| Titel: | Beitrag zur Kenntniß des Verhaltens der Runkelrüben-Säfte bei längerer Aufbewahrung; von Dr. J. J. Pohl. | 
| Autor: | Joseph Johann Pohl [GND] | 
| Fundstelle: | Band 191, Jahrgang 1869, Nr. LXXXVIII., S. 409 | 
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                        LXXXVIII.
                        Beitrag zur Kenntniß des Verhaltens der
                           Runkelrüben-Säfte bei längerer Aufbewahrung; von Dr. J. J. Pohl.
                        Pohl, über das Verhalten der Runkelrüben-Säfte bei der
                           Aufbewahrung.
                        
                     
                        
                           Die raschen Veränderungen, welche Runkelrüben-Säfte erleiden und die dabei
                              eintretende Bildung von Invertzucker, Schleim, freien Säuren etc., sind dem
                              Chemiker, sowie dem Zuckerfabrikanten nur zu wohl bekannt. Die nachstehenden
                              Beobachtungen deuten aber auf die Möglichkeit eines Verhaltens hin, welches
                              wenigstens mit der allgemeinen angenommenen sehr raschen Inversion des Rohrzuckers
                              in den Säften im Widerspruche steht.
                           Von einer Partie Runkelrüben, deren Zuckergehalt im verflossenen Herbste zu ermitteln
                              war, blieb so viel Saft übrig, daß ich beschloß, damit längst begonnene Studien über
                              das Verhalten des Rüben-Farbstoffes fortzusetzen. Die Polarisirung ergab den
                              Rohrzucker-Gehalt des abgepreßten Saftes am 6. November 1868 zu 11,7
                              Gewichts-Procenten und dessen Dichte bei 17,5° Cels. gleich 1,061. Ein
                              Theil des Saftes, der nicht zu den erwähnten Versuchen diente, blieb zufällig in
                              einem offenen Gefäße bei einer mittleren Temperatur von 22,5° C. längere Zeit
                              sich selbst überlassen.
                           Am zweiten Tage begann der Saft schleimig zu werden, am dritten Tage aber war die
                              Schleimbildung so weit vorgeschritten, daß die Flüssigkeit einem ziemlich dicken
                              Kleister glich, und nur mehr in größeren Massen aus dem Aufbewahrungsgefäß gegossen
                              werden konnte. Der Geruch blieb jedoch der normale von Rübensäften, und selbst bis
                              zum 20. November war keine Alkoholgährung eingetreten. Neben dem Rübengeruche zeigte
                              sich nun ein sehr schwacher säuerlicher Geruch. 100 Kub. Centim. des durch
                              freiwillige Verdunstung bis zu 0,78 des ursprünglichen Volumens verminderten Saftes,
                              benöthigten 10 Kub. Centimeter Normal-Kalilösung zur Neutralisation. Somit
                              würde in 100 Gewichtstheilen des ursprünglichen Saftes, Säure zur Sättigung von 7,36
                              Kub. Cent. Normal-Kalilösung entstanden seyn. Die weitere chemische
                              Untersuchung erwies die saure Reaction von kleinen Mengen Essigsäure und
                              vorzugsweise Milchsäure herrührend. Berechnet man die Gesammt-Säuremenge als
                              Milchsäure (C⁶H⁶O⁶), so würden nahezu 0,66 Proc. davon gebildet
                              worden seyn.
                           Die mikroskopische Untersuchung ergab das Vorhandenseyn zahlreicher
                              Leptothrix-Ketten (Mycoderma der Schleimgährung
                              nach Pasteur), welche bekanntlich das Ferment für
                              Schleimgährung bilden.
                           
                           Versuche, welche ich am 2. December durch Hrn. Hugo Divorzak anstellen ließ, um den Saft behufs einer Polarisirung zu klären,
                              fielen bei Anwendung von Bleiessig, selbst bis zum halben Volum des Rüdensaftes,
                              auch nach Alaunzusatz, immer gleich ungünstig aus. Der Saft verlor nicht seine
                              gelatinöse Beschaffenheit und blieb unfiltrirbar. Endlich fiel mir ein, daß man es
                              bei der Schleimbildung der Rübensäfte mit einer ähnlichen Erscheinung wie beim
                              sogenannten Lang – oder Zähewerden der Weine zu thun habe und daher dieselben
                              Mittel, welche Letzteres aufheben, auch die gelatinöse Beschaffenheit des
                              Rübensaftes zerstören müßten. Nun ist aber Gallusgerbsäure das vortrefflichste
                              Mittel zähe Weine aufzubessern. Es wurde demgemäß 0,25 Volum Gerbsäurelösung in den
                              Rübensaft gebracht und einige Zeit unter öfterem Schütteln damit in Berührung
                              gelassen. Der Rübensaft verlor, wie erwartet, seine gelatinöse Beschaffenheit und
                              ließ sich dann mit Bleiessig unter Alaunzusatz vollständig klären, und leicht vom
                              gebildeten Niederschlage abfiltriren. Die Polarisirung ergab eine Rechtsdrehung
                              entsprechend 13,5 Theilen Rohrzucker in 100 Kub. Cent. Flüssigkeit. Dieß gibt auf
                              die ursprüngliche Concentration des Rübensaftes reducirt: 9,92
                              Gewichts-Procente Rohrzucker. Da aber 11,7 Procente wirklich vorhanden waren,
                              so folgt innerhalb 26 Tagen eine Verminderung des Rohrzuckergehaltes von nur 1,78
                              Gewichtsprocenten. Insofern bei der Schleimgährung optisch inactiver Mannit
                              entsteht, wird dieses Gährungsproduct den gefundenen Zuckergehalt nicht
                              beeinträchtigt haben. Wohl aber steht fest, daß, sobald secundär auch Invertzucker
                              entstand, dieser zufolge seines Linksdrehungsvermögens den Rohrzuckergehalt zu klein
                              erscheinen lassen mußte.
                           Der RübensaftRübenfaft zeigte weiters bis zum 25. December das gleiche Verhalten. Erst an diesem
                              Tage begann Alkoholgährung unter kräftigem Hefenausstoß. Die am 29. December
                              vergohrene Flüssigkeit war noch immer schwarz gefärbt und dickflüssig, hatte jedoch
                              ihre gelatinöse Beschaffenheit gänzlich verloren. (Während der ganzen Versuchszeit
                              ließ sich übrigens niemals der Geruch nach niederen Oxydationsproducten des
                              Stickstoffes wahrnehmen.)
                           Ich bedaure den gegenwärtigen Mangel an Material zur Wiederholung des Versuches unter
                              gleichen sowie geänderten Umständen. Es ist dieß um so mehr der Fall, als die
                              gefundene Milchsäure und vor der Alkoholgährung noch unzerlegt gebliebene
                              Rohrzuckermenge darauf hinweisen: daß bei der Schleimgährung ein viel einfacherer
                              Proceß stattfinde, als dieß nach dem bekannten Pasteur'schen Schema geschehen soll.
                           Möge jedoch diese Mittheilung wenigstens Andere anregen, das Verhalten der Rübensäfte und
                              insbesondere den bei der sogenannten Schleimgährung stattfindenden chemischen Proceß
                              genauer zu verfolgen; Chemiker in Zuckerfabriken wären hierzu in der günstigsten
                              Lage.