| Titel: | Die Verwerthung von Lederabfällen. | 
| Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. CXXVI., S. 488 | 
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                        CXXVI.
                        Die Verwerthung von Lederabfällen.Aus dem sehr empfehlenswerthen Buche: Die Fabrication des
                                       lohgaren Leders in Deutschland, auf ihrem jetzigen Standpunkte und
                                       deren nothwendige Fortschritte und Vervollkommnungen, nach den vom Verfasser
                                    persönlich gewonnenen Anschauungen und Erfahrungen auf der Pariser
                                    Welt-Industrie-Ausstellung von 1867 etc. Von F. A. Günther in Berlin. In zwei Abtheilungen. Weimar, B.
                                    F. Voigt.
                        Die Verwerthung von Lederabfällen.
                        
                     
                        
                           In unserem industriellen Zeitalter dürften unbenutzbare Abfälle, die in Fabriken und
                              Kleingewerben vorkommen, nicht geduldet werden, und es ist wichtig, daß in
                              betreffenden Kreisen darnach getrachtet wird, alle derartigen Abfälle, die immer
                              Capital repräsentiren, den Menschen nutzbar zu machen. Unter allen Abfällen, die bis
                              heute noch unbenutzt verloren gehen, nehmen die Lederabfälle eine der wichtigsten
                              Stellen ein. In Berlin allein werden jährlich in den verschiedenen Gewerben, welche
                              Leder bearbeiten, nach ziemlich genauen Schätzungen, 2000 Centner und mehr Abfälle
                              gewonnen, die beinahe ausschließlich verbrannt werden. Ein sehr geringer Theil davon
                              wird zum Härten von Eisenschneidwerkzeugen benutzt, ein anderer Theil geht in die
                              Fabriken, welche Kaliumeisencyanür (sogenanntes Blutlaugensalz) darstellen; nur ein
                              kleiner Theil, weil die Fabriken die große Menge der Lederabfälle zur Darstellung
                              der  stickstoffhaltigen
                              Kohle gar nicht verarbeiten können und außerdem zum großen Theil alte Stiefeln dazu
                              verwenden. Zum Düngen finden die Lederabfälle gar keine Verwendung, weil, wenn auch
                              das leimgebende Gewebe stark stickstoffhaltig ist, doch die Gerbsäure den Pflanzen
                              mehr Schaden thut, als das erstere Vortheil bringt. Da also eine lohnende Verwendung
                              nicht vorhanden ist, so werden die Lederabfälle im Sommer aufgehoben, um im Winter
                              die Oefen der Werkstätten damit zu heizen; eine Verwendung, die eben so gut, wie gar
                              keine ist.
                           Es ist schon lange bekannt, daß, wenn man Leder mit Wasserdampf von 3 bis 4
                              Atmosphären Spannung kocht, sich das Leder löst, ohne wesentlich seine chemische
                              Natur zu ändern; nur die leimgebende thierische Haut geht der dabei herrschenden
                              Temperatur von 130° Cels. in die im Wasser unlösliche Modification des Leims
                              über, die hart und spröde ist und sich durch keine bis jetzt bekannten Mittel in die
                              lösliche Modification umwandeln läßt. Es geht also hier dasselbe vor, wie beim
                              Dämpfen der Knochen; die Hitze von 130° Cels. wirkt auf den Leim ebenso wie
                              freier Sauerstoff, und in schwächerem Grade wie Schwefel. Durch alle diese Körper
                              wird der Leim spröde und unlöslich im Wasser.
                           Wenn man die Lederabfälle mit schwachen organischen Säuren behandelt, und zwar bei
                              einer Temperatur, die 80° Cels. nicht übersteigt, erreicht man ebenfalls eine
                              vollständige Lösung derselben und hat dabei den Vortheil, daß die leimgebende Haut
                              sich nicht in die unlösliche Modification umwandelt. Es gehört unendlich wenig von
                              der organischen Säure dazu, um die Lösung zu bewirken; ½ Loth Weinsäure ist
                              hinreichend, 1 Pfd. Leder zu lösen. Statt Weinsäure kann man auch Weinstein (saures
                              weinsaures Kali) anwenden, und hiervon ist 1 Loth mehr als genügend auf 1 Pfd.
                              Leder. Oxalsäure wirkt schon etwas kräftiger, zersetzender ein, ähnlich der
                              Schwefelsäure, indem sie nicht unbeträchtliche Mengen der thierischen Haut in die
                              Zersetzungsproducte des Leimes, Glycyn, Glykokoll u. s. w. verwandelt. Am
                              gelindesten, d. h. am wenigsten zersetzend wirken geringe Mengen von Essigsäure.
                              Ebenso wie Salzsäure die Verbindung von Phosphorsäure und Kalkerde löst, ebenso
                              unverändert löst Essigsäure die Verbindung von Gerbsäure und thierischer Haut, und
                              läßt sie unverändert fallen, wenn das Lösungsmittel durch Wasser oder durch eine
                              Basis weggenommen wird. Die Art und Weise wie man dabei zu verfahren hat, ist
                              einfach folgende:
                           Die Lederabfälle werden nach ihrer Stärke sortirt, mit 3 bis 4 Proc. Essigsäure (die
                              40 Proc. wasserfreie Säure enthält und das spec. Gewicht von 1,0601 hat) und 10
                              Proc. Wasser befeuchtet, und in ein kupfernes Gefäß gethan, das im Wasser-
                              oder Dampfbade steht. Hier  hält man die Temperatur so niedrig als möglich, d. h. so
                              niedrig, daß die Lösung des Leders nicht allzulange verzögert wird. Wenn das
                              Wasserbad constant 80° Cels. hat, geht die Lösung in 3 bis 4 Stunden von
                              statten. Um eine vollständig homogene Masse zu erhalten, muß man mitunter etwas
                              länger erwärmen, unter häufigem Umrühren, weil die Lederabfälle oft viel Oel
                              enthalten, das sich erst dann mit der Ledermasse homogen verbindet, wenn fast alles
                              Wasser daraus verdampft ist. Unter Umständen kann das Oel störend seyn; dann thut
                              man gut, das Leder vorher mit einer schwachen Lösung von Soda zu Kochen oder kalt
                              mit Schwefelkohlenstoff auszuziehen.
                           Nach dem Erkalten erhält man eine Masse, die lange weich und biegsam bleibt; will man
                              sie härter haben, so braucht man sie nur im warmen Wasser, in welchem sie ganz
                              unlöslich ist, aber darin erweicht, auszuwaschen, um die Essigsäure zu entfernen.
                              Will man die Masse weicher haben, so nimmt man zur Auflösung des Leders statt 4
                              Proc. Essigsäure, 10 Proc., und statt des Wassers eben so viel Glycerin, als man
                              Leder anwendete. Diese weiche Masse ist dann sehr brauchbar für Buchdruckerwalzen
                              und besitzt vor dem jetzt gebräuchlichen Leim und Syrup mancherlei Vorzüge. Diese
                              Ledermasse läßt sich auch mit Kautschuk mischen und bildet dann ein gutes und sehr
                              billiges Material für Fuß decken. Man verfährt dabei so, daß man die Lederabfälle
                              mit 7 Proc. Essigsäure, 15 Proc. Rüböl oder anderem fetten Oel, 15 Proc. Glycerin
                              und 6 Proc. Wasser bei sehr mäßiger Wärme löst; nach dem Erkalten läßt sie sich auf
                              den warmen eisernen Mischwalzen der Gummifabriken mit Kautschuk, d. h. nicht mit
                              Kautschuk, der in Benzol vollständig gelöst ist, wohl aber mit solchem, der
                              zerschnitten einige Stunden hindurch im vierfachen Gewicht Schwefelkohlenstoff
                              aufgequollen war, verbinden. Der so behandelte Kautschuk wird mit der Ledermasse
                              zusammen zwischen Walzen gemischt; die resultirende Masse ist zu verschiedenen
                              Zwecken brauchbar. Die Menge des Kautschuks, die man zusetzt, ist ganz beliebig;
                              wenn auf 100 Theile angewendetes Leder 12 bis 15 Theile Kautschuk verwendet werden,
                              so schien dem Verfasser diese Masse am geeignetsten für praktische Zwecke. Der
                              Verfasser ist fern davon, diese Masse als ein Surrogat für Kautschuk hinstellen zu
                              wollen, hat aber die Ueberzeugung, daß dieses Gemisch wegen seiner Billigkeit und
                              seiner Widerstandsfähigkeit gegen Wasser eine ausgedehnte praktische Anwendung
                              finden kann.
                           Es ist gut, wenn man der Masse von Kautschuk und Schwefelkohlenstoff noch etwas
                              Schwefelblumen zusetzt. Wenn bei dieser gelinden Wärme auch nicht eine chemische
                              Verbindung von Kautschuk mit Schwefel vor  sich geht, also das, was man Vulcanisiren nennt, nicht
                              eintritt, so wird doch durch den Schwefel ein ähnlicher Zustand bewirkt und die
                              Masse verbessert.
                           Zur ursprünglichen Ledermasse kann man statt Oel und Glycerin auch Holztheer
                              hinzufügen, und zwar bis 33 Proc. vom angewendeten Leder; es dauert aber etwas
                              lange, bis man eine homogene Masse erhält. Weniger Holztheer, etwa 15 bis 20 Proc.,
                              werden leicht aufgenommen, sobald das Wasser aus der Masse verdampft ist. Behandelt
                              man Leder mit den früher angegebenen Mengen von Weinsäure, so erhält man Massen, die
                              sehr schnell nach dem Erkalten hart und brüchig werden; wäscht man vollends die
                              Säure mit warmen Wasser aus und formt aus der warmen Masse irgend welche
                              Gegenstände, z. B. Bilderrahmen, Reliefs, Globen u. s. w., so werden dieselben nach
                              einigen Tagen sehr hart und fest.
                           Fügt man zu der Masse, die noch Säure enthält, Braunstein oder
                              doppelt-chromsaures Kali hinzu, so wird durch ersteren Körper langsam, durch
                              den zweiten schnell Sauerstoff entwickelt, der die Gerbsäure weniger zu verändern
                              scheint, als das leimgebende Gewebe, das dadurch hart, spröde und ungefügig wird.
                              Die Sauerstoffentwickelung der Braunstein enthaltenden Masse beginnt oft erst nach
                              einigen Tagen, so daß die daraus gegossenen Stücke noch Wochen lang immer größer
                              werden und schließlich beim Durchschneiden ein höchst poröses Innere zeigen. Was die
                              verschiedenen Arten der Leder betrifft, so lösen sich am leichtesten und auch bei
                              der niedrigsten Temperatur die sogenannten Feilspäne der Schäftefabriken, wovon in
                              Berlin jährlich circa 500 Ctr. zu haben sind. Diese
                              brauchen gar nicht weiter zerkleinert zu werden. Alle übrigen Abfälle von Oberleder
                              müssen in kleine Stücke zerschnitten werden, in welchem Zustande sie sich ebenfalls
                              leicht lösen. Die Abfälle von Sohlenleder müssen am besten mit einer dünnen Lösung
                              von Weinsäure gekocht werden; die dadurch erhaltene Masse wird nach einigen Tagen
                              sehr hart und es ließen sich daraus mit Vortheil Kalanderwalzen für Baumwollendruck
                              herstellen. Verschiedene Ledersorten, nämlich solche, die sich leichter, und solche,
                              die sich schwerer lösen, darf man nie zusammen behandeln, weil das, was sich
                              leichter löst, länger der Wärme ausgesetzt werden muß, als es nöthig ist und
                              darunter leidet, ja jeder Grad Wärme, den man zu viel giebt, von Uebel ist.
                           Es ist bekannt, daß Gerbsäure durch alle starken mineralischen Säuren und durch viele
                              Salze gefällt wird, aber es gibt nur sehr wenige Körper, welche die Verbindung der
                              Gerbsäure mit der thierischen Haut aufheben und sich so entschieden und so fest mit
                              ersterer verbinden, daß der  Leim ausgeschieden und mercantil vortheilhaft gewonnen
                              werden kann; und die wenigen Körper, die diesem Verlangen entsprechen, sind entweder
                              zu theuer oder in ihrer Wirkung nicht zuverlässig genug.
                           Wenn man das in Weinsäure gelöste Leder mit Wasser auswäscht und dann ein Pfund
                              desselben mit 1½ Loth englischer Schwefelsäure, die mit 4 Pfd. Wasser
                              verdünnt ist, gelinde kocht, so löst es sich schnell. Die Schwefelsäure verbindet
                              sich mit der Gerbsäure chemisch, fällt zu Boden und darüber ist die Leimlösung. Aus
                              dem Leim kann man durch kohlensauren Baryt alle Schwefelsäure entfernen und aus dem
                              Niederschlag von schwefelsaurer Gerbsäure kann man ebenfalls durch kohlensauren
                              Baryt die Schwefelsäure binden und erhält dann die reine Gerbsäure in Lösung.
                              Dadurch scheint das Problem gelöst; aber es scheint auch nur! Denn bei sehr
                              zahlreichen Versuchen, mit Schwefelsäure gemacht, ist es nur einige Mal gelungen,
                              eine vollständige Trennung zu bewirken. In den meisten Fällen geht die Einwirkung
                              der Schwefelsäure weiter als es nöthig ist, d. h. der Leim wird in Glycin, Leucin
                              und ähnliche Körper zersetzt, während die Gerbsäure unverändert bleibt.
                           Wenn man statt Schwefelsäure Phosphorsäure anwendet und zwar auf 1 Pfund Leder 2 bis
                              3 Loth dieser Säure vom specifischen Gewicht 1,180, so erhält man bessere Resultate,
                              aber hierbei ist wieder der Uebelstand, daß die phosphorsaure Gerbsäure eine
                              lockere, schleimige Masse bildet, aus welcher der Leim sehr schwer zu trennen ist.
                              Salzsäure eignet sich nicht zu diesem Proceß, weil man die überschüssig
                              hinzugesetzte Salzsäure nicht durch Bildung einer unlöslichen Verbindung aus dem
                              Leim und von der Gerbsäure trennen kann. Salpetersäure zerstört die gelöste
                              Ledermasse sehr schnell unter Bildung von Trinitrophenylsäure (Pikrinsäure) und
                              Oxalsäure, und der Verfasser hält dafür, daß die Pikrinsäure auf keine andere Weise
                              so billig im Großen herzustellen ist, vorausgesetzt, so lange der Centner
                              Lederabfälle für einen Thaler zu haben ist, wie es jetzt noch der Fall ist. Die
                              Salze, welche mit Gerbsäure Verbindungen eingehen, haben entweder nicht so große
                              Verwandtschaft zu ihr, daß sie dieselbe von der thierischen Haut zu trennen
                              vermöchten, oder sie fällen mit der Gerbsäure auch zugleich den Leim. Nur zwei Salze
                              können möglicher Weise Anwendung finden, nämlich Brechweinstein und Boraxweinstein.
                              Beide trennen die Gerbsäure vom Leim, aber man braucht von beiden Salzen viel, und
                              deßhalb ist ihre Anwendung im Großen zu kostspielig. Abgesehen davon ist die
                              Trennung des Leimes vom Niederschlag auch hier sehr umständlich. Man kann annehmen,
                              daß, weil Sauerstoff auf Leim sehr nachtheilig wirkt, der Wasserstoff unschädlich
                              für Leim, dagegen vielleicht die Gerbsäure zerstören würde. Ein  Versuch bewies indessen die
                              Haltlosigkeit dieser Annahme. Dagegen wirkt Wasserstoff im Entstehungsmomente sehr
                              energisch; wenn man die säuerliche Lederlösung im kupfernen Gefäß erwärmt und mit
                              einem Zinkstab umrührt, den man auch darin stehen läßt, so tritt sofort ein Strom
                              ein, der die Masse verflüssigt und sowohl Gerbsäure wie Leim bald zerstört. Es
                              bildet sich eine große Menge sehr complicirter Verbindungen, die der Verfasser
                              weiter nicht berücksichtigt hat.
                           Die Einwirkung der Alkalien auf die Ledermasse ist, wie sich erwarten ließ, sehr
                              einfach; die stärkeren Alkalien lösen die Ledermasse leicht, zerstören die
                              Gerbsäure, indem sie Humussäuren daraus bilden, und bewirken auch im Leim eine so
                              tief gehende Veränderung, daß von deren Anwendung kaum die Rede seyn darf.
                              Schwächere Alkalien, z. B. sehr schwache Sodalösungen, können angewendet werden, um
                              mercantil mit Vortheil aus dem Leder Leim darzustellen. Zu dem Zweck löst man Leder
                              in Weinsäure, wäscht die Säure aus und kocht die Masse mit schwacher Sodalösung (1
                              Loth Soda auf 1 Quart Wasser).
                           Man walzt dann die Masse sehr dünn aus und überläßt es dem Sauerstoffe der Luft, die
                              Gerbsäure bei Gegenwart von schwachem Alkali zu zerstören. Nach einigen Tagen kocht
                              man die Masse wieder mit Soda und walkt sie wiederum aus, um eine neue Oberfläche zu
                              geben. Wenn man diese Operation 4 bis 5 Mal wiederholt hat, ist die Gerbsäure
                              zerstört, und man kann aus dem, was zurückbleibt, nämlich der thierischen Haut, der
                              aber die thierische Faser fehlt, Leim sieden. Diese Methode der Leimdarstellung aus
                              Leder bietet gegen die bis jetzt gebräuchliche viele Vortheile dar, die besonders
                              darin bestehen, daß der Proceß außerordentlich abgekürzt wird, daß die Ausbeute
                              bedeutend größer und der erhaltene Leim werthvoller ist.