| Titel: | Ueber Fabrication und Besteuerung von Rübenzuker. | 
| Fundstelle: | Band 191, Jahrgang 1869, Nr. CVI., S. 497 | 
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                        CVI.
                        Ueber Fabrication und Besteuerung von
                           Rübenzuker.
                        Ueber Fabrication und Besteuerung von Rübenzuker.
                        
                     
                        
                           Die einheimische Zuckerfabrication hat eine früher gewiß nicht geahnte Wichtigkeit
                              für Europa erhalten. Die Production an Rübenzucker mag im Zollverein im Jahr
                              1867–68 an 3 1/2–4 Millionen Centner betragen haben.Der Consum von Zucker im Zollverein wird ebenso 3 1/2 bis 4 Mill. Centner
                                    betragen. Amerika, Westindien, Havannah etc. ist dagegen die Zuckerproduction in Folge
                              der veränderten Verhältnisse der Sklaven bedeutend zurückgegangen; ohne die
                              europäische Zuckerfabrication würde daher der Zucker einen außerordentlich hohen
                              Preis haben und als Luxusartikel nur den Reichen zugänglich seyn. Ohne einen
                              entsprechenden Schutzzoll, wie die Continentalsperre ihn seiner Zeit schuf, hätte
                              die Rübenzuckerfabrication nie entstehen können; eine allmähliche Herabsetzung des
                              Schutzzolles durch Einführung und Erhöhung der Rübensteuer hat die Zuckerfabrikanten
                              zu außerordentlichen Anstrengungen genöthigt, in Folge deren sie im Stande sind,
                              heute ohne allen Schutzzoll bestehen zu können. Die Art
                              des Zolles, die Besteuerung des Rohmateriales hat unsere
                              Fabrikanten genöthigt, sich vorzüglicheres Rohmaterial, d.h. möglichst zuckerreiche
                              Rüben zu verschaffen und diesen den Zucker möglichst vollständig zu entziehen,
                              selbst mit unverhältnißmäßigem Aufwand an Zeit und Brennstoff. Die Rüben enthalten
                              jetzt nahe 1 1/2 mal so viel Zucker als vor 30 Jahren, und von den 95 Procent Saft
                              werden statt früher vielleicht 70 jetzt nahe 90 zu gut gemacht. Es sind hier große
                              Vortheile erreicht, doch zeigen sich dabei auch Nachtheile.
                           Die in Frankreich eingeführte Besteuerung des fertigen
                                 Productes, des Zuckers, hat dahin geführt, auf einer gegebenen Fläche
                              möglichst viel Rüben zu
                              bauen, statt 180 Centner pro württ. Morgen vielleicht
                              250 bis 280 Centner; der geringere Zuckergehalt der Rüben wird weit aufgewogen durch
                              die größere Quantität derselben. Weiter sind unsere Fabrikanten genöthigt, den Rüben
                              durch Auswaschen etc. möglichst allen Zucker, aber damit auch sonstige lösliche
                              Stoffe, Salze zu entziehen; sie bekommen bei diesem Verfahren zwar Preßlinge, die
                              nur noch sehr wellig Zucker, aber auch wenig Nährsalze enthalten, dafür aber eine
                              Melasse, die viel Salze enthält, wodurch ihr Werth bedeutend verringert ist. Der
                              französische Fabrikant entzuckert die Rüben nicht so vollständig, da er ja nur den
                              wirklich producirten Zucker versteuert; er kann daher schneller arbeiten und mit den
                              gleichen Apparaten und der gleichen Arbeit mehr Zucker produciren, als der deutsche
                              Fabrikant; ihn kümmert es weniger, ob etwas Zucker in den Preßlingen bleibt; diese
                              haben dadurch einen höheren Futterwerth und der Zucker geht also nicht verloren.
                           Außerdem kommt noch in Betracht, daß verschiedene beachtenswerthe, in Frankreich
                              aufgekommene Neuerungen in der Zuckerfabrication, so das Verfahren von Champonnois, wodurch ein salzärmerer Zuckersaft und daher
                              weniger Melasse, dagegen bessere Preßlinge erzielt werden, für unsere Fabrikanten
                              bei dem jetzigen Steuermodus nicht anwendbar sind.
                           Es verdient daher die Frage wohl Beachtung, ob die Productensteuer bei dem jetzigen
                              Stand der Zuckerindustrie im Zollverein nicht der Rohmaterialsteuer vorzuziehen ist;
                              der Ertrag der Zuckersteuer würde dabei eher zu- als abnehmen; die
                              Landwirthschaft könnte auf der gleichen Fläche ein größeres Quantum Rüben bauen. Der
                              Zuckerfabrikant könnte mit den gleichen Hülfsmitteln mehr Zucker produciren, da er
                              einen nicht so verdünnten Saft erhält und da er längere Zeit – bis in Mai und
                              Juni, selbst statt bis zum März oder Anfang April – arbeiten könnte, ohne
                              durch die, ihm jetzt so wichtig erscheinende Abnahme des Zuckergehaltes der Rüben im
                              Frühjahr erheblichen Schaden zu leiden; auch würde aus dem verarbeiteten Saft, weil
                              reiner, weniger Melasse erhalten, und endlich würden die Preßrückstände, weil mehr
                              Zucker und Salze enthaltend, ein besseres Viehfutter seyn.
                           Die angegebenen Thatsachen sind unzweifelhaft und verdienen wohl die Beachtung der
                              Zollvereins-Regierungen. Wenn die norddeutschen Fabrikanten bei dem letzten
                              Handelstage sich gegen die Productensteuer ausgesprochen haben, so liegt die Ursache
                              wohl hauptsächlich in localen Verhältnissen.
                           Dr. H. v. Fehling.