfe eines Morse ohne Relais eine Verständigung möglich
                              war. Eine Combination von 10 solchen Elementen bringt als physiologische Wirkung nicht bloß bedeutende Geschmacks- und
                              subjective Lichtempfindungen, sondern schon ein sehr lebhaftes Brennen, selbst auf
                              der weniger empfindlichen Haut der Hand hervor. Zwanzig Elemente erzeugen, wenn die
                              Pole richtig angesetzt sind, Muskelzuckungen, resp. Contractionen und ein nicht zu
                              ertragendes Gefühl von Brennen, wenn die Berührungspunkte des Zinkpoles mit der Haut
                              klein sind (Drahtpinsel etc.). Bei 30 oder gar 40 Elementen treten selbst bei kurzer
                              Berührungsdauer wirkliche Verbrennungserscheinungen, sich durch bedeutende Röthung
                              und Aufspringen von Blasen markirend, ein, und die Berührung der Pole mit der Haut
                              wird auch bei wenig empfindlichen Personen kaum über einige Secunden hinaus
                              ertragen.
                           Was die Constanz betrifft, die sich schon theoretisch als
                              im hohen Grade vorhanden im Voraus annehmen läßt, so habe ich beim Schließen der
                              Kette durch ein Galvanometer von etwa 10 Meilen Telegraphenleitungsdraht Widerstand
                              bei wiederholten Versuchen eine stundenlang unverrückte Ablenkung der Magnetnadel
                              beobachtet, und was mehr sagen will, sogar die geringe Ablenkung der Nadel einer
                              Tangentenbussole bei längerer Schließungsdauer unverändert gefunden.
                           Die elektromotorische Kraft dieser Kette im Verhältniß zu
                              anderen genau zu bestimmen, hat es mir noch an Zeit und an feinen Meßinstrumenten
                              gemangelt, aber abgesehen von den oben mitgetheilten, eine bedeutende
                              elektromotorische Kraft voraussetzenden Wirkungen, läßt sich meines Dafürhaltens
                              theoretisch im Voraus behaupten, daß sie größer seyn muß, als die eines Daniell'schen Elementes bei gleicher
                              Erregungsflüssigkeit, da sowohl das Silber, wie der Elektrolyt, das Chlorsilber sich
                              dem Kupfer und dessen Salzen gegenüber elektronegativ verhält, daß also die
                              elektrische Spannung zwischen Zink und Silber und dessen Salzen nothwendig größer seyn muß, als
                              die zwischen Zink und Kupfer und dessen Salzen, natürlich immer unter sonst gleichen
                              Umständen. Die elektromotorische Kraft wird höchst wahrscheinlich sich mehr der
                              eines Bunsen oder Grove, als
                              der eines Daniell nähern.
                           
                           Auch die Widerstände in der Kette sind noch nicht gemessen, meines Dafürhaltens aber
                              auch eigentlich gar nicht genau bestimmbar, denn man hat es ja bei diesem Princip
                              wie bei keinem anderen, ganz in seiner Gewalt, die Widerstände einfach durch
                              Annähern oder Entfernen des Zinkes vom Silber beliebig zu vergrößern oder zu
                              verringern, wobei die Größe der Elektroden vorläufig ganz
                              unberücksichtigt bleiben kann. Dieser Vorzug macht die Chlorsilberkette im
                              Allgemeinen eigentlich zu einer Universalkette, mehr wie andere überall anwendbar,
                              ob im Schließungsbogen große oder geringe Widerstände
                                 vorhanden sind. Was in dieser Beziehung von der Kette gilt, ist, wie
                              natürlich, auch für die Batterie Gesetz. Wie immer diese Verhältnisse auch seyn
                              mögen, so steht durch Versuche so viel fest, daß die kleine Batterie in der Form,
                              wie ich sie habe construiren lassen, im Stande ist, große Widerstände im
                              Schließungsbogen zu besiegen und zwar mit einer verhältnißmäßig geringen Anzahl von
                              Elementen. Dieses beweist die Wasserzersetzung, das Telegraphiren mit schon vier
                              Elementen, dieß beweisen die bedeutenden physiologischen Wirkungen zur Genüge. Bei
                              den in Berlin in Gegenwart des Hrn. Prof. Poggendorff
                              angestellten Versuchen, der mir gütigst gestattet hat, mich in diesem Aufsatze auf
                              ihn beziehen zu dürfen, wurde in einem gewöhnlichen Telegraphengalvanometer von 20
                              deutschen Meilen Telegraphenleitungswiderstand die Nadel bei 40 Elementen um
                              54°, bei 30 Elementen um 48°, bei 10 Elementen noch um 32°
                              dauernd abgelenkt. Bei Einschaltung des ungeheuren Widerstandes, den die
                              Inductionsrolle eines großen Stöhrer'schen
                              Inductionsapparates bietet, wurde bei 40 Elementen noch eine Ablenkung von
                              20° beobachtet, ja selbst bei 20 Elementen zeigte sich noch der Durchgang
                              eines, wenn auch nur sehr schwachen Stromes. Mit Ausnahme der
                              Telegraphirungsversuche hat sich Hr. Prof. Poggendorff
                              von den oben mitgetheilten Wirkungen und Eigenschaften meiner Kette selbst zu
                              überzeugen mir die Ehre erwiesen.
                           Die Dauer der Constanz und der ungeschwächten Wirksamkeit
                              überhaupt ist nach dem Angeführten selbstverständlich von der Menge des
                              Chlorsilbers, von der Schließungsdauer und vor Allem von dem Widerstande im
                              Schließungsbogen abhängig. Bei dem ungeheuren Widerstande, den
                                 die thierischen Gewebe dem Durchgange des Stromes bieten, und bei der
                              großen Reizempfindlichkeit der Nerven für denselben, kommt es daher durchaus nicht
                              auf die Größe, sondern auf die elektromotorische Kraft und auf die Menge der
                              Elektroden an, ein Umstand, der sehr zum Nachtheile der Billigkeit und
                              Bequemlichkeit der zu medicinischen Zwecken angewandten Batterien bisher
                              unberücksichtigt 
                              geblieben ist. Da ferner die Elektrolyse in der Kette im
                              umgekehrten Verhältniß zu dem Leitungswiderstande steht, so kann bei der
                              medicinischen Anwendung des constanten Stromes nur sehr wenig Chlorsilber zur
                              Zersetzung kommen. Dieß bürgt meiner Batterie trotz ihrer Compendiosität für diese
                              Zwecke wenigstens eine verhältnißmäßig lange Wirksamkeit, besonders da in dieser Art
                              von Ketten die Zersetzung des Elektrolyten bei offener Kette unmöglich ist. Trotz
                              der scheinbaren Kostbarkeit des Füllungsmaterials ist daher der wirkliche
                              Kostenaufwand durch den Gebrauch ein kaum nennenswerther, denn das in Pulverform reducirte Silber läßt sich ja immer wieder
                              leicht in Chlorsilber umwandeln oder sonst ohne Verlust verwerthen, vielleicht als
                              die feinste Bronze, die bisher dargestellt wurde. Es sey hier übrigens noch bemerkt,
                              daß etwa 4 Loth Chlorsilber zur Füllung einer Batterie von 40 Elementen hinreichten,
                              die nach wochenlangem häufigem Gebrauch jetzt noch in unveränderter Wirksamkeit
                              fortbesteht, und daß der ganze Silberwerth dieser Batterie in Silberblech und
                              Silbersalz kaum 12 Thaler beträgt. Die Wirksamkeit, Constanz, Compendiosität und
                              relative Billigkeit dieser Art von Batterien macht sie für medicinische Zwecke nach
                              meinem und nach dem Dafürhalten aller Aerzte, die sie bisher gesehen, äußerst
                              brauchbar und ich gebe mich der Hoffnung hin, daß mit ihrer Hülfe die Behandlung mit
                              dem constanten Strom sehr bald aus ihrer Specifität heraustreten, und Aerzten wie
                              Patienten allgemein zugänglich werden wird. Für meine Herren Collegen begnüge ich
                              mich, ohne auf die nähere Beschreibung der einzelnen Theile einzugehen, mit der
                              Angabe, daß die Herren Moewig, Firma: C. Carogotti in Königsberg, und Rohrbeck, Firma: Luhme in Berlin, solche kleine
                              transportable Batterien, die für alle medicinische Zwecke vollkommen ausreichen, zu
                              dem Preise von 30 bis 40 Thaler bereits anfertigen lassen.
                           Für den Physiker bedarf es kaum der Ewähnung, daß das angegebene Element je nach den
                              verschiedenen Zwecken, nach Form, Dimension, Anordnung der einzelnen Theile, nach
                              Vergrößerung oder Verringerung des Leitungswiderstandes in der Zelle selbst, sey es
                              durch Annäherung der Elektroden, sey es durch Vertauschung der
                              Erregungsflüssigkeiten, der mannichfachsten Modificationen fähig ist. Durch
                              beliebige Vergrößerung der wirkenden metallischen Oberflächen, und Verringerung des
                              Leitungswiderstandes in der Zelle selbst werden sich Ströme von bedeutender
                              Elektricitätsmenge erzeugen lassen, so daß, wie ich nicht zweifle, das Princip auch
                              für die Galvanokaustik, für Erregung von bedeutenden Licht- und Wärmeeffecten
                              überhaupt Anwendung sinden kann. Daß es ferner einer technischen Anwendung zum
                              Vergolden und Versilbern und zum Telegraphiren  fähig ist, versteht sich von selbst. Die Hauptsache ist,
                              daß wir in dem Chlorsilber einen lange gesuchten Stoff gefunden haben, der die
                              Erzeugung starker constanter Ströme, ohne lästige Gasentwickelung, ohne
                              Stoffvergeudung beim Nichtgebrauch ermöglicht, und daß die Chlorsilberkette, resp.
                              Batterie von allen bisher bekannten den Vorzug größerer Transportabilität und
                              beliebiger und leichterer Vergrößerung und Verringerung des Leitungswiderstandes in
                              der Kette selbst bei gleichbleibender Constanz voraus hat. Weitere Angaben über die
                              Resultate der noch anzustellenden Messungen, sowie über im Gange befindliche
                              Versuche mit Ketten von größerer Oberfläche und anderer Form behalte ich mir
                              vor.