| Titel: | Eine neue Methode der Brodbereitung; von Justus v. Liebig. | 
| Fundstelle: | Band 191, Jahrgang 1869, Nr. XXXII., S. 160 | 
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                        XXXII.
                        Eine neue Methode der Brodbereitung; von Justus
                              v. Liebig.
                        Aus der Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 1868, Nr.
                              353.
                        v. Liebig, neue Methode der Brodbereitung.
                        
                     
                        
                           Es ist den Lesern dieser Zeitschrift bekannt, daß ein zufälliges Ereigniß –
                              die Roth in Ostpreußen – mich veranlaßt hat die Aufmerksamkeit darauf zu
                              lenken, daß es noch andere und bessere Methoden der Brodbereitung gibt als die
                              übliche ist.Man s. polytechn. Journal Bd. CLXXXVII S. 182. Mein erster ArtikelErster Artikel im polytechn. Journal Bd. CLXXXVII S. 183; zweiter Artikel in
                                    demselben Bande S. 346. in Nr. 6 der Allgemeinen Zeitung erweckte ein weit größeres Interesse als
                              ich erwartet hatte, und dieß trug dazu bei in diese Sache, mit der ich mich seit
                              längerer Zeit beschäftigte, tiefer einzugehen.
                           Das Bäckergewerbe ist, wie ich glaube, das einzige unter allen Gewerben, welches seit
                              Jahrhunderten von dem Fortschritt nicht berührt worden ist. Wir essen heute noch das
                              gesäuerte Brod welches die Bibel erwähnt, und wie es Plinius beschreibt, nur daß das Mehl ein anderes, wiewohl im
                              Physiologischen Sinne kein besseres ist. Ich bin nicht ohne Hoffnung gewesen, daß die
                              chemische Methode der Brodbereitung auch bei den Bäckern Eingang finden werde, da
                              die Mehrzahl der an mich in Beziehung auf diesen Gegenstand gerichteten Briefe von
                              Bäckermeistern aus allen Gegenden Deutschlands kam; aber die Nöthigung nach einer
                              genau bestimmten Vorschrift zu arbeiten, um einen guten Erfolg zu haben, scheint für
                              die meisten ein Hinderniß gegen ihre Einführung in den Bäckereien gewesen zu seyn,
                              und so muß ich denn auch meine Bemühung, Brod von ganzem Mehl in denjenigen
                              Gesellschaftskreisen Eingang zu verschaffen, für die es den meisten Werth hat,
                              leider als völlig gescheitert bekennen. Es gehört ein gewisser Grad von Bildung dazu
                              um über die Farbe des Brodes hinweg zu kommen, und so hat sich das von mir
                              empfohlene Schwarzbrot) in München nur in wenigen Familien eine dauernde Kundschaft
                              erworben, in Häusern in welchen es häufig von den Dienstboten und Wäscherinnen
                              durchaus verschmäht wird.
                           Auf den Geschmacksinn der Menschen haben Vernunftgründe sehr wenig Einfluß, und ich
                              habe erfahren daß eine jede Bemühung ihre Gewohnheiten zu ändern, sie z.B. zu
                              veranlassen schwarzes Brod zu essen, wenn sie weißes lieben, als erfolglos von
                              vornherein angesehen werden müsse. Von diesem Gesichtspunkt aus dürfte eine neue
                              Methode der Brodbereitung für viele willkommen seyn, welche in jedem Haushalte
                              gestattet aus gewöhnlichem Mehl, ohne Kleie, ein schönes
                                 schmackhaftes Brod zu bereiten, von höherem Nährwerth als dem Brod aus demselben
                                 Mehle, nach jeder anderen Methode bereitet, zukommt.
                           Zum Verständniß des neuen Backverfahrens, welches ich im Folgenden beschreiben will,
                              dürfte es genügen auf die Grundsätze der Ernährungslehre zu verweisen, die ich vor
                              Kurzem in Auerbach's Volkskalender für 1869
                              auseinandergesetzt.
                           Ich habe darin erwähnt, daß von allen Nahrungsmitteln der Menschen das Getreidekorn
                              bei seiner Verwandlung in Mehl, in Folge der Verminderung der Nährsalze des Kornes,
                              die stärkste Einbuße an seiner Nahrhaftigkeit erleidet, so zwar daß das weißeste und
                              feinste Mehl unter allen Mehlsorten den kleinsten Nährwerth hat. Die Bedeutung der
                              Nährsalze für die Ernährung ist den Physiologen bekannt genug; man weiß daß ohne
                              ihre Mitwirkung die anderen Bestandtheile der Nahrung nicht ernährungsfähig sind.
                              Durch einfaches Auswaschen des rohen oder gekochten Fleisches mit Wasser, welches
                              die Nährsalze entzieht, wird es ganz unfähig zur Erhaltung des Lebens zu dienen; die
                              Nährsalze des Kornes sind aber identisch mit den Nährsalzen des Fleisches, und man
                              versteht daß das was wahr ist für das Fleisch, auch wahr seyn muß für das Brod, und daß der
                              Nährwerth des Mehles in eben dem Verhältniß kleiner ist als es weniger Nährsalze als
                              das Korn enthält. Die Nährsalze des Fleisches und des Kornes sind Phosphate, und
                              bestehen aus Verbindungen der Phosphorsäure mit Kali, Kalk, Bittererde und Eisen;
                              die einfache Bekanntschaft mit dem Gehalt an diesen Stoffen im Korn und im Mehl, wie
                              sie die chemische Analyse nachweist, dürfte genügen um die Verschiedenheit in dem
                              Nährwerthe beider augenfällig zu machen.
                           In tausend Gewichtstheilen Weizen oder Roggen-Korn sind
                                                      
                              21 Gewichtstheile Nährsalze,
                           und darin im Weizenkorn                      
                              Roggenkorn
                                                                        8,94                                       5,65
                              Phosphorsäure.
                           In tausend Gewichtstheilen Weizenmehl der ersten Sorte
                              sind nur
                           5,5 Gewichtstheile Nährsalze,
                           und hierin nur
                           2 1/5 Gewichtstheile Phosphorsäure.
                           Das Weizenmehl erster Sorte enthält demnach in 1000 Gewichtstheilen 15 1/2
                              Gewichtstheile Nährsalze im Ganzen, und 6 2/5 Gewichtstheile weniger Phosphorsäure
                              als das Korn.
                           In der zweiten Sorte Weizenmehl sind in 1000 Gewichtstheilen 6 1/2 Gewichtstheile
                              Nährsalze, und darin nur 2 1/2 Gewichtstheile Phosphorsäure; in der dritten Sorte
                              nur 3 1/10 Gewichtstheile Phosphorsäure.
                           In 1000 Gewichtstheilen Roggenmehl erster Sorte sind nur 13 1/3 Gewichtstheile
                              Nährsalze, also 7 2/5 Gewichtstheile weniger als im Korn, und anstatt 5 6/10
                              Phosphorsäure nur 3 1/5 Gewichtstheile.
                           Das Korn zerfällt beim Mahlen in Mehl und Kleie, und da beide zusammen die
                              Bestandtheile des Kornes ausmachen, so ist es leicht einzusehen daß die Nährsalze
                              des Kornes welche im Mehl fehlen, in der Klei enthalten seyn müssen.
                           In der That zeigt die Analyse, daß die Weizenkleie in 1000 Theilen 53 bis 60, die
                              Roggenkleie 51 Gewichtstheile Phosphate, die erstere also nahe dreimal, die andere
                              über 2 1/2 mal mehr Phosphate als das Weizen- und Roggenkorn enthält; sie
                              zeigt ferner, daß in 100 Gewichtstheilen der Nährsalze in beiden Kleiensorten
                              enthalten sind:
                           
                              
                                 Weizenkleie:
                                 
                                 Roggenkleie:
                                 
                                 
                              
                                 Phosphorsäure
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 24,3
                                 
                                 21,03
                                 
                              
                                 Kali
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 30,12
                                 
                                 23,03
                                 
                              
                                 Phosphorsäure
                                 
                                    
                                    
                                 
                                    rs
                                    
                                 KalkBittererdeEisen;
                                 
                                    
                                    
                                 43,93
                                 
                                 50,96
                                 
                              
                           
                           Aus diesen Analysen ergibt sich, daß nahe die ganze Hälfte der Nährsalze die im Mehle
                              fehlen aus phosphorsaurem Kalk und Bittererde besteht, und daß es dieser Mangel an
                              den Phosphaten der alkalischen Erden im Mehle seyn muß, welcher sich in der
                              Ernährung besonders fühlbar macht, weil diese für die Bildung, Vermehrung und
                              Erhaltung des Knochengerüstes ganz unentbehrlich sind.
                           In der Thierzucht hat man in dieser Beziehung sehr bemerkenswerthe Erfahrungen
                              gemacht.
                           In einem am 27. März 1867 in Dresden gehaltenen Vortrag „über die Ernährung
                                 vom chemischen Standpunkte“ bespricht Dr.
                              Haubner den Einfluß der Salze auf den körperlichen
                              Zustand der Thiere, und hebt namentlich die hohe Bedeutung der Phosphate hervor:
                              „Wenn Thiere nur mit Kartoffeln und Rüben, die nur sehr wenig
                                 Phosphate enthalten, gefüttert werden, so gehen sie im Ernährungszustande
                                 zurück, werden schwach, hinfällig und morsch in den Knochen. Sie nehmen alsbald
                                 aber zu, wenn sie nur phosphorsauren Kalk bekommen, um so mehr, wenn
                                 gleichzeitig Protein-Verbindungen gegeben werden. Man glaubt hierdurch
                                 die Thiere größer und kräftiger zu machen; Riesen wird man nicht erziehen
                                 können, aber Zwergwuchs, Verkümmerung der Wirbelsäure und der Extremitäten
                                 lassen sich durch Darreichung hinlänglicher Mengen von phosphorsaurem Kalk
                                 verhüten. Füttert man Tauben mit Getreide ohne Kalk, so sterben sie alsbald;
                                 ebenso kümmern Kälber und Ferkel, wenn man ihnen diesen entzieht.“
                              
                           Sehr merkwürdige Erfahrungen über den Einfluß des Mangels an Nährsalzen auf die
                              Ausbildung und Fortentwickelung besonders jugendlicher Thiere (Fohlen) sind kürzlich
                              von Professor Dr. Roloff in
                              Halle in Virchow's Archiv bekannt gemacht worden.
                           Diese Thatsachen haben einen hohen Werth, und ihre Bedeutung für die Ernährung der
                              Menschen läßt sich nicht verkennen, wenn man beachtet daß das Brod, in Deutschland
                              wenigstens, weitaus die überwiegende Nahrung der Bevölkerung auf dem Land ist. Viele
                              Aerzte haben, wie ich glaube mit allem Recht, die nächste Ursache der Entstehung des
                              Scorbuts auf Schiffen in dem Genuß des Salzfleisches gesucht, welches, da dem
                              Fleisch beim Einsalzen ein Theil der Phosphate entzogen wird, weniger von diesen
                              Nährsalzen als das frische Fleisch enthält; aber der Scorbut kommt auch in
                              Gefängnissen vor, in welchen das Salzfleisch keinen Bestandtheil der Diät der
                              Gefangenen ausmacht, und es liegt hier nahe genug die Entstehung des Scorbuts mit
                              dem Mangel an Phosphaten im Brod und in den Mehl- und anderen Speisen in
                              Verbindung zu bringen.
                           
                           Es ist klar, daß, wenn wir dem Weizen- und Roggenmehl, anstatt der Kleie, die
                              Nährsalze derselben wieder zufügen, wir damit in beiden Mehlsorten den
                              ursprünglichen Nährwerth des Kornes wiederherzustellen vermögen, und wenn man
                              erwägt, daß der Nährwerth des Mehles mindestens um 12 Proc., oft 15 Proc., kleiner
                              ist als der des Kornes, so gewinnt diese Wiederherstellung eine große
                              nationalökonomische Bedeutung; denn der Erfolg in der Praxis der Ernährung ist
                              alsdann genau so wie wenn alle Felder in einem Lande 1/7 bis 1/8 mehr Korn geliefert
                              hätten: mit derselben Menge Mehl wird durch diese Ergänzung eine größere Anzahl
                              Menschen gesättigt und ernährt werden können.
                           Auf dieser Betrachtung beruht die Darstellung des Backpulvers von Professor Horsford in Cambridge in Nordamerika, die ich für eine
                              der wichtigsten und segensreichsten Erfindungen halte welche in dem letzten
                              Jahrzehnt gemacht worden sind.
                           Ich habe mich seit acht Monaten eingehend mit der Darstellung und Anwendung dieses
                              Backpulvers beschäftigt, und mir die volle Ueberzeugung verschafft, daß damit ein
                              ausgezeichnetes Brod von vortrefflichem Geschmack erhalten wird, und ich glaube
                              vielen einen Dienst zu erweisen wenn ich meine gewonnenen Erfahrungen darüber
                              veröffentliche; es enthält die Nährsalze der Kleie in einer solchen Form, daß es die
                              Anwendung des Sauerteiges oder der Hefe in der Brodbereitung völlig entbehrlich
                              macht.
                           Das Horsford'sche Backpulver besteht aus zwei Präparaten
                              in Pulverform, einem Säurepulver und einem Alkalipulver; das eine enthält
                              Phosphorsäure in Verbindung mit Kalk und Bittererde, das andere ist
                              doppelt-kohlensaures Natron; beide Pulver sind weiß, mehlartig und jedes für
                              sich in einem Umschlage verpackt; zum Gebrauch dient ein kleines Maaßgefäß aus
                              Weißblech, in der Form von zwei am Boden zusammengefügten stumpfen Kegeln von
                              ungleicher Größe. Wenn man Brod bereiten will, so wird für jedes Pfund Mehl das
                              kleine Mätzchen mit doppelt-kohlensaurem Natron, und das größere mit der
                              Phosphorsäure gefüllt, und beide werden mit dem Mehle sehr sorgfältig gemischt,
                              sodann das zur Teigbildung erforderliche Wasser zugesetzt, der Teig geformt und ohne
                              viel zu warten, die Laibe in den Ofen geschossen. Man kann damit leicht, wenn der
                              Ofen vorher geheizt worden ist, in 1 1/2 bis 2 Stunden fertiges Brod haben. Der
                              Vorgang ist leicht verständlich; wenn die beiden Präparate mit dem Mehle gemischt
                              sind, so tritt während der Teigbildung eine gegenseitige Zersetzung derselben ein;
                              die Phosphorsäure verbindet sich mit dem Natron und treibt die Kohlensäure aus,
                              welche den Teig aufbläht und beim Backen das Brod porös macht.
                           
                           Phosphorsäure in Gestalt eines weißen trockenen Pulvers wird manchem ein Räthsel
                              seyn; in der That liegt darin der Kern der Sache. Horsford bereitet seine Phosphorsäure aus sehr gut gewaschenen, reinen,
                              bis zur vollständigen Weiße gebrannten Knochen, welche bekanntlich aus
                              phosphorsaurem Kalk (und Bittererde) bestehen; sie werden fein gepulvert, mit einer
                              genau bemessenen Menge Schwefelsäure digerirt, so daß zwei Drittel des vorhandenen
                              Kalkes neutralisirt und zwei Drittel der Phosphorsäure in Freiheit versetzt werden;
                              der gebildete Gyps wird durch Filtration von der sauren Flüssigkeit getrennt und
                              diese bis zur Honigconsistenz eingedampft; nach dem Erkalten erstarrt sie zu einer
                              weichen krystallinischen Masse, welche aus saurem phosphorsaurem Kalk (und
                              Bittererde) besteht. Es ist hier nicht der Ort, auf die Darstellung dieser
                              Verbindung näher einzugehen, da sie sich in jedem Lehrbuche der Chemie beschrieben
                              findet.
                           Vor dem Erstarren wird der honigdicken sauren Masse feingepulvertes reines Stärkmehl
                              zugemischt, so daß ein fester, bröckeliger Teig entsteht, der in diesem Zustand in
                              einem warmen Trockenraume vollständig von allem Wasser befreit werden kann; man hat
                              alsdann eine schneeweiße feste Masse, die sich leicht in das feinste Pulver
                              verwandeln läßt; sie zieht, richtig bereitet, kein Wasser an, und darf auch in
                              feuchter Luft nicht schmierig werden. Dieß ist die Säure des Horsford'schen Backpulvers; sie wird, wie man sich in der chemischen
                              Sprache ausdrückt, auf das doppelt-kohlensaure Natron gestellt, das ist: man
                              ermittelt wie viel von dem Säurepulver nöthig ist um ein gegebenes Gewicht
                              doppeltkohlensaures Natron so zu neutralisiren, daß die Mischung eine schwach saure
                              Reaction behält; auf 1 Gewichtstheil doppelt-kohlensaures Natron braucht man
                              in der Regel 2 1/2 Gew. Tb. von dem Säurepulver, oder auch 3 bis 3 1/2 Gew. Th.,
                              wenn dieses mehr Stärkmehl enthält.
                           Die Anwendung des doppelt-kohlensauren Natrons ist für die Brodbereitung
                              praktisch vielleicht zu rechtfertigen, allein der Theorie entsprechend sollte
                              doppelt-kohlensaures Kali dazu genommen werden; das im Mehl fehlende Alkali
                              ist nämlich Kali und nicht Natron. Der Geschmack des mit dem Kalisalz dargestellten
                              Brodes ist auffallend verschieden von dem mit dem Natronsalz bereiteten; das erstere
                              ist weit wohlschmeckender, aber der Preis des doppelt-kohlensauren Kalis ist
                              über viermal höher als der des Natronsalzes, und seine Anwendung vertheuert das
                              Brod. Dieser Umstand ist offenbar der Grund warum Horsford das Natronsalz und nicht das Kalisalz in sein Backpulver
                              aufnahm.
                           Ich habe gefunden, daß sich das doppelt-kohlensaure Kali durch Chlorkalium in allem Brod
                              ersehen läßt welches bei seiner Zubereitung einen Zusatz von Kochsalz empfängt, wie
                              dieß in den meisten Ländern üblich ist; denn beim Zusammenbringen von Kochsalz mit
                              doppelt-kohlensaurem Kali setzen sich beide Salze um in
                              doppelt-kohlensaures Natron und in Chlorkalium; eine kalt gesättigte Lösung
                              von doppelt-kohlensaurem Kali erstarrt, wenn Kochsalz zugesetzt wird, zu
                              einem Brei von doppelt-kohlensaurem Natron, während Chlorkalium in der
                              Flüssigkeit bleibt. Eine ganz gleiche Zersetzung geht in dem kochsalzhaltigen
                              Backpulver, welches mit doppelt-kohlensaurem Kali bereitet ist, vor. Mit
                              einer Mischung von doppelt-kohlensaurem Natron mit Chlorkalium zu gleichen
                              Aequivalenten erreicht man also denselben Zweck; das Chlorkalium ist aber seit der
                              Entdeckung der Kalisalzlager in Staßfurt eines der wohlfeilsten Kalisalze, und seine
                              Anwendung hat keinen merklichen Einfluß auf den Preis des Brodes. Wenn man nun weiß,
                              wieviel Säurepulver nöthig ist um einen Gewichtstheil doppelt-kohlensaures
                              Natron zu neutralisiren, so ist es jetzt leicht ein theoretisch richtig bereitetes
                              Backpulver herzustellen.
                           Nach den von mir angestellten Versuchen hat man zur Herstellung eines guten Brodes
                              auf 100 Pfd. bayerisch = 112 Zollpfund Mehl 1 Zollpfund doppelt-kohlensaures
                              Natron nöthig. Angenommen man habe gefunden daß zur Neutralisation von 1 Gew. Th.
                              doppelt-kohlensauren Natrons 3 Theile Säurepulver erforderlich seyen, so
                              berechnet sich die Zusammensetzung des zu 1 Centner = 112 Zollpfund Mehl
                              erforderlichen Backpulvers mit Zusatz von einer dem Natronsalz aequivalenten Menge
                              Chlorkalium wie folgt:
                           Gewicht des Backpulvers für 1 Centner Mehl:
                           
                              
                                 Säurepulver    
                                 
                                    Alkalipulver
                                    
                                 
                              
                                   1500 Gramme
                                   500 Gramme doppelt-kohlensaures Natron
                                 
                              
                                 
                                   443      „      
                                    Chlorkalium
                                 
                              
                                 
                                 ––––––
                                 
                              
                                 
                                   943 Gramme.
                                 
                              
                           Setzt man zur Herstellung einer einfacheren Zahl dem Alkalipulver 57 Grm. Kochsalz
                              zu, so hat man also zu 100 Pfd. Mehl 3 Zollpfund Säurepulver und 2 Pfd. Alkalipulver
                              nöthig; zu 1 Pfd. Mehl 15 Grm. des ersteren und 10 Grm. vom anderen.
                           Auf 100 Pfd. Zollgewicht berechnen sich:
                           
                              
                                 Säurepulver.    
                                 Alkalipulver.
                                 
                              
                                 1338 Grm.
                                 446 Grm. doppelt-kohlens. Natron
                                 
                              
                                 
                                 395 Grm. Chlorkalium
                                 
                              
                                 
                                 ––––––
                                 
                              
                                 
                                 841 Grm.
                                 
                              
                           
                           Um runde Zahlen zu haben, kann man dem Säurepulver 62 Grm. Stärkmehl und dem
                              Alkalipulver 59 Grm. Kochsalz zusetzen, in welchem Fall also zu einem Pfund Mehl 14
                              Grm. von dem ersteren und 9 Grm. von dem Alkalipulver genommen werden müssen.
                           Was die Anwendung des Backpulvers zur Brodbereitung betrifft, so ist die einfachste
                              Methode die: daß man das dem Gewichte des Mehles entsprechende abgewogene Backpulver
                              mit einer Handvoll Mehl mischt, und mittelst eines feinen Siebes in das Mehl
                              einsiebt, während beide beim Einsieben und nachher noch sehr sorgfältig mit einander
                              gemengt werden; von der innigen Mischung des Mehles mit dem Pulver hängt die mehr
                              oder minder poröse Beschaffenheit des Brodes ab. Man setzt alsdann der Mischung
                              Wasser zu, um den Teig zu bilden, formt, ohne viel zu kneten, die Laibe und schießt
                              sie in den Ofen. Die richtige Temperatur zum Nacken muß durch ein paar Backversuche
                              ermittelt werden: ist der Ofen zu heiß, so reihen die Laibe und bekommen Kröpfe.
                           Das nach dieser Methode bereitete Brod ist von schönem Aussehen, aber schwerer als
                              das gewöhnliche Bäckerbrod; das letztere ist großblasig und fällt durch sein
                              größeres Volumen mehr in die Augen.
                           Nach der folgenden Methode, die allerdings etwas umständlicher ist, erhält man mit
                              dem Backpulver ein dem schönsten Bäckerbrod ähnliches Brod. Man theilt das Mehl und
                              das zur Teigbildung erforderliche Wasser in zwei gleiche Theile, setzt der einen
                              Hälfte Wasser das Säurepulver und der anderen Hälfte Wasser das Alkalipulver zu, und
                              rührt von Zeit zu Zeit um. Das Wasser welches dem Säurepulver zugesetzt wird, kann
                              heiß seyn, das andere muß kalt gehalten werden. Man knetet jetzt die eine Hälfte
                              Mehl mit dem Säurewasser, und sodann die andere Hälfte mit der Lösung des
                              Alkalipulvers zum Teig an, und wenn dieß geschehen ist, knetet man beide Teige mit
                              einander zusammen. Wenn die Teige zu steif werden, so setzt man etwas Wasser, bei zu
                              weichem Teig, etwas Mehl zu. Auf 100 Zollpfund Mehl hat man in der Regel 32 bis 33
                              Liter Wasser nöthig. Bei Anwendung dieses Verfahrens verliert der Teig kein oder nur
                              wenig Gas. Hierbei ist die sorgfältige Mischung beider Teige von Wichtigkeit;
                              geschieht sie nachlässig, so bekommt das Brod hie und da braune Streifen.
                           In Fällen wo man keinen Sauerteig hat, und für Haushaltungen in denen man das saure
                              Bäckerbrod nicht liebt, liegt der Vortheil welchen die Verwendung des Backpulvers
                              bringt auf der Hand; die Einwendung daß das Brod hierdurch vertheuert werde, hat für
                              den Einsichtigen wenig Gewicht; man erhält durchschnittlich 10 bis 12 Proc. mehr
                              Brod als beim gewöhnlichen Verfahren, wodurch schon ein Theil der Ausgabe für das Backpulver
                              gedeckt wird; aber der Hauptvortheil beruht in der größeren Nahrhaftigkeit des damit
                              gewonnenen Brodes, die man, um eine richtige Rechnung zu machen, mit in den Ansatz
                              bringen muß.
                           Im Großen bereitet kann das Pfund Backpulver kaum höher als 15 bis 18 kr. kommen, und
                              wenn man sich denkt daß 100 Pfd. Mehl nur 10 Proc. an Nährwerth dadurch gewonnen, so
                              ist die ganze Ausgabe für das Backpulver schon im Brode gedeckt. Darüber muß man
                              Versuche und die Erfahrung entscheiden lassen.
                           Mit der Anwendung des Backpulvers zu Küchengebäcken habe ich mich nicht weiter
                              beschäftigt; in den Vereinigten Staaten wird übrigens das Horsford'sche Backpulver Zu jeder Art von Gebäcken verwendet, am meisten
                              im Gebrauch ist das dort im Handel vorkommende „Self raising flour,“ eine zum Brodbacken dienende
                              Mehlsorte, welche das fertige Backpulver im richtigen Verhältniß bereits beigemischt
                              enthält. Die Hausfrauen in New-York kaufen dieses Mehl, formen mit Wasser den
                              Teig, und backen die Laibe in ihren gewöhnlichen Küchenöfen. Nach einer Mittheilung
                              von meinem Freund und früheren Schüler Horsford ist im
                              vorigen Jahre eine Million Pfund von seinem Backpulver verkauft worden; er hat seine
                              Professur in Cambridge jetzt aufgegeben, um sich ganz der Fabrication desselben zu
                              widmen. Ich bin kaum zweifelhaft darüber, daß das neue Backverfahren, wenn auch erst
                              im Verlaufe von ein paar Jahren, von der Bäckerei aufgenommen werden wird. Mit dem
                              Ausschluß des Gährungsprocesses fällt das Haupthinderniß hinweg, welches dem
                              industriellen Betrieb des Bäckergewerbes entgegenstand; dieser Vortheil kann nicht
                              hoch genug angeschlagen werden. Das Brod kann mit Hülfe des neuen Backverfahrens wie
                              Schiffszwieback fabrikmäßig bereitet werden, ähnlich wie dieß in den großen
                              Bäckereien in Portsmouth geschieht, wo drei Arbeiter, einer am Ofen und zwei an der
                              Knetmaschine, genügen um 20,000 und mehr Rationen Zwieback täglich herzustellen.
                           Für eine Armee im Feld und für die Brodbereitung auf Schiffen scheint mir dieses neue
                              Backverfahren von besonderer Wichtigkeit zu seyn, und es wäre sehr wünschenswerth
                              wenn die Verwaltungsbehörden voll Gefängnissen und Armenhäusern in Beziehung auf die
                              Ermittelung des Nährwerthes des mit Backpulver bereiteten Brodes Erfahrungen sammeln
                              möchten.
                           Meine früheren Artikel über Brodbereitung haben mir durch Anfragen um nähere Auskunft
                              und Belehrung eine solche Fluth von Belästigungen zugezogen, daß ich, um diese in
                              Zukunft zu vermeiden, zwei der ausgezeichnetsten Fabrikanten chemischer Producte,
                              die HHrn. G. C. 
                              Zimmer in Mannheim und L. C. Marquart in Bonn, veranlaßt habe beide Pulver nach meiner Vorschrift
                              darzustellen; nach den von ihnen empfangenen Proben ist beiden die Darstellung
                              vortrefflich gelungen, und die Personen welche geneigt sind sich mit diesem neuen
                              Backverfahren zu befreunden, dürfen sich nur an sie wenden, um sowohl das Material
                              als eine genaue Vorschrift zu dessen Anwendung von ihnen zu bekommen.